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Geißbockheim

Jonas Hector: Die Ausnahmeerscheinung

Sportlich ist Jonas Hector ganz oben angekommen, doch die große Bühne außerhalb des Rasens ist ihm immer noch fremd. Der effzeh-Star ist ein ganz und gar untypischer Nationalspieler.

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

Im Rampenlicht zu stehen – das ist für Jonas Hector immer noch eine ungewohnte Aufgabe. Immer wieder kippelte der effzeh-Profi auf der DFB-Pressekonferenz im EM-Quartier im französischen Evian mit seinem Stuhl, seine Antworten waren kurz und wirkten etwas hölzern. Ein wenig schien es, als sei er ein Zehntklässler, der die Mathe-Klausur in fünf Minuten nachschreiben muss und sich nicht sicher ist, ob das Gelernte ausreicht. Doch Hector absolvierte letztlich auch die Fragen durch die Journalisten wie die, die ihm auf dem Platz gestellt werden: Souverän, aber zurückhaltend.

Dass ihm der große Auftritt allerdings immer noch nicht so recht behagt, daraus macht der 26-Jährige keinen Hehl. Kein Facebook, kein Twitter, kein Instagram – schrille Töne, öffentliche Auftritte und Interviews meidet der Linksverteidiger größtenteils. Bei einer DFB-Auswahl, in der Akteure wie Thomas Müller oder Mario Götze komplett „ausvermarktet“ werden und auch in der Werbung omnipräsent sind, ist Hector eine wohltuende Ausnahmeerscheinung. „Ich habe es lieber etwas gedeckter. Mich reizt es nicht, mich als öffentliche Person zu präsentieren. Das ist irgendwie nicht meins“, sagt der Nationalspieler im „11 Freunde“-Interview.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Profi-Fußballer erst mit 20: Jonas Hector | Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Als Stammkraft beim Weltmeister etabliert

Große Taten statt großer Worte sind vom gebürtigen Saarländer zu erwarten. Denn: Im Team von Bundestrainer Joachim Löw ist er mittlerweile eine feste Größe. Kein Nationalspieler spulte 2015 mehr Einsatzminuten ab, auch in diesem Jahr setzt die DFB-Auswahl auf der linken defensiven Seite auf den Quereinsteiger, der erst mit 20 Jahren in den Profibereich wechselte und in der 2. Bundesliga von Holger Stanislawski vom Mittelfeldspieler zum Linksverteidiger umgeschult wurde. Dass Hector beim DFB-Team mittlerweile zur Stammkraft herangewachsen ist, hat den flexibel einsetzbaren Akteur nicht verändert. Dieselben Freunde, derselbe Auftritt: „Schlaubi“, wie er innerhalb der FC-Mannschaft genannt wird, bleibt sich selbst treu.

Auch auf dem Platz, wo er sich nicht für die spektakulären Aktionen verantwortlich sieht: „Ich fokussiere mich vor allem auf das, was ich kann. Ich versuche keine Überdinge zu ­machen, das habe ich noch nie gemacht. Außerdem setze ich mich mit dem Spiel auseinander, indem ich etwa bei anderen Spielern schaue, wie sie die Position angehen“, beschreibt der Wahl-Kölner seine Spielweise, die ihm sogar Vergleiche mit Thomas Müller eingebracht haben: „Ich weiß, wo ich zu stehen habe, um angespielt zu werden. Als ehemaliger Zehner habe ich das möglicherweise noch im Blut“, so der Linksverteidiger. Räume suchen, Räume sehen, Räume besetzen: Hector, so behauptet ein Analytiker der Nationalmannschaft, habe Fußball verstanden.

Hector: „Mich interessiert das Spiel an sich“

Das liegt auch daran, dass sich der 26-Jährige viel mit seinem Beruf auseinandersetzt: „Ich habe immer darauf geguckt, wie Fußball gespielt wird. Mich interessiert das Spiel an sich. Ich versuche, viel über den Kopf zu lösen. Man kann sich einige Meter sparen, wenn man richtig steht oder richtig läuft“, erklärt Hector, der aktuell neben seiner Fußball-Laufbahn noch BWL an der Rheinischen Fachhochschule in Köln studiert, seine Herangehensweise. Die ist auf der anspruchsvollen Position auf der Außenbahn auch nötig: „Man ist dort Teil der letzten Kette. Wenn man dort überspielt wird, brennt’s meistens richtig. Das ist eine größere Verantwortung. Darauf musste ich mich einstellen“, betont der Nationalspieler, der als einziger Linksverteidiger für den deutschen EM-Kader nominiert wurde.

Dabei war er zuletzt im Verein häufiger im defensiven Mittelfeld zum Einsatz gekommen. Als Karrierekiller für das DFB-Team empfand er die Versetzung nicht: „Das war noch kein Thema und ist, denke ich, kein Ausschlusskriterium für die Nationalmannschaft“, betont der Vorzeigeprofi. Man habe in der Vergangenheit gesehen, dass die Rechtsverteidigerposition beim Weltmeister ebenfalls vongelernten Sechsern gespielt wurde: „Es kann sogar ein Vorteil sein, das Spiel im Zentrum zu kennen. Man hat heute als Außenverteidiger schließlich auch Räume nach innen“, sieht Hector seine Aufgaben nicht nur defensiver Natur.

