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Rückblick auf die Reaktionen nach dem Arsenal-Spiel: Wie in verschiedenen Welten

Foto: Richard Heathcote/Getty Images

UPDATE: Von “Nacht der Schande” bis zum “schönsten Tag unseres Lebens”: Die Reaktionen auf die Rückkehr des 1. FC Köln in den Europapokal vor genau einem Jahr sind zwiespältig ausgefallen. Wir waren damals natürlich live dabei und haben nach Ankunft in Köln berichtet, was passiert und gesammelt was Medien und Fans zur magischen Nacht im Emirates Stadium in London zu sagen hatten. Anlässlich des Jahrestags haben wir den alten Text noch einmal hoch geholt. PS: Auf Seite 3 gibt’s die ganzen Videos von der Stimmung beim Fanmarsch und im Stadion. It brings back good memories.

Text: Thomas Reinscheid / David Schmitz

Wer als nach London gereister Fan des 1. FC Köln nach dem Abpfiff der Partie bei Arsenal das Smartphone bemühte, um die Nachrichten aus der Heimat zu checken, der dürfte sich ziemlich schnell wie einem Paralleluniversum gefühlt haben. Eine „Nacht der Schande“ hätten die effzeh-Fans rund um das Emirates bereitet, Deutschland, Köln und seinen glorreichen Fußball-Club bis auf die Knochen blamiert und für schreckliche Szenen gesorgt.

Deutschlands größtes Boulevardblatt zog beispielsweise mit verwackelten Handybildern und der vorgefertigten Geschichte in die Schlacht. Blocksturm, Schlägereien, Randale, verzögerter Spielbeginn: Die hässlich-gewaltverzerrte Fratze des Fußballs, die ein Kölner Gewaltmob am Donnerstagabend der Öffentlichkeit präsentierte. Schnell zogen neben der notorisch wahrheitsfernen Yellow Press auch die „fanfreundlichen“ Medien aus der Domstadt nach, wussten bereits vor allen Beteiligten, wer Übeltäter und Sündenbock zugleich war.

Olympiakandidaten im Zurückrudern

Noch bevor der Wettstreit auf dem Rasen überhaupt angepfiffen wurde, war der für so manchen weit wichtigere Wettstreit längst entschieden. Im Kampf um die Deutungshoheit hieß der Schlachtruf: Skandal im Sperrbezirk! Erst in der Nacht und den frühen Freitagsstunden mischte sich Differenzierung in all das tumbe Geschrei, kamen angenehm wohltuend abwägende Stimmen zu Wort, die sich erst informieren und dann Geschichten schreiben. Wäre Zurückrudern eine Olympische Disziplin, einige Goldkandidaten hätten sich nach dem Europapokal-Comeback des 1. FC Köln herauskristallisiert.

Was war eigentlich passiert? 20.000 Kölner feierten ein Fußballfest in der englischen Hauptstadt und machten Nordlondon zu einer Jeckenhochburg. Auf das muntere Treiben zeigte sich der Gastgeber derweil überhaupt nicht vorbereitet. Circa 110 Polizisten waren zunächst eingeteilt, eine etwaig problematische Situation in Schach zu halten. Denn: Nur 2900 Tickets hatten die Engländer dem effzeh zugeteilt, der Andrang war deutlich größer. Als Kölner in den Heimbereich? Nicht gestattet! Dennoch wollten zahllose effzeh-Fans ihr Glück versuchen.

Konfuse Gastgeber, entspannte Polizei

Angekommen am Emirates präsentierten sich die Gastgeber völlig konfus. Eilig aufgestellte Bauzäune sollten den Andrang mindern, dazu sollten Fans ohne Ticket aussortiert werden. Einigen Anhängern wurde das zu bunt – eine Eskalation der Situation drohte. Die Beschreibung der kurz danach folgenden kurzen wie überflüssigen Auseinandersetzung reicht von „versuchtem Blocksturm“ bis hin zu „leichter Schubserei“. Auch im Stadion brannten die Sicherungen durch: Wenige effzeh-Fans versuchten in den Gästebereich zu gelangen, wurden aber nach einem Schlagabtausch mit den Stewards abgewiesen.

