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Der 1. FC Köln und das Modeste-Vakuum: Warum derzeit nicht alles schlecht ist

Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

In der Länderspielpause bleibt viel Zeit, sich über die bisherigen zwei Niederlagen des 1. FC Köln Gedanken zu machen – es braucht wohl weiterhin Geduld.

Nach zwei Pleiten zum Saisonstart steht der 1. FC Köln vor einer Länderspielpause, die in der notorisch aufgeregten Domstadt bestimmt von Diskussionen darüber bestimmt wird, wie der ruhmreiche Verein denn endlich einmal wieder ein Fußballspiel gewinnen soll. Die ersten beiden Auftritte in der Bundesliga gingen verloren, zuerst beim Derby in Mönchengladbach, danach zuhause gegen den HSV. Besonders nach dem Heimspiel gegen die Rothosen aus Hamburg wurden viele Stimmen in der Fanszene und in den sozialen Netzwerken laut, die eine weitere Verstärkung für die Offensive forderten – ein kreativer Mittelfeldspieler müsse her, ein dribbelstarker Außen oder am besten noch ein Modeste-Ersatz!

Der Aufgeregtheit fehlte insgesamt ein wenig die rationale Sichtweise auf das, was da in den ersten beiden Spielen tatsächlich passiert war. Festzuhalten bleibt, dass der 1. FC Köln weder in Mönchengladbach noch zuhause gegen Hamburg komplett chancenlos war. Die erste gute Nachricht ist also: Auch in der Saison 2017/2018 scheint die Mannschaft von Peter Stöger konkurrenzfähig zu sein! Dass die Erwartungshaltung aufgrund der Qualifikation für die Europa League ein wenig anders ist als sonst, ist zwar verständlich – allerdings sollte man versuchen, die sportliche Leistungsfähigkeit der Mannschaft realistisch einzuordnen. Das versuchte der Österreicher auch in der Einordnung des Spiels gegen den HSV: “Ich gebe nicht den Schönredner oder dresche Phrasen. Es gab einige Dinge, die für mich gut waren. Die bekommen aber nur die Spieler zu hören.”

Der Veränderungsprozess in der effzeh-Offensive braucht Zeit

Häufigster Kritikpunkt war in den vergangenen beiden Wochen die Offensive. Dieser fehle es an den nötigen Automatismen, war da vielerorts zu lesen. Auch die zwingende Durchschlagskraft soll den effzeh-Akteuren bisher abgegangen sein, weswegen in beiden Spielen nur ein Tor heraussprang. Die Ironie der Geschichte: Dieses eine Tor erzielte mit Frederik Sörensen ein Innenverteidiger. Dieser Fakt ist natürlich Wasser auf den Mühlen derjenigen Kritiker, die den Modeste-Abgang a) noch nicht verkraftet haben und b) Jhon Cordoba als nicht ausreichend leistungsstark für den effzeh befinden.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Apropos Modeste: Die folgenden Ausführungen haben nichts mit Nostalgie oder Verklärung der Vergangenheit zu tun, sie sind einzig und allein eine Bestandsaufnahme dessen, was der Franzose in den beiden letzten Jahren für die Mannschaft geleistet und wie er deren Leistungsfähigkeit damit entscheidend mitbestimmt hat. Mit 40 von 89 erzielten Bundesligatoren, die die Mannschaft von Peter Stöger in den beiden letzten Spielzeiten erzielte, kommt Modeste auf einen Anteil von 45 % der Torausbeute. Kein anderer Bundesligastürmer kommt seit 2015 auf einen derart hohen Prozentsatz, nicht einmal die beiden Ausnahmestürmer Aubameyang und Lewandowski (beide haben 36 % der Bundesligatore seit 2015 erzielt). Bekanntlich sind diese beiden Stürmer bei Vereinen angestellt, die aufgrund der Qualität ihrer Spieler wesentlich mehr Chancen herausarbeiten als Modeste, der zugegebenermaßen bei einem durchschnittlichen Bundesligisten spielte.

Modeste hinterlässt eine Lücke – wer hätte das gedacht?

Doch auch ein anderer Vergleichswert offenbart, dass Modeste eine eminente Bedeutung für den effzeh hatte: Während in Dortmund und München in den letzten beiden Jahren immer zwischen 13 und 16 Spieler mindestens ein Bundesligator erzielten, waren es beim effzeh deren zehn und elf. Für ein Mittelklasse-Team wie das aus Köln ist es dementsprechend wie ein Stich ins Herz, wenn der Ausnahmestürmer den Verein verlässt.

Und wie viele Spiele konnte der effzeh gewinnen, wenn Modeste nicht getroffen hatte? Richtig, genau zwei: Das Heimspiel gegen Frankfurt und das sagenumwobene letzte Heimspiel gegen Mainz. Diesen Sachverhalt sollte man sich immer wieder vor Augen führen, da damit quasi schon indirekt der Verlauf der Folgesaison bestimmt wurde. Die Last des Toreschießens auf mehrere Schultern zu verteilen gilt als Hauptaufgabe für die tägliche Trainingsarbeit – dass dieser Prozess allerdings Zeit braucht, scheint einigen Beobachtern nicht klar zu sein.

Auf der nächsten Seite: Die bisherigen “xG”-Werte beim 1. FC Köln.

