Der europäische Vereinsfußball ist zu einer echten Wirtschaftsmacht geworden, jedes Jahr wird ein neuer Rekord vermeldet – Grund genug für uns, uns das Ganze mal näher anzuschauen. Der dritte und letzte Teil unserer Serie beschäftigt sich mit den Konsequenzen der Kommerzialisierung – und Möglichkeiten, ein wenig gegenzusteuern.
Citius, altius, fortius – das olympische Motto “Höher, schneller, weiter” beschreibt den Kapitalismus der Post-Moderne wohl einigermaßen treffend, auch in Bezug auf das Geschäft des Profifußballs. Während das einstige Kulturgut immer mehr zu einer profitorientierten Unterhaltungsindustrie wird, geht der eigentliche Geist des Sports verloren – Schuld ist für viele die Kommerzialisierung. In unserer dreiteiligen Serie “Fußball und Finanzen” blicken wir auf die Umsatzrekorde der beiden großen europäischen Ligen, die Situation des effzeh und die Zukunft des schönsten Spiels der Welt. Ein bisschen weniger Profitorientierung würde dem Profifußball gewiss nicht schaden – aber lest selbst!
>>> Teil 1 der Serie: Umsatzrekorde überall
Christian Seifert dürfte dieser Tage ein sehr zufriedener Mensch sein. Sein Unternehmen, die DFL, schreibt so gute wirtschaftliche Zahlen wie noch nie, seine Strategien der Internationalisierung und Digitalisierung versprechen auch für die Zukunft wesentliche Einnahmequellen. Nach der Premier League, die aufgrund der finanzstarken Investoren und der astronomischen Fernsehgelder ihren Platz als umsatzstärkste Fußball-Liga der Welt auf lange Jahre hin manifestiert hat, gilt die Bundesliga als zweitstärkste Kraft im internationalen Vergleich. Die neue Periode der Vermarktung der nationalen Medienrechte bringt der DFL zusätzliche Mehreinnahmen bis 2021, die diese Position weiterhin verbessern werden.
>>> Teil 2 der Serie: Der effzeh im Jahr 2017
Ein durchschnittliches BL-Gehalt beträgt 1,6 Millionen Euro
Was der Bundesliga im Vergleich mit der Premier League allerdings abgeht, ist die Öffnung gegenüber ausländischen Investoren – Scheichs, reiche amerikanische Familien oder in Steuerparadiesen angesiedelte Besitzer pumpen seit Jahren Gelder in die Premier-League-Unternehmen. Die im Vergleich zur Bundesliga hohen Gehälter (PL-Durchschnitt: 3,6 Millionen; BL-Durchschnitt: 1,6 Millionen) verdeutlichen dies. Die beiden großen spanischen Vereine aus Barcelona und Madrid zahlen ihren Angestellten durchschnittlich 6,4 Millionen und 5,7 Millionen Euro pro Saison – sind allerdings immer noch mitgliedergeführt. Trotzdem bestehen in diesem Zusammenhang erhebliche Unterschiede zwischen den besten drei Ligen Europas.
Foto: Denis Doyle/Getty Images
Das Thema 50+1 wird uns weiterhin beschäftigen
Damit jedoch auch in der Bundesliga auf lange Sicht Topstars wie Cristiano Ronaldo, Lionel Messi oder Paul Pogba und damit “glamouröse Weltstars”(Zitat Christian Seifert im Handelsblatt) spielen können, müssten logischerweise höhere Gehälter gezahlt werden – ein einfacher Ansatz wäre in diesem Zusammenhang die Aufhebung der 50+1-Regelung, damit Investoren ihr Geld in die Bundesliga fließen lassen können. Der Geschäftsführer der DFL möchte jedoch trotz der großen ökonomischen Pläne für die Zukunft der DFL an der Regelung festhalten, wie er im Handelsblatt beschreibt: “Mit dieser Regel ist der deutsche Fußball weit gekommen. 50+1 steht in der öffentlichen Diskussion heute für Fußball als Kulturgut und für Themen wie sozialverträgliche Ticketpreise oder für Stehplätze – Punkte, die niemand ernsthaft bestreiten wird.”
