https://effzeh.com

Kommerzialisierung und Ultras: Was wird aus dem Fußball?

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Bald endet eine sportlich nicht so spannende, aber dafür in ihren Begleiterscheinungen extrem aufregende Saison – Grund genug für einige deutsche Fernsehmacher, sich in zwei Dokus den Themen “Kommerzialisierung” und “Ultras” zu nähern. Wir haben für euch reingeschaut.

Im deutschen Fernsehen liefen in der vergangenen Woche zwei Dokumentationen, die sich mit zwei zentralen Themen des gegenwärtigen Fußballs auseinandersetzen – Kommerzialisierung und Ultras. Im ZDF lief mit “Kick and Cash – Macht Geld den Fußball kaputt?” eine dokumentarische Auseinandersetzung mit der Frage, ob früher im Fußball nicht alles besser gewesen sei, als Spieler wie Neymar nicht 222 Milionen Euro an Ablöse kosteten.

Die beiden Journalisten Béla Réthy und Halim Hosny untersuchen, inwieweit die immer weiter zunehmende Kommerzialisierung des Sports dafür sorgt, dass sich immer mehr Fans von ihm abwenden. Dabei arbeiten sie sich an den Protesten über die Montagsspiele, astronomischen Gehältern und Ablösesummen sowie der Situation an einigen Bundesligastandorten ab.

Viele Fans sind unzufrieden mit der Gesamtsituation

Sie beginnen ihre dokumentarische Reise im Februar diesen Jahres in Frankfurt, wo sie mit einem Fan über die Gründe für den kreativen (und friedlichen!) Protest gegen das Montagsspiel gegen RB Leipzig sprechen. Bereits hier ist zu erkennen, dass die Marginalisierung der Fans ein zentrales Motiv in der Dokumentation ist und mit dem sich Réthy und Hosny verstärkt beschäftigen. Über das Montagsspiel hinaus sprechen sie auch mit den Machern des “FC PlayFair!”, der im vergangenen Jahr mit seiner Studie zur Situationsanalyse des Profifußballs viel Aufsehen erregt hatte. Darin wurde zum ersten Mal deutlich, inwiefern der moderne Fußball dafür sorgt, dass sich immer mehr Fans von ihm abwenden.

>>> Montagsspiele in der Bundesliga: Mehr als 90 Prozent der Fans sind dagegen

Anschließend unternehmen die beiden Autoren eine Reise nach Paris, dessen Aushängeschild PSG mittlerweile ein Sinnbild eines Investoren-Engagements ist. Durch das investierte Geld der Kataris ist PSG zum Serienmeister geworden, ohne Konkurrenz in der eigenen Liga. Für einen befragten Fan ist dies gar nicht so schlimm, schließlich sei das Geld das Mittel zum Zweck – dem absoluten Erfolg.

50+1, Hannover, England: Weitere Themen der Doku

Nach einer kurzen Stippvisite in München, wo die Autoren mit Uli Hoeneß über dessen Sorgen sprechen, folgt eine lange Abhandlung über die Situation in Hannover, wo Präsident Martin Kind versucht, der Alleinherrscher zu werden und den Verein zu übernehmen. Durch Gespräche mit Fans wird jedoch deutlich, dass diese nicht bereit sind, ihren Verein kampflos herzugeben. In diesem Zusammenhang wird, offenbar für die etwas fußballferneren Zuschauerinnen und Zuschauer, auch die 50+1-Regelung noch einmal erläutert. Danach geht es nach England, wo David Wagner bei Huddersfield einen größeren Etat zur Verfügung hat als viele Bundesligisten. Durch die Fernsehverträge in England und das Engagement von Investoren schwimmen die meisten englischen Vereine im Geld, was naturgemäß auch dort nicht nur auf Wohlwollen trifft.

Danach sprechen Réthy und Hosny mit Verantwortungsträgern der DFL und des DFB in Deutschland, auch Leipzigs Geschäftsführer Oliver Mintzlaff (der zwischendurch auch mal als “Olaf” vorgestellt wird) kommt zu Wort. Am eindrucksvollsten sind allerdings die Worte von Union Berlins Präsident Dirk Zingler, der sich zu Kommerzialisierung und Internationalisierung sehr deutlich äußert.

https://twitter.com/effzeh_com/status/989829260075503618

“Früher war nicht alles besser, aber der Fußball hat mehr Spaß gemacht”

Zwar erfährt man in der Dokumentation nichts bahnbrechend Neues, allerdings ist es bemerkenswert, dass der Zustand des deutschen und internationalen Fußballs sogar bei den sonst so schläfrigen Öffentlich-Rechtlichen für Unruhe sorgt. In einem Begleittext zur Doku schreibt Réthy: “Nach mehrmonatigen Dreharbeiten gehen wir mit dem Gefühl heraus, daß früher oder später auch die Bundesliga sich dem Diktat des Großkapitals beugen wird. Man wird sich in der Breite nicht in Europa behaupten können, ohne das große Spiel mitzuspielen. Insofern: Früher war nicht alles besser – aber der Fußball hat irgendwie mehr Spaß gemacht.” Das kann man wohl vollumfänglich unterschreiben.

>>> Hier die Dokumentation “Kick and Cash – Macht Geld den Fußball kaputt?” ansehen

Auf der nächsten Seite: Die Dokumentation von “sky” über Ultras.

