Leev Lück,
die Bundesliga ist nach zweimonatiger Unterbrechung wieder da. Und unser 1. FC Köln damit auch. Da darf ich mit meiner Kolumne natürlich nicht zurückbleiben. Anders als der Profifußball, der aufgrund der Coronavirus-Pandemie zum Erliegen kam, gab es bei mir andere Gründe, weshalb keine weiteren Texte erschienen. Wütende Reaktionen in der Redaktion, traurige Leere bei den Lesern – oder so ähnlich. Die Auszeit war dennoch dringend notwendig. Aber man will ja nicht jammern, es könnte einem schlimmer gehen. Ich bin gesund und, was noch wichtiger ist, meine Liebsten sind es auch. Ich habe immer noch einen Job und kann sogar meinen wohlstandsgenährten Prachthintern in den eigenen vier Wänden belassen (keine KVB, kein Stau, yeah!). Und: Ich bin immer noch nicht in der FDP und heiße Christian Lindner. Nä, wat schön!
Was ist nicht alles passiert in meiner Abwesenheit: Der FC stürmt dank Gott Gisdol Richtung Europapokal und macht auf dem Platz endlich wieder Spaß. Ein extrem gut vernetzter Mäzen wird in den Stadien mit fiesem Schimpfwort verunglimpft, was beinahe eine Staatskrise in Deutschland auslöst (erinnert sich nur kaum jemand mehr dran). Und dann kam der Coronavirus, der das öffentliche Leben hierzulande inklusive Fußball nahezu komplett still legte. Die Bundesliga setzte ebenso aus wie der Amateurbereich – das Wochenende, bei mir einst komplett auf der Jagd nach dem runden Leder absolviert, war nun eine Brachlandschaft. Spätestens in der zweiten Woche die Frage: Was machen eigentlich vermeintlich normale Menschen, die sich nicht so sehr für Fußball interessieren, so zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend? Wie füllen die diese emotionale Leere ohne den 1. FC Köln?
Für ein Milliardenpublikum, für die gesamte Menschheit
Die Bundesliga-Verantwortlichen überbrückten diese ungewollte Freizeit jedenfalls häufiger mit öffentlichen Auftritten, die sie sich hätten sparen können, denn mit angestrengtem Nachdenken. Intellektuelle Leuchttürme wie Karl-Heinz „Milliardenpublikum“ Rummenigge, Hans-Joachim „Gesundheitsgefahr für Spieler nicht so gravierend“ Watzke oder Ralf „Wir spielen für die gesamte Menschheit“ Rangnick lassen ebenso grüßen wie Koryphäen wie Salomon Kalou, der mit seinem selbstgedrehten Video von den Testungen bei der Hertha die Restart-Pläne der Vereine fast im Alleingang zum Scheitern brachte, oder Heiko Herrlich, dessen Shoppinggelüste dafür sorgten, dass mancherorts die Hände vorm Gesicht zusammengeschlagen wurden. Wenn diese Geste denn in diesen Zeiten opportun wäre.
Von der vielerorts diskutierten neuen Demut, die der Profifußball doch angehen wollte, war in den alltäglichen Äußerungen der Verantwortlichen zumeist dann leider wenig zu spüren. Da wollte natürlich auch mein glorreicher 1. FC Köln nicht hintanstehen. Alexander Wehrle, der als DFL-Präsidiumsmitglied in der Diskussion um eine Fortsetzung des Bundesliga-Spielbetriebs oft genug an vorderster Front für eine Rückkehr argumentierte, postulierte dann auch, dass es nicht nur „für die Liga, aber auch für den gesamten deutschen Sport von enormer Bedeutung“ sei, dass der Ball dank des extrem ausgeklügelten Konzepts endlich wieder rolle. Nur den eigenen Spielern musste man das wohl noch einmal genauer einschärfen, wie der Fall Verstraete zeigt. Aber da das Vertrauen in die Maßnahmen nun so groß ist, darf dessen Lebensgefährtin im belgischen Exil den Fortgang der Bundesliga-Saison verfolgen. Weil das nun einmal logisch ist.
Danke 1. FC Köln – für all die verbogenen Prinzipien!
In all dieser Melange aus Großmannssucht und Existenzangst kam es mir dann auch überhaupt nicht in den Sinn, dem 1. FC Köln seine unwürdige Bettelei um einen Verzicht auf die Erstattung des anteiligen Dauerkartenpreises durchgehen zu lassen. Um es einmal bewusst populistisch und polemisch zu formulieren: Solang die Herren Profis noch einen Großteil ihres üppig bemessenen Gehaltes einstreichen, kann es um die finanzielle Lage des Vereins (oder besser: der ausgegliederten KGaA) so schlecht nicht stehen.
