Aus der Hauptstadt kommt eine schwere Aufgabe am Samstag nach Müngersdorf. Warum die “Alte Dame” aktuell so quicklebendig ist, klären wir im #KOEBSC-Auswärtsspiel mit Hertha-Fan Marc.
Zu den Spielen unseres geliebten und glorifizierten ersten Fußballclubs Köln werden wir auch in dieser Saison einem Fan der gegnerischen Mannschaft ein paar Fragen stellen. Und weil Gegner ja immer irgendwie “auswärts” sind, egal ob der effzeh zu Hause oder auf fremdem Platz antritt, und weil die Sichtweise von “auswärts” kommt, heißt die Kategorie folgerichtig “Auswärtsspiel”. Wir sind nicht nur gespannt, wieviel effzeh in den Anhängern der anderen Bundesligisten steckt, sondern erwarten auch eine Einschätzung zur Situation der eigenen Mannschaft.
Mit einem Sieg über Borussia Dortmund im Gepäck reist Hertha BSC als Tabellenfünfter nach Köln. Zwar ist die “Alte Dame” in der Fremde nicht sonderlich erfolgreich, doch für den effzeh sind die Berliner eine Art Angstgegner. Mit Marc Schwitzky, Chefredakteur des Online-Fanzines Hertha BASE 1892, sprechen wir über den Hertha-Höhenflug, die Diskrepanz zwischen Heimspielen & Auswärtsauftritten sowie den Grund für die Kölner Probleme mit den Hauptstädtern.
Gerade im eigenen Stadion Dortmund geschlagen, Platz fünf gefestigt und den Kontakt zu den Champions-League-Plätzen gehalten. Ist die Welt bei der Hertha gerade rosarot?
Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images
Der spielerisch sehr imponierende Sieg über den BVB lässt den Hertha-Fan schon euphorisch werden, natürlich. Man hat einmal mehr bewiesen, dass man auch gegen die „Großen“ mithalten kann und nun reichte es endlich für drei Punkte, nachdem man im Pokal und zuletzt gegen Bayern denkbar knapp an der Sensation scheiterte. Auch, dass man den Abstand zu den direkten Konkurrenten ausweiten konnte, war ein sehr bedeutender Aspekt dieses Spiels. Dennoch ist nicht alles perfekt, die bisherigen Leistungen in der Rückrunde sind immens unbeständig, dem Heimsieg über Dortmund ging eine enttäuschende Niederlage in Hamburg voraus, davor gewann man mit einer durchwachsenen Darbietung gegen Eintracht Frankfurt. Die Punktausbeute der letzten Wochen ist nicht schlecht, aber man weiß nicht genau, wo man steht und wo die Reise hingeht.
Trotz allem wirkt die „Alte Dame“ von außen betrachtet doch eher mausgrau. Ist in der Hauptstadt die Euphorie größer als im Rest des Landes, was Eure Leistungen anbetrifft?
Das hängt sicher mit dem Spielstil der Mannschaft zusammen. Hertha ist nicht im Stande, einen Gegner „an die Wand“ zu spielen, der Matchplan sieht dies auch gar nicht vor. Jede Begegnung ist denkbar knapp, da das Team äußerst diszipliniert spielt, aber nicht spektakulär. Unsere Grunddevise ist: Hinten sicher stehen, den Ball sehr kontrolliert und ruhig nach vorne zu tragen und nur die aussichtsreichsten Angriffe zu Ende zu spielen. Daher haben wir nur wenige Torchancen und leben von unserer Effizienz, was sicherlich nicht immer ein Augenschmaus für den neutralen Beobachter ist. Herthas Taktik ist in manchen Augen „langweilig“, aber eben äußerst erfolgreich und holt das Maximum aus diesem Kader heraus.
Hättest du nach dem eher schleppenden Saisonstart mit dem Aus in der Europa League erwartet, dass ihr da oben mithalten könnt?
Nicht unbedingt. Ich glaube, mein Tipp war Platz 9 bis 10, das muss ich wohl revidieren. Ein Kapitäns-Wechsel und kaum Transfers hätten bei einem missglückten Saisonstart sowie Unruhen in der Fanszene einen passenden Cocktail für eine problematische Saison ergeben können. Ich wusste, dass die letzte Spielzeit eine tolle Basis für die kommenden Jahre sein wird, doch mit der aktuellen Leistung habe ich nicht gerechnet.
Auf der nächsten Seite: Warum Hertha auswärtsschwach ist, warum
in Berlin der Star die Mannschaft ist und was Pal Dardai so stark macht
Zuhause hui, auswärts zuletzt allerdings pfui: Was ist aus deiner Sicht der Grund für diese Diskrepanz in den Leistungen?