Dennoch, und auch das betont Seifert, muss man bei einer Diskussion auch die andere Seite betrachten: Es gebe “durchaus europarechtliche Fragen zu dieser Regel” – Ausnahmen in Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und Leipzig sowieso. Er spricht sich aber ebenfalls für eine “ehrliche Debatte” aus und dafür, welche Werte die Bundesliga in Zukunft vertreten möchte. In der Diskussion um 50+1 vermeidet der Geschäftsführer also eine klare Position – bezüglich der Langeweile in der Liga und einer möglichen Übersättigung hingegen nicht. Beides spielt für ihn keine Rolle, wie im Handelsblatt beschreibt.
“50+1 steht in der öffentlichen Diskussion heute für Fußball als Kulturgut und für Themen wie sozialverträgliche Ticketpreise oder für Stehplätze – Punkte, die niemand ernsthaft bestreiten wird.”
Wie stehen die Fans zur Kommerzialisierung des Fußballs?
Doch Seifert steht für die betriebswirtschaftlich orientierte Seite derjenigen, die sich mit der Bundesliga auseinandersetzen. Wichtig ist nun, auch die andere Seite zu untersuchen und zu hinterfragen, wie sie zur aktuellen Situation in der Bundesliga stehen. Der “Verein für Integrität im Profifußball” mit dem Namen “FC PlayFair!” fertigte eine umfassende “Situationsanalyse des Profifußballs” im Jahr 2017 an und beschäftigte sich dabei mit “aktuellen Problemen, Herausforderungen und auch Lösungsansätzen im (deutschen) Profifußball 2017”.
In der Studie wurden Fans von allen 36 Bundesligisten aus Liga eins und zwei befragt, um “auf möglichst breiter Basis Probleme zu identifizieren und mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen”. In der Einführung der Studie wurde der Ausgangspunkt festgelegt: “Der deutsche Profifußball boomt, ein Umsatzrekord jagt den nächsten, die Stadien sind voll. Doch das ist nur eine Seite der Geschichte. Zugleich kritisieren immer mehr Fußballfans, Journalisten und Kommentatoren den durchkommerzialisierten und skandalträchtigen Teil des Profifußballs. Man gewinnt zusehends den Eindruck, dass der Profifußball vor einer Zeitenwende steht und die reale Gefahr besteht, dass sich immer mehr Zuschauer vom Profifußball abwenden.”
Auf der nächsten Seite: Die Ergebnisse der Studie von FC PlayFair!
Seifert sieht “keinen Alarm” – die Fans wohl eher schon
Um diese These zu stützen, wurden im Rahmen von Fokusgruppeninterviews erstmal mögliche Probleme und Lösungsansätze identifiziert, die dann mittels einer “quantitativen Fragebogenerhebung mit möglichst vielen Teilnehmern” empirisch zu überprüfen. Dabei wurden in einem ersten Schritt folgende Probleme herausgearbeitet: Die Bundesliga sei durch eine geldbedingte Drei-Klassen-Gesellschaft langweilig, der Fan sei eine “Melkkuh ohne Mitsprachrecht”, während der Fußball seinen “Basisbezug” verliere und die “Grenzen der Fußballkommerzialisierung erreicht” seien – nicht zuletzt durch die “Zerstückelung des Spieltags durch TV-Sender” und die “Wettbewerbsverzerrung durch Retorten und ein Defizit an finanziellen Regeln”.
Im Rahmen der Fragebogenerhebung äußerten sich mehr als die Hälfte (51,4 %) der befragten Fußballfans aus den ersten beiden Ligen dahingehend, dass sie sich bei einer fortschreitenden “Entwicklung der Fußballkommerzialisierung” vom Profifußball abwenden würden. 55,3 % der Fans empfinden die Bundesliga als langweilig, 69,3 % sehen die “Grenze der Fußballkommerzialisierung erreicht”. Fast drei Viertel der befragten Fans befinden, dass bei der “derzeitigen Entwicklung des Profifußballs die Interessen der Fans auf der Strecke” bleiben. Ebenso hoch ist die Zustimmung zu der These, dass den Funktionären das Geld “wichtiger zu sein” scheint als “der Fußball an sich”.
