In der effzeh.com-Kolumne „Real Madrid des Westens“ blickt Arne Steinberg auf Entwicklungen rund um Taktik und Spielweise des effzeh. Dieses Mal im Fokus: Ein Ausblick auf das Jahr 2017.
Ein neues Jahr steht an für den 1. FC Köln und damit auch die Frage, wie sich die Mannschaft von Peter Stöger im mittlerweile dritten Bundesligajahr weiterentwickelt. Ein schneller Blick auf die harten Fakten sorgt schnell für Zufriedenheit: Zweimal konnte der Österreicher mit seiner Mannschaft den Klassenerhalt sichern, auch jetzt steht der effzeh mit 25 Punkten nach 16 Spielen mehr als gut da. Die Frage ist jedoch, wie die fußballerische Entwicklung der Mannschaft weitergehen könnte – und vor allen Dingen, welche Aspekte dabei Beachtung verdienen.
Dass Stöger ein großer Pragmatiker ist, konnte er bereits unter Beweis stellen. Dem Österreicher kann aber durchaus zugetraut werden, aus dem Schatten vieler anderer Bundesligatrainer zu springen und eine in allen Belangen des Spiels solide Mannschaft zu formen, die extrem erfolgsstabil agiert. Doch bis es soweit kommt, sollten wir erst einmal einen kurzen Blick auf die wesentlichen taktischen Entwicklungen der Vergangenheit werfen. Damit können wir uns vor Augen führen, wohin der Weg für den effzeh gehen könnte – sofern Stöger den Verein nicht verlässt und die Entwicklung weiterhin so konstant verläuft.
In den Fußstapfen von Pep Guardiola
Pep Guardiola ist ein erfolgreicher Mann. Sowohl als Spieler als auch als Trainer prägte er den Fußball wie kaum jemand anderes vor ihm – sein Einfluss auf den internationalen Fußball im letzten Jahrzehnt war immens. Mit dem FC Barcelona erweckte Guardiola ab 2008 das Positionsspiel wieder zum Leben und läutete damit eine taktische Revolution ein, die mit ein paar Jahren Verzögerung auch in der Bundesliga ankommen sollte. Guardiolas Barcelona profitierte natürlich auch von einer Masse an überdurchschnittlich talentierten Spielern, seine fußballerische Doktrin aber wirkte lange nach. Dass die Spieler bei eigenem Ballbesitz fest definierten Abläufen zu folgen hatten, war in der fußballerischen Moderne etwas Neues. Gewiss, die niederländische Fußballschule der 1970er Jahre sieht sich zurecht als Erfinderin dieses fußballerischen Mittels, Guardiola bewegte sich damit aber zurück in die Zukunft. Seine Akribie in der Vorbereitung des Trainings und des kommenden Gegners wird noch auf Jahrzehnte hin in Trainerlehrgängen als Musterbeispiel thematisiert.
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Ein paar Jahre nach seinen großen Erfolgen mit der Blaugrana sieht man auch in der Bundesliga immer mehr Trainer, die im Trainingsbetrieb das Feld in mehrere Zonen einteilen und ihre Spieler dazu zwingen, bei eigenem Ballbesitz bestimmte Positionen immer besetzt zu halten. Befindet sich die Mannschaft in einer Zone a in Ballbesitz, sind die Zonen b und c zwingend durch einen oder mehrere Spieler zu besetzen. Bei Guardiola dürfen sich beispielsweise nie mehr als drei Akteure in einer horizontalen und nie mehr als zwei Akteure in einer vertikalen Linie aufhalten. Durch diese Besetzung entstehen die besten Voraussetzungen für Dreiecksspiel und hohe Dominanz – und natürlich für das Pressing, welches sofort nach Ballverlust erfolgt.
Klopp, Simeone, Mourinho: Die Gegenbewegung
Stellvertretend für die fußballerische Gegenbewegung zu Guardiola gelten im Weltfußball Jürgen Klopp, José Mourinho und Diego Simeone, die einen anderen Stil prägten. Auch sie setzen, wie sollte es auch anders sein, auf extreme taktische Disziplin, setzen aber andere Akzentuierungen als Guardiola. Ganz grob zusammengefasst basiert der Erfolg der drei genannten Trainer auf ihrer Anwendung der folgenden taktischen Mittel: diszipliniertes ballorientiertes Verschieben im Defensivverbund (Viererkette), laufintensives Pressing und schneller Gegenangriff. José Mourinho gewann damit 2004 bereits die Champions League, als in Deutschland gefühlt noch mit Libero gespielt wurde.