Hertha kann nicht kontern – so leicht kann man es herunterbrechen. Der Mannschaft gelang in dieser Spielzeit kein einziges Tor aus einer Umschaltaktion heraus, das spricht eine klare Sprache. Zu Hause kann Hertha sich den Gegner zurecht legen, abwartend spielen, denn man scheut sich keinesfalls vor Ballbesitz. Das sehr geradlinige und unaufgeregte Spiel lässt sich daheim viel besser aufziehen. Auswärts ist aber bekanntermaßen eine andere Mannschaft Herr des Platzes und damit kann Hertha nicht gut umgehen. Man besinnt sich dann meist auf den Kampf und den langen Ball. Es ist eine gewisse Ideenlosigkeit und Verunsicherung zu spüren, als würde die Mannschaft vergessen, was sie stark macht. Hertha spielt sehr kontrolliert, aber eben nicht schnell und dieses Tempo braucht eine Auswärtsmannschaft nun einmal, sonst knackt man die Heimteams nicht. Mittlerweile spielt sicherlich auch der Kopf eine große Rolle, denn wer fünf Mal in Folge in der Fremde verliert, der fängt an zu zweifeln und dann verselbständigt sich solch ein Negativ-Trend von allein.
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Insgesamt wirkt die „Alte Dame“ für ein gut funktionierendes Uhrwerk, das sich diszipliniert an die Vorgaben hält. Ist diese „Das Team ist der Star“-Haltung das größte Pfund, mit dem die Hertha wuchern kann?
Absolut, ja. Der 1. FC Köln lebt ja ebenso von diesem Attribut. Seitdem Pal Dardai am Steuer ist, hat er eine echte Mannschaft geformt, die einen klaren Matchplan besitzt und nie Grundtugenden des Fußballs vergisst. Der Kader besitzt wenige Ausnahmespieler und muss daher eine gute Mannschaftstaktik erhalten, um zu funktionieren. Ein Beispiel ist Genki Haraguchi, der zwar ein offensiver Flügelspieler ist, seine besten Aktionen aber meist in der Defensive hat, da er seinem Außenverteidiger tatkräftig hilft. Wir laufen viel, führen bissige, aber nie bösartige Zweikämpfe und sind so unangenehm, wie es nur irgendwie möglich ist. Das kann man nur als wahre Einheit vollbringen, denn wenn sich jemand aus diesem System herausnimmt, fällt alles zusammen.
Ein wichtiger Faktor ist beim Hertha-Höhenflug auf jeden Fall Pal Dardai, der eine wirklich unangenehm zu bespielende Einheit geformt hat. Wo liegen die Stärken des Berliner Urgesteins, was könnte er vielleicht noch besser machen?
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Pal Dardai ist vielleicht nicht jemand, den alle mögen, aber jedermann respektiert ihn. Das liegt an seiner ehrlichen, direkten und bodenständigen Art. Er ist ein harter Arbeiter, das war er als Spieler und das fordert er auch von seiner Mannschaft. Er formte aus einer abstiegsbedrohten Mannschaft, eine, die sich durch eine klare spielerische Identität und ein gewisses Selbstverständnis in der oberen Tabellenhälfte festgebissen hat. Zudem ist Dardai einer starker Talentförderer, er entwickelte unsere Talente (Stark, Weiser, Plattenhardt, Brooks) weiter und überzeugte sie zudem, langfristige Verträge zu unterschreiben. Er verkörpert das neue Hertha BSC, das solche Spieler zum Bleiben überreden kann und immer attraktiver wird. Dardai ist ein noch junger Trainer und hat daher natürlich noch ihn vielen Aspekten Verbesserungspotenzial. Manchmal ist er noch zu sehr „Spieler“ und zu wenig „Trainer“, indem er etwas unreife Antworten auf Medienfragen gibt und auch gerne mal vom „Bayern-Bonus“ redet. Das ist die negative Seite seiner direkten Art, die ich liebe und schätze, denn er ist nun einmal ein echter Typ und nicht klinisch rein, wie so manch anderer Verantwortlicher. Dadurch kann er aber durchaus einmal in ein Fettnäpfchen treten.
Auf der nächsten Seite: Warum der effzeh der Hertha liegt, warum die Kölner Abwehr nicht nur auf Ibisevic aufpassen sollte & warum wir zum Hertha-Konkurrent geworden sind
Irgendwie scheint ihr Berliner uns seit dem Aufstieg nicht zu liegen, lediglich einen Punkt konnte der effzeh in fünf Partien gegen die Hertha holen. Habt ihr etwa das Geheimrezept gefunden, uns so richtig gefährlich zu werden?
Hertha BSC und der 1. FC Köln haben viele Parallelen, auch auf dem Feld. Die Spiele sind immer sehr eng und kämpferisch betont. Dies liegt Hertha schlichtweg, man blüht in solchen Partien regelrecht auf. Was Hertha von Köln in diesen Duellen unterscheidet, ist die Reife und Coolness. Die Mannschaft behält stets einen ruhigen Kopf und nutzt die wenigen Chancen eiskalt, das fehlt Köln in diesen Momenten noch.