„Bei der derzeitigen Entwicklung des Profifußballs bleiben die Interessen der Fans auf der Strecke!“
“Im Fußball geht es nur noch ums Geld”
Obwohl Seifert auch die soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Bundesliga betont, stimmen 83,4 % und damit eine breite Mehrheit der These zu, dass der Profifußball durch “das viele Geld den Bezug zum realen Leben verloren” hat. Weiterhin seien die “derzeitigen Spielergehälter und Ablösesummen” für 86,3 % der Fans “realitätsfremd”. Die größte Mehrheit findet sich in Bezug auf die These, dass es “im Profifußball nur noch um noch mehr Geld” gehe – 86,9% der Fußballfans stimmten dieser These zu.
Foto: Alexander Scheuber/Bongarts/Getty Images
Wie passt das nun zusammen mit den Äußerungen von Christian Seifert, der sein Produkt Bundesliga eben nicht als langweilig erachtet und die “Übersättigung der Fans” ins Reich der Fabel verweist? Es entsteht also bei der Betrachtung der Thematik eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was die DFL in ihrer Außendarstellung offen vermarktet und zwischen dem, was die Konsumenten, die Fans, die Kunden empfinden. Das diffuse Gefühl, der Fußball in Deutschland (und im weitesten Sinne auch in Europa) sei in übertriebenem Maße durchkommerzialisiert, lässt sich also anhand der durchgeführten Studie relativ stichfest belegen.
Welche Rolle spielen zurückgehende Zuschauerzahlen?
Es lässt sich insgesamt auch schwierig damit argumentieren, dass die Anzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer in der Bundesliga leicht geringer geworden ist – wenn in der kommenden Saison Stuttgart und Hannover wieder in der Bundesliga spielen, werden automatisch auch die Zuschauerzahlen wieder steigen. Dass selbst DFB-Guru Oliver Bierhoff zuletzt die geringe Auslastung bei Länderspielen bemängelte, ist jedoch ein weiteres kleines Indiz dafür, dass der Fußball tatsächlich vor einer Zeitenwende stehen dürfte – man kann also nur hoffen, dass die Ergebnisse der angesprochenen Studie und die diffuse Gefühlslage in der Öffentlichkeit insoweit bei den Entscheidungsträgern ankommen, dass sie sich zumindest ansatzweise damit beschäftigen.
Die Realität eines DFL-Reports fasst, auch mit überragenden wirtschaftlichen Zahlen, nämlich nur einen kleinen Teil der Realität ins Auge, die das unfassbar komplexe Spannungsfeld “Fußball” bietet. Sich daraus eine alternative Realität zu konstruieren, erscheint keine so gute Idee. Auf der letzten Seite unserer Serie zu “Fußball und Finanzen” geht es um einige Denkhinweise, wie man sich den modernen Fußball vorstellen kann – sozialverträglich und angemessen.
Auf der nächsten Seite: Anhand welcher Fragen ein konstruktiver Diskurs geführt werden muss.
Sportliches Know-How als Wettbewerbsvorteil
Um aus dieser umfassenden Bestandsaufnahme nun konstruktive Lösungsansätze zu entwickeln, braucht es klar definierte Leitlinien, anhand derer man im öffentlichen Diskurs versuchen kann, die Entwicklung nachhaltig zu beeinflussen. Auffallend ist in jedem Fall, dass in England weit mehr Geld für Personalkosten ausgegeben wird als in Deutschland – die Ergebnissen in der UEFA-Fünfjahreswertung entsprechen dem allerdings nicht. Während Manchester United zwar 2017 die Europa League gewann, lassen die Erfolge auf der ganz großen europäischen Bühne, der Champions League, seit Jahren zu wünschen übrig.
Weiterhin hat die englische Nationalmannschaft seit Jahren damit zu kämpfen, dass junge Spieler aufgrund der hohen Leistungsdichte und kostspieliger Engagements ausländischer Profis in die Röhre blicken. Gewiss, die FA kann sich seit diesem Monat Weltmeister in der U20-Altersklasse nennen – wie nachhaltig der Erfolg tatsächlich ist, wird sich jedoch noch zeigen müssen.
