Nach der Schmähgesang-Strafe: Wir haben mit Sportrechtler Dr. Paul Lambertz über die aktuellen DFB-Strafen, die grundsätzliche Situation zwischen Fans, Vereinen und Verband und mögliche Wege, den Status Quo zu verändern, gesprochen.
Der Deutsche Fußball-Bund hat kürzlich sowohl gegen Borussia Dortmund als auch gegen den 1. FC Köln Strafen für “beleidigende Gesänge” ihrer Fans bei Auswärtsspielen in Hoffenheim verhängt. Der Chemnitzer FC wurde zudem mit einer Geldstrafe belegt, weil Anhänger wiederholt ein Banner mit der Aufschrifft “Scheiß Red Bull” im Stadion gezeigt hatten. Der mächtige Verband scheint seine eigenen Regeln zuletzt schärfer auszulegen als je zu vor. Wir haben mit dem auf Sportrecht spezialisierten Juristen Dr. Paul Lambertz über diese aktuellen Entwicklungen, die grundsätzliche rechtliche Situation zwischen Fans, Vereinen und Verband und mögliche Wege, den Status Quo zu verändern, gesprochen.
effzeh.com: Was halten Sie grundsätzlich davon, dass der DFB nun Schmähgesänge bestraft?
Dr. Paul Lambertz: Grundsätzlich bin ich dafür, dass auch Schmähgesänge bestraft werden sollten, denn von der Wirkung her sehe ich keinen Unterschied zwischen einem beleidigenden Plakat und einem beleidigenden Schmähgesang. Bei aller (gewünschten) Emotionalität im Fußball, muss es irgendwo eine Grenze geben, die nicht überschritten werden darf. Der Fußball ist kein rechtsfreier Raum und auch dort arbeiten „nur“ Menschen, denen Beleidigung in welcher Form auch immer vielleicht mehr zusetzen als von außen sichtbar. Allerdings sollte hier mit Augenmaß vorgegangen werden und nicht jede Beleidigung gleich mit einer Strafe belegt werden, schließlich befinden wir uns hier „auf dem Platz“.
Wird dadurch die Fragwürdigkeit der „verschuldensunabhängigen Haftung“ nicht sichtbarer als jemals zuvor? Schließlich können Vereine auf Gesänge in keinster Weise einwirken, während man bei Banner noch die Einlasskontrollen als Instrument ins Feld führen könnte.
Lambertz: In der Tat gibt es wahrscheinlich keine Möglichkeit für die Vereine zu kontrollieren, was ihre Fans singen, was es natürlich fast unmöglich macht, darauf seitens der Vereine Einfluss zu nehmen. Wird ein Verein aufgrund eines Schmähgesangs nun vom DFB zu einer Strafe verurteilt, kann ich mir schon vorstellen, dass dies für den ein oder anderen nur schwer nachvollziehbar ist. Aber genau das ist das Wesen der „verschuldensunabhängigen Haftung“: Jemand (die Fans) verstößt gegen eine Regel und ein Dritter (die Vereine) muss dafür einstehen.
Was für Folgen hat es rein rechtstheoretisch, dass der DFB Schmähgesänge gegen Spieler ignoriert, sie aber verfolgt, wenn sie sich gegen Dietmar Hopp richten? Wird so nicht eine “Lex Hopp” geschaffen, die in Zukunft praktisch jeder, der beim Spiel von Fans beleidigt wird, nutzen könnte, um Strafen gegen die Vereine zu erwirken?
Lambertz: Ob das tatsächlich so ist, weiß ich nicht. Wie bereits zuvor gesagt, ist meines Erachtens nicht jeder Schmähgesang auch direkt ein Verstoß gegen DFB-Regeln, so dass man sich wohl immer den Einzelfall anschauen muss. Allerdings liegt die Entscheidung, welche Fehlhandlungen vor, während oder nach einem Spiel sanktioniert werden, beim DFB, einen Einfluss im Sinne einer Anweisung von außen auf den DFB, bestimmte Taten zu verfolgen, gibt es daher nicht.
[toggle title=”ZUR PERSON: DR. PAUL LAMBERTZ” load=”hide”]Dr. Paul Lambertz ist Anwalt der Kanzlei Beiten Burkhardt. Neben den eher typischen Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht und Prozessführung hat er sich auf den Bereich des Sportrechts spezialisiert. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist er auch noch Schiedsrichter am Deutschen Sportschiedsgericht. Er wohnt zwar in Düsseldorf, doch sein Herz schlägt für den Effzeh. [/toggle]Grundsätzlich gilt für Vereine beim DFB die “verschuldensunabhängige Haftung”. Wie weit geht diese und worauf stützt sich dieses umstrittene Instrument?