Diego Simeone machte aus seinem Atletico Madrid das Paradebeispiel des klassischen 4-4-2, mit dem seine Mannschaft das Spiel kontrollieren soll. Der Argentinier bewies dazu noch das Geschick seinen Kader individuell sehr passend zusammenzustellen, sodass die Spielertypen ideal zueinanderpassen. Bei den Rojiblancos fiel ebenfalls auf, mit welcher hohen Intensität die Spieler konstant auf diesem hohen Level spielen konnten – schließlich erreichte die Mannschaft 2014 und 2016 jeweils das Champions-League-Endspiel. Der Deutsche Jürgen Klopp wiederum machte international das Gegenpressing salonfähig, was sich insofern vom normalen Pressing unterscheidet, weil es direkt nach dem Ballverlust der eigenen Mannschaft stattfindet. Aus der Angriffsformation heraus soll der Gegner direkt unter Druck gesetzt und der Ball bestenfalls gewonnen werden, weshalb Klopp auch gerne sagte, dass das „Gegenpressing der beste Spielmacher“ sei.
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Guardiola: Eine Ausnahmeerscheinung
In der Fußball-Berichterstattung der letzten Jahre wird der Name Guardiola jedoch wesentlich häufiger genannt, wenn es um den Fußballstil des letzten Jahrzehnts geht. Natürlich prägte er mit seinem Positionsspiel den Fußball, gewann Titel um Titel und machte auch aus dem FC Bayern München eine (auch taktisch gesehen) europäische Spitzenmannschaft. Problematisch ist dabei jedoch in meinen Augen, dass der Guardiola-Stil ein wenig als das Nonplusultra dargestellt wird – die fußballerische Blaupause, mit der man Erfolg hat, gibt es nämlich nicht. Was man mit dem vorhandenen Spielermaterial anstellen kann, hängt natürlich erstmal davon ab, wie stark die einzelnen Spieler sind – eine derart talentierte Mannschaft wie den FC Barcelona von 2008 bis 2013 findet man sehr selten.
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Dementsprechend wäre es vielleicht sogar etwas wohltuend, wenn Guardiola bei Manchester City eben nicht sofort den Erfolg bringt, sodass man wieder über grundlegende, einfach zu bewerkstelligende Dinge im Fußball spricht, bis dann der nächste Guardiola kommt, der den Fußball revolutioniert. Positionsspiel mit einem durchschnittlich talentierten deutschen Zweitligisten durchzubringen ist eben eine Mammutaufgabe – Guardiola brachte eine Komplexität in das Spiel, die für den normalen Profifußball vielleicht sogar etwas zu groß war.
Diejenigen, die seinem Stil nicht ganz so viel abgewinnen konnten, setzten eher auf reaktive Elemente und kritisierten, dass die hohen Ballbesitzwerte Barcelonas reiner Selbstzweck seien. Zu häufig werden Trainer allerdings zwanghaft einem der beiden Lager zugeteilt, sie sind also entweder reine Ballbesitz-Fetischisten oder parken den Bus vor dem eigenen Sechzehner. Dass es jedoch auch anders gehen und man im Laufe einer Trainerkarriere durchaus Zutaten aus beiden Stilen vermischen kann, zeigen in der Bundesliga unter anderem Julian Nagelsmann, Carlo Ancelotti – und Peter Stöger.
Die Wandlung des 1. FC Köln
Die Komplexität der Bundesliga einigermaßen zu beherrschen, war auch für den Österreicher zu Beginn seiner Zeit beim effzeh eine große Aufgabe. Nach der souveränen Zweitligameisterschaft gelang es ihm aber, den effzeh als defensivorientierte, risikovermeidende Kontermannschaft wieder in der Bundesliga zu etablieren. In den ersten beiden Jahren nach dem Wiederaufstieg war in Köln lange Zeit das 4-4-2-System (Simeone!) an der Tagesordnung, in dem klare Abläufe und ein unterschiedlich intensives Pressing gespielt wurden.
Seine Mannschaft zeichnete sich in den meisten Spielen durch eine enorm stabile vertikale Kompaktheit aus, an der sich die meisten Gegner buchstäblich die Zähne ausbissen. Auswärts wurde häufig auch mal komplett darauf verzichtet, am Offensivspiel teilzunehmen, da man mit vielen Spielern extrem tief verteidigte und sich folgerichtig das 0:0 als Standardergebnis etablierte. Ergebnis und Performance stimmten beim effzeh in den bisherigen 84 Bundesligaspielen unter Stöger, Ausreißer nach unten gab es selten.
