Peter Stöger fordert auf einer Pressekonferenz Klarheit von der Vereinsführung und bemängelt einen Werteverfall im Verein. Wie konnte es bei den Geißböcken soweit kommen? Eine kommentierende Analyse.
Ob der 1. FC Köln am Samstagabend auf Schalke gewinnt oder verliert, ob es vielleicht einen überraschenden Punkt oder eine heftige Klatsche gegen die vom Derby-Remis beflügelten Königsblauen geben wird, spielt eigentlich schon kaum noch eine Rolle. Denn feststeht: Der 1. FC Köln ist die schlechteste Bundesliga-Mannschaft aller Zeiten. Nie startete ein Club schlechter, nie stand ein Team nach dreizehn Spieltagen so nah am Abgrund wie der Kölner Traditionsclub. Nie war der Klassenerhalt unwahrscheinlicher.
Das letzte Jahr, es zeigt die Clubgeschichte wie in einer Schneekugel. Einmal schütteln und man bekommt im Schnelldurchlauf alles, was den 1. FC Köln ausmacht. Große Euphorie, überraschende sportliche Höhenflüge, die beste Stimmung der Welt, turbulente Verhandlungen, plötzliche Personalabgänge, Höhenflüge abseits des Platzes, Führungspersönlichkeiten im Sonnenkönig-Modus, Niederlagenserien, Torlosigkeit, freier Fall, Abstieg.
Clubgeschichte in der Schneekugel
70 Jahre wird der Verein im nächsten Jahr alt und es scheint als habe man zum Jubiläum alle Merkwürdigkeiten des Clubs in nur wenigen Monaten noch einmal untergebracht. Dabei sah es in den letzten Jahren so aus, als hätte der Club den Imagewandel geschafft.
Als Peter Stöger im Sommer 2013 das Zepter an der Seitenlinie übernahm, war der Verein gerade erfolgreich auf den seriösen Weg abgebogen. Ein „feiner Club“, das wollte man wieder werden.
Das Kunststück aus dem zum Fahrstuhlclub verkommenen 1. FC Köln wieder ein Gebilde zu machen, das den Ansprüchen des mittlerweile viertgrößten Fußballvereins in Deutschland angemessen ist, gelang. Mit Jörg Schmadtke in der Geschäftsführung und Stöger an der Seitenlinie erfuhr der Club eine nahezu ideale Entwicklung: Es ging nicht von 0 auf 100, sondern kontinuierlich nach oben. Sportlich stand die Mannschaft am Saisonende stets besser da als noch im Vorjahr, die finanziellen Altlasten wurden auf der anderen Seite gleichzeitig immer kleiner. Da wird jedem Fußballmanager warm ums Herz.
Europapokal: Momente für die Ewigkeit
In der Saison 2016/17 erfuhr eine ganze Generation Kölner Fans dann das erste Mal, was es bedeutet, wenn der Fußballgott einem wohlgesonnen ist – bisher kannte man nur seinen Mittelfinger gut. Doch gleich mehrere Konkurrenten legten eine Saison zum Vergessen hin, gleichzeitig spielte sich Anthony Modeste in Köln in die Form seines Lebens und riss damit nicht nur die Kölner Fans, sondern auch seine Mitspieler mit.
Die Wucht des gut gelaunten Franzosen in Kombination mit einer starken Mannschaftsleistung und der seriösen Arbeit des Vereins sollte auch schon ausreichen. Es kann so einfach sein, wenn man ein bisschen Glück hat. Am Ende der Saison stand die erste Europapokal-Teilnahme des 1. FC Köln seit 25 Jahren fest.
Foto: Juergen Schwarz/Bongarts/Getty Images
Was waren das für Bilder, damals im Mai: Während sich zweihundert müde Bayern-Fans über den 348. Meistertitel ihrer Mannschaft „freuten“, ging in Köln die größte Fußballparty ab, die das Land seit langem gesehen hat. Spieler wurden auf Händen getragen, der Verkehr in der Innenstadt lahm gelegt. Wir spielen wieder im Europapokal – so schallte es aus allen Straßen der Domstadt. Es waren Momente für die Ewigkeit – fragt in 40 Jahren mal einen Kölner Fan oder Anthony Modeste nach diesem Tag.
Der 1. FC Köln im freien Fall
Jetzt, Anfang Dezember, nur wenige Monate später, liegt der Verein am Boden. Sportliche Negativrekorde wurden reihenweise geknackt, die Stimmung am Geißbockheim war eh schon im Keller und dann wurde der Verein von seinem beleidigten Geschäftsführer beim ersten Gegenwind übel im Stich gelassen – und ließ sich darauf auch noch ein.
