Eigentlich war an diesem Dienstagabend Ende Oktober alles klar. Eigentlich stand da auf der anderen Seite Schalke 04, eine richtig starke Mannschaft, die in der Bundesliga am Wochenende zuvor durch einen 2:1-Heimerfolg auf Rang zwei gesprungen war, gespickt mit gestandenen Profis wie Frank Rost, Marcelo Bordon oder Kevin Kuranyi. Eigentlich war der im Sommer abgestiegene 1. FC Köln mit personifiziertem Mittelmaß wie Bernt Haas, Pekka Lagerblom oder Salvatore Gambino ziemlich rumpelnd in die Zweitliga-Saison gestartet. Keine Spur von der Favoritenrolle, stattdessen Niederlagen in Jena oder Paderborn. Eigentlich sollte der Favorit aus dem Ruhrpott dem Kölner Außenseiter an diesem Dienstagabend im DFB-Pokal ordentlich den Hintern versohlen. Eigentlich – denn: Der Pokal hat bekanntlich seine eigenen Gesetze.
FC-Trainer Latour: “Ich fühle, dass wir ein Riesenspiel abliefern”
„Wir möchten im Pokal Geschichte schreiben, und gegen Schalke bietet sich dazu eine gute Gelegenheit“, betonte der bereits zu diesem Zeitpunkt umstrittene effzeh-Trainer Hanspeter Latour vor dem Westschlager, der im restlos ausverkauftem Müngersdorfer Stadion über die Bühne gehen sollte. Auch das ZDF übertrug das Duell live in die Wohnzimmer der Nation, nachdem zunächst zum Ärger der Kölner Verantwortlichen und Fans nur die Partie der Münchener Bayern gezeigt werden sollte. „Ich fühle, dass wir am Dienstagabend ein Riesenspiel abliefern können“, war der Schweizer „Bergdoktor“ von seinen Schützlingen überzeugt. Dabei musste er auf seine größte Hoffnung verzichten: Patrick Helmes, bis dato im Angriff in brillanter Verfassung, zog sich kurz zuvor in der Ligabegegnung gegen Rot-Weiss Essen einen Mittelfußbruch zu und fiel für längere Zeit aus. Dennoch baute Latour vor der Pokalpartie auf drei Aspekte: Trotz eines enttäuschenden fünften Platzes in der 2. Bundesliga war der effzeh zuhause noch ungeschlagen. Diese Heimstärke kombiniert mit der fehlenden Favoritenrolle und einem Tag mehr Pause sollte den „Geißböcken“ in die Karten spielen. „Das wird ein heißer Fight“, warnte Schalke-Coach Mirko Slomka sein Team vor dem Auftritt in Köln.
Und diesen feurigen Kampf lieferte der kölsche Außenseiter den „Königsblauen“: Eine intensive Anfangsphase zeigte vor 50.000 Zuschauern auf, dass der effzeh keinesfalls gewillt war, sich seinem Schicksal kampflos zu ergeben. Auf Augenhöhe agierte das Latour-Team gegen den Meisterschaftskandidaten und hatte dabei das notwendige Glück: Kuranyis Treffer wurde zu Unrecht von Schiedsrichter Fandel wegen Abseits die Anerkennung verweigert. Auf der Gegenseite half dann der Gegner mit: Gambino erkämpfte sich die Kugel auf der rechten Seite und tankte sich in den Strafraum durch. Die Hereingabe des Ex-Dortmunders fälschte Schalke-Verteidiger Dario Rodriguez ins eigene Tor ab. 1:0 effzeh (34.) – Müngersdorf tanzte vor Freude! Und das sollte nicht einmal 120 Sekunden noch besser werden: Einen langen Befreiungsschlag von Mitreski erlief Sturm-Neuzugang Milivoje Novakovic, der mit der Pike „Knappen“-Keeper Rost ganz alt aussehen ließ (36.). Erstmals wurde “Novakonix” zu “Novagoal”, seinem ersten Treffer ließ der Slowene noch 74 weitere im effzeh-Trikot folgen. Mit stehenden Ovationen entließen die Fans die Mannschaft beim Pausenpfiff in die Kabine.
Tor & Assist: “Mozart” Broich dreht in der Verlängerung mächtig auf
Auch nach dem Seitenwechsel kämpften die Jungs mit dem Geißbock auf der Brust um jeden Zentimeter, wurden aber für einen Fehler bitter bestraft: Fabrice Ehrets Luftloch nutzte Peter Lövenkrands zum Anschlusstreffer (55.). Es wurde hitzig auf dem Rasen: Zlatan Bajramovic ließ sich gegen Ricardo Cabanas zu einer Tätlichkeit hinreißen, der Platzverweis war die verdiente Konsequenz (69.). Das hielt Schalke allerdings nicht ab, die Partie noch in die Verlängerung zu schicken: Nach einem Freistoß köpfte Rodriguez (ausgerechnet!) den Favoriten zum Ausgleich. Es blieb ein packender Fight mit hohem Tempo, in dem der effzeh seine Überzahl vor allem kräftemäßig ausspielen konnte. Verlassen konnte das Latour-Team sich dabei auf jemanden, der sein großes Potenzial an diesem Abend endlich einmal abrief: Thomas Broich war Dreh- und Angelpunkt in dieser Partie und krönte seine überragende Leistung in der Verlängerung. In der 98. Minute drosch der Kölner Spielmacher die Kugel aus 14 Metern zur 3:2-Führung in die Maschen – der wohl entscheidende Moment des Pokalfights. Die endgültige Entscheidung bereitete „Mozart“ dann brillant vor: Seinen Zuckerpass veredelte der eingewechselte Adil Chihi zum 4:2 – der effzeh hatte den königsblauen „Goliath“ zu Fall gebracht.
„Wir sind als verdienter Sieger vom Platz gegangen und haben den Fans, die uns fantastisch unterstützt haben, ein tolles Spiel gezeigt“, analysierte Latour gewohnt sachlich nach dem irren Kampf gegen das Spitzenteam. „Der Gegner hat viel zu einem guten Fußballspiel beigetragen. Schalke spielte mit, wir haben ein hohes Tempo angeschlagen. Im richtigen Moment fielen die Tore“, sagte der Schweizer. Es sollte das letzte Hurra einer maßlos überschätzten und schlecht zusammengestellten Mannschaft sein: Nach einem Remis gegen Hansa Rostock sowie zwei beschämende Niederlagen in Koblenz und gegen Aue folgte die Entlassung des sympathischen, aber letztlich glücklosen „Bergdoktors“. Bei der Suche nach einem Nachfolger versteifte sich der Klub frühzeitig auf Christoph Daum. Dem peinlichen Anbiedern an den „Messias“ folgte eine Pressekonferenz im Foyer des Krankenhaus Hohenlind, die neue Werte auf der Fremdschäm-Skala definierte, und die Rolle rückwärts mit dem Amtsantritt des Trainerlieblings. Im Pokal war übrigens in der nächsten Partie Schluss: Bei Eintracht Frankfurt hieß es nach einem abermals starken Kampf 1:3 nach Verlängerung. An all das dachte aber an diesem magischen Dienstagabend im Kölner Herbst niemand.