Die Auseinandersetzung um ZDF-Reporterin Claudia Neumann entwickelt sich zur Posse mit Fremdschampotential auf allen Seiten.
Dass der Fußball „die letzte Bastion der Heteros“ (Alex Feuerherdt) bildet, ist keine weltbewegende Neuigkeit, sondern ein alltägliches Ärgernis, mit dem man beim Fußballkonsum ständig unfreiwillig konfrontiert wird. Wo den braven, deutschen Männern im Alltag der ein oder andere sexistische Kommentar aufgrund einer von ihnen als belästigend empfundenen sogenannten „political correctness“ noch gelegentlich mit einer (verbalen) Backpfeife quittiert wird, können sie beim Fußball ganz sie selbst sein. Hier kann der gelegentlich verkniffene Frauenfeind seinen Neigungen verbal freien Lauf lassen und Frauen als die unterprivilegierten Wesen bezeichnen, die sie für ihn schon immer waren. Und wehe auch nur irgendeinem dreist daherkommenden Weibsbild, das es wagt, diese maskuline Idylle zu stören.
Der Sport stellt für derlei Gedankengut ein gesellschaftliches Ventil dar. Während die CDU Gesetze mitbeschließt, die eine Quote für Frauen in Aufsichtsräten festlegen, scherte sich das Sportfernsehen bislang einen Dreck um derartige Bestrebungen. Schließlich will man dem Deutschen nicht das zweitheiligste nach dem eigenen absolut reinen Gewissen nehmen, nämlich die vertraute, von Männern kommentierte Sportübertragung. Nirgends sonst kann die sonst abgestumpfte Phrase von „verkrusteten Strukturen“ noch so greifen wie im Sportjournalismus. Denn was die Fernsehfiffis beherrschen, perfektionieren die Schreiberlinge. Oder kennt irgendjemand eine schreibende Sportjournalistin, vorzugsweise im Bereich Fußball? Vielleicht noch Birgit Schönau. Sonst? Im Printbereich? Haha, guter Witz.
Männliche Macht
Dass das ZDF nun nach mehr als siebzig Jahren Gebührenfinanzierung, also rund fünfunddreißig allein durch Frauen, nun die Revolution beschloss und mit Claudia Neumann zum ersten Mal eine Kommentatorin bei einem Großturnier auf die wilde Männermeute los ließ, ist zwar ein positives Signal. Vielleicht hätte man aber sowohl der Fußballgemeinschaft, als auch Neumann selbst einen Gefallen getan, sie nicht prophetisch als Jungfrau von Evian zu präsentieren, oder aber, wie es die Stuttgarter Zeitung formulierte, als „Die Frau, die sich traut.“ So funktioniert Schuldumkehr: Am Ende ist die Frau selbst am erwartungsgemäßen Dummschwall schuld, weil sie sich schließlich getraut hat. Denn die (natürlich von Männern vorgetragene) salbungsvolle Ankündigung, etwas für Gleichberechtigung tun zu wollen, mündete in Reaktionen, die so vorhersehbar gewesen sind, dass man den zuständigen Funktionären entweder Berechnung auf Neumanns Kosten oder aber blanke Dummheit vorwerfen muss.
Weshalb Frauen per se weniger für diesen Job geeignet sind, formuliert WDR-Sportchef Steffen Simon in der Stuttgarter Zeitung so: „Fußballkommentator ist ein wunderbarer Beruf, aber man muss emotional an bestimmten Stellen abgestumpft sein. Es gibt nicht viele Frauen, die sich einem solchen Feuer auch wirklich aussetzen wollen.“ Eine gewisse Rolle spiele auch die Stimme, denn „wenn es im Stadion laut wird, geraten weibliche Stimmen leicht in Bereiche, die akustisch unangenehm werden.“ Emotional also nicht abgestumpft genug, zu weich im Nehmen und obendrein akustisch unangenehm. Wer will es Frauen verdenken, unter so jemandem nicht arbeiten zu wollen?
Dass Männer hingegen emotional grundsätzlich abgestumpfter und akustisch unangenehmer sind, wird einem im Fußball regelmäßig vor Augen und Ohren geführt, Simon ist mit seinen Reportagen ja das perfekte Beispiel dafür. Und in der Opferrolle verhält es zudem sich ganz besonders toll: „Wer sich auf diese Bühne begibt, ob als Kommentator oder Moderator, muss mit Gegenwind rechnen. Ob man auch mit Attacken unter die Gürtellinie klarkommt, ist jedoch weniger eine Frage des Geschlechts, sondern der Persönlichkeit.“ Da spricht ein ganzer Mann, der sich dem Fegefeuer des Fußballs regelmäßig todesmutig entgegenwirft. Und wussten Sie schon, dass schon immer die Persönlichkeit für die Eignung entscheidend war, aber „weniger“ das Geschlecht? Also ein bisschen Geschlecht, aber nicht zu viel? Dann ist’s also die weibliche Persönlichkeit, die für ausbleibende Bewerbungen für Kommentatorenposten kausal verantwortlich zeichnet. Problem erkannt, Problem gelöst, Frau entblößt.
