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Fußball-WM in Russland: Ein Mix aus Abneigung und pflichtschuldigem Interesse

Foto: Shaun Botterill/Getty Images

Man merkt es kaum, aber dennoch ist es so: Das Jahr 2018 ist WM-Jahr! Während in der Jugend des Autors ein Sommer mit einer Weltmeisterschaft im Fußball immer ein ziemliches Highlight war, will sich in diesem Jahr keine richtige Vorfreude einstellen. Eine Spurensuche über Köln und die eigene Jugend bis zur russischen Stadt Moskau.

So langsam geht es für die Nationalspieler in die heiße Phase: mit den beiden Testspielen gegen Spanien (Freitagabend in Düsseldorf – muss jeder selbst wissen) und am Dienstag in Berlin gegen Brasilien (das Olympiastadion, immer toll!) können sich die jungen Herren bei Bundestrainer Joachim Löw für die Reise nach Russland im Sommer empfehlen. Die Länderspielpause unterbricht die für viele effzeh-Fans körperlich wie mental anstrengende Saison vor dem absoluten Endspurt, einzig Jonas Hectors Mitwirken im DFB-Team erweckt annähernd etwas Interesse. Der Kölner ist mittlerweile seit November 2014 Nationalspieler und hat schon 35 Länderspiele auf dem Buckel.

Es ist daher mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass der Linksfuß auch im Sommer in Russland dabei sein wird – gute Linksverteidiger sind in Deutschland rar gesät, einzig Marvin Plattenhardt dürfte mit Hector um einen Platz auf dieser Position konkurrieren. Marcel Halstenberg fällt verletzt aus, Philipp Max ist laut Löw keine Option. Neben Hector darf sich aus dem aktuellen Kader wohl auch Yuya Osako über eine WM-Teilnahme freuen, der japanische Nationalspieler trifft mit seinen Kollegen in der Vorrunde auf Kolumbien, Senegal und Polen.

2018: Hector und Osako vertreten die Kölschen Farben

Bevor Hector und Osako den effzeh bei Weltmeisterschaften vertraten, gab es da noch jemand Anderen, der dies zwischen 2006 und 2014 sehr verlässlich tat – Lukas Podolski erfüllte sich bei der letzten Weltmeisterschaft in Brasilien einen Traum und gewann mit dem DFB den Titel. Zwar spielte Podolski im ganzen Turnierverlauf nur eine Halbzeit gegen die USA und acht Minuten gegen Portugal, für das soziale Miteinander in der Mannschaft war er dennoch unheimlich wichtig. Vier Jahre zuvor, bei der WM 2010 in Südafrika, sorgte Podolski trotz vorher schlechter Saison beim effzeh dennoch für Furore: Im Auftaktspiel der DFB-Elf traf er zum 1:0 und konterte damit die Kritiker, die ihn am liebsten gar nicht erst mitgenommen hätten.

Hightlight der WM-Geschichte: Podolskis Tore gegen Schweden | Foto: VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Ein weiteres Tor bereitete er im Spiel gegen Australien vor, danach traf er im Achtelfinale gegen England und assistierte gegen Argentinien ein weiteres Mal (Nicolas Otamendi wird sich an diese 0:4-Niederlage und einen starken Gegenspieler wohl bis heute noch erinnern). Doch es gab auch bittere Momente bei diesem Turnier: Am zweiten Vorrundenspieltag verschoss Podolski einen Elfmeter gegen Serbien, im Halbfinale schied man dann mit 0:1 gegen Spanien aus – Podolski hatte allerdings die beste Möglichkeit der Deutschen durch Kroos vorbereitet.

Beste WM-Erinnerung? Die Tore von Lukas Podolski

Vier Jahre zuvor ging der Stern des Kölschen Jung national wie international endgültig auf, als sich „Prinz Poldi“ mit drei Treffern zum besten jungen Spieler des Turniers (vor einem gewissen Cristiano Ronaldo) entwickelte. In Deutschland entwickelte sich neben der großen Begeisterung für den Fußball auch ein etwas befremdlicher Stolz auf das eigene Land, der allerdings damals auch für den Autor dieser Zeilen eher weniger eine Rolle spielte. Damals, 2006, war das Sommermärchen etwas ganz Großartiges! Das uneingeschränkte Highlight dieser sommerlichen Tage war aus meiner fußballerisch-naiven Sicht der Doppelpack von Lukas Podolski gegen Schweden – ein Kölner trifft doppelt für Deutschland bei der WM, das war eine Sensation!

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Grundsätzlich hatten WM-Turniere für mich in Kindheit und Jugend immer einen besonderen Platz im Jahr. Meine erste bewusste Erinnerung an ein WM-Turnier war der Wettbewerb 1998 in Frankreich, bei dem sich Deutschland mit einer ziemlichen Gurkentruppe mehr schlecht als recht bis ins Viertelfinale bugsierte, wo dann allerdings gegen Kroatien Schluss war. Viel faszinierender war allerdings der Weg der Franzosen, die sich mit einem überragenden Zinédine Zidane (Doppeltorschütze im Endspiel, tausendfach von mir persönlich nachgestellte Szenen im heimischen Garten) den Titel sicherten. 2002 blieb neben der Kombination Ballack/Kahn eher wenig hängen, außer dass ich teilweise früher von der Schule nach Hause ging, um bloß kein Spiel zu verpassen.