Schon zum dritten Mal widmete man sich beim Pay-TV-Sender “Sky” der Situation der deutschen Ultras. 2013 stellte man die größte Subkultur in Deutschland dokumentarisch vor, 2016 verdeutlichte man in einer weiteren Dokumentation, warum sich Ultras zunehmend unter Druck gesetzt sehen. Im Jahr 2018 setzt man sich nunmehr damit auseinander, wie Ultras für aktive Mitbestimmung in ihren Vereinen (im wahrsten Sinne des Wortes) kämpfen und sich gegen die Kommerzialisierung stellen.

Der Ausgangspunkt der Doku ist ein Schlaglicht auf die Vorkommnisse in den vergangenen Monaten, nach denen Ultras in den Fokus der nationalen Berichterstattung rückten. Dazu gehörten die Angriffe auf Leipzig-Fans beim Auswärtsspiel in Dortmund, die Aktionen der KSC-Fans in Stuttgart und das martialische Auftreten der Dresdner Fanszene inklusive deren Kriegserklärung an den DFB beim Auswärtsspiel in Karlsruhe.

Hannover als Brennpunkt – und Vorbild?

Erstaunlich reflektiert wird mit den Gesprächspartnern zunächst die Sinnhaftigkeit der Kollektivstrafen diskutiert, bevor der Bogen zu den Pyro-Aktionen der Frankfurter und Dortmunder beim DFB-Pokalfinale gespannt wird. In diesem Zusammenhang wird auch festgehalten, dass die Pfiffe gegen den Auftritt von Helene Fischer in der Halbzeitpause der ultimative Ausdruck des Unwohlseins der Fans gegenüber der Kommerzialisierung sind.

Danach wird völlig zurecht auf den Konflikt bei Hannover 96 eingegangen, wo neben Fan- und Medienvertretern auch ein Rechtsanwalt befragt wird. Beispielhaft wird erwähnt, dass die kritischen Hannoveraner Fans sich mit der Satzung des Vereins auseinandersetzen und damit stellvertretend für viele andere Bundesliga-Standorte gelten. Interessanterweise sagt Martin Kind, als 96-Präsident Zielscheibe der Kritik, dass er glaube, dass die Auseinandersetzung “an Dynamik verlieren” werde. Naja, warten wir das mal ab.

>>> Offener Brief des 1. FC Köln an Ultra-Szene: Literweise Öl ins Feuer

Danach folgt ein großer Block, in dem man sich mit der Situation beim 1. FC Köln beschäftigt. Ausgangspunkt hier ist die Choreo beim Spiel gegen den BVB im Dezember 2016, als kritische und diskutable Inhalte dafür sorgten, dass im Anschluss durch den Verein Stadionverbote ausgesprochen wurden und die aktive Fanszene den Dialog in der AG Fankultur aufkündigte. Zu Wort kommt der Fanbeauftragte Rainer Mendel, der sich im Anschluss auch einem Spruchband ausgesetzt sah, auf dem stand, dass “seine Tage gezählt” seien.

Danach lässt man auch Volker Lange, Chef der der Polizeidirektion Köln-West, zu Wort kommen und ihn seine Einschätzung der Lage erklären. Der Konflikt zwischen Verein und Ultra-Szene verschärfte sich in den vergangenen Monaten dahingehend, dass nicht nur die Vorkommnisse in Belgrad zu einem Riss führten, woraufhin der Verein in einem offenen Brief unter anderem zwei Mitglieder Fanszene mit Klarnamen nannte und deutlich kritisierte.

Ultras und 1. FC Köln: Rückkehr zum Dialog notwendig

Carsten Blecher vom Kölner Fanprojekt konstatiert unterdessen, dass die Trennschärfe zwischen kritischen und gewaltaffinen Ultras immer weiter verschwämme, weswegen eine “Radikalisierung” stattfinde. In diesem Zusammenhang sei auch die neuauftretende Gruppierung “Revolte 0221” kritisch zu betrachten. Auch Vorkommnisse wie der Fahnenklau gegen Gladbach und die Beschimpfungen eines Kölner Vorsängers gegen Hannovers Keeper Zieler werden in diesem Zusammenhang miteinbezogen. Die verbale Aufrüstung auf beiden Seiten hingegen stößt Blecher sauer auf, er fordert eine Rückkehr zum Dialog, weil es weder über offene Briefe noch über Transparente funktionieren würde, wieder an einen Tisch zu kommen.

Foto: Srdjan Stevanovic/Getty Images

Die Dokumentation geht nach dem Schlaglicht auf die Situation beim effzeh damit weiter, dass man sich mit dem FC Hansa Rostock auseinandersetzt, wo die Vergangenheit auch immer wieder konfliktreiche Vorfälle mit den eigenen Ultras bot. Danach thematisiert man die 50+1-Regelung, der Initiative “50+1 bleibt!” und dem Positionspapier der Fanszenen. Der vom DFB, dessen “Paralleljustiz” insbesondere von Fananwalt Tobias Westkamp und Fanforscher Jonas Gabler kritisiert wird, verkündete Verzicht auf Kollektivstrafen wird dabei jedoch positiv erwähnt.

Positiv zu vermerken ist bei dieser Dokumentation, dass viele Personen aus den unterschiedlichsten Kreisen zu Wort kommen – es ist allerdings schon kurios, dass ausgerechnet “Sky” als einer der Auswüchse des modernen Fußballs dafür sorgt, dass man jetzt zum dritten Mal eine vergleichsweise vernünftige Dokumentation über Ultras in Deutschland auf die Reihe bekommt.

>>> Hier die Sky-Sport-Dokumentation “Ultras – Wem gehört der Fußball” ansehen (für Sky-Go-Kunden)

ZurückSeite 1 von 2