Mitte April lag im Olympiastadion schon vor dem Anpfiff ein Rekord in der Luft: Der von Peter Stöger defensiv hervorragend orchestrierte effzeh war zu Gast bei der Hertha, um das achte 0:0 in einer einzigen Saison zu erkämpfen – mehr als jemals ein Team zuvor in der Bundesliga-Geschichte. Da die „Alte Dame“ unter ihrem neuen Trainer Pal Dardai im Abstiegskampf auch kein Offensivfeuerwerk abzubrennen gedachte, entwickelte sich eine Partie, die als Anschauungsunterricht für gut arbeitende Abwehrreihe mit der entsprechenden taktischen Organisation dienen kann. Für die Zuschauer im Stadion wie auch vor den Fernsehern war es allerdings einschläfernd hoch zehn.
Etwas weniger als ein Jahr später sind die Vorzeichen ähnlich, wenn auch nicht rekord-verdächtig: Der effzeh entwickelt sich Schritt für Schritt vom Verhinderer zum Gestalter, während die Hertha ihren Stil kultiviert und durch Effizienz und Erfahrung erweitert hat. Pal Dardai hat in der Hauptstadt ein Kollektiv geformt, dass trotz fehlender Namen defensiv höchsten Ansprüchen genügt. Die Konsequenz: Nur die übermächtigen Bayern spielten in der bisherigen Bundesliga-Saison häufiger zu Null als die „Alte Dame“ – so avancierten die Blau-Weißen fünf sieglosen Spielen in Folge zum Trotz zum Kandidat für die Champions-League-Plätze. Abgezockt statt aufgeregt, effizient statt euphorisiert: Die Hertha ist der Gegner mit der kalten Schnauze.
.@HerthaBSC Hallo, alte Dame
Das ist heute Hennes: #effzeh #KOEBSC pic.twitter.com/kmApY0wIhf — 1. FC Köln (@fckoeln) 26. Februar 2016
Statistiken gefällig? Laut „kicker“-Fachmagazin nutzt die Berliner Offensivabteilung mehr als jede vierte Torgelegenheit (27 Prozent) aus. Der effzeh dagegen muss sich mit einer Verwertungsquote von etwa 20 Prozent begnügen. Abgezocktheit: Ein Schlüssel dafür, warum die Hertha zur Überraschungsmannschaft der Saison mutiert, während unsere „Geißböcke“ auf Platz neun eine respektable, aber keine überragende Bilanz vorzeigen kann. Und hat die Hertha einmal gar keinen Torschuss zu verzeichnen, ist das auch nicht schlimm: Dann kommt eben der Gegner aus dem Kraichgau und erzielt das goldene Tor des Tages für die Hauptstädter. Nicht nur deshalb scheint in Berlin aktuell Gustaf Gans das Ruder zu führen: Die Neuzugänge wie Hinspiel-Matchwinner Vedad Ibisevic (VfB Stuttgart), Ex-effzeh-Talent Mitchell Weiser und Vladimir Darida (SC Freiburg), der gegen den effzeh aufgrund seiner fünften Gelben Karte fehlen wird, schlugen perfekt ein – die Hertha wirkt so homogen und ausgeglichen wie selten zuvor.
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Angeführt in der Offensive von den erfahrenen Klasseknipsern Ibisevic (sechs Saisontore) und Salomon Kalou (bereits zehn Treffer, sieben davon auswärts!) und getragen von einer routiniert agierenden Defensive um den Schweizer Kapitän Fabian Lustenberger ist die „Alte Dame“ somit so etwas wie effiziente und abgezockte Kopie des letztjährigen effzeh. Sie ziehen mehr Fouls als unser Team, erhalten aber auch mehr Freistöße zugesprochen. Die höhere Passfrequenz im kurzen Bereich fällt mit einer höheren Genauigkeit zusammen: Wenig überraschend, dass sich die Hertha mehr Ballbesitz auf die Fahne schreiben kann. Dass sie einen Entwicklungsschritt weiter ist als die Stöger-Elf, vermag mit einem Blick auf das Durchschnittsalter allerdings wenig verblüffen: Mehr als ein Jahr liegen zwischen dem effzeh (25,31 Jahre) und den Berlinern (26,51 Jahre) – auch die erwartete Startelf ist trotz der erstaunlich jungen Hertha-Viererkette fast ein Jahr älter und hat etwas weniger als hundert Bundesliga-Spiele mehr auf dem Buckel.
Die Vorzeichen liegen also auf der Hand: Der aufstrebende Jungspund, der gerade in die Mittelstufe gekommen ist, gegen den selbstbewussten Oberstufen-Neuling. Wäre das eine Schulhofhauerei, mein Favorit stünde fest. Ist es aber nicht – es ist ein Fußballspiel: Manchmal siegt dort, wie ein gewisser Straßenphilosoph Lukas P. Bemerkte, einfach der Bessere. Und nicht der abgezocktere. Es wäre zwar kein Rekord für den effzeh, es könnte aber ein wichtiger Schritt sein. Wohin auch immer…
Was sonst noch wichtig ist
- Dominic Maroh steht vor seiner 100. Partie in der 1. Bundesliga. Unser „Grätschen-Gott“ absolvierte davon bislang 43 Spiele für den effzeh, 56 weitere kommen aus seiner Zeit beim 1. FC Nürnberg. effzeh.com wünscht dir ein erfolgreiches Jubiläum, Dome!
- Die Berliner sind unter Pal Dardai an einem Freitagabend noch ungeschlagen. Zwei Siege und drei Remis sammelte die Hertha zum Spieltagsstart ein. Der effzeh spielte seit dem Wiederaufstieg viermal zum Wochenausklang – ein Sieg (1:0 in Bremen 2014/15) stehen zwei Remis in dieser Saison (gegen Ingolstadt und in Darmstadt) sowie eine Niederlage (1:4 bei den Bayern 2014/15) gegenüber.
- Die Partie pfeift Tobias Stieler, 34-jähriger Jurist aus Hamburg. Kein gutes Omen für den effzeh, konnte man unter Stielers Leitung in der Bundesliga noch kein einziges Spiel gewinnen (zwei Niederlagen, ein Remis). Unter anderem verlor die Stöger-Elf mit dem Nordlicht an der Pfeife das Heimspiel gegen Hertha in der vergangenen Saison mit 1:2.
- An die wahnsinnig tolle Geburtstags-Choreographie gegen Eintracht Frankfurt erinnern wir uns alle gerne. Um die insgesamt fast 14.000 Euro zu bezahlen, die die Aktion gekostet hat, sammelt die “Wilde Horde” beim Heimspiel gegen Hertha BSC Spenden. Im Innenbereich des Stadions stehen Mitglieder der Ultragruppierung mit Sammelbüchsen an den Eingängen. Für jede Spende ab einem Euro gibt es eine kleine Erinnerung an die imposante Choreo.