Nicht wirklich schön, definitiver Schwachsinn, aber letztlich bei 20.000 Kölner in der Stadt auch kein all zu großes Ding. Das sahen dann auch Ordner und Polizei so, die außerhalb des Emirates weiter erstaunlich entspannt ihren Dienst taten. Das relaxte Auftreten der Sicherheitskräfte trug viel zur Deeskalation in einer emotional angespannten Situation bei. Kaum vorzustellen, wie das Ganze mit der hochgerüsteten deutschen Bereitschaftspolizei abgelaufen wäre. Oder kann sich jemand Szenen wie diese, als eine Polizistin den hinter einer Absperrung ruhig wartenden effzeh-Fans ihr Smartphone reichte, damit sich diese von der Spielverschiebung überzeugen konnten, bei einem Auswärtsspiel in der Bundesliga vorstellen?

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Doch vor allem die Kölner Anhänger waren maßgeblich daran beteiligt, dass eine schwierige Situation nicht noch schwieriger wurde. Überaus geduldig warteten die Beteiligten trotz völlig misslungener Kommunikation der Verantwortlichen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Unruhe aufgrund des nahenden Anstoßes? Fehlanzeige. Genauso wirkten die Capos der Ultras mäßigend auf ihre Schützlinge ein. Immer wieder versuchten sie per Megaphon-Durchsagen die Szenerie zu beruhigen. Angesichts der Naivität, mit der die Verantwortlichen mit den effzeh-Fans umgingen, ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dort wirklich ein tausende Fäuste starker Gewaltmob sein Unwesen getrieben hätte.

Auch wenn die von einigen Medien geschilderten Horrorgeschichten ein anderes Bild vermittelten: Es war wirklich kaum ein Problem, dass der 1. FC Köln mit seinem Anhang das Stadion kaperte. Hier und da wurden effzeh-Fans in den Heimbereichen entfernt, es gab mitunter wüste Pöbeleien gegenüber den Gästen. Nicht die feine englische Art, aber verständlich: Während bei uns selbst bei Derbys noch rivalisierende Anhänger friedlich im Stadion nebeneinander sitzen, ist strikte Fantrennung auf der Insel Gang und Gäbe. Kulturelle Unterschiede, bedingt durch schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit.

Foto: Dan Mullan/Getty Images

Tausende ohne Tickets im Stadion? Bullshit!

Doch die Trennung zwischen Gäste- und Heimbereich war an diesem Donnerstagabend ein Ding der Unmöglichkeit. Dafür hatte Arsenal fast im Alleingang gesorgt: Während die eigene Anhängerschaft wenig Lust auf ein Duell gegen den glorreichen 1. FC Köln verspürte, versuchten die Kölner Schlachtenbummler alles, um diese historische Partie im Emirates verfolgen zu können. Auf vielerlei Wegen hatten sich die effzeh-Fans eingedeckt, wie selbst Arsène Wenger anerkennend eingestehen musste. “Sie waren sehr clever”, sagte der Arsenal-Coach. Keinesfalls war es aber so, dass tausende Kölner Supporter ohne Ticket den Weg ins Emirates fanden.

Das ist, mit Verlaub, Bullshit. Ob Schwarzmarkt, gute Kontakte, viel Geld oder äußerst tolerante Stewards: Es fanden sich immer Mittel, auf normalem Weg einen begehrten Platz im Stadion zu finden. Als Gerüchte umherwaberten, an den Eingängen würde hart kontrolliert werden, wer Arsenal-Fan sei und wer nicht, stürmten einige Anhänger Richtung Fanshop und kleideten sich neu ein. Auch Smartphone-Wallpaper wurden geändert, manche trainierten sich mühsam einige Sätze an, um Stewards im Notfall überzeugen zu können. Die Sehnsucht findet immer Mittel und Wege.

