effzeh.com: Auch das Interesse an den Spielen lässt in der Hauptstadt deutlich zu wünschen übrig. Warum ist die Europapokal-Teilnahme – im Gegensatz zu den total euphorisierten Köl-nern – bei der Hertha offensichtlich kein Grund zu großem Jubeln?
Jan: Hertha hat historisch bedingt einen eher schlechten Ruf, auf die erfolgreichen Jahre in den Siebzigern folgte der Bundesligaskandal, der zweite Zwangsabstieg, triste Achtziger mit dem Tiefpunkt in der Amateur-Oberliga mit der gespenstischen Kulisse von 2.000 Zuschauern im Poststadion, die Neunziger waren bis zum Aufstieg unter Röber (und mit Axel Kruse als Kapitän) auch eher trist. Im neuen Jahrtausend lief es dann gut, sogar die Champions League war mal drin. Dann kamen die Fahrstuhljahre. Die letzte internationale Saison war 2008/2009, damals kamen auch nicht viel mehr Leute. Und der effzeh wartete ja schon seit 25 Jahren, das ist sicher auch ein Faktor. Allein das letzte Saisonspiel, Heimspiel gegen Leverkusen, die Gelegenheit, die Europa League klarzumachen, ging mit 2:6 verloren und Hertha zitterte sich in die direkte Quali.
Ich selbst bin mit der medialen Strategie eher nicht zufrieden, ist mir oft alles ein bisschen zu sehr auf dicke Hose. Und wenn man ‘ne große Fresse hat und sich dann wie neulich von Schalke so verhauen lässt, ist das halt schon eher suboptimal.
effzeh.com: Insgesamt wirkt Euer Klub von außen betrachtet auf der Suche nach einer Hauptrolle in Berlin. Wo siehst du die Hertha auf diesem Weg?
Jan: Ich könnte jetzt die ganzen Gründe aufzählen, warum Hertha so wenig Fans zieht. Die unbeständige Geschichte habe ich ja oben angerissen. Hertha hängt halt immer noch das Image eines Chaosclubs an, der in den Achtzigern auch ordentlich rechte Fans hatte. Es fehlt die Konstanz, so dass einfach ganze Generationen von Fans fehlen. Herthas neue Strategie unter Mithilfe der Agentur Jung von Matt/Sports wird auch von vielen Fans kritisch gesehen, letztes Jahr ging es um den englischen Slogan “We try, we fail, we win”, der beim Stammpublikum für einen Aufschrei sorgte. Banner wie “Hertha lass das Hipstern sein” waren in der Ostkurve zu sehen. Zudem der Streit zwischen Ultras und Verein um das pinke Ausweichtrikot, der vielleicht zeigt, was wir für Luxusprobleme hatten. Ich selbst bin mit der medialen Strategie eher nicht zufrieden, ist mir oft alles ein bisschen zu sehr auf dicke Hose. Und wenn man ‘ne große Fresse hat und sich dann wie neulich von Schalke so verhauen lässt, ist das halt schon eher suboptimal. Dann ist die frühere Teilung der Stadt nicht zu unterschätzen. Die Zugezogenen bringen meist ihren Herzensverein mit und die Verbreitung in der Region hat durch die Mauer nicht stattgefunden. Union hat auch großen Zulauf, ist einfach sexier als wir.
effzeh.com: Auch ihr schlagt Euch mit Neubauplänen herum – allerdings will sich die Hertha im Ver-gleich zum effzeh eher gesundschrumpfen. Wie stehst du zu dem Vorhaben deines Klubs?
Jan: Das Olympiastadion ist natürlich ein imposanter Bau, aber die 76.000 Plätze würde in der Bundesliga vom Zuschauerschnitt her momentan nur der BVB dauerhaft ausverkaufen. Zudem hat sich Hertha erst durch den Einstieg von Investor KKR (Private Equity-Gesellschaft aus New York) überhaupt erst eine Entschuldung stattgefunden und Rechte an der Vermarktung zurückgekauft werden, die Hertha in den mageren Jahren verkaufen hatte müssen. Dem Neubau stehe ich eigentlich positiv gegenüber. Wichtig wäre es, und da unterscheiden sich unsere Vereine nicht, ein eigenes Stadion zu haben, um keine Miete mehr zahlen zu müssen und die Einnah-men daraus in die Mannschaft und den Verein stecken zu können. Eine Verkleinerung wäre sicher eine gute Idee. Eine Lösung auf dem Olympiagelände wäre wünschenswert, der Standort des alten Stammstadions “Plumpe” an der Grenze des Wedding ist leider nicht mehr frei, da stehen jetzt Häuser. Mit der Reaktion der Fans auf das Druckmittel des Vereins gegenüber der Stadt Berlin, im Zweifelsfall in Ludwigsfelde südlich außerhalb der Stadtgrenzen zu bauen, bin ich nicht zufrieden. Es gab große Proteste und so wurde Herthas Verhandlungsposition geschwächt. Die Stadt möchte natürlich Hertha als Anker-mieter im Olympiastadion halten, da es sonst bis auf wenige Konzerte und das ISTAF leerstehen würde. Einen Umbau des Olympiastadions, wie zuletzt vorgestellt, fände ich falsch. Erstens bessert sich dann nichts an der Einnahmesituation, Hertha wäre weiter Mieter und zweitens sehe ich das nicht als praktikabel an. Da wurde bereits beim Umbau für die WM 2006 Hertha nicht genug Zugeständnisse gemacht. Das lässt sich jetzt auch nicht mehr ändern.
