Kannst du dir das vorstellen? Da spielst du ein Derby und keiner merkt es. Leerer Gästeblock, stille Südkurve, souveräner Schiedsrichter, Spiel ohne Brisanz und am Ende gewinnt der Erste Fußballclub Köln hauchzart mit einem Tor Vorsprung. Das hört sich nach allem an, nur nicht nach einer der traditionsreichsten Rivalitäten auf deutschen Rasensportanlagen. Spürbar anders war das irgendwie, was am Samstagnachmittag im RheinEnergie Stadion vonstatten ging.
Es ging ja schon mit mächtig Getöse los. Kaum ein Duell zwischen der Borussia aus Mönchengladbach und dem Widersacher aus der strahlend hellen Domstadt war im Vorfeld von derart vielen Nebenkriegsschauplätzen geprägt. Zwielichtige Bild-Kampagnen, divers diskutierte DFL-Auflagen, vermeintliche Solidaritätsbekundungen beider Lager (ja Jungs, wir wissen, es war für die Sache und nicht aus Liebe zum VfL) – irgendwie war vieles vor dem Derby wichtig, nur die Sache selbst rückte etwas in den Hintergrund.
Dass der effzeh zum Beispiel für seine Verhältnisse überdurchschnittlich gestartet war, während die Saison für die Elf vom Niederrhein milde ausgedrückt eher unterdurchschnittlich begonnen hatte, wurde fast schon vergessen. Nachdem beide Teams aber in den letzten sieben Tagen jeweils sechs Hütten kassiert hatten (Der effzeh beim 2:6 in Frankfurt, der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch düster und darf das Spiel nun komplett aus seinem Gedächtnis streichen, die Borussia bei den beiden 0:3-Niederlagen in Sevilla und Hamburg), waren die Cojones in beiden Lagern eher versteckt zu erkennen.
So trafen zwei leicht (Köln) bzw. schwer (Gladbach) verunsicherte Dauerrivalen mit einem optisch kaum merklichen, moralisch aber überdeutlichen BILD-Emblem (wir berichteten) am Arm in einem so gut wie stillen Stadion aufeinander. Mönchengladbach hatte aufgrund eines Protestes gegen Auflagen seitens des Verbandes in etwa so viele Fans wie der FC Ingolstadt mitgebracht (zur Erinnerung: das sind nicht viele), im heimischen Block wurde dafür weder ein Gesang angestimmt, noch konnte man Fahnen oder Banner erkennen. Lediglich einzelne Transparente huldigten der Nebenkriegsschauplätze der vorherigen Tage, die aufgrund ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit eben doch das Derby überlagert hatten.
Ein Schuss an die Spoho
Spürbar anders war also die Stimmung, spürbar anders trat auch der Gast von jenseits des Niederrheins auf. Und zwar eine deutliche Spur anders, als man das noch aus den zwei vorherigen Spielzeiten gewohnt war. Die Mannschaft von Peter Stöger, die gegenüber dem Spiel, das wir nun alle schon vergessen haben, lediglich auf einer Position verändert daherkam (Oskao für Zoller), hatte ihre Lehren gezogen und überließ den Herren in grün-schwarz mit dem leuchtend hässlichen gelbem Aufdruck des Hauptsponsors von Beginn an das Spiel. Die Borussia versuchte sich durch das eigene Passspiel die verlorengegangene Sicherheit wiederzuholen, wobei es nach fünf Minuten schon wieder fast im Kasten von Keeper Yann Sommer gescheppert hätte, wenn Marcel Risse freistehend aus zehn Metern irgendetwas anderes gemacht hätte (z.B. ins lange Eck schieben, die mitgelaufenen Mitspieler bedienen, etc.), als das Leder in hohem Bogen gen Deutsche Sporthochschule zu dreschen.
