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Markus Anfangs Mission in Kiel endet: Zeit für Bestätigung in Köln

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Holstein Kiel scheitert in der Relegation zur Bundesliga am VfL Wolfsburg, Markus Anfang kann sich also nicht mit dem Aufstieg verabschieden. Daraus kann man Schlüsse für seine Zeit in Köln ziehen, muss man aber nicht.

Am Ende waren es wohl die 20 Minuten im Relegationshinspiel, in denen Holstein Kiel den besten Fußball zeigt und wohl auch mehr hätte erreichen können als das einzige Auswärtstor durch Kingsley Schindler. Insbesondere die Hereinnahme von Alexander Mühling sorgte am vergangenen Donnerstag in Wolfsburg dafür, dass viele Zuschauer der Bundesliga-Relegation endlich das zu sehen bekamen, was sie von diesem ungewöhnlichen Tabellendritten der zweiten Liga erwartet hatten: Offensivfußball und Abschlüsse. Dass die teilweise hochkarätigen Möglichkeiten nicht genutzt werden konnten, erschwerte die Ausgangslage für das Rückspiel im eigenen Stadion gegen die “Wölfe” – denen reichte gestern schlussendlich dann auch eine solide Leistung mit einem Tor nach einer Standardsituation durch Robin Knoche. Für Kiel ist der Traum vom Durchmarsch aus der dritten in die erste Liga nun ausgeträumt, Und Trainer Markus Anfang verlässt seinen ehemaligen Arbeitgeber nach diesem Spiel und tritt in ziemlich genau einem Monat seinen Dienst in Köln an.

In Kiel war es ihm innerhalb von zwei Jahren gelungen, eine Mannschaft zu formen, die, wenn man sich nur die nackten Zahlen anschaut, in der dritten Liga bei einem Torverhältnis von 59 zu 25 insgesamt 67 und in der zweiten Liga bei einem Torverhältnis von 71:44 insgesamt 56 Punkte holte. Vergangenes Jahr reichte dies für Rang zwei in der dritten Liga, in diesem Jahr für Rang drei im deutschen Unterhaus. Tobias Escher beschrieb in seiner Spielvorschau auf das Relegationsrückspiel, dass Holstein Kiel es dabei mit einem ungewöhnlichen Weg versuche: Markus Anfang wünsche sich von seiner Mannschaft nämlich in erster Linie ein “offensives Spektakel”. Ganz im Gegenteil zur überwiegenden Mehrheit, die zudem auch nicht gerade erst aus der dritten Liga aufgestiegen ist, versuchen es die Störche eben nicht mit “Sicherheitsfußball”.

Markus Anfang und Kiel: Bereits vor der Saison ein heißer Tipp

Vielleicht wurde deswegen seine Mannschaft vom Datenmodell “GoalImpact” vor der Saison als “überdurchschnittlich gut” ausgewiesen – die Kaderanalyse offenbarte, dass Kiel über einen leistungsmäßig sehr breiten Spielerfundus verfügte. Anfangs Mannschaft trat dabei häufig im 4-1-4-1-System an und erzielte in der Hinrunde starke 36 Tore.

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Escher analysiert, dass der Spielaufbau der Schleswig-Holsteiner darauf beruht, dass man überwiegend mit kurzen und flachen Pässen versucht, in die Halbräume zu kommen – den beiden Innenverteidigern Rafael Czichos (offenbar im Visier des effzeh) und Dominik Schmidt kommt dabei die entscheidende Rolle zu. Die Außenverteidiger van den Bergh auf der linken und Herrmann auf der rechten Seite praktizieren etwas, was man sonst nur von Guardiola kannte: Beide rücken im Spielaufbau in die Halbräume und überlassen die Außenbahn den Mittelfeldspielern – Ziel ist es, mit flachen Kombinationen durch die Mitte zu spielen. Escher konstatiert: “Man erhält eine Überzahl um den Mittelkreis, zugleich können die nominellen Mittelfeldspieler weiter vorrücken.” Die entstehende Struktur ist oftmals ein 2-3-5, in dem die Achter extrem weit vorrücken.

Der neue Kölner Trainer steht für Offensive

Doch auch der lange Ball war unter Anfang in Kiel nicht verpönt, ganz im Gegenteil: Durch das Überladen der letzten Angriffslinie wurde es den Abwehrspielern ermöglicht, Bälle nach vorne zu schlagen, um die dann gekämpft wurde. Insbesondere die Offensivspieler jagten den Bällen in der Tiefe hinterher und versuchen, frühzeitig den zweiten Ball zu gewinnen. Danach setzt das Offensivspiel der Kieler ein, was insbesondere von den individuell starken Drexler, Ducksch und Schindler getragen wird – alle drei sind spielstark, sehr beweglich und zudem noch torgefährlich. Die Bewegungen sind gut aufeinander abgestimmt, Anfangs offensiver Plan ist klar erkennbar. Doch dabei offenbaren sich laut Escher auch Probleme: “Die große Frage lautet, wie viele Gegentreffer die Störche zulassen. Markus Anfangs defensiver Plan ist weit weniger ausgeprägt als sein offensiver.” Durch viele Mannorientierungen im Mittelfeld soll dort eine Kampfzone aufgebaut werden, die den sicheren Balltransport des Gegners in die Spitze verhindern soll.