Lambertz: Die Grundlage der verschuldensunabhängigen Haftung findet sich in § 9a der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB. Vereinfacht gesagt sind die Vereine demnach für alle mit ihnen verbundenen Dritten, wie etwa Spieler, Mitarbeiter und eben Fans verantwortlich, der jeweils gastgebende Verein ist für alles im Stadionbereich vor, während und nach dem Spiel verantwortlich.
Ist eine derartige Konstruktion sonst noch irgendwo in der Rechtsprechung existent oder denkbar?
Lambertz: Das Konstrukt der verschuldensunabhängigen Haftung ist insbesondere für den Bereich des Vereinsrechts nichts Besonderes. Jeder deutsche Verein könnte sich eine ähnliche Regelung geben. Schaut man über die Grenzen Deutschlands hinweg, findet auch noch weitere Rechtsordnungen, in denen es verschuldensunabhängige Haftungstatbestände gibt. Es ist also keine Besonderheit des Fußballs. Hintergrund dieser Ausnahmeregelung ist der grundrechtlich gewährte Schutz des Artikel 9. Der Gesetzgeber gewährt jedem Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Mit diesem Recht geht auch die Freiheit einher, vereinsinterne Regeln zu treffen, die weitreichender sein können, als die außerhalb des Vereins.
Die Vereine unterwerfen sich dieser DFB-Rechtsprechung freiwillig. Was würde denn passieren, wenn nun ein Verein sagen würde: „Schön und gut, was ihr da entscheidet. Wir zahlen aber nicht“?
Lambertz: Wenn „nicht zahlen“ bedeutet, die Entscheidung rechtlich hinterfragen zu wollen, würde erst einmal nichts passieren. Auch der DFB gewährt allen Vereinen die Möglichkeit, getroffene Entscheidung durch eine höhere Instanz entscheiden zu lassen. Wenn allerdings „nicht zahlen“ genau das bedeutet, nämlich nicht zu zahlen, dann würde sich dieser Verein rechtswidrig verhalten. Der Verein hat sich der Strafgewalt des DFB unterworfen und damit geht auch einher, dass er dessen rechtmäßigen Strafen akzeptieren und diesem Fall zahlen muss. Der Verein müsste also sehr wahrscheinlich mit weiteren Sanktionen rechnen.
Auf der nächsten Seite sprechen wir mit Dr. Paul Lambertz über sanfte und brachiale denkbare Wege, den Status Quo in Sachen Rechtssprechung zu verändern…
Könnten Vereine nicht sogar noch einen Schritt weiter gehen und ähnlich wie die Fans in Frankfurt kurzfristig mit einstweiligen Verfügungen gegen DFB-Strafen vorgehen, um so den Vorgang vor ein ordentliches Gericht zu bringen? Schließlich wird man hier ohne eigenes Verschulden wirtschaftlich geschädigt.
Lambertz: Grundsätzlich wäre ein solcher Schritt möglich. Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass die Vereine den Weg vor die ordentlichen Gerichte nicht beschreiten. Selbst wenn die Vereine jedoch vor die ordentlichen Gerichte gehen würden, wäre ein Erfolg wohl sehr unwahrscheinlich, denn der Bundesgerichtshof hat in seiner Böllerwurf-Entscheidung vor kurzem noch die verschuldensunabhängige Haftung der Vereine als rechtmäßig angesehen. Dass ein unterinstanzliches Gericht sich und dann auch noch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof stellt, halte ich für fast ausgeschlossen.
Denken wir den Gedanken mal zu Ende: Könnte ein ordentliches Gericht entscheiden, dass der DFB seine Rechts – und Verfahrensordnung überarbeiten muss, oder die Anwendung ebendieser sogar untersagen?
