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Zum 80. Geburtstag von Karl-Heinz Thielen: Der multiple Glücksfall für den 1. FC Köln

Foto: imago images / Eduard Bopp

Eine Würdigung von Frank Steffan

Kaum zu glauben, aber wahr: Karl-Heinz Thielen wird am 2. April diesen Jahres 80 Jahre alt. Wenn man seinen Weg seit mehr als 50 Jahren verfolgt hat, ihn auch privat kennt, fragt man sich unweigerlich wo die verdammte Zeit geblieben ist. Karl-Heinz Thielen war für mich immer der gleichermaßen clevere wie smarte Manager mit dem ewig jugendlichen Charme. Bis heute, so merkwürdig das auch klingen mag. Die große Geburtstagsparty kann corona-bedingt nicht steigen. Ein Jammer, denn wenn irgendjemand aus FC-Kreisen es verdient hätte gefeiert zu werden, dann definitiv Karl-Heinz Thielen.

Wenn es darum geht festzustellen, wer für den Werdegang des 1. FC Köln am wichtigsten gewesen ist, dann kommt man selbstredend nicht an Franz Kremer vorbei. Ohne Kremer kein FC, so viel ist klar. Wenn man an zweiter Stelle Hennes Weisweiler nennt, dürfte man nicht falsch liegen. Er war als Spieler von Anfang an dabei und seine Verdienste als absoluter Ausnahmetrainer stehen fest. Wer kommt jedoch nach Kremer und Weisweiler? Hans Schäfer? Wolfgang Overath? Vielleicht. Vielleicht aber noch eher Karl-Heinz Thielen. Angesichts seiner Verdienste als Spieler, Manager und Vizepräsident des 1. FC Köln gebührt ihm ein Platz ganz, ganz oben auf dieser FC-Skala. Meines Erachtens steht er fast auf einer Stufe mit Weisweiler. Warum?

Ein echter Exot in einer richtig kölschen Truppe

1959 wurde Thielen nach einem Probespiel quasi vom Fleck weg für die erste Mannschaft verpflichtet, was angesichts der damaligen Leistungsdichte im FC-Kader einer Sensation gleich kam. Dass der vom TSV Rodenkirchen gekommene Youngster sich anschließend durchsetzen konnte und als Lizenzspieler lange Zeit nicht mehr aus dem Mannschaftsgefüge wegzudenken war, ist vor allem auch deshalb so bemerkenswert, weil Thielen – nach damaligen Maßstäben – völlig aus dem Rahmen fiel.

Foto: Edition Steffan

Der Junge sah blendend aus und hatte auch noch Abitur, obendrei studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Kölner Uni! Ein echter Exot innerhalb einer kölschen Truppe, die grundsätzlich nicht so viel davon hielt, sich in intellektuellen Höhenflügen zu üben. Thielen setzte sich dennoch durch, verschaffte sich durch seine sportlichen Leistungen Respekt und er lernte schnell dazu. Wie es in einer teilweise hartgesottenen Truppe zugeht und was man tun muss, um akzeptiert zu werden, kapierte er ruckzuck.

Die mannschaftsinterne Amtssprache Kölsch beherrschte er zwar schon vorher, aber auf dem Platz, in der Kabine, im Bus oder an der Theke des Geißbockheims ging ihm die rheinische Kommunikationsform in Fleisch und Blut über. Er gehörte vollumfänglich dazu, was ihn jedoch in keinster Weise daran hinderte, Hochdeutsch sprechend, sich noch ganz anderen Dingen zu widmen.  Thielen stand in der Mannschaft, die 1962 zum ersten Mal die Deutsche Meisterschaft gewann, er holte 1964 seine zweite Meisterschaft und stellte in dieser Saison den Fünf-Tore-Rekord in einem Spiel auf.

Titelhamster, Nationalspieler, Pionier

Ein Jahr später wurde er sogar Mannschaftskapitän der Truppe – der FC gewann 1968 sodann unter seiner Führung zum ersten Mal den DFB-Pokal. Der pfeilschnelle, trickreiche und torgefährliche Rechtsaußen schaffte es in den 60er Jahren bis in die deutsche Nationalmannschaft, absolvierte noch unter den Bundestrainern Sepp Herberger und Helmut Schön zwei Länderspiele für Deutschland. Nicht jeder hat auf dem Schirm, dass Thielen fast die Hälfte seiner Profikarriere als Verteidiger auflief und auch auf dieser Position seinen Mann stand.

Foto: Edition Steffan

So erfolgreich und bemerkenswert die Spielerkarriere des Karl-Heinz Thielen auch gelaufen sein mag, richtig außergewöhnlich wurde sein Lebensweg mit dem Ende der aktiven Laufbahn. Er wechselte am 1. Januar 1973 nahtlos vom Trainingsplatz ins neu geschaffene Managerbüro des 1. FC Köln. Nicht zum ersten Mal leitete der FC mit dieser Personalentscheidung eine tiefgreifende Innovation im deutschen Fußball ein. Erstmals übernahm ein ehemaliger Lizenzspieler die wirtschaftliche und sportliche Leitung eines Bundesligavereins.