Die falsche Loyalität, dem langjährigen Mitarbeiter Schmadtke seinen persönlichen Wunsch nicht nur zu erfüllen, sondern auch noch mit einer üppigen Abfindung zu vergolden, statt auf seinen gültigen Arbeitsvertrag zu beharren, wird in den historischen Rückschauen auf diese Saison eine große Rolle spielen. An diesem Tag, so wird es geschrieben stehen, endete bei den Kölnern nicht nur die Ära Schmadtke, sondern (zumindest vorerst) auch die in den Jahren davor so solide Arbeit in der Führungsetage. Ohne den vom Vorstand geliebten, erfolgsverwöhnten und mit üppigem Gehalt ausgestatteten Sportchef an der Seite, wirkten Werner Spinner und seine Vize-Präsidenten plötzlich kopflos und überfordert.
Während Peter Stöger den sportlichen Niedergang medial moderieren musste, zog sich die Clubführung immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Im Sommer brachte man noch viel Energie dafür auf, von einem neuen Stadion zu fantasieren, gegen eine Mitgliederinitiative zu rebellieren und sich auf der Mitgliedersammlung die Bayern zum Vorbild zu nehmen – in der Krise war von diesem Engagement nicht mehr viel zu sehen.
Führungslosigkeit in der Krise?
Die Risse im Gebälk wurden stattdessen merklich größer, die Entscheidungen merkwürdiger. Dabei ist es nicht das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass eine Sportmannschaft plötzlich abschmiert. Und es gibt konventionelle Lösungsansätze dafür.
Nächste Seite: Kopflosigkeit in der Führung und ein aberwitziges Ultimatum
Doch den Zeitpunkt für den traditionellen Schachzug in so einer Situation, die Trainerentlassung, verpassten die Verantwortlichen – auch weil sie ihren Sportchef hatten gehen lassen und damit eine Situation herstellten, in der eine Trainerentlassung die sportliche Führungslosigkeit des kompletten Vereins zur Folge gehabt hätte.
Vielleicht ließ man Stöger vor allem deshalb weiter seinen Job machen. Doch die Realität – im Fußball ist das die Tabelle – wartet nicht auf derartige Befindlichkeiten. Jetzt, wo es sportlich nahezu aussichtslos erscheint, dem Trainer wöchentliche Ultimaten hinzuwerfen, ist daher schlichtweg aberwitzig.
Unmögliches Ultimatum für Stöger
Zumal Stöger die Aufgabe, so scheint es, gar nicht schaffen kann. Auch gegen Schalke wird der 1. FC Köln mit einer absoluten Rumpftruppe auflaufen – unzählige Stammspieler sind verletzt und nahezu alle leisten sich heftige Aussetzer, ob vor dem gegnerischen oder dem eigenen Tor.
Nichtsdestotrotz gibt es natürlich sportliche Problemfelder bei den Kölnern, die man dem Trainerteam anlasten muss. Ein echtes Offensivkonzept ist nicht zu erkennen, die Mannschaft ist bei Standardsituationen erbärmlich schwach und hat keinen Plan B in der Tasche, um mit unerwarteten Situationen umzugehen. Das sind natürlich Aufgaben von Peter Stöger und seinem Team. Dass Schmadtke es in stoischer Ignoranz im Sommer geschafft hatte, trotz Rekordausgaben keine der eigentlich wichtigen Kaderstellen neu zu besetzen, spielt aber auch dafür natürlich eine Rolle. Es bleibt ein denkwürdiges Kunststück des vermeintlichen Top-Managers.
Zurück in der Gegenwart: Ein Sieg gegen Schalke 04 scheint vor diesem Hintergrund nahezu ausgeschlossen. Dass Stöger dieses Ultimatum überhaupt bekommen hat, offenbart eigentlich nur die Hilfslosigkeit seiner Vorgesetzten. Weder hat man einen neuen Sportchef gefunden, der einem die Trainerfrage abnehmen könnte, noch traut man sich selbst eine echte Entscheidung zu treffen. Es ist ein Trauerspiel, was sich in dieser Woche beim 1. FC Köln zugetragen hat.
Vertrauen, Respekt, Verantwortung
Und der Österreicher? Ob man sportlich von ihm überzeugt ist oder nicht – was Stöger in dieser Krise für den 1. FC Köln leistet, muss ihm hoch angerechnet werden. Nein, sportlich hat er das Ruder bisher nicht rumreißen können. Aber im Gegensatz zu Schmadtke hat er den Verein nach viereinhalb Jahren Zusammenarbeit nicht einfach in der ersten Krise sitzen gelassen. Er hätte es tun können. Die heimische Nationalmannschaft hätte den Wiener mit Kusshand als neuen Trainer genommen.
Stöger blieb, verlor weiter und moderierte, was es zu moderieren gab. Ob Fanthemen, Schmadtke-Abschied, sportliche Krise – Stöger stellte sich den Kameras, während der eigentlich in der Krise gefragte Präsident in seiner Junkersdorfer Villa hockte und dem Österreicher bei seinen Mühen den Club irgendwie anständig zu repräsentieren, während um ihn herum alles auseinanderfällt, hauptsächlich zuschaute.