Lambertz: So direkt, also im Sinne einer expliziten gerichtlichen Entscheidung, ist das nicht möglich. Was aber grundsätzlich denkbar wäre, ist, dass ein ordentliches Gericht feststellt, dass bestimmte Regelungen rechtswidrig sind. Es wäre dann im Interesse des Verbandes, diese Regelungen zu ändern. Allerdings schätze ich eine solche gerichtliche Entscheidung als eher unwahrscheinlich ein, denn ich gehe davon aus, dass die Gerichte aufgrund des Schutzes von Artikel 9 des Grundgesetzes dem Verband einen großen Spielraum in der Gestaltung seiner Regeln gewähren. Mit anderen Worten, in einer Verbandsordnung müssten schon krass unwirksame Regelungen enthalten sein, die mit unserer Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen sind, bevor ein Gericht die Rechtswidrigkeit feststellt. Solche unwirksamen Regelungen kann ich in der Rechts- und Verfahrensordnung nicht erkennen.
Kostet das bald richtig Geld? | Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images
Bei einem Alleingang wäre die Konsequenz für den Verein wohl klar: Der Ausschluss aus dem Verband würde drohen. Zwar könnte auch dagegen erneut geklagt werden, der Spielbetrieb liefe aber vermutlich vorerst ohne den Verein weiter. Aus Vereinssicht wäre dieses Vorgehen also selbstmörderisch, welche Optionen bleiben den Clubs, um auf “legalem Weg” eine Reform beim DFB zu erwirken?
Lambertz: Der DFB ist ein Verein, die Mitgliederversammlung ist das oberste Organ des Vereins. Ist man als Vereinsmitglied unzufrieden mit bestimmten Vereinsregeln, sollte man sich auf die Suche nach Unterstützern machen und versuchen, im Rahmen einer Mitgliederversammlung diese Vereinsregeln zu ändern. Bei den Vereinen, von denen wir die ganze Zeit sprechen, stellt sich aber die Besonderheit, dass diese nicht Mitglieder des DFB sind. Mitglieder des DFB sind zum Beispiel die Fußballlandesverbände oder der Ligaverband. Der unzufriedene Verein müsste sich also die Hilfe bzw. die Unterstützung der Mitglieder des DFB suchen, um auf diesem Umweg eine Regeländerung herbeizuführen.
Zuletzt hat der Verband die Regeln zu Ungunsten der Vereine schärfer ausgelegt. Lohnt es sich vor diesem Hintergrund überhaupt, Energie in „sanftes Vorgehen“ zu stecken, oder ist das “Strafmanagement” – das Anerkennen von Strafen, um noch heftigere Strafen zu verhindern, dass die Vereine derzeit betreiben – der einzige Weg mit der Situation umzugehen?
Lambertz: Ich kann natürlich nicht für die Vereine sprechen, aber meine Außenbetrachtung lässt für mich die Vermutung zu, dass die Vereine weitaus weniger Probleme und Einwände gegen die Strafen haben, als manch Außenstehender. Aus der Tatsache, dass die Vereine kaum gegen die Strafen vorgehen, ziehe ich den Schluss, dass diese entweder keine Notwendigkeit oder aber keine Erfolgsaussichten sehen, sich erfolgreich gegen die Strafen zu wehren.
Zum Schluss noch ein revolutionärer Gedanke: Nehmen wir mal an, dass ein Zusammenschluss aus mehreren großen Traditionsvereinen (ähnlich wie in Finanzfragen mit dem „Team Marktwert“ geschehen) gemeinsam eine grundlegende Reform einfordern und ggf. damit drohen würde, DFB-Strafen nicht mehr anzuerkennen. Hätte der DFB dann nicht nur noch die Wahl, entweder dem Anliegen der Clubs nach zu geben, oder den Zusammenbruch der Bundesliga zu riskieren?
Lambertz: Eine interessante Frage, die schwer zu beantworten ist. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass DFB oder die Vereine ernsthaft den Zusammenbruch der Bundesliga riskieren würden. Ich denke daher, dass man sich in einem solchen Fall auf einen für beide Seiten sinnvollen Kompromiss einigen würde. Keinem der Beiden vorgenannten dürfte an einer Eskalation gelegen sein.
Das Interview führten David Schmitz und Thomas Reinscheid
[tabs] [tab title=”ZUR PERSON: DR. PAUL LAMBERTZ”]Dr. Paul Lambertz | Foto: Privat
Dr. Paul Lambertz ist Anwalt der Kanzlei Beiten Burkhardt. Neben den eher typischen Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht und Prozessführung hat er sich auf den Bereich des Sportrechts spezialisiert. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist er auch noch Schiedsrichter am Deutschen Sportschiedsgericht. Er wohnt zwar in Düsseldorf, doch sein Herz schlägt für den Effzeh. [/tab] [/tabs]