Nach 28 Minuten gegen den FC Ingolstadt begann im Müngersdorfer Stadion das große Konzert: Das perfekte Zuspiel von Yuya Osako verarbeitete Anthony Modeste perfekt und schloss zur verdienten Führung für den 1. FC Köln ab. So besonders schön der Treffer, so besonders kreativ der Torjubel: An der effzeh-Bank traf der Torschütze auf seine Kollegen Marco Höger, Konstantin Rausch, Simon Zoller und Leonardo Bittencourt. In bester Tradition der WDR-Big-Band spielten sie Klavier, Schlagzeug, Trompete und Geige. Ein Jubel, angelehnt an eine Redewendung („die Geige spielen“ für “Zeit mit der Freundin/Frau verbringen”) innerhalb der Mannschaft, die zuletzt durch einen Instagram-Post von Bittencourt und der folgenden Neckerei der anderen effzeh-Stars öffentlich wurde. Ein Jubel, der auch zeigt, dass es innerhalb der Mannschaft stimmt.
„Die Stimmung in der Mannschaft, aber auch insgesamt in diesem Klub, ist schon außergewöhnlich. Alle ziehen hier an einem Strang“, bestätigt Neuzugang Rausch dem „Express“ den Eindruck. Zuletzt nahmen die effzeh-Profis zwischen zwei Trainingseinheiten beim Italiener gemeinsam das Mittagessen ein. Höger hatte angesichts seinem 27. Geburtstag dazu eingeladen. Wer sich in dieser Mannschaft nicht wohl fühlt, so schloss Erfolgscoach Peter Stöger, der müsse selbst etwas falsch machen. Teamgeist als echter Erfolgsfaktor – in Köln scheint das zu stimmen. Als Beweis für die tolle Stimmung im Team dient auch ein Eindruck während des Auswärtssiegs auf Schalke: Der verletzt fehlende Leonardo Bittencourt postete ein Bild von seiner Couch – mit ihm verfolgten die ebenfalls lädierten Dominic Maroh, Artjoms Rudnevs und Thomas Kessler sowie Reha-Trainer Marcel Abanoz die Auswärtspartie. Wann hat es zuletzt einen solchen Zusammenhalt in einem Kölner Team gegeben?
Den nächsten Schritt gegangen
Das dürfte im Sommer auch eine große Rolle bei der Aufgabe gespielt haben, die starken Einzelkönner zu halten. Welche Qualität der FC dank Timo Horn, Jonas Hector und Anthony Modeste in seinen Reihen weiß, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Horn wird in der Bundesliga bereits als zweitbester Keeper hinter Manuel Neuer gehandelt, EM-Held Hector ist auf links wie im defensiven Mittelfeld eine Bank – und Modeste knüpft dort an, wo er in der vergangenen Saison aufgehört hat. [perfectpullquote align=”left” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Welche Qualität der FC dank Timo Horn, Jonas Hector und Anthony Modeste in seinen Reihen weiß, ist nicht hoch genug einzuschätzen.[/perfectpullquote]
Das Trio ist aber auch ein Beispiel für den Reifeprozess, den das Kölner Team durchgemacht hat. Die Mannschaft ist abermals den nächsten Schritt gegangen. „Die Spieler haben mehr Bundesliga-Erfahrung, sind routinierter, abgebrühter. Sie können auch mit Rückschlägen, selbst mit ersten Halbzeiten wie in München, besser umgehen“, betont Stöger.
Dazu kommt: Der Kader ist sportlich deutlich besser geworden. Neben den überzeugenden Neuzugängen wie Marco Höger und Konstantin Rausch spielt sich auch ein Youngster wie Salih Özcan in den Vordergrund, der 18-Jährige beeindruckt mit selbstbewussten Auftritten auf Schalke und in München. „Wir schicken ihn beim Stand von 0:1 gegen die Bayern nicht rein, weil wir zeigen wollen, dass wir einen jungen Spieler unter Vertrag haben“, erklärt Stöger lächelnd. Ein Fingerzeig an die gesamte Mannschaft – jeder bekommt seine Möglichkeit, wenn er sich entsprechend anbietet. Doch wie beim Umgang mit den ganz jungen Spieler weiß der FC-Coach auch bei der Erwartungshaltung dämpfend einzugreifen. „Wir müssen vorsichtig sein“, sagt er und ordnet die Situation in der Liga ein: „Wir wissen, dass wir ein außergewöhnliches Jahr brauchen, um ein Stück weiter nach oben rücken zu können. Aber da müssen auch andere Mannschaften ihr Potenzial nicht abrufen.“
Ein außergewöhnliches Jahr ist es noch nicht, ein außergewöhnlicher Start aber sehr wohl, denn der effzeh steht sportlich so gut da wie lange nicht mehr: Nach sieben Spielen stehen satte 15 Zähler zu Buche, die Mannschaft ist in der noch jungen Saison weiterhin ungeschlagen. Eine solche Bilanz gab es zuvor nur in der Premierenspielzeit der Bundesliga. Das Endergebnis der Saison 1963/64 ist hinlänglich bekannt. „Mit so einem Punkteschnitt hat man vor der Saison nicht rechnen können“, sagte effzeh-Coach Peter Stöger bereits nach dem überraschenden Remis bei den Bayern und fügte an: „Wir haben aber auch gesagt, dass der aktuelle Kader der Beste ist, seit ich hier bin. Vor dieser Aussage verstecke ich mich nicht.“