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Gegen den VfL Wolfsburg war dies natürlich auch zu erkennen, reichte aber am Ende nicht zum Aufstieg – 20 gute Minuten waren zu wenig. Markus Anfang wird sich also nicht mit einem zweiten Aufstieg in Folge nach Köln verabschieden. Was kann man nun jedoch erwarten, wenn der gebürtige Kölner in vier Wochen seinen Dienst antritt?

Grundsätzlich wird sich seine Herangehensweise natürlich nicht verändern, die Ausgangslage ist jedoch gänzlich eine andere. Er wird mit einem Kader arbeiten, den ihm Frank Aehlig und Armin Veh zusammengestellt haben, obwohl er bei einigen Personalien wohl schon mitgeredet haben dürfte. Seine größte Aufgabe wird es sein, seine eigene Spielidee an das in Köln vorhandene Spielermaterial anzupassen – dabei wird es auch interessant sein zu beobachten, wie flexibel Anfang dabei vorgeht. Dass er ein Offensivtrainer ist, scheint nach dem Jahr mit Holstein Kiel in der zweiten Liga allerdings offenkundig zu sein.

Markus Anfang und die neue Situation in Köln

In Köln erwartet ihn von Tag eins an neben der großen Erwartungshaltung im Umfeld auch die Aufgabe, zwingend in die erste Bundesliga aufzusteigen. Dazu muss der 1. FC Köln mehr als die Hälfte seiner Spiele gewinnen, was viele als selbstverständlich abtun. Doch so einfach wird die gesamte Sache nicht: Es wird sicher eine gewisse Zeit dauern, bis Anfangs Ideen und Abläufe sich bei der Mannschaft einschleifen. Kontinuierliche Arbeit trägt meist erst nach ein paar Monaten Früchte, und es kann durchaus sein, dass der etwas offensivere Ansatz bei einigen Kölner Spielern dafür sorgt, dass sie zu Beginn tatsächlich ein wenig destabilisiert werden. Andererseits wird Anfang in Köln allerdings auch über einen für Zweitligaverhältnisse überdurchschnittlich guten Kader verfügen, in dem mit Hector, Höger, Horn und Koziello gleich mehrere fußballerische Leuchttürme spielen.

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Foto: Thomas Starke/Bongarts/Getty Images

Sie werden in vielen Spielen auf Gegner treffen, die dem 1. FC Köln den Ball und das Spielfeld überlassen und gegen den klaren Favoriten versuchen, erst einmal kein Gegentor zu bekommen. Dass ein Trainerteam sich von Anfangs radikalem Fußball inspirieren lässt, wäre für die Attraktivität der Liga natürlich gut, erscheint aber auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Von daher wird auf Anfang und seine Kollegen die Aufgabe zukommen, den Kölner Spielern sinnvolle Handreichungen zu geben, was das Offensivspiel betrifft. Dass in Kiel offenbar weniger Wert auf die Defensive gelegt wurde, muss sich ja nicht zwangsläufig in Köln fortsetzen – Anfang wird hoffentlich das vorhandene Spielermaterial analysieren und dann einen ausgewogenen Ansatz wählen und umsetzen.

Arbeit von zwei Jahren nicht anhand von zwei Spielen bewerten

Es ist auf jeden Fall ein spannendes Projekt, was da in wenigen Wochen in Köln startet. Anfang hat die Aufgabe des sofortigen Wiederaufstiegs, Köln und Umfeld hoffentlich die notwendige Geduld. Es wird sicherlich kein Durchmarsch, aber die Voraussetzungen sind gut. Was allerdings unverständlich ist: Viele Beobachter schließen durch das Scheitern von Kiel in der Relegation, dass Anfang ein nicht geeigneter Trainer für den effzeh sei. Das ist natürlich ein Fehlschluss. Dass man anhand von 180 Minuten nicht die Arbeit von zwei ganzen Jahren bewerten kann, ist schließlich selbsterklärend. Und dass mit Markus Anfang ein ausgewiesener Offensivtrainer bald in Köln arbeiten wird, ist bei dem ganzen Einheitsbrei um Pressing, Gegentorverhinderung und spielerischer Armut auf jeden Fall etwas Besonderes.

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