Thielen erschien hierfür prädestiniert. Er wusste ganz genau, wie eine erfolgreiche Mannschaft intern funktioniert, er blickte auf eine höchst erfolgreiche sportliche Karriere zurück und seine eingangs beschriebenen Besonderheiten befähigten ihn zu Höherem. Thielen hatte sein Betriebswirtschaftsstudium bestens abgeschlossen, war Diplom-Kaufmann, er sprach mehrere Sprachen, neben dem beim FC obligatorischen Kölsch auch fließend Englisch sowie leidlich Französisch und Spanisch. Der Mann konnte Bilanzen lesen und wusste, wie man ein Unternehmen führt. Eine durch und durch ungewöhnliche Kombination.

Nach schweren Zeiten: Thielen gelingt Weisweiler-Coup

Ohne Thielens aufsehenerregende Pionierarbeit als Manager und Geschäftsführer des damaligen Spitzenclubs 1. FC Köln wären andere Clubs wie Bayern München in Gestalt von Uli Hoeneß – Jahre nach Thielens Managerdebüt – womöglich gar nicht gefolgt. Es ist vor allem Karl-Heinz Thielen zu verdanken, dass der 1. FC Köln die wirtschaftlich ausgesprochen kritische Phase in der Radrennbahn nicht nur überlebte, sondern sogar gestärkt überstand. Ohne sein Verhandlungsgeschick hätten mehrere Nationalspieler den FC gegebenenfalls verlassen, ohne seine Weitsicht und sportliche Kompetenz wäre der prominent besetzte Kader möglicherweise auseinandergebrochen und der FC Mitte der 70er Jahre in der Versenkung verschwunden.

Foto: Edition Steffan

Diese Zeit schadlos überstanden zu haben, ist eine grandiose Leistung und zugleich das Fundament dafür gewesen, dass der in den 50er und 60er Jahren zu ungeahnten Höhen aufgestiegene 1. FC Köln nicht brutal abstürzte, stattdessen sogar einer noch größeren Epoche entgegen schritt. Als man das Stadionprovisorium Radrennbahn 1975 verlassen und fortan im 60.000 Zuschauer fassenden, neuen Müngersdorfer Stadion auflaufen konnte, zeigte sich erst recht, wozu Thielen in der Lage war. Er verpflichtete den zum Trainergott aufgestiegenen Hennes Weisweiler und läutete damit die sportlich größte Zeit des 1. FC Köln ein.

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seiner Bedeutung und Thielens Abschied aus dem Club

Wirkliche Größe von Menschen zeigt sich vor allem dann, wenn sie willens und in der Lage sind ebenso starke Persönlichkeiten neben sich nicht nur zu dulden, sondern deren Nähe zu suchen. Im Falle von Weisweiler sollte das ein besonders delikater Fall werden. Thielen, damals nicht mal 40 Jahre alt, bekam es mit einem dominanten Welttrainer zu tun, der es gewohnt war, dass jeder nach seiner Pfeife tanzte. Da sich zudem alsbald herausstellte, dass Weisweiler an seinem Stuhl sägte, galt es für klare Verhältnisse zu sorgen. Thielen schaffte dieses Kunststück in der für ihn typischen Art. Sehr souverän, unaufgeregt, mit klaren Worten, stellte er den großen Meister zur Rede und machte ihm klar, dass es nur einen Weg gibt: sich zu arrangieren.

Doublegewinn 1978: Der 1. FC Köln auf dem Zenit seiner Bedeutung

Weisweiler wusste fortan woran er ist, mit wem er es zu tun hat und lenkte ein, was ebenso als Zeichen von Größe gewertet werden kann. Das Ergebnis ist bekannt: 1977 holte der FC den DFB-Pokal und 1978 wurde das glorreiche Double gewonnen. Der FC stand auf dem Zenit seiner Bedeutung. Es hätte durchaus noch weitergehen können, zum Beispiel indem man 1979 den Europapokal gewonnen hätte, aber das sollte nicht sein. Thielen hatte unter anderem durch seine Transfers Maßstäbe gesetzt, nicht nur durch blanke Zahlen. Zwar knackte er als erster die Millionengrenze mit der Verpflichtung des Belgiers Roger van Gool, doch seine „kleinen“ Transfers bewirkten noch wesentlich mehr. Angefangen bei Dieter Müller 1973 bis hin zu Pierre Littbarski und Bernd Schuster, die für minimale Beträge nach Köln wechselten und zu Weltstars wurden.