Gefährlich in den letzten Duellen gegen uns war auf jeden Fall Vedad Ibisevic, der dem effzeh in jedem Spiel mächtig weh tat. Ist der Bosnier in der Form, das auch am Samstag zu zeigen? Und auf wen sollten wir noch achten?
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Ibisevic befindet sich in einer guten Form, traf zuletzt gegen Frankfurt und bereitete Kalous Treffer gegen Dortmund überragend vor. Er hat seine zwischenzeitliche Krise überwunden und ist nun wieder zu jeder Zeit für ein Tor gut. Auch Salomon Kalou wird ein wichtiger Faktor sein. Er zeigte eine atemberaubende Darbietung gegen den BVB und hat unter der Woche seinen Vertrag verlängert, was ihm einen zusätzlichen Push geben könnte. Dazu hoffe ich natürlich, dass der Ex-Kölner Mitchell Weiser an sein tolles Comeback anknüpfen kann und der Mannschaft wieder hilft. Auf Plattenhardts Freistöße müsst ihr natürlich auch aufpassen! ;)
Um Weiser gab es am vergangenen Wochenende viele Diskussionen. Wie siehst du die Debatte um seine Aktion in der Nachspielzeit gegen den BVB?
Diese Situation verdient eigentlich einen eigenen Artikel, aber ich versuche mich kurzzufassen. Zunächst einmal möchte ich die Berichterstattung dahingehend kritisieren, denn nach dieser Partie wurde einzig über diese Szene und nicht über Herthas großartige Leistung geredet. Jeder prügelte auf Weiser ein, während ein Ousmane Dembele zunächst völlig unversehrt blieb. Dieser hätte nämlich die rote Karte für sein Einsteigen gegen Weiser sehen müssen. Er trifft ihn absichtlich sehr übel am Knöchel und hat eine schlimme Verletzung Weisers in Kauf genommen. Vorausgegangen war eine Unsportlichkeit von Weiser, der den Ball wegschlug und dafür korrekterweise die gelbe Karte sah, das macht man schlichtweg nicht. Natürlich übertreibt Weiser mit seiner Reaktion nach Dembeles Einsteigen, darüber muss man nicht diskutieren, sodass es eventuell sogar gelb-rot hätte geben müssen (Ball wegschlagen + Unnötige Theatralik). Ich will Weisers Verhalten keinesfalls gutheißen, das möchte ich klarmachen, aber mir kam Dembele in dieser gesamten Debatte einfach zu kurz.
Der effzeh ist derweil einer eurer Kontrahenten um einen Europapokal-Startplatz. Hattest du mit uns gerechnet oder überrascht dich die Entwicklung in Köln?
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Mich überrascht diese Entwicklung absolut nicht, nein. Der 1. FC Köln hat unglaublich gute Anlagen, ist ein großer Traditionsvereins mit einer riesigen Fanbase und einer Stadt, die voll hinter dem Verein steht. Dieses Potenzial kann nun durch eine sehr kompetente und unaufgeregte Vereinsführung vollends genutzt werden. Peter Stöger, Jörg Schmadtke, aber auch alle im Hintergrund arbeitenden Verantwortlichen wirken total fokussiert und haben nichts mit den Selbstdarstellern gemein, die den Verein vorher im Chaos haben versinken lassen. Ich habe den FC vor der Saison als Überraschungsmannschaft auf Platz sechs getippt und wurde nicht enttäuscht. Der Kader wird von Jahr zu Jahr stärker und Peter Stöger addiert jedes Jahr einen neuen taktischen Kniff dazu.
Wie siehst du unseren Verein allgemein? Was verbindest du mit dem effzeh?
Tatsächlich mag ich den Verein sehr, auch die Stadt hat durch zahlreiche Besuche einen Platz in meinem Herzen (und so hässlich, wie es gemacht wird, ist Köln nun echt nicht). Ich war stets sehr angetan von Köln, was auch an meinem Alter liegen mag, denn Lukas Podolski gehörte der ersten Fußballer-Generation an, die ich wirklich von ihrem Profi-Beginn an verfolgen konnte. Ich erinnere mich an tolle Fußballer wie Patrick Helmes, Milivoje Novakovic, Zoran Tosic und alte Legenden wie Petit oder Maniche. Ich hatte stets Sympathien für den Verein und verfolgte sogar die Zweitliga-Saison nach dem Abstieg, sah wirklich einige Spiele. Ich wünsche Köln nur das Beste und eventuell mischen Hertha BSC und der effzeh Europa ja gemeinsam auf!
Zuguterletzt: Domstadt oder Hauptstadt – wo wird am Samstag gejubelt?
Keiner – beide – Es wird ein Unentschieden geben. Köln befindet sich in keiner Hochform, hat empfindliche Verletzungsprobleme und Hertha plagt sich mit seiner Auswärtsschwäche herum, sodass eine Punkteteilung beiden nicht wehtun würde.