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Mittlerweile ist meine Jugendzeit leider vorbei, Podolski spielt nicht mehr, ich bin selbst mehr oder weniger erwachsen. Ich freue mich unheimlich darüber, dass mit Jonas Hector ein Kölner mit im Kader des DFB ist, ansonsten interessiert mich das ganze Spektakel aber wenig – denn Fußball und Politik lassen sich einfach nicht trennen. Es ist eine diffuse Mischung aus Abneigung gegenüber der Organisation FIFA, dem Autokraten Putin und der (sport-)politischen Situation des Landes Russland, weswegen ich in diesem Jahr wahrscheinlich eher nüchtern-distanziert die Spiele verfolgen werde (ja, natürlich werde ich sie gucken!). Ich wünsche mir aber dennoch die Zeiten zurück, in denen ich Fußball unkritisch als Fan verfolgt habe, ohne mir die großen Fragen über die politischen Zusammenhänge zu stellen.

Russland als Ausrichter: Ein angespanntes Verhältnis zum Westen

Doch in Russland, dass sich mittels des Sports als weltoffene und moderne Nation präsentieren möchte, liegt so vieles im Argen, das man davon auch die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft nicht trennen kann. Russlands Präsident Putin ist ein Autokrat, der der Opposition in seinem Land keinen fairen Wahlkampf ermöglichte, was in einer Wahl endete, die man ohne schlechtes Gewissen als Farce bezeichnen kann. Auch die außenpolitischen Aktivitäten Russlands darf man nicht verschweigen: Dazu gehören neben der Annexion der Krim auch das Engagement in Syrien sowie die höchst wahrscheinliche Implikation in den Giftgas-Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Skripal. Dementsprechend überraschte es nicht, dass zuletzt sogar von einem möglichen Boykott der WM durch westliche Staaten die Rede war (der sich aber niemals in die Realität umsetzen lassen wird).

Zuletzt sorgte auch das flächendeckende Staatsdoping in Russland für viele Diskussionen, infolge derer WM-Organisator Witali Mutko (natürlich gleichzeitig auch Vizeministerpräsident) Ende des vergangenen Jahres zurücktrat und die russischen Olympia-Teilnehmer nicht unter ihrer Flagge einlaufen durften. Es soll in diesem Text ausdrücklich nicht um kulturellen und politische Überlegenheits-Fantasien des Westens gehen, soviel sei angemerkt – die Kombination aus Russland als Austragungsort einer von der FIFA organisierten Veranstaltung hat aber eigentlich immer einen faden Beigeschmack.

DFB und FIFA sind auch nicht viel besser

In diesem ganzen Sumpf an korrupten und verkommenen Organisationen ist es nicht verwunderlich, dass auch der größte Sportverband der Welt, der DFB, seine Hände nicht gänzlich in Unschuld waschen kann. Jahre später lernt die Öffentlichkeit, dass bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist – wer hätte es gedacht! Dass die FIFA alle vier Jahre die Ausrichterländer mit überzogenen Forderungen dazu bringt, die abstrusesten Kostenpläne in Milliardenhöhe durchzuwinken, damit man bloß dazu in der Lage ist, eine Weltmeisterschaft austragen zu dürfen, haben wir noch gar nicht erwähnt.

Zwei mächtige Männer: Infantino und Putin | Foto: Shaun Botterill/Getty Images

Durch den Bau der Stadien und der dazu notwendigen Infrastruktur nehmen die ausrichtenden Länder jede Menge Kohle (auch des Steuerzahlers) in die Hand, um das eigene Image aufzupolieren – die FIFA hingegen steuert nur vereinzelt mal ein wenig Geld bei. Für die Organisation und ihren Führungszirkel sowie dessen engste Vertraute und Mitarbeiter ist eine Weltmeisterschaft, unabhängig davon, wo sie stattfindet, erst einmal profitabel – beispielsweise darf die Schweizer Firma Infront wie immer die Vermarktung der Fernsehrechte organisieren. Beim DFB unterdessen hat die Oliverbierhoffisierung ein neues Stadium erreicht, was einen regelmäßig mit dem Kopf schütteln lässt. Die “Mannschaft” schickt sich an, nach 2014 ihren Titel zu verteidigen, viel Glück dabei.

Warum man dann am Ende doch einschaltet

Diese ganzen Eindrücke vermengen sich in den Vormonaten der WM aktuell zu einem ganz diffusen Gemisch aus Abneigung gegenüber den Institutionen, die die WM organisieren, niedergeschlagenem Kulturpessimismus in Bezug auf die schönste Sportart der Welt – und, so ehrlich darf man sein, trotzdem immer noch ein wenig Interesse an dem ganzen Spektakel. Denn wenn in vier Wochen am Stück fast jeden Tag mehrere Fußballspiele auf hohem Niveau stattfinden, kann man sich davon einfach nicht lösen. Ich weiß, das ist schizophren, aber ein Boykott der WM aus der Perspektive eines Zusehenden fällt ebenfalls schwer. Denn immerhin nehmen ja höchstwahrscheinlich mit Hector und Osako zwei Kölner an der WM teil, deren Abschneiden einen ja aus rein egoistischen Interessen sowieso interessiert.

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Aber im Vergleich zu früheren Jahren ist die Leidenschaft schon deutlich abgekühlt. Das professionell-distanzierte Verfolgen der Fußball-Weltmeisterschaft aus der Perspektive eines Erwachsenen tut dem Kind im mir weh, denn so merke ich, wie stark Politik und Fußball miteinander verbunden sind und etwas Unschönes aus einer eigentlich guten Idee (32 Nationen spielen um einen Titel im Fußball) machen.

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