Toni Schumacher und Werner Spinner | Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images
Am Donnerstag vor dem zum Entscheidungsspiel ausgerufenen Aufeinandertreffen mit Schalke hat Stöger sich nun die Freiheit genommen, auf der Pressekonferenz endlich Klartext zu sprechen.
Stöger, der Last Man Standing
Wochenlang hatte sich der Wiener schützend vor das Gebilde gestellt, das nun mit dem Ultimatum seine Arbeit noch schwerer gemacht hat als sie es eh schon ist. Erstmals in der Amtszeit von Stöger drangen Interna an die Öffentlichkeit, Differenzen wurden für jeden sichtbar ausgetragen und im Boulevard tauchten erstmals seit Ewigkeiten wieder die klassischen Geschichten von feiernden FC-Spielern auf. Und der Trainer weiß nicht einmal, ob seine nun getroffenen Maßnahmen nicht nächste Woche schon von seinem Nachfolger rückgängig gemacht werden. Eine Farce.
„Wir haben uns von ein paar Werten, von denen wir im Verein sehr lange gelebt haben – Vertrauen, Respekt, Verantwortung – ein Stück weit losgelöst“, erklärte Stöger also am Donnerstag und nahm damit seine Mannschaft, ihr engeres Umfeld aber auch das komplette Gebilde ins Visier. “Ich meine nicht damit, dass von oben diese Werte nicht getragen werden”, erklärte der Trainer. “Allgemein” sei es aber “schwierig”, sie ohne Klarheit zu erhalten. “Das geht leider Gottes in alle Bereiche und das macht es nicht einfach” stellte Stöger fest und wollte seine Vorgesetzten damit zwar nicht bloßstellen, machte aber dennoch deutlich, dass auch Vorstand und Geschäftsführung ihren Job seiner Meinung nach derzeit durchaus besser machen könnten, statt ihm seinen noch schwerer zu machen, als er es eh schon ist.
„Es ist schwierig für mich und mein Trainerteam, damit Woche für Woche zu arbeiten. Aber ich finde es noch viel schwieriger und unklarer für die Mannschaft damit umzugehen“, führt der Wiener aus. „Klarheit würde uns allen gut tun.“ So respektvoll Stöger es auch ausdrückt, es ist eine unverhohlene Forderung in Richtung der Führungsebene des Clubs, endlich eine richtige Entscheidung zu treffen und damit zielführende Arbeit am Geißbockheim wieder möglich zu machen.
Anständig bleiben – bis zum Schluss
Stöger geht es dabei vermutlich nicht darum, unbedingt weitermachen zu dürfen. Er weigert sich auch nicht, die sportliche Verantwortung für den Niedergang mit zu übernehmen. „Von Werten trennt sich nicht der Verein. Von Werten trennen sich Menschen“, sagt der Trainer und fordert damit schlichtweg den Respekt ein, den er sich in den letzten viereinhalb Jahren in der Domstadt verdient haben sollte.
Entweder, so der Tenor, der Verein trennt sich von ihm – dann aber bitte sauber und seriös. Oder er hält an Stöger fest und kommuniziert das auch. Erneut ist es der Trainer selbst, der erkennt, was für den Verein gerade notwendig ist. Die öffentliche Demontage des erfolgreichsten Kölner Trainers seit Ewigkeiten ist es jedenfalls nicht.
Es wäre ja auch legitim gewesen, wenn man sich in Köln vor ein paar Wochen dazu entschlossen hätte, sich von Stöger zu trennen, um am Ende alles dafür getan zu haben, den Klassenerhalt irgendwie noch zu schaffen. Der Wiener wäre vermutlich enttäuscht gewesen, aber es scheint, als hätte er die Entscheidung schlussendlich verstehen können. Den jetzigen Umgang mit ihm, das Ultimatum, das mangelnde Vertrauen von Personen im Club, mangelnde Loyalität von Mitarbeitern, die öffentliche Demontage, kurzum das Fehlen der zentralen Werte der bisherigen Zusammenarbeit, das merkt man Stöger an, versteht er nicht.
Clubführung in der Verantwortung
Das Mandat der Alleinverantwortlichkeit für alles hat der Trainer am Donnerstag also öffentlich endlich abgegeben. Er hält den Kopf nicht mehr stillschweigend für alle anderen hin. Der Ball liegt nun bei Werner Spinner, seinem Vorstand und Alexander Wehrle. “In meiner Idealwelt bestreiten wir die nächsten Spiele erfolgreich und wir können uns auf die Personalie des Geschäftsführers Sport konzentrieren”, sagte der Geschäftsführer nach Stögers Pressekonferenz dem “Geissblog.Koeln”. Wenn man sich aber mal umschaut, und die Augen aufmacht, scheint Wehrles Idealwelt sehr weit entfernt von der zu erwartenden Realität zu sein.
Die Führungsebene des Vereins muss ihrer Verantwortung also spätestens nach der Partie gegen Schalke gerecht werden. Der Trainer wird es seiner schließlich auch, das hat Peter Stöger in diesen viereinhalb Jahren und am Donnerstagnachmittag eindrucksvoll bewiesen.