Trotz der vergebenen Chance peitschte ein ganzes Stadion die Mannschaft trotzdem weiter an, während sich Granit Xhaka und Kevin Vogt im Mittelfeld aus lauter Hass fast an die Gurgel gehen… So etwas in der Art hätten wir nun geschrieben, wenn das Spiel wie ein normales Derby beider Vereine gelaufen wäre. War aber nicht der Fall. Situationsabhängig kam es beidseitig zu kurzen Stimmungsausbrüchen, die aber schnell wieder abebbten und in schreiender Stille versandeten. Auf dem Feld bewegte sich das Niveau des Spiels in etwa auf einer Ebene mit Risses Schuss aus der fünften Minute (also nicht so hoch wie der Schuss, sondern qualitativ so schwach wie der Schuss). Während Mönchengladbach sich weiter an einem absoluten Überfluss von nutzlosem Ballbesitz erfreuen durfte, konnten die ebenfalls nicht grandios aufspielenden rot-weißen Helden die gefährlicheren Szenen der Partie für sich verbuchen. Timo Horn war jedenfalls in etwa so stark beschäftigt wie beim Pokalspiel gegen den SV Meppen.
Noch vor der Pause kam der effzeh zu gefährlichen Szenen durch Bittencourt und Osako, während die Gladbacher von Minute zu Minute inkonsequenter und verunsicherter wurden. Als der VfL etwas besser aus der Kabine kam und der eingewechselte Milos Jojic nach drei extrem unglücklichen Ballverlusten die ersten Pfiffe einstecken musste (merke: Pfeifen geht immer!), schien das Spiel dem effzeh etwas zu entgleiten und in der Innenverteidigung kam es vermehrt zu Wacklern, als sich beispielsweise Hector und Bittencourt gegenseitig umliefen und hinfielen.
Ein Solo zu Ehren von Kaiser Franz – Unsere Einzelkritik
Bittencourt verhindert Anrufe aus Hannoi
Selbstverständlich wurschtelte Josip Drmic, der sonst momentan kein Scheunenton aus fünf Metern Abstand treffen würde, genau in dieser Phase das Ding irgendwie mit unendlich viel Dusel aus zwei Metern über die Linie, während drei Spieler im Abseits standen, Gladbach kurz vor dem Tor zwei Fouls spielte, die nicht gepfiffen wurden und dem effzeh zwei Elfmeter verweigert wurden. 0:1. Endstand… So etwas in der Art hätten wir nun geschrieben, wenn das Spiel wie ein normales Derby beider Vereine gelaufen wäre. War aber glücklicherweise nicht der Fall. Stattdessen setzte Leonardo Bittencourt just in dem Moment, in dem etliche Hannover-Fans gerade zum Handy greifen wollten, um ihren Kölner Freunden “Hab ich es dir doch gesagt, der Bittencourt kann was, setzt das aber nie um und spielt immer unglücklich” in den Sprecher zu klugscheißern, freistehend von der linken Seite zu einer butterweichen Sensationsflanke an, die auf dem so wundervollen von Anthony Modeste ihren perfekten Platz fand, wo sie allerdings nicht lange blieb, da eben jener Modeste das Ding in das für diesen Moment schönste Tor der Welt umwandelte.
Nach dem Treffer schlotterten den Spielern natürlich kollektiv die Knie und auch auf den Rängen griff die Nervosität um sich. Lucien Favre brachte Andre Hahn und Nico Schulz ins Spiel. Beide machten mächtig Dampf und der effzeh geriet trotz der wilden Anfeurungsversuchen von der Tribüne zunehmend ins Schwimmen, während sich etliche Spieler in giftigen Privatduellen Gelbe Karten abholten. Die beiden Joker drehten das Spiel durch ihre Treffer. Hahn in der 93. Minute mit einem Seitfallzieher aus 54 Metern, Schulz in der 97. Minute mit einem unberechtigten Elfmetertor… So etwas in der Art hätten wir nun geschrieben, wenn das Spiel wie ein normales Derby beider Vereine gelaufen wäre. Stattdessen senkte sich der Kopf der Gladbacher Spieler nach dem Tor kollektiv gen Grasnarbe. Auch wenn das Bemühen stets vorhanden war, sollte der Borussia die letzte halbe Stunde nicht viel mehr gelingen als drei, vier halbgare Bälle in die Mitte, die Timo Horn mit kleinkindlicher Freude ob der Einfachheit der Aufgabe leicht abfangen konnte. Wäre es nicht der große Rivale gewesen (was man angesichts des gesamten Tagesverlaufs sowieso fast vergaß), hätte man beinahe Mitleid gehabt mit der Elf vom Niederrhein, so kläglich stellten sich die Fohlen im Angriff an, auch wenn die Stögersche Defensive dieses Mal wesentlich besser stand und gut verteidigte.