Es braucht Kompetenz auf Führungsebenen
Der Erfolg des deutschen Nationalteams bei der FIFA WM 2014 zeigt überdies auch Folgendes auf: sinnvolle und zielgerichtete Nachwuchs-Arbeit sorgt dafür, dass man mit Spielern aus Nachwuchsakademien einen Weltmeistertitel gewinnen kann. In Deutschland ist das Know-How im Bereich Nachwuchsentwicklung und Spielerscouting wohl so groß wie nirgends sonst in Europa. Der 1. FC Köln verkörpert dieses Denken wie kein anderer Verein: Mit einer positiven Transferbilanz hat man es geschafft, von einem Aufsteiger zu einem Europapokal-Teilnehmer zu werden. Dass das viele Geld in England nicht zwangsläufig zum Erfolg führt, verdeutlichte Aston Villa in der Saison 2015/2016 eindrücklich – trotz des siebthöchsten Etats stieg das Team aus Birmingham ab. Das ist zwar nur ein vereinzeltes Beispiel, das jedoch trotzdem verdeutlicht, dass es in erster Linie Kompetenz auf den sportlichen Führungsebenen benötigt.
Bevor man also in China Kooperationen eingeht, sollte man erst einmal Kunstrasenplätze in sozialen Brennpunkten bauen. Oder den Spieltag einheitlicher abhalten, um dem Amateurfußball nicht die wichtigen Einnahmen zu klauen.
Ausgeglichene Gehälter = ausgeglichener Wettbewerb
Dazu gehören Cheftrainer, Sportdirektoren, Scouts und die medizinische Abteilung, Video-Analysten und Ernährungswissenschaftler. Die Premier League wäre wahrscheinlich gut beraten, mehr in diesen Bereich zu investieren. Doch auch in der Bundesliga gibt es Verbesserungsbedarf: Die Gewinnspirale der Großklubs aus München und Dortmund dreht sich immer schneller, sodass andere Vereine nicht mehr mithalten können und mittlerweile eine bemerkenswerte Lücke in den Gehältern zwischen den großen Zwei und dem Rest der Liga entstanden ist. Auf lange Sicht wird Leipzig zwar auch in diese Dimensionen vorstoßen, das Verhältnis jedoch ist nicht mehr angemessen. In der Premier League ist das Rennen um die Meisterschaft auch deshalb offener, weil die Gehaltsunterschiede zwischen den Clubs nicht allzu groß sind – in Deutschland liegt das Verhältnis bei 13 zu 1, in England bei 6 zu 1. Eine Debatte anhand des Gehaltsgefälles in europäischen Ligen wäre also sinnvoll.
Foto: Juergen Schwarz/Bongarts/Getty Images
Wie umgehen mit den Rekordgewinnen?
Unter Berücksichtigung der angesprochenen Aspekte wäre es für Premier League und Bundesliga auch sinnvoll, ihre Ausrichtung zu überdenken – weniger internationales Großmannsdenken und mehr lokale und soziale Verantwortung. Während in Deutschland der Amateurfußball trotz Millionengewinnen der DFL weiterhin vor sich hin darbt, ist es in England gleichzeitig aufgrund des Strukturwandels nicht mehr möglich für sozial Benachteiligte, ein Spiel ihres Lieblingsvereins im Stadion zu verfolgen. Die Bundesliga scheint davon zwar noch ein gutes Stück entfernt. Insgesamt wäre es jedoch schon wünschenswert, wenn sich DFL und Vereine zuerst auf ihre lokale Bedeutung konzentrieren würden, um mit dem großen Geld Probleme vor Ort zu lösen, anstatt den Blick nach China zu richten. Bevor man also in China Kooperationen eingeht, sollte man erst einmal Kunstrasenplätze in sozialen Brennpunkten bauen. Oder den Spieltag einheitlicher abhalten, um dem Amateurfußball nicht die wichtigen Einnahmen zu klauen.
Die Fans stärker beteiligen
Als ein wesentliches Ergebnis der Studie des FC PlayFair! ergab sich, dass ein Drittel der Fans ein stärkeres Mitspracherecht befürworten würden – eine Aufhebung der 50+1-Regelung würde dem komplett entgegenstehen. Hingegen braucht es wohl tatsächlich einen unabhängigen Fanverband, um den Fans eine gewisse Teilnahme am Profifußball zu ermöglichen. Ein derartiges Korrektiv wäre der Entwicklung der Bundesliga sehr zuträglich, genauso wie ein Fanvertreter im Aufsichtsrat. Diese Form der Mitbestimmung zu ermöglichen wäre ein deutliches Zeichen der DFL und des DFB dafür, dass man die Fans nach wie vor ernst nimmt…Es wird aber wahrscheinlich ein Wunschdenken bleiben, während sich das Rad trotzdem immer weiter dreht.