Lehrstunde in Leidenschaft und Vereinsliebe

So kam es im Stadion zum Aufeinanderprallen zweier Welten, die unterschiedlicher kaum sein können. Auf der einen leidenschaftliche Anhänger, die vor Stolz fast platzten und ihre Vereinsliebe lautstark heraussangen. Eine bunt-gemischte Fankultur, die sich zum Ziel gesetzt hat, ihr Team bedingungslos nach vorne zu peitschen. Die mitunter auch Grenzen überschreitet und die falschen Wege sucht. Einfach jeck eben. Auf der anderen Seite dagegen das, was die Kommerzialisierung im englischen Fußball von der einstigen Leidenschaft übrig ließ. Pizza essen im Stadion, gesittet sitzen und vielleicht ein, zwei Schlachtrufe pro Halbzeit. Domestiziert, auf Hochglanz poliert. Kundschaft statt Fans.

Es wurde eine Lehrstunde in Sachen Fußballsupport. Ein lautstarkes Statement der Kölner Fans. In England hat man neidisch hingeschaut und hingehört, von den Arsenal-Fans kam anerkennende Zustimmung. So mancher „Gunner“ hätte uns am liebsten nicht mehr gehen lassen und für die nächsten Heimspiele gebucht. Mancher erklärte die Stimmung im Emirates sogar zur besten, die es dort jemals gegeben habe. Auch vom Kontinent kamen erstaunte Reaktionen – nun weiß ganz Europa, wer der 1. FC Köln ist. Das war ein schöner Nebeneffekt an diesem Donnerstagabend, aber nicht die Hauptsache. Für uns war es einfach nur der beste Tag in unserem Leben. Was will man mehr?

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Twitter, Youtube und Co.: Die Social-Media-Highlights

Der effzeh fährt nach London – da ist auf Twitter, Youtube und Co. natürlich Verlass. Wir haben für euch die besten Tweets und Videos von #returnoftheGOAT herausgesucht. Auch hier lassen wir die negativen Aspekte natürlich nicht aus, wenngleich die positiven natürlich überwiegen.

Warmsingen auf der Fähre

Der Fanmarsch durch London ließ auch den bekannten englischen Regisseur Ken Loach beeindruckt zurück

Kein Wunder…

… die effzeh-Fans konnte man nicht übersehen

Ein paar wenige Schattenseiten gab’s allerdings beim Marsch durch London auch…

– Tweet leider nicht mehr verfügbar –

Die meisten Duelle wurden aber dann doch eher humorvoll geführt…

Dann Gedränge am Emirates: Many Kölners meets bad organisation…

…im Stadion ging es dann zwischen beiden Fanlagern dafür umso friedlicher zu.

Warm-up-Support der Kölner Fans: Klingt schwer nach einem Heimspiel in London…

Dieses Video fasst die Stimmung über die neunzig Minuten im Emirates gut zusammen

Poldi am TV: Da ist natürlich auch der Kölner in Japan stolz

https://twitter.com/Podolski10/status/908594097241260033

Die Arsenal-Fans kommen derweil aus dem Staunen gar nicht mehr heraus…

“Sing when you’re losing”: Die Kölner Fans singen “En unserem Veedel”

Keine Heimfans, keine Spieler – aber die Kölner Kurve ist noch da!

https://twitter.com/becks2403/status/908620867856453632

Well… and finally.

– Tweet leider nicht mehr verfügbar –

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Presseschau: Das schreiben englische und deutsche Medien zur Kölner Europapokal-Rückkehr

Die Reaktionen der internationalen Presselandschaft ließen am Donnerstag natürlich nicht lange auf sich warten. Und die Deutung der Vorgänge in London könnte teilweise nicht weiter auseinander liegen. Während die einen sich eine “Schande von London” herbei fantasieren, sehen andere (zunächst vor allem englische) Redaktionen den Grund für die kleineren Vorfälle rund ums und im Emirates Stadium eher in mangelhafter Organisation. effzeh.com hat für Euch die auffälligsten Artikel zur Fußballparty von London gesammelt. Darunter sind hervorragende journalistische Stücke ebenso wie plumper Boulevard – macht Euch selbst ein Bild.