Foto: Edition Steffan

1981 entschied sich Thielen seine Managertätigkeit beim FC zu beenden. Er konzentrierte sich fortan darauf seine Tätigkeit als Bezirksleiter bei Nordwestlotto auszufüllen. Das Fußballbusiness erschien ihm auf Dauer zu vage, zumal man seine finanziellen Vorstellungen nicht hinreichend erfüllen konnte/wollte. Er blieb dennoch im Vorstand des 1. FC Köln, wurde Vizepräsident und Schatzmeister. In dieser Funktion erlebte er den letzten Titelgewinn 1983, als der DFB-Pokal zum vierten Mal in den Trophäenschrank des Vereinsheims gestellt wurde.

Wie unglaublich schnell gewonnene Substanz wieder verschleudert werden kann, erlebte der FC spätestens Anfang der 90er Jahre, als das Abstiegsgespenst zum ständigen Gast am Geißbockheim wurde. In höchster Not ließ sich Thielen 1992 noch einmal breitschlagen, machte den Krisenmanager und holte Morten Olsen als Trainer. Wieder bewies der Mann seine Kompetenz und wieder agierte er mit Fortune. Der FC vermied 1993 den Abstieg und Thielen stellte zum letzten Mal die Weichen auf Erfolg. Alleine seine Verpflichtung des Ausnahmestürmers Toni Polster verschob den ersten Abstieg des einstmals ruhmreichen 1. FC Köln um glatte fünf Jahre. Ohne die Tore des österreichischen Publikumslieblings wären die “Geißböcke”  bereits 1994 unweigerlich in der 2. Bundesliga gelandet.

Auf einer Stufe mit Kremer und Weisweiler

Dies alles und noch einiges mehr dokumentiert die Wirkkraft des Karl-Heinz Thielen für den 1. FC Köln. Es ist die große Breite seines Wirkens, die ihn so bedeutsam, vielleicht sogar einzigartig macht und somit auf eine Stufe mit Franz Kremer und Hennes Weisweiler stellt. Nun wird er also 80 Jahre alt und wirkt wie ein 60 Jahre alter Staatsmann. Er hat sich trotz des Alters eine gewisse Jugendlichkeit erhalten können, sein Geist ist hellwach, seine Urteilsfähigkeit ungebrochen. Thielen war stets seine eigene Marke, an deren Design er konsequent gearbeitet hat: unverwechselbar, eigensinnig und mit einem verschmitzten Humor. Er ist ein Ausnahmefall, keine Frage.

Foto: privat

Ich hatte das Vergnügen mit ihm 2018 mehrere Tage ununterbrochen zusammen zu sein. Wir fuhren nach Berlin zum 11mm-Filmfestival, wo der Film „Das Double – Eine Zeitreise mit dem 1. FC Köln“ erstmals vorgeführt wurde. Man hat sich während dieser Tage über Fußball unterhalten, ja natürlich, aber mindestens genau so viel Raum nahmen ganz andere Themen ein. Mit Karl-Heinz Thielen kann man sich tagelang über alles Mögliche fundiert unterhalten, ohne jemals den Eindruck zu bekommen, dass hier jemand nur oberflächlich informiert ist, seine Bandbreite ist nicht nur für jemanden aus dem Fußballbereich ausgesprochen bemerkenswert.

Es hat sich bei uns so ergeben, dass er mich duzt und ich ihn sieze. Ich möchte ihn auch weiterhin siezen, weil er für mich als Jugendlicher der „große Karl-Heinz Thielen“ war, der den FC einzigartig managte. Dass ich zu dieser Respektsperson überhaupt diese Nähe erreichen konnte, ehrt mich und deshalb ist das „Sie“ für mich selbstverständlich und sein „Du“ mir gegenüber eine Ehre. Und auch ich habe ihm Erfolg zu verdanken. Seine wunderbare Art über die größte Zeit des 1. FC Köln auch vor großem Publikum erzählen zu können, hat entscheidend mitbewirkt, dass das „Double“ in Berlin zur „besten internationalen Produktion“ gewählt wurde. Danke, auch auf diesem Weg noch einmal! Bis zum nächsten runden Geburtstag!

Über den Autor: Der Kölner Autor, Verleger und Filmemacher Frank Steffan gilt als einer der intimsten Kenner der ruhmreichen Geschichte des 1. FC Köln. Zuletzt veröffentlichte er in seinem Verlag “Edition Steffan” das äußerst lesenswerte Buch “Mythos Radrennbahn”, das die beeindruckende Zeit der “Geißböcke” in der provisorischen Heimat in den 70er Jahren rekapituliert. Zuvor sorgte Steffan mit seinen Dokumentationen über den Doublegewinn des 1. FC Köln 1978 sowie über das Leben der viel zu früh verstorbenen FC-Legende Heinz Flohe für Furore.

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