Seine Stimme war den meisten Zuschauern wohlbekannt. Sie waren an diesem Maiwochenende 1999 ins niedersächsische Rittmarshausen gekommen, um dort den Spielen des Nokia-Debitel-Cups beizuwohnen. Der Mann am Mikro war Schirmherr dieses Turniers, an dem die B-Jugendteams zahlreicher Bundesligisten teilnahmen. Er beschränkte sich keineswegs auf das Verkünden der Mannschaftsaufstellungen oder der Angabe von Spielstand und Torschütze. Marcel Reif tat vielmehr das, was er immer tat, wenn ein Millionenpublikum ihm an den Fernsehern gebannt zuhörte – er kommentierte ein Fußballspiel.
Gerade mal ein Jahr war es her, dass ihm gemeinsam mit Günther Jauch der Adolf-Grimme-Preis verliehen worden war für die launige Moderation der durch den „Torfall von Madrid“ ausgelösten 76minütigen Wartezeit vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund. Auch an diesem Tag kommentierte er ein Halbfinale, diesmal standen sich die B-Jugendteams des VfB Stuttgart und des 1. FC Köln gegenüber.
Das Spiel war hochklassig. Die Stuttgarter hatten die besseren Individualisten, die jungen Kölner waren von Trainer Manfred Schadt hervorragend eingestellt worden und versuchten die Schwaben durch frühes Pressing, genaues Passspiel und geschicktes Zweikampfverhalten in die Schranken zu weisen. Vorbereitet auf diese Partie hatte sich Marcel Reif mit derselben Akribie wie für eine Begegnung in der Champions League. So beschränkte er sich auch nicht nur auf die Schilderung des Spielgeschehens, sondern hob bisweilen den ein oder anderen auffälligen Akteur in seiner Kommentierung hervor.
Auf Stuttgarter Seite war es Kevin Kuranyi, der besondere Erwähnung fand und dessen Tore letztlich dem VfB den Finaleinzug bescheren sollten. Einer der Spieler beim 1. FC Köln, deren Aktionen Marcel Reif mit fachmännischem Lob bedachte, war der Akteur mit der Rückennummer 4. Er war defensiver Mittelfeldspieler, mittelgroß, ballsicher, kein Abräumer, sondern jemand, der ein Spiel lesen und den Rhythmus bestimmen konnte, mit klugen Pässen und geschickten Seitenwechseln. Jugendnationalspieler war er zudem, wie der Fußballkommentator recherchiert hatte. Sein Name: Michael Loch.
Die fußballerischen Anfänge im Oberbergischen Kreis
Zwanzig Jahre später war es der Corona-Krise mit ihren Kontaktbeschränkungen geschuldet, dass mein Treffen mit dem ehemaligen FC-Jugendspieler lediglich virtuell zustande kam, per Skype-Verbindung am Bildschirm meines Computers. Der erfolgreiche Unternehmer befand sich – coronabedingt – im Home Office. „Auf meine Zeit als Fußballer sprechen mich nicht mehr viele Menschen an, deshalb bedeutet unser Gespräch heute für mich eine ungewohnte, aber durchaus willkommene Reise in die Vergangenheit,“ sagte er zu Beginn des Interviews. Ich erlebte Michael Loch dabei als sehr reflektierten und kommunikativen Gesprächspartner, der anschaulich und humorvoll, bisweilen aber auch nachdenklich von den Stationen seiner Laufbahn als Fußballer zu berichten wusste.
Gebürtig stammt Michael Loch aus Oppeln, der historischen Hauptstadt Oberschlesiens. Sein Vater drückt in Jugendtagen die Schulbank unter anderem mit der Mutter von Miroslav Klose, später arbeitet er als Bauingenieur und Architekt. 1988 entschließen sich die Eltern, mit ihren beiden Söhnen aus Polen zu fliehen. „Unsere Eltern haben uns gesagt, dass wir in Urlaub fahren,“ erinnert er sich. Nach einigen Ferientagen in Italien reisen sie nach Deutschland weiter. An ihre erste Station, das Auffanglager Unna-Massen, hat Loch angenehme Erinnerungen. „Neben dem Lager gab es ein Freibad mit einem Drehkreuz am Eingang“, erzählt er. „Als Sechsjähriger war ich klein genug, um dort ohne zu zahlen durchzuschlüpfen.“
Die oberbergische Gemeinde Nümbrecht wird die neue Heimat der jungen Familie. Ganz in der Nähe der elterlichen Wohnung ist ein Fußballplatz, einige Jungen kicken dort einen Ball umher. Der junge Michael Loch spricht kaum ein Wort Deutsch, trotzdem versteht er sich im Nu mit seinen neuen Spielkameraden. Die gemeinsame Sprache ist der Fußball. So jagen sie dem runden Leder hinterher, tagein, tagaus. Erste Freundschaften entstehen. „Nebenan war der Sportplatz des SSV Homburg-Nümbrecht,“ erinnert sich der ehemalige Jugendnationalspieler. „Irgendwann spielten wir dort mit, kurze Zeit später meldete mich mein Vater in dem Verein an.“
“Nebenan war der Sportplatz des SSV Homburg-Nümbrecht. Irgendwann spielten wir dort mit.”
Michael Loch durchläuft die ersten Jugendmannschaften der Nümbrechter, er spielt gut und fällt auch den Verantwortlichen des Oberbergischen Kreises auf, die ihn in die Kreisauswahl berufen. Sein fußballerisches Vorbild ist Zinedine Zidane, der zu der Zeit bei Girondins Bordeaux und Juventus Turin für Furore sorgt. „In meinen Augen war er ein perfekter Fußballer, der im Mittelfeld das Spiel seiner Mannschaft ankurbelte, gleichzeitig aber auch sehr torgefährlich war und unglaubliche Dinge am Ball vollführte,“ schwärmt der ehemalige Auswahlspieler noch heute.
Auch Michael Loch möchte im Fußball den nächsten Karriereschritt machen, die erste Gelegenheit dazu bietet sich ihm, als der RS 19 Waldbröl Interesse an ihm bekundet. Die Jugendmannschaften des Vereins, damals größter Club der Gegend, spielen regelmäßig in der Verbandsliga Mittelrhein unter anderem gegen Teams wie den 1. FC Köln und Bayer Leverkusen. Er ergreift die Chance und wechselt zur Saison 1995/96 zu den Marktstädtern. Auch hier gewöhnt sich Loch schnell an das höhere Spielniveau. Seine guten Leistungen führen dazu, dass er in der darauffolgenden Saison als C-Jugendlicher in der B-Jugend zum Einsatz kommt. Berufungen in die Mittelrheinauswahl folgen, zum ersten Mal werden größere Clubs auf Michael Loch aufmerksam.
Der Wechsel zum 1. FC Köln – trotz des Interesses von Bayer Leverkusen
Frank Schaefer verfolgt die Entwicklung des defensiven Mittelfeldspielers sehr genau, und auch Bayer Leverkusen zeigt in persona Michael Reschke reges Interesse. „Schlussendlich waren es zwei Gründe, die mich zu einem Wechsel nach Köln bewogen haben,“ erinnert sich der ehemalige Nümbrechter. „Zum einen trainierte die B-Jugend des FC auf Rasen, während die Jugendteams in Leverkusen noch auf Aschenplätzen üben mussten. Zum anderen wurde ich beim Probetraining am Geißbockheim wesentlich besser von den zukünftigen Mitspielern aufgenommen, vor allem der damalige Kapitän, Aydin Bagheri, kümmerte sich vorbildlich um mich.“ Er hält einen Moment inne. „Es menschelte einfach mehr beim FC.“
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