Ich glaube nicht, dass bei Topverdienern wie Timo Horn oder Jonas Hector am Ende Tütensuppe oder Dosenravioli auf dem Speiseplan stehen müssen, wenn sie zwei, drei Monate nur einen Bruchteil ihres Salärs erhalten würden. Ähnlich geht es mir übrigens bei den Lobeshymnen allerorten auf den minimalen Gehaltsverzicht der Profis, die damit Arbeitsplätze der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei den Verein retten würden. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die dann in Kurzarbeit geschickt wurden, obwohl sie das – zumindest bei der Payroll eines durchschnittlichen Bundesliga-Clubs – vermutlich nicht müssten, wenn die Herren Fußballer etwas großzügiger verzichten würden. Auf dem Kontoauszug würden das viele wohl eher nicht spüren!
Das Schlimme, und hier komme ich dann zum eigentlichen Punkt meiner Kolumne, ist allerdings: Ich werde mir diese verdammte Show nicht entgehen lassen. Trotz der seelenlosen Atmosphäre, die selbst ein Derby gegen die Rübenbauern zu einem besseren Trainingskick hat werden lassen. Trotz all der offen zur Schau gestellten Ignoranz, die zeigte, dass Geld das bestimmende Element ist. Trotz all dieser nervigen Nebenschauplätze, die Fußball zu großen Teilen unerträglich machen. Trotz der Tatsache, dass ich entgegen meinen Gewohnheiten nicht im Stadion sein werde, sondern auf der Couch schauen muss. Ich werde es mir anschauen. Und ich schäme mich tief in meinem verkorksten Inneren dafür. Dafür, dass ich von all diesem Quatsch nicht lassen kann. Dafür, dass ich für den 1. FC Köln all meine Prinzipien und Ideale bis zur Unkenntlichkeit verbiegen muss. Konsequenzen? Nit met mir, minge Fründ!
Fußball ohne Emotionen ist kein schöner Sport
So werde ich dann also am Sonntagnachmittag im Wohnzimmer sitzen und mir diese Gruselshow namens Geisterspiel antun. Neben mir meine Holde, die taktische Anweisungen zum Besten geben wird. Auf der linken Seite überlagern, die Außenverteidiger höher oder tiefer stellen, das Zentrum verdichten. Als hätte ich Ahnung von Fußball, ich bin FC-Fan, verdammter Mist. Die fachkundige Analyse des Geschehens auf dem Rasen überlasse ich also lieber ihr. Ich dagegen werde – wie immer, wenn der 1. FC Köln spielt – den emotionalen Neandertaler geben, der Zorn, Verachtung und Gepöbel vermischt mit euphorischen Liebesbekundungen und freudigen Ausbrüchen an Entzückung in den Raum rülpst. Meine Nachbarn (so nette und vernünftige Menschen!) dürften dann also endlich auch diese Seite an mir kennenlernen.
Ungeklärt ist allerdings, ob meine Freunde und ich unsere in den vergangenen Wochen erworbenen Erfahrungen in Sachen Videocalls („Hört ihr mich?“, „Schalt dich mal auf Mute“ und „Ist da gerade jemand halbnackt durchs Bild gestolpert?“) zur Belustigung aller Beteiligten auch während des FC-Spiels einsetzen. Selfmade-Stimmung sozusagen – statt Kommentator oder dieser sensationellen Tonspuralternative von Sky. So oder so: Es wird ein gänzlich anderer Fußball werden. Ich weiß jetzt schon, dass ich es nicht mögen werde. Fußball ohne Emotionen ist kein schöner Sport. Aber es ist und bleibt eben der 1. FC Köln. Und ich schaue es eben doch. Und in der Zwischenzeit, an den rar gesäten fußballlosen Tagen bis Ende Juni, mache ich mir so meine Gedanken. Ob das alles noch Sinn hat. Oder jemals hatte. Oder überhaupt braucht. Ach, ich weiß es doch auch nicht!
Euer Jeff Jas
In unregelmäßigen Abständen schreibt Jeff Jas an dieser Stelle über die groben Fouls und versteckten Nickligkeiten im Fußball, die Diskussionen auf dem Platz, an der Seitenlinie, in der Kabine, auf der Tribüne und an der Theke. Er fühlt sich überall zuhause, wo der Ball rollt: Vom Aschenplatz auf der Schäl Sick über das Müngersdorfer Stadion im Kölner Westen bis zu den Hochglanzarenen dieser Welt.