Das untere Niveau war schon immer da
Zwei Aspekte gehen im auf jeder Seite empörten Getöse unter: da ist zum einen die Zurschaustellung und Stärkung der männlichen Machtpositionen. Frauen steigen im Sportjournalismus dann auf, wenn Männer es zulassen. Und gleichzeitig bilden sie pflichtgemäß die moralische Schutzmacht, die sich vor die arme, attackierte, geradezu hilflose einsame Frau in den dunklen Weiten des Internets postiert. ZDF-Sportchef Gruschwitz verkündete bereits stolz, dass Neumann gerade wirklich „ihren Mann“ stehe. All jene Vorgänge bilden eine hilflose Inszenierung männlicher Machtdemonstration auf einem Feld, das ihnen immer noch gehört. Kommentiert Neumann künftig erneut bei fußballerischen Großturnieren die laufenden Kicks, stellt sich die öffentlich-männliche Entourage stolz vor die Presse und verkündet, dass man sich nicht gesellschaftlichem Sexismus geschlagen geben wolle. Lässt man Neumann künftig außen vor, sind die betroffenen Männermienen, die staatsmännisch vortragen, dass diese Umstände für Neumann unzumutbar seien, schon vorhersehbar.
Zweitens geht völlig unter, dass Neumann fachlich eine völlige Fehlbesetzung ist (was mit ihrem Geschlecht so viel zu tun hat wie Wolfgang Overath mit seriöser Vereinsführung). Sie reiht sich mit ihrer Inkompetenz brillant in die kaum erträgliche Riege der sonstigen Fußballkommentatoren des allgemeinfinanzierten Rundfunks ein. Ein neuer Tiefpunkt wurde durch Neumann somit nicht erreicht. Steffen Simon, Tom Bartels oder Bela Rethy landen auf ihm während jeder Übertragung mehrere Bruchlandungen – und das seit Jahren. Da bildet Neumann keine Ausnahme.
Was für Neumann jedoch aufgrund der Attacken persönliche Zumutungen darstellt, gibt den Sendern wiederum die Gelegenheit, im Zuge aller abfälligen Bemerkungen erneut der Debatte um ihre Angestellten auszuweichen. So geißelt etwa Gruschwitz die sexistischen Ausfälle als „asoziale Kritik.“ Was es mit Kritik zu tun hat, zwischen den Aussagen einer Person und ihrem Geschlecht Kausalitäten herzustellen, weiß wohl nur Gruschwitz. Längst wäre aber eine Neubesetzung der meisten Fernsehkommentatorstellen überfällig, längst hätte Steffen Simon sein „Schnauze, Simon!“ einfach mal wörtlich nehmen und seinen Stuhl räumen sollen, längst müsste der mediale Popanz um Sportveranstaltungen auf ein erträgliches Maß zurückgefahren werden.
Die Inkompetenz und Unerträglichkeit des öffentlichen Sportrundfunks dokumentiert insbesondere Twitter seit Jahren. Konsequenz daraus? Man stellt sich „schützend vor seine Angestellten.“ Die seit Jahren geäußerte und zu einem erheblichen Teil eher sachlich vorgetragene Kritik wird von den permanenten Opfern bei ARD und ZDF verschlungen. In der Arbeitswelt außerhalb des Sportjournalismus wären Leute, die so einheitlich, konsequent und jahrelang kritisiert werden, längst gefeuert worden. Im gebührenfinanzierten Sportrundfunk gibt’s für die Öffentlichkeit ein „Ätsch! Ihr habt uns gar nix zu sagen!“ Als abendlichen Appetitverderber gibt’s mit Reinhold Beckmann noch den weltverbessernden Sportpastor des WDR serviert. Wohl bekomm’s.
Selbstherrliches Geschwafel
Und dann sind da noch diejenigen, die sich stante pede auf Neumanns Seite schlagen, weil sich gerade die Möglichkeit bietet, etwas Aufmerksamkeit zu erhaschen. Dabei betont SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey, dass sich nur noch Leistung zu lohnen habe und Grüne Ramona Pop, dass Frauen nun überall dasselbe tun und lassen könnten wie Männer, sie sich das auch nicht mehr nehmen lassen würden. Sind das noch schlechte Witze oder schon Realsatire? Pop zufolge ist Gleichberechtigung aller Geschlechter also bereits erreicht. Diese überhebliche grüne Ausstellung gesellschaftlichen Fortschritts lässt sicher nicht nur in deutschen Sportredaktionen die Sektkorken knallen.
Und auch die meisten derer, die sich nun mit Neumann „solidarisch zeigen“ (eine besonders abgedroschene und verlogene Phrase, weil sie Aktivität suggeriert und Nichtstun legitimiert), haben in ihrem sonstigen Leben vermutlich einen Scheißdreck für Gleichberechtigung getan. Die Facebookseiten der Portale, die irgendetwas zu der causa Neumann veröffentlicht haben, sind mittlerweile onlinebasierte Zurschaustellung degenerierter Misogynie und betroffenheitsbegründete Kranzabwurfstelle zugleich. Die Flut doppelmoralischer „Solidarität“ derjenigen, die Frauen sonst nicht nur auf den, sondern auch nicht mit dem Arsch ansehen, zeigt, welch immense Bigotterie in der Scheinwelt des Fußballjournalismus bei den Konsumierenden und Schreibenden herrscht.
Zum Fremdschämen ist daher vieles in dieser Tragödie antiquierter Männlichkeit. Noch mehr als Steffen Simon sollten natürlich die Online-Atomphysiker, die ihre Umwelt viel zu selten vor ihrer Meinung schützen, sowie der gegen Gleichberechtigung applaudierende Gruschwitz eine unumstößliche Weisheit Alfred Tetzlaffs beherzigen. Die Selbstherrlichkeit, mit der die Beteiligten in dieser Sache ihre Worte aussprechen, ist mit der eines anderen älteren Herrn vergleichbar, der das Land mit seinen Worten und Ansichten bereits viereinhalb Jahre zu lange gequält hat: Sexismusversteher Joachim Gauck.