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Hoffenheim-Fan Julian Ritter: “Drang zur Emanzipation von Hopp ist schwach”

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Auswärtsspiel im Kraichgau: Vor dem Duell mit der TSG Hoffenheim sprachen wir mit Blogger Julian Ritter über die gemeinsame Europapokal-Misere beider Mannschaften, die Bedeutung von Dietmar Hopp und erreichte Saisonziele.

Julian Ritter (@bimbeshausen) ist Fan der TSG Hoffenheim und schreibt bei “SG Neureich Bimbeshausen” über seinen Verein und den Fußball generell.

effzeh.com: Die TSG ist seit vier Spielen ungeschlagen und holte aus diesen Partien insgesamt zehn Punkte – klappt es deiner Meinung nach mit der Qualifikation für die Europa League?

Julian Ritter: Am Wichtigsten ist für die Europapokalchancen der TSG gerade, dass der DFB-Pokalsieger unter den ersten Sechs abschließen wird und deshalb Platz sieben für die Qualifikation zur Qualifikation zur EL reicht. Beim Restprogramm gibt es auf dem Papier einerseits Pflichtaufgaben (Heimspiele gegen Köln, Hamburg und Hannover). Andererseits gibt es Möglichkeiten, gegen die umliegenden Mannschaften im direkten Duell Punkte zu holen (Dortmund, Frankfurt, Leipzig, Stuttgart). Ich weiß nicht, wie das ausgeht. Es wäre schön, wenn es klappt, aber nicht schlimm, wenn es nicht klappt.

Chancen und Risiken der Europapokal-Teilnahme

Nicht abzusteigen war mein Ziel vor der Saison. Das soll ausdrücklich kein Seitenhieb sein, sondern die Realität eines unerfahrenen Europapokalteilnehmers, der vor der Saison seine wichtigsten Spieler (Süle & Rudy / Modeste) abgegeben und keinen gleichwertigen Ersatz (Nordtveit & Grillitsch / Cordoba) eingestellt hat. Sollte es genau Platz sieben werden, freue ich mich sehr auf eine Reise nach Mazedonien oder Litauen, sollte es Platz acht werden, fahre ich auch gerne wieder nach Stuttgart und Berlin.

effzeh.com: Vor zwei Wochen überzeugte die TSG in einem wilden 3:3 in Mönchengladbach – für dich ein gewonnener Punkt oder zwei verlorene Punkte?

Julian Ritter: Ein gewonnener. Gladbach war besser, mich hat die TSG nicht überzeugt. Nach sechs Stunden ohne Gegentor aus dem Spiel heraus gleich drei in einer Stunde und mit einer gewissen Hühnerhäufigkeit, das hätte nicht sein müssen. Es gab Lichtblicke wie den stetig besser postierten, besser abspielenden Nico Schulz oder Florian Grillitsch, der in ein paar entscheidenden Situationen ein Quäntchen nach außen umgesetzten Willens ins Spiel gebracht hat. Das ist seit dem Abgang von Sandro Wagner nicht mehr so häufig wie früher zu sehen. Aber einen Punkt auswärts bei einer Mannschaft, die nach Finanzstärke und Selbstverständnis vor Hoffenheim stehen müsste, finde ich sehr zufriedenstellend.

Julian Ritter über die Erfahrungen in der Europa League

effzeh.com: Neben dem effzeh war auch Hoffenheim nicht allzu brillant in der Europa League unterwegs. Wie schätzt du die EL-Saison der TSG ein und was muss sich für die nächste Teilnahme verändern?

Julian Ritter: Die Ergebnisse in der Europa League waren schlecht, die Leistungen besser. Die TSG hat nicht umsonst in fünf von sechs Partien geführt, im Heimspiel gegen Braga z.B. gab es nach kicker-Zählung 8:2 Chancen, aber 1:2 Tore. Das Spielglück, das die TSG zu Anfang der Bundesligasaison hatte, mit dem sie trotz Unterlegenheit in Leverkusen nicht verloren und in Mainz ein 0:2 zum 3:2 gedreht hat, fehlte in der Europa League völlig. Dazu kamen auswärts ein paar neue Erfahrungen, die man aus der Bundesliga nicht kannte.

Die Ergebnisse in der Europa League waren schlecht, die Leistungen besser.

Nach zwanzig Minuten den Kapitän auswechseln müssen, weil Istanbul die Stollen ausgefahren hatte. Das perfekt einstudierte Zeitspiel von Spielern, Ersatzbank und Balljungen in Braga von Minute 3 bis 93. Es war für die Spieler sicherlich unangenehm, auch an derlei Kinkerlitzchen gescheitert zu sein. Als Zuschauer hat es mir trotzdem Freude gemacht. Beim nächsten Mal hätte ich im Sinne der europäischen Idee gerne alle Auswärtsspiele in Ländern, in die man als Deutscher sicher ein- und ausreisen kann. Den Rest werden Trainer und Mannschaft schon besorgen.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

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effzeh.com: Im Februar hat man sich im beschaulichen Kraichgau von Hansi Flick getrennt, der vorher als Geschäftsführer Sport installiert worden war. Von außen sah es so aus, als würde Dietmar Hopp wie immer als spiritus rector seinen Daumen über Personalentscheidungen heben oder senken, in diesem Falle eben zu Ungunsten Flicks. Wie analysierst du diese Entwicklung?