Zur Erklärung: Was der “xG”-Wert bedeutet

An vielerlei Stelle wurde auch schon diskutiert, dass der fünfte Platz des effzeh in der Vorsaison alleine deshalb zustande kam, weil viele etablierte Mannschaften ein wenig schwächelten – unter anderem die Borussia aus Mönchengladbach, gegen die der effzeh am ersten Spieltag verlor. Eine Niederlage im Borussia-Park ist sicherlich schmerzhaft, allerdings durchaus im Bereich des Möglichen. Untersucht man die Partie genauer, kommt man zu dem Schluss, dass der 1. FC Köln trotz der Niederlage kein ganz so schlechtes Spiel gemacht hatte. Will man sich einzig und allein auf statistische Dinge berufen, hilft es, den “xG”-Wert aus dieser Partie heranzuziehen.

Dieser Wert bezieht sich auf die “expected Goals”, die eine Mannschaft in einem Spiel aufgrund ihrer Chancenqualität eigentlich erzielen würde, wenn da nicht noch so etwas wie Zufall oder Form eine Rolle spielen würden. In der fußballerischen Datenanalyse ist der “xG”-Wert seit geraumer Zeit der letzte Schrei, weil er dabei hilft, Entwicklungen in der Leistungsfähigkeit einer Mannschaft zu verfolgen. Gemessen wird dabei die Qualität der Torschüsse von unterschiedlichen Positionen im Feld. Die Werte werden dabei zwischen 0 und 1 veranschlagt, der höchste zu erreichende Wert ist bei einem Elfmeter und liegt bei 0,76, wie ein Datenanalyst von Global Soccer Network im Gespräch mit welt.de beschreibt. Weitschüsse haben dementsprechend eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit.

Cordobas Auftritt gegen Mönchengladbach gibt Anlass zur Hoffnung

Der “xG”-Wert aus dem Spiel gegen Gladbach lag für den effzeh bei 1,24, der der Gladbacher bei 1,5. Die Mannschaft von Peter Stöger schoss insgesamt 13 Mal auf das Tor von Yann Sommer. Zwei dieser Torschüsse wurden im Strafraum abgegeben und kamen direkt auf das Tor, drei weitere Abschlüsse des Kolumbianers im Strafraum wurden geblockt. Hinzu kommen drei weitere Schüsse von Cordoba, die allerdings am Tor vorbeigingen, den “xG”-Wert allerdings trotzdem nach oben heben. Hieran ist bereits ersichtlich, dass Cordoba an diesem Tag zu ausreichend Abschlüssen kam. Dass kein Tor dabei herauskam, ist zwar bitter, allerdings auch nicht der Grund dafür, gleich Katastrophenszenarien heraufzubeschwören. Der effzeh hätte an diesem Tag durchaus ein Tor erzielen können, dann wäre man eventuell mit einem Punkt nach Hause gefahren.

Doch hätte, wäre, wenn: Das Tor fiel nicht, der effzeh verlor und setzte danach auch gleich noch die Heimpremiere gegen Hamburg in den Sand. In diesem Spiel gaben Lehmann und Co. insgesamt 20 Torschüsse ab, von denen neben dem Sörensen-Treffer allerdings nur zwei weitere auf das HSV-Tor gingen: Hectors Latten– (42.) und Jojic’ Pfostentreffer in der Nachspielzeit. Aus dem Strafraum heraus gab der effzeh sieben Torschüsse ab, von denen sechs vorbei gingen und einer geblockt wurde. Acht Torschüsse aus der Distanz gingen am Tor vorbei – unter dem Strich stand ein “xG”-Wert von 1,6. Man mag nun von den Werten halten, was man will, man mag es gar als mathematische Spielerei abtun.

Doch was der 1. FC Köln in der ersten halben Stunde gegen den Hamburger Sportverein aufs Parkett brachte, war absolut zufriedenstellend. Hohe Dominanz in eigenem Ballbesitz, gute Lösungsfindung auf dem Weg nach vorne und konzentrierte Defensivarbeit – bis zu den ersten beiden Gegentoren eben.

Gönnt dem effzeh einen Vertrauensvorschuss!

Von daher ist es befürworten, wenn man Mannschaft und Trainerteam auch in dieser Phase einen Vertrauensvorschuss gewähren würde – die beiden “xG”-Werte waren bisher dafür einfach zu ordentlich. Der Veränderungsprozess in der Post-Modeste-Ära wird ein paar Monate brauchen, das ist deutlich zu erkennen. Wenn der absolute Fixpunkt einer Mannschaft geht, wirkt dies mit einer starken disruptiven Kraft auf die spielerische Leistungsfähigkeit. Und dennoch ergeben sich auch nach dem Abgang des Franzosen einige Potenziale: Cordoba schafft durch seinen großen Aktionsradius und seine Dynamik Platz für einen wendigen, kombinationsorientierten Spieler wie Yuya Osako, der leider mit einer Verletzung in die Saison starten musste.

Auch Sehrou Guirassy deutete bereits an, dass mit ihm in dieser Saison zu rechnen sein könnte. Wenn zudem noch Schlüsselakteure wie Risse und Bittencourt zu ihrer Form finden, dürfte Cordoba zu noch mehr Abschlussaktionen kommen. Für den Moment allerdings heißt es, die lange Länderspielpause geduldig zu ertragen, gut zu trainieren und dann in Augsburg einen ersten kleinen Befreiungsschlag zu landen, um die Kritiker verstummen zu lassen.

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