Seit mehreren Monaten ist jedoch zu beobachten, dass sich die Mannschaft wandelt: Reaktivität ist nicht mehr das höchste Gut, man sucht selbst häufiger die Initiative und weiß mittlerweile Lösungen, um das eigene Offensivspiel variabler zu gestalten. Stögers Mannschaft spielt eine gute Mischung aus tiefem und hohem Pressing, kann flexibel auf die strategische Herangehensweise des Gegners reagieren – und übernimmt in mehr und mehr Spielen selbst die Kontrolle.
Spielerische Elemente auf der Agenda
Damit dies gelingen konnte, musste Stöger zusammen mit seinen Trainerkollegen in der täglichen Trainingsarbeit immer wieder dieselben Reize setzen. Waren es zuvor noch Klopp-ähnliche Übungen, in denen nach Ballgewinn sofort nach vorne umgeschaltet werden sollte, nutzte Stöger in der Vergangenheit wohl immer häufiger Guardiola-ähnliche Elemente. Das eigene Spiel flach aus der eigenen Hälfte nach vorne zu tragen stand dementsprechend ganz oben auf der Agenda. Bereits im September schrieb ich dazu Folgendes: “Vielmehr haben sich die Transitionen im Offensivspiel verbessert, der effzeh befreit sich mittlerweile besser aus Pressingsituationen, ohne dabei auf das Mittel des langen Balls zu verzichten“. Das klingt dann schon nicht mehr so stark nach Reaktivität.
Auf der nächsten Seite: Kader und Strategie beim effzeh passen.
Nebenbei machte Stöger im abgelaufenen Jahr mit dem effzeh die Fünferkette in der Bundesliga wieder salonfähig. Obwohl es nach der ersten Anwendung sicherlich ab und an mal hakte, stellt das System mit drei Innenverteidigern und zwei “Wing Backs” mittlerweile eine ernstzunehmende Alternative dar. Trotz des Abgangs von Mergim Mavraj wird die Mannschaft in der Lage sein, auch diese Grundordnung erfolgsstabil anzuwenden. Wohltuend dabei ist in jedem Fall die ruhige Herangehensweise des Österreichers, der nicht so tut, als würde er momentan den Fußball neu erfinden. Vielmehr nutzt er Einflüsse von anderen großen Trainern, um mit dem vorhandenen Spielermaterial die bestmögliche Taktik zu finden, um in den meisten Bundesligaspielen schon einmal nicht zu verlieren.
Die Zahlen geben ihm recht: 2016 verlor der effzeh nur neunmal. Der effzeh-Coach profitiert auch dabei, sich auf einen Stab an Experten zu verlassen, die ihm in der Vor- und Nachbereitung der Spiele immer wieder wichtige Hinweise geben. So wäre es zum Beispiel auch zu erklären, dass Stöger als einer der besten In-Game-Coaches in der Bundesliga gilt. Das bedeutet, dass Stöger während des Spiels die richtigen Anpassungen vornimmt und damit den Ausgang der Partie aus effzeh-Sicht positiv beeinflusst (perfektes Beispiel hierfür ist das Ingolstadt-Spiel aus der Hinrunde dieser Saison).
Ein Kader von idealer Größe
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Bevor der effzeh also gegen den FSV Mainz 05 seine spielerische Weiterentwicklung vorantreiben möchte, sollte man auch noch einmal einen Blick auf das Spielermaterial werfen. Der Kader ist an sich mit 23 Spielern von idealer Größe – zieht man die beiden Langzeitverletzen Horn und Risse ab, verbleiben 21 Spieler, davon 19 Feldspieler (und Birk Risa nicht mit eingerechnet). Sollte der junge Norweger wie zu erwarten in der Rückrunde fest in der Profi-Mannschaft trainieren, stünden dem effzeh also 20 Feldspieler zur Verfügung. Diese teilen sich positionsbezogen wie folgt auf: acht potenzielle Defensivspieler (Maroh, Heintz, Sörensen, Risa, Rausch, Hector, Olkowski, Klünter), zehn potenzielle Mittelfeldspieler (Lehmann, Höger, Hector, Clemens, Hartel, Özcan, Jojic, Bittencourt Zoller, Rausch) und fünf potenzielle Stürmer (Modeste, Guirassy, Osako, Rudnevs, Zoller).
