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Interviews

Fan-Forscher über Derbys: “Rivalität sollte wertgeschätzt werden!”

Die Bedeutung eines Derbys wird von den Akteuren meistens heruntergespielt, um nicht zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen – ob dies der richtige Weg ist, klären wir im Gespräch mit einem Wissenschaftler.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Die Bedeutung eines Derbys wird von den Akteuren meistens heruntergespielt, um nicht zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen – ob dies der richtige Weg ist, klären wir im Gespräch mit einem Wissenschaftler.

Bei Derbys wie Köln gegen Gladbach ist die Rivalität unter den Fans besonders groß. Ob die Abneigung der Fans nun in der Person von Hennes Weisweiler, der geografischen Nähe beider Vereine oder etwa in anderen Dingen begründet ist, lässt sich nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit bestimmen. Mit uns sprach der Forscher Johannes Berendt über einen gravierenden Denkfehler der Klubs, mögliche Lösungsansätze und überraschend positive Seiten des Phänomens. Er meint: „Rivalität sollte wertgeschätzt werden!“

Beschwichtigung, um Aggressionen zu senken? “Nicht der richtige Ansatz”

Derby-Woche im Rheinland. Am kommenden Sonntag trifft der ruhmreiche effzeh auf Borussia Mönchengladbach. Während der Boulevard in der Regel in dieser Zeit zur Hochform aufläuft, wilde Bedrohungsszenarien vorzeichnet und mit unangebrachten Archivbildern versieht, halten sich die Vereine meist verbal zurück. „Ein Derby ist ein Spiel wie jedes andere auch“ oder „Auch hier gibt es nur drei Punkte“ hört man dabei ständig. Vereine setzen auf Beschwichtigung im Vorfeld, wollen die Stimmung nicht noch zusätzlich anheizen.

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„Aussagen wie ‚Das Derby ist kein Krieg‘, ‚Es geht auch nur um drei Punkte‘ oder ‚Es ist ein Spiel wie jedes andere‘ sind dabei Formulierungen, wie sie häufig von Vereinsseite getätigt werden – nicht nur in Deutschland. Wir haben uns angeschaut, wie diese Aussagen auf die Fans wirken und ob man nicht einen besseren Ansatz finden kann, um Aggressionen zu senken“, erklärt der Forscher Johannes Berendt. Zusammen mit Professor Dr. Sebastian Uhrich hat er sich im Rahmen seiner Dissertation an der Deutschen Sporthochschule Köln unter anderem mit Rivalitäten und Fan-Aggression im Fußball auseinandergesetzt.

Berendt meint: „Rivalität ist ein wichtiges Element im Teamsport, doch leider kommt es dabei oft zu negativen Begleiterscheinungen wie Hass, Gewalt und Ausschreitungen. Uns hat interessiert, ob Vereine durch verschiedene Kommunikationsmaßnahmen die Aggressionen senken können. Die Strategie der Beschwichtigung hielten wir anfänglich auch tendenziell für geeignet, da sie in der Praxis weit verbreitet ist. Doch als wir die Wirkung empirisch überprüft haben, kam heraus, dass solche Aussagen die Fans erst aggressiv machen. Die Beschwichtigungstaktik erzielt also den gegenteiligen Effekt. In den darauf folgenden Studien konnten wir den Effekt erklären: Die Anhänger werden durch beschwichtigende Äußerungen aggressiver, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen.“

Mehr als 4.000 Fußballfans befragt

Mehr als 4.000 Fans wurden von den Forschern in mehreren experimentellen Studien Fans befragt. Dabei teilte man die Studienteilnehmer in drei Gruppen auf: Eine Gruppe bekam fiktive Statements von Spielern ihrer Lieblingsmannschaft vorgelegt, die das Derby in seiner Bedeutung herunterspielten. Eine Kontrollgruppe bekam lediglich statistische Informationen über die anstehende Begegnung vorgelegt und eine weitere Gruppe wurde mit den von den Forschern eigens hergeleiteten „Dual Identity-Statements“ konfrontiert.