“Betrunkene Fans und eine Nacht der Schande am Emirates, als 20.000 Kölner Unterstützer Randale machen”, so deutet der “Mirror” die Geschehnisse in London. Später greift das Blatt in seiner Berichterstattung noch einen Tweet eines Journalist auf, der Hitler-Grüße erspäht haben will.

“Tausende von deutschen Hooligans in Gunners-Trikots stürmen das Emirates-Stadion und kämpfen mit Polizei, Ordner und Fans als das Chaos beim Europa-League-Match ausbricht“, schreibt “The Sun” in ähnlicher Manier.

Auf deutscher Seite berichtet die “BILD”-Zeitung ebenfalls relativ schnell und mit eindeutiger Interpretation der Vorkommnisse. “Die Schande von London! Mit solchen Fan-Auftritten hat der 1. FC Köln in Europa nichts zu suchen!”, heißt es da beim Springer Verlag. “Unfassbar! Unglaublich! Unmöglich!“, kommentiert Nils Suling später dann auf “bild.de”.

Sachliche Betrachtung im “Guardian”

Nach der Partie deutete Barney Ronay im “Guardian” das Ganze in weniger hysterischer Weise. “London bekam eine Kostprobe davon, wie es sich anfühlt, Tausende von stürmischen, Fußballfans in der Stadt zu haben – aber die Angelegenheit war weitgehend friedlich”, führt Ronay aus. Der Artikel ist durchaus lesenswert, da er die Unterschiede zwischen der englischen und der deutschen Fankultur mit in die Betrachtung nimmt.

“Letztlich war dieser Abend vor allem eine unvergessliche Feier dessen, was Fußball überhaupt so groß macht”, kommentiert “11 Freunde” als eines der ersten deutschen Medien in positiverer Betrachtungsweise.

Währenddessen schlägt “The Times” in England kritischere Töne an: “Wenn sich englische Fans verhielten, wie die Kölner sich verhalten haben, ein Stadion stürmen würden, ein paar Prügeleien anfangen und Kinder durch ihre Anzahl einschüchtern würden, wenn auch nicht mit Absicht, dann wäre der Aufschrei, der von den Bundesliga-Romantikern und Apologeten fließen würde, zu Recht groß gewesen”, schreibt Henry Winter und fordert: “Köln muss von der UEFA bestraft werden.”

Kritik aus Dortmund

In Dortmund können derweil die Jungs von “schwarzgelb.de” nachfühlen, was in London passiert ist. “Drei Champions League-Duelle beim AFC zwischen 2011 und 2014 bescherte uns die UEFA-Losfee – und aus keinem dieser Besuche scheint man in Nord-London seine Lehren gezogen haben“, kritisiert das BVB-Fanzine die Organisation des Londoner Clubs.

Im “GQ Magazine” berichtet derweil der englische Autor Andy Mitten mit anderer Lesart: “Wenn du die Nachrichten über das Europa-League-Spiel von Arsenal gestern Abend gesehen hast, dann würdest du glauben, dass die Köln-Fans ein paar geistlose Neonazi-Schläger waren – die Wahrheit ist ganz anders.” 

effzeh.com in der englischen Presse

Am Freitag fragte dann zunächst der “Guardian” bei effzeh.com eine Einordnung des Kölner Fanandrangs an. Arne Steinberg hat sie geliefert: “Ich war einer von 20.000 Kölner Fans in London am Donnerstag und obwohl wir die Minderheit verurteilen, die sich daneben benommen hat, muss jeder verstehen, wie viel dieses Spiel für uns bedeutet hat.” 

Später wurde effzeh.com auch vom “Telegraph” um einen Text zum Thema gebeten. “50 Idioten sind nicht repräsentativ für 20.000 friedliche Kölner Fans – für uns war es einer der besten Tage unserer Lebens”, erklärte David Schmitz die Euphorie der effzeh-Fans.

Auf anderem Wege beantwortet effzeh.com dem “BBC Radio 5 Live” ein paar Fragen. Ab Minute 25 ist Arne Steinberg im Gespräch mit den Moderatoren. 

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