Auf den ersten Blick erscheint diese Aufteilung also ausreichend und ich bin auch der festen Überzeugung, dass ohne großartige Ausfälle das Spielermaterial die Grundlage dafür bietet, die Ergebnisse aus der Hinrunde zu bestätigen. Einziger Kritikpunkt wäre Stand jetzt, dass eine Dreierkette nur dann gespielt werden kann, wenn Sörensen, Maroh und Heintz fit sind. Ein Ausfall einer der drei Spieler würde sofort eine Systemumstellung nach sich ziehen. Birk Risa mit seinen 18 Jahren bereits die Rolle zuzutrauen, die vorher Mergim Mavraj eingenommen hatte, wäre vermessen – der Norweger sollte das kommende Halbjahr nutzen, um sich in erster Linie an die körperlichen Bedingungen im Profifußball zu gewöhnen.
Auf der nächsten Seite: Bittencourt, Lehmann und Hector als tragende Säulen.
Spielweise des effzeh mit dem X-Faktor namens Bittencourt
Dass die Mischung der Spielertypen beim effzeh passt, wurde bereits erwähnt: Die Scouting-Abteilung hat also über Jahre hin ganze Arbeit geleistet und jetzt mit Christian Clemens den idealen Ersatz für Marcel Risse verpflichtet. Natürlich kommt Clemens aus Köln, natürlich kennt der den Club – in erster Linie überzeugt er aber durch sein sportliches Portfolio. Er ist ein ähnlich linearer Flügelspieler wie Risse, zwar defensiv nicht ganz so stark, aber dafür etwas kombinationsorientierter und vielleicht sogar dribbelstärker.
Die Rückkehr von Leonardo Bittencourt bringt ein wenig den X-Faktor ins Spiel des effzeh zurück: Kölns Nummer 21 kann mit seinen Tempodribblings wieder aus dem halblinken Raum ins Zentrum starten, sodass Rausch oder Hector hinter ihm die linke Seite alleine beackern können. Ein weiteres Pärchen, was man in dem Zusammenhang betrachten könnte, wären Yuya Osako und Simon Zoller. Beide ergänzen sich auf dem Papier perfekt, da sie zwar beide nominell Offensivspieler sind, aber grundlegend andere Spielertypen. Während der Japaner ball- und kombinationsorientierter ist, spielt Zoller abschluss- und tororientierter.
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Wichtigstes Element im Spiel des effzeh bleibt aber Jonas Hector: Der Nationalspieler vollzieht trotz des bereits einigermaßen gesetzten Alters als Profi (immerhin ist er schon 26) eine erstaunliche Entwicklung. Prägte er das Spiel in der Vergangenheit als linker Verteidiger quasi in Spielmachermanier, rückte er in den letzten Spielen immer mehr in den Fokus, da er den wichtigen Raum vor der Dreierkette zusammen mit wechselnden Partnern bespielte. Dabei stellte sich wieder einmal heraus, wie spielintelligent Hector ist. Seine Pressingresistenz und Passstärke machen aus ihm den idealen Aufbauspieler, der zusammen mit einem zweikampfstärkeren Akteur (Höger oder Lehmann) ein gutes Paar in der Schaltzentrale bilden kann.
“Zerstörer” Lehmann: So wichtig wie Kanté
Die Rolle des “Zerstörers” im System des effzeh ist eben noch genauso wichtig wie zuvor: Lehmanns Lauf- und Zweikampfstärke hält genügend Arbeit von den Innenverteidigern weg, seine Rolle wird aber auch nicht immer ausreichend wertgeschätzt. Dabei zeigt sich jedoch auch international, dass dieser Spielertyp durchaus noch seine Daseinsberechtigung hat. Mit N’Golo Kanté (Chelsea FC), Casemiro (Real Madrid) und Victor Wanyama (Tottenham) hat Lehmann Kollegen, ohne die ihre Mannschaften komplett zusammenbrechen würden.
Wohin geht also der Weg des effzeh in dieser Rückrunde? Klammert man äußere Faktoren wie das Auftaktprogramm (viermal auswärts in den ersten fünf Spielen) und die fehlende Spielpraxis einiger Spieler aus, ist durchaus damit zu rechnen, dass die konstante Entwicklung weiter vorangeht. Ein leistungsmäßiger Einbruch ist zwar nicht vollends auszuschließen, aber zumindest sehr unwahrscheinlich. Die logische Konsequenz wäre natürlich eine Qualifikation für Europa, was aber auch durchaus erst im nächsten Jahr angegangen werden kann. Vielleicht hat Peter Stöger bis dahin ja noch ein paar weitere Zutaten hinzugefügt, von denen wir bislang nichts wissen.