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Unter „Dual Identity“ verstehen die Forscher Aussagen, die die Unterschiedlichkeiten zwar betont, aber auch auf übergeordneter Ebene eine Gemeinsamkeit aufbaut. Das heißt, Dortmundern und Schalkern legte man beispielsweise einen Satz vor wie: Dortmunder und Schalker sind zwar verschieden, aber wir stehen beide für das Ruhrgebiet. „Die Gemeinsamkeit der rivalisierenden Fangruppen lag meistens in der Regionalität. Bei Fortuna-Köln- und Viktoria-Fans lautete der Satz dementsprechend: Wir Fans haben zwar unterschiedliche Identitäten, doch wir stehen beide für Köln“, erklärt Berendt.

Unterschiede betonen, aber auch Gemeinsamkeiten hervorheben

Nicht nur die Beschwichtigungs-Taktik sei schlecht, auch das Thema generell totzuschweigen sei nicht die vielversprechendste Option, so die Forscher. „Am besten scheiden die Aussagen zur dualen Identität ab. Teilnehmer, die ein solches Statement gelesen hatten, wiesen signifikant niedrigere Aggression in Bezug auf den Rivalen auf als solche, die ein beschwichtigendes oder gar kein Statement gelesen hatten. Daraus schlussfolgern wir, dass das ein vielversprechender Ansatz ist.“

Fans reagieren verärgert, wenn die Rivalität, die ein großer Teil der eigenen Identität ist, nicht ernstgenommen wird.

Warum diese Statements so positiv auf Fans wirken? „Bei den beschwichtigen Statements entsteht bei den Fans Reaktanz, das ist Widerstand gegen den wahrgenommenen Beeinflussungsdruck. Fans reagieren verärgert, wenn die Rivalität, die ein großer Teil der eigenen Identität ist, nicht ernstgenommen wird. Menschen definieren sich ja nicht nur dadurch, wer sie sind, sondern insbesondere auch darüber, wer sie nicht sind. Wenn Vereine diesen Aspekt nicht wertschätzen, kommt Verärgerung auf.“

Rivalität hat ein Imageproblem

Berendt würde sich freuen, wenn neben den negativen Aspekten von Rivalität auch den positiven Seiten mehr Beachtung geschenkt werden würde: „In der Wissenschaft ist Rivalität größtenteils negativ besetzt, gerade im Sport steht Rivalität oft für Schadenfreude, Hass und Gewalt. Es gibt viele Studien, die die negativen Auswirkungen zeigen. In einem unserer Projekte kam aber heraus, dass Rivalität gleichzeitig auch Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe stärkt, wie auch die dazugehörige Gruppenbesonderheit. Wir können jetzt belegen: Rivalität ist wichtig für die eigene Identität. Sie sollte wertgeschätzt werden!“ Denn Sport lebe nun mal von Rivalitäten und dem Wettkampf mit dem Gegner.

Wie könnte ein „Dual Identity“- Statement für #KOEBMG aussehen?

„Da müsste man mit Fanbeauftragten, Fans und Journalisten Fans sprechen“, so Berendt. Denn das rheinische Derby wurde in den Studien der Forscher nicht explizit berücksichtigt. Jedoch könne man die Studienergebnisse tendenziell übertragen, meint er. „Welche Gemeinsamkeiten haben Köln und Gladbach? Beide sind Traditionsvereine und kommen beide aus dem Rheinland. Dass beide zudem für tolles Fantum und Tradition stehen, liegt auf der Hand – darauf können sich beide Seiten sicher verständigen.“

Zurück zum rheinischen Derby. Als Matze Lehmann sich in der vergangenen Saison vor dem Derby äußerte, sprach er also tief aus der Seele eines jeden Kölners, als er sagte: „So ein Spiel ist immer etwas Besonderes und es wird verdammt schwer. Das wissen wir auch noch aus dem Hinspiel. Am Samstag wird richtig Stimmung im Stadion sein, wie es sich gehört für ein Derby.“

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