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Ihn habe die Aufgabe im Mittelfeldzentrum des 1. FC Köln auf jeden Fall nach vorne gebracht: „Es ist eine andere Situation, man hat keine Linie im Rücken. Man kann auch von hinten attackiert werden. Für mein Spiel war es schon ganz hilfreich, dass ich dort zum Einsatz gekommen bin. So konnte ich auf Bundesliga-Niveau-Räume kennenlernen, die ich in den letzten zwei Jahren zuvor weniger bespielt habe. Das hilft mir schon in der einen oder anderen Situation“, sagt der variable Nationalspieler, der auch mit dieser Herausforderung zurecht kam.

Zwei Kölner beim DFB: Lukas Podolski und Jonas Hector | Foto: Boris Streubel/Getty Images For Adidas

Zwei Kölner beim DFB: Lukas Podolski und Jonas Hector | Foto: Boris Streubel/Getty Images For Adidas

Ans Nationalspieler-Dasein gewöhnt

Zurechtkommen musste er, der 2014 die WM noch vor dem TV als Fans verfolgt hatte, bei der Nationalmannschaft zunächst auch mit den lediglich aus dem Fernsehen bekannten Gesichtern: „Anfangs war es wirklich einschüchternd, neben Jerome Boateng, Manuel Neuer oder Bastian Schweinsteiger auf dem Trainingsplatz zu stehen. Das sind Spieler, die so viel geleistet haben und Weltmeister geworden sind“, sagte Hector der „11 Freunde“. Mittlerweile sei dies anders – sogar der Status als fester Bestandteil der DFB-Auswahl macht ihm nichts mehr aus: „Es ist wie bei allen Dingen im Leben: Man gewöhnt sich an alles. Sogar daran, Nationalspieler zu sein.“

Heraushängen lässt Hector dies allerdings nicht: Keine großen Eskapaden a la Max Kruse, kein protziges Auto oder Homestorys im Boulevard. Ein ganz gar untypischer Profi – von der Laufbahn bis zum Auftreten. Der 26-Jährige, so schreibt „Spiegel Online“, könne wahrscheinlich durch jede Fußgängerzone Deutschlands außerhalb Kölns laufen, ohne dass ihn irgendwer erkennen oder gar ansprechen würde. Damit könnte der Onlineableger des bekannten Nachrichtenmagazins sogar falsch liegen: Auch in der Domstadt ist es nicht ausgeschlossen, dass Hector völlig in Ruhe durch die Gegend schlendert. Zu sehr wirkt er wie der nette Student von nebenan, zu zurückhaltend gibt er sich außerhalb des Platzes.

Auch nächstes Jahr im Einsatt für den FC? Jonas Hector | Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Auch nächstes Jahr im Einsatz für den FC? Jonas Hector | Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

„Auf die EM gucken viele Vereine“

Auch die Fans der deutschen Nationalmannschaft lernen Hector so kennen: Im Video auf der DFB-Homepage packt er einen spannenden Thriller, ein BWL-Lehrbuch, eine Saarland-Fahne und eine Figur von „Schlaubi Schlumpf“ aus einem Paket aus. Den Klischees „beflissen, bodenständig & heimatverbunden“ entspricht der effzeh-Star vor der Kamera in seiner urtypischen Art. Souverän, aber zurückhaltend. Auch hier merkt man: Der große Auftritt vor der Kamera, das wird nicht mehr sein Ding. Am liebsten erledige er einfach seinen Job auf dem Platz – die Festtagsreden überlässt er den anderen. So bleibt Hector menschlich wie sportlich eine Ausnahmeerscheinung – nicht nur, weil er der einzige Profi des besten Vereins der Welt im Kader des amtierenden Weltmeister ist.

Ob er das noch länger ist, ist aktuell noch ungeklärt. „Die Aufgabe EM wird schwer genug, daher konzentriere ich mich darauf und verschwende an etwas anderes keine Gedanken“, antwortete er dem „Express“ auf die Frage nach einem möglichen Wechsel: „Auf die EM gucken viele Scouts, viele Vereine. Das ist klar. Da muss man nicht um den heißen Brei herumreden. Trotzdem: Ich fühle mich wohl in Köln, habe einen Vertrag bis 2018, und deswegen muss ich mir keine Gedanken machen. Ich stehe nicht unter ­Zugzwang, muss mir nicht unbedingt nach der EM einen neuen Verein suchen“, erklärt der umworbene Linksfuß. Es wäre allerdings nicht ungewöhnlich, wenn der ungewöhnliche Profi namens Jonas Hector auch nach einem starken Turnier weiter beim effzeh spielen will. Eine echte Ausnahmeerscheinung eben.

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