Auf Augenhöhe mit der Konkurrenz
So stark wie lange nicht mehr – eine bessere Beschreibung des Ist-Zustands rund um das Geißbockheim ist wohl momentan nicht verfügbar. Der „schlafende Riese“, wie der FC hinreichend oft beschrieben wurde, scheint wieder wach zu sein – nach zwanzig Jahren des komatösen Dämmerschlafs inklusive obskurer Methoden des Weckens. Vermeintlich charismatische Wunderheiler wie Overath, Daum oder Podolski vermochten es ebenso wenig wie blasse Handwerker à la Funkel, Rettig oder Meier. Erst solide Fachmänner wie Peter Stöger, Jörg Schmadtke und Werner Spinner, die wissen, was sie können und was nicht, haben den Weg in einen neuen Morgen in Köln freigemacht. Neben dem Rasen ticken die Verantwortlichen ähnlich, arbeiten – für Köln nahezu ungewohnt – seriös und zuverlässig zusammen.[perfectpullquote align=”right” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Neben dem Rasen ticken die Verantwortlichen ähnlich, arbeiten – für Köln nahezu ungewohnt – seriös und zuverlässig zusammen.[/perfectpullquote]
Das schlägt sich auch auf die Leistungen auf dem Platz nieder: Das Team zeigt sich als bestens eingestellte und eingespielte Einheit, die sich auch von Rückschlägen nicht aus dem Konzept bringen lässt. Eine schwache erste Hälfte in München inklusive hochverdientem Rückstand? Kein Problem, jetzt erst recht! Ein unnötiger Gegentreffer auf Schalke? Kontern wir direkt mit einem eigenen Tor! Ein frühes 0:1 gegen Leipzig und Schwierigkeiten mit dem aggressiven Gegner? Macht uns nicht, beißen wir uns halt in die Partie! Die FC-Spieler, die den Geißbock auf der Brust tragen dürfen, scheinen tatsächlich davon überzeugt zu sein, was sie auf dem Platz veranstalten. Und sich auch nicht beirren lassen, wenn an dem Tag Plan A nicht aufgeht. Dann wird in der Schublade gekramt – und die nächste Variante herausgeholt.
„Wir haben uns zwei, drei Spielideen angeeignet, bei denen man im Zweifel vom System, von der Aufteilung her noch rotieren könnte. Wir haben Alternativen, das ist ein großes Plus“, weiß Stöger, dessen Fähigkeiten als „In-Game-Coach“, also jemand, der im Spiel umzustellen vermag, nicht hoch genug eingeschätzt werden dürfen, um die Flexibilität seines Teams. Ob Dreier-, Vierer- oder Fünferkette: Der neue FC scheint taktisch nicht nur auf Augenhöhe mit den Größen der Branche, sondern ihnen richtig Probleme bereiten zu können. Einen einfachen Abend bescheren die Stöger-Schützlinge tatsächlich niemandem mehr. „Wir haben uns in den vergangenen Monaten ein gewisses Maß an Respekt in der Liga erarbeitet. Das ist ein Zeichen, dass wir ganz gut unterwegs sind“, konstatiert der Österreicher.
“Hier gibt es keinen Egoisten”
Dass das Team ganz gut unterwegs ist, beweist aber nicht nur ein Blick auf die Tabelle. Das beweist auch die Stimmung, die intern herrscht. Wie wichtig ein geschlossenes Kollektiv für den Mannschaftserfolg ist, zeigt allein die Tatsache, dass bei Neuverpflichtungen auch viel Wert auf den Charakter gelegt wird. „Ein Punkt, der uns wichtig war, betrifft den Charakter. Alle haben in den Gesprächen einen positiven Eindruck hinterlassen“, erklärte Stöger bereits im Sommer. Eine Einschätzung, die auch Jörg Schmadtke teilt. „Wir profitieren von gefestigten Mannschaftsstrukturen“, betonte der Sportgeschäftsführer nach dem 1:1 in München.
In Köln kann man ein Liedchen davon singen, dass auch andere Zustände innerhalb einer Mannschaft möglich sind. Früher, das erklärte effzeh-Urgestein Thomas Kessler in der „Süddeutschen Zeitung“, sei es oft so gewesen, dass bei der Frage nach einem gemeinsamen Abendessen zehn Leute wegsahen – “heute fragen acht, wo es hingeht”. Ein Zusammenhalt, der sich auch sportlich niederschlägt: „Hier gibt es keinen Egoisten, der keinen Bock mehr hat, wenn er nicht spielt“, betont Kapitän Matthias Lehmann angesichts Härtefällen wie Milos Jojic oder Filip Mladenovic. Die Gleichung scheint so simpel: Guter Charakter + gute Laune = Gute Leistung.