Julian Ritter: Dietmar Hopp ist der Inhaber des ganzen Ladens. Dass im Zweifel also er die Geschäftsführer ernennen oder entlassen wird, ergibt sich daraus. Ich wusste nicht recht, was Flicks Aufgabe sein würde, als er kam, und ich wüsste auch nicht, welche Aufgaben jetzt unerledigt bleiben, da er wieder weg ist. Insofern erscheint mir das Senken des Daumens besser nachvollziehbar als das Heben.

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effzeh.com: Wann und wie kann sich die TSG Hoffenheim von Dietmar Hopp emanzipieren?

Julian Ritter: Die TSG Hoffenheim gehört Dietmar Hopp. Die GmbH auf dem Papier, zu 96%. Die frühere Kreisligamannschaft, die heute in der ersten Liga spielt, auch abseits des Papiers. Der Weg der TSG mit Hopp ist, das lässt sich nach fast 30 Jahren sagen, nicht derselbe, der von Kühne oder Ismaik derzeit von oben nach unten beschritten wird, sondern die Gegenrichtung. Es sind dabei insbesondere für die Nachwuchsförderung Gebäude und Strukturen entstanden, die auf Langfristigkeit und Selbstversorgung angelegt sind. Der Drang zur Emanzipation ist schwach.

“50+1 erscheint mir nicht so wichtig”

effzeh.com: Vor kurzem wurde in Frankfurt entschieden, dass man an dem Bestehen der 50+1-Regelung nicht rütteln möchte. Wie wurde diese Diskussion in Hoffenheim wahrgenommen? Wie stehst du persönlich dazu?

Julian Ritter: Ich kann nur für mich sprechen. Der DFB und die DFL, also die Vereine selbst, haben trotz jahrelanger Vorlaufzeit keine Regelung schaffen wollen oder können, die das Musterbeispiel RBL (Neugründung als Werbeträger, Kontrolle durch ein Unternehmen) von ihrem Profifußball ausschließt. Erhebliche Anteile an Dortmund und Bayern gehören Sportartikelherstellern, Hertha ist so hip, dass eine US-Investmentfirma eingestiegen ist, Wolfsburg und Leverkusen gehören DAX-Konzernen, Hoffenheim einer Einzelperson. Wer eigentlich hinter der Eintracht Frankfurt Fußball AG oder der FC Augsburg 1907 GmbH & Co KGaA steht, interessiert ja schon fast keinen mehr.

Die Möglichkeiten, über Ausnahmen von der Regel oder recht simple Umwegen von außen Einfluss auf eine Bundesligamannschaft zu nehmen, sind so vielfältig. Da scheint mir die Regel nicht so wichtig.

In Hamburg oder Stuttgart haben sich die Vereinsmitglieder entschieden, den e.V. gegen Geld zurückzufahren und sind in den Konsequenzen unterschiedlich weit fortgeschritten. Bei Bremen und Schalke regiert auf dem Papier nur der e.V. und trotzdem hat Bremen zu seinen chinesischen Sponsoren einen chinesischen Spieler im Team, der nie spielt und Schalkes Diplomaten hätten bei Putin eine Arena eingeweiht, wenn sie rechtzeitig fertig geworden wäre. Die Möglichkeiten, über Ausnahmen von der Regel oder recht simple Umwegen von außen Einfluss auf eine Bundesligamannschaft zu nehmen, sind so vielfältig. Da scheint mir die Regel nicht so wichtig.

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Über die Chancen des effzeh auf den Klassenerhalt

effzeh.com: Momentan wird auch viel über die Zukunft von TSG-Trainer Nagelsmann gesprochen. Was ist deiner Meinung nach das wahrscheinlichste Szenario?

Julian Ritter: Dass zwischen allen Schlagzeilen der Stoßrichtung »Die TSG ist unter Nagelsmann so gut geworden« und »Die TSG ist unter Nagelsmann so schlecht geworden« die TSG und Nagelsmann im Moment gut zusammenarbeiten und das auch in der kommenden Saison tun werden.

effzeh.com: Kurz ein paar Worte zur Lage in Köln: nach einer desaströsen Hinrunde ist der effzeh mittlerweile wieder einigermaßen stabil unterwegs. Reicht es für den Klassenerhalt?

Julian Ritter: Nein. Es ist noch gut möglich, Wolfsburg oder Mainz einzuholen und die Saison auf dem Relegationsplatz abzuschließen. Es ist auch gut möglich, danach in Hin- und Rückspiel einen Zweitligisten zu bezwingen. Aber dass nicht nur das eine, sondern auch noch das andere eintrifft, ist unwahrscheinlich.

effzeh.com: Was für ein Spiel werden wir am Samstag in Hoffenheim sehen?

Julian Ritter: Das weiß ich nicht. Ein gutes, ein schönes, hoffe ich. Wenn Fußball nur gespielt wird, um irgendwie zu gewinnen, kann man es gleich bleiben lassen.

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