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effzeh.com: Kommen wir wieder zum Sportlichen: Unter Pál Dárdai präsentiert ihr Euch sehr stabil, als richtig unangenehm zu bespielender Gegner, der allerdings spielerisch nicht die große Highlights setzt. Ist das die Identität der Hertha, die aktuell im Vordergrund steht?
Jan: Der Fußball unter Dárdai, der ja in einer Krisensituation übernahm, hat sich langsam entwickelt. Klar ist das kein Sahnefußball, der den neutralen Zuschauer mit der Zunge schnalzen lässt, ich sehe aber in jeder Saison kleine Verbesserungen. Durch die Neuverpflichtungen Davie Selke und Valentino Lazaro wird das Spiel langsam besser. Dárdai wird nie total foetball spielen lassen, aber es wird zunehmend weniger hinten rum gespielt.
Der Fußball unter Dárdai, der ja in einer Krisensituation übernahm, hat sich langsam entwickelt. Klar ist das kein Sahnefußball, der den neutralen Zuschauer mit der Zunge schnalzen lässt, ich sehe aber in jeder Saison kleine Verbesserungen. Dárdai wird nie total foetball spielen lassen, aber es wird zunehmend weniger hinten rum gespielt.
effzeh.com: Vor der Saison gab es die mittlerweile in der Bundesliga fast schon übliche Fluktuation im Kader. Bist du mit den Transferaktivitäten der Hertha zufrieden oder hättest du dir mehr gewünscht?
Jan: Ich bin ziemlich zufrieden. Der Abgang von John Anthony Brooks nach Wolfsburg (17 Mio. Euro) hat die Zugänge gegenfinanziert. Ansonsten sind eher Spieler gegangen, die in der Planung Dárdais keine Rolle mehr gespielt haben. Rekik, der niederländische Innenverteidiger, der für gerade mal 2,5 Mio. Euro von Olympique Marseille kam, hat sofort eingeschlagen und Brooks sofort vergessen gemacht. Mathew Leckie hat gleich im ersten Spiel doppelt getroffen und hat jetzt schon mehr Treffer als in seiner gesamten Zeit bei Ingolstadt erzielt. Die Verpflichtung von Jonathan Klinsmann kommt mir immer noch wie eine PR-Nummer vor. Außerdem wurden Spieler aus der Akademie mit Profiverträgen ausgestattet, unter anderem der Trainersohn. Arne Maier wird als großes Talent gehandelt und hat im letzten Spiel in Freiburg gute Ansätze gezeigt. Zudem konnte Hertha Davie Selke von Raba verpflichten und Valentino Lazaro aus Salzburg. Beide sind sehr interessant und haben nach überstandenen Verletzungen schon ihr Ta-lent aufblitzen lassen. Die Tatsache, dass ein Spieler wie Davie Selke für Hertha zu haben ist, beweist den guten Weg, auf dem Hertha sich befindet. Der Königstransfer des Vorjahres, Ondrej Duda, der letzte Saison fast komplett ausfiel, ist auch als Neuzugang zu betrachten. Man sollte aber nicht vergessen, dass Hertha gerade einen Umbruch durchmacht. Ibišević und Kalou, die uns in den letzten Jahren getragen haben, sind beide über 30 und langsam körperlich auf dem absteigenden Ast.
effzeh.com: Bei uns geht es derweil drunter und drüber, Jörg Schmadtke hat sich Anfang der Woche aus dem Staub gemacht. Könnte sich das für die Hertha als Vorteil erweisen?
Jan: Traditionell kriegt Hertha ziemlich oft den “Trainereffekt” ab. Ob es jetzt einen “Managereffekt” gibt, bleibt abzuwarten. effzeh-Präsident Werner Spinner hat ja erklärt, dass Schmadtke einen “Impuls setzen wollte”. Ich denke eher nicht, dass sich das als Vorteil erweisen sollte. Wenn der Impuls allerdings kommt, kann es ungemütlich werden. Und dann kann es bei Hertha auch sehr schnell sehr heiß werden. Die Medien scharren mit den Hufen.
effzeh.com: Wie bewertest du von außen den beinahe grotesken effzeh-Absturz? Unerklärlich oder folgerichtig?
Jan: Das ist eine gute Frage, über die sich alle effzeh-Fans (und sicher auch die Presselandschaft in den nächsten Tagen und Wochen) den Kopf zerbrechen (oder im Falle der Presse eher das Maul zerreißen) werden. Ich möchte mir da aus der Ferne kein Urteil erlauben. Vor der Saison sah es in meiner begrenzten Außensicht gar nicht schlecht aus und die Mannschaft spielt ja nicht nur schlecht, es hapert vor allem an der Chancenverwertung. Ich hoffe, dass der Verein und das Umfeld trotz des Schmadtke-Schocks ruhig bleiben. Irgendwann platzt der Knoten. Wäre für uns natürlich wünschenswert, wenn das erst ab Donnerstag der Fall ist.
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effzeh.com: Zum Abschluss: Wer muss am Mittwoch seine Träume vom Pokalfinale vorzeitig begraben? Dein Tipp, bitte!
Jan: Im Pokal geht ja kein Unentschieden. Ich hoffe natürlich auf einen Heimsieg, kann mir aber auch sehr gut vorstellen, dass Hertha mal wieder den Aufbaugegner für strauchelnde Teams gibt. 2:1-Heimsieg!