Zum Schluss müssten wir eigentlich noch etwas von Platzstürmen, Peter Wynhoff, Maleranzügen, schweren Krawallen, Arie van Lent, echten Verletzten oder elend gespielten Verletzten (*hust* Marko Marin) schreiben, aber es war eben spürbar anders als so ein normales Derby. Und so gewann der 1. FC Köln erstmals seit dem Besuch von Kaiser Napoleon (September 1804) mal wieder ein Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, was beinahe genauso surreal erscheint wie die Tatsache, dass der effzeh derzeit in der Champions League Qualifikation weilt, während Gladbach ohne einen Punkt am Tabellenende verharrt. Dass es im RheinEnergie Stadion selbst bei wichtigen Spielen still ist, daran hat man sich ja anders als an Derbysiege bereits seit der letztjährigen Boykottbewegung irgendwie gewöhnt, auch wenn das Gefühl spürbar scheiße ist.
Und wie kam es jetzt zum Weltereignis Derbysieg?
- Sieht man einmal davon ab, dass die Gladbacher auch aufgrund der eigenen Verunsicherung nicht derart pressten wie es die Frankfurter Eintracht vor einer Woche tat, lässt sich generell feststellen, dass Peter Stöger die Spielweise seines Teams trotz beinahe gleichbleibenden Personals grundlegend veränderte. Während man gegen Frankfurt wie auch in den meisten Spielen zuvor in dieser Saison um die Ballkontrolle bemüht war, sah man gegen den VfL wieder viel mehr von dem Fußball der letzten Saison. Heißt: Tiefstehend die eigenen Fehler vermeiden, dem Gegner den Ballbesitz überlassen und deren Fehler erzwingen.
- Ganz wichtig: Die Defensive agierte im Bund wieder deutlich besser als noch vor einer Woche. Die Innenverteidiger standen wieder wesentlich enger beieinander und hielten ihre Abstände. Pawel Olkowski erreichte endlich mal wieder ansatzweise seine Normalform und gemeinsam mit dem wie immer taktisch disziplinierten Jonas Hector sowie einem weitaus defensiver stehenden zentralen Mittelfeld stellte man den Gladbachern im engmaschigen Verbund die Räume zu.
- Trotz allem muss festgestellt werden, dass auch der effzeh viele Fehler produzierte und lange merklich nervös wirkte. Vielleicht war noch der negative Einfluss aus dem Frankfurt-Spiel, vielleicht war es auch der mangelnde Support im ansonsten lautesten und geilsten Stadion der Republik, doch anfangs zeigte man beinahe zu viel Respekt vor den Gladbachern. Die gaben den Respekt dankenderweise zurück. Letztendlich traf Anthony Modeste dann auch noch zu einem strategisch wichtigen Zeitpunkt, was wahrscheinlich genau so geplant war.
- Mal kurz ein Wort zum Schiri, weil der ja sonst meist das Arschloch ist: Hat er schon gut und sehr abgezockt gemacht, der Dr. Felix. Irgendwie wird er sich aber wohl selbst gewundert haben, wie harmlos das Ding war. Sieht man von der obligatorischen Gelben Karte für Granit Xhaka sowie dem kleinen Infight von Brouwers und Modeste ab, war das Spiel sowohl auf dem Feld wie auch abseits des Feldes bedrohlich friedlich. Yann Sommer erkundigte sich sogar voller guter Absicht nach einem effzeh-Spieler, den er vorher unabsichtlich ausgeknockt hatte und half diesem schließlich hoch. Finden wir das alles jetzt eigentlich gut, oder nicht? Vielleicht verabschieden wir uns mit dieser Frage einfach…
Harte Fakten:
effzeh: Horn – Olkowski, Sörensen, Heintz, Hector – Risse, Vogt (46. Jojic), Lehmann, Bittencourt (77. Gerhardt) – Osako (88. Zoller), Modeste
Borussia Mönchengladbach: Sommer – Jantschke, Brouwers, Christensen, Wendt – Dahoud (76. Hrgota), Xhaka – Traoré (70. Schulz), Hazard (70. Hahn) – Raffael – Drmic
Tore: 1:0 Anthony Modeste (64.)
Gelbe Karten: Granit Xhaka (23.), Thorgan Hazard (70.), Oscar Wendt (79.)
Schiedsrichter: Felix Brych (München)
Zuschauer: 47.800