Halbseidene Steuertricks und kriminelle Machenschaften: “Football Leaks” enthüllt die Abgründe der Fußball-Branche. Das effzeh.com-Interview mit Autor Rafael Buschmann.
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Mit den Enthüllungen rund um “Football Leaks” und dem dazu gehörigen Enthüllungsbuch sorgten die “Spiegel”-Journalisten Michael Wulzinger und Rafael Buschmann für Aufruhr in der Fußball-Welt: Halbseidene Steuertricks, unseriöses Geschäftsgebaren und kriminelle Machenschaften der Vereine, Spieler und Berater treten in den fast 20 Millionen Dokumente zu Tage. Es ist ein Abgrund an Verkommenheit, in den der Leser dort blicken darf. Wir haben mit Autor Rafael Buschmann über die Recherchen und deren Folgen gesprochen.
Rafael, „Football Leaks“ ist von außen betrachtet ein voller Erfolg: Das Buch verkauft sich nicht nur gut, sondern hat auch eine Diskussion in Gang gesetzt und sogar Ermittlungen in Gang gesetzt. Hattest Du damit gerechnet?
Für uns ist es vor unseren Enthüllungen immer schwierig abzuschätzen, wie sehr diese anschließend kommentiert, besprochen oder aufgenommen werden. Deshalb konzentrieren wir uns in der Regel eher auf das, was wir selbst beeinflussen können: Mit unseren Berichten für Aufklärung zu sorgen und die jeweiligen Hintergründe verständlich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Alles andere liegt dann bei den Lesern beziehungsweise der Justiz. Aber natürlich freuen wir uns sehr, wenn ein Thema wie Football Leaks am Ende auch eine justiziable und insbesondere gesellschaftliche Dimension erreicht und für Diskussionen sorgt.
Ich habe mehrere Monate mit den Machern von Football Leaks hin- und her gemailt, zumeist über verschlüsselte Chatprogramme, in denen sich die einzelnen Wörter teilweise direkt nach den Posts automatisch wieder gelöscht haben. Dem Football-Leaks-Whistleblower ist seine Anonymität verständlicherweise sehr wichtig, deshalb wählt er für unsere Kommunikation die höchsten Sicherheitsvorkehrungen.
Wie seid ihr überhaupt an das umfangreiche Datenmaterial gelangt – und wie viele Daten liegen Euch mittlerweile vor?
Ich habe mehrere Monate mit den Machern von Football Leaks hin- und her gemailt, zumeist über verschlüsselte Chatprogramme, in denen sich die einzelnen Wörter teilweise direkt nach den Posts automatisch wieder gelöscht haben. Dem Football-Leaks-Whistleblower ist seine Anonymität verständlicherweise sehr wichtig, deshalb wählt er für unsere Kommunikation die höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Wir haben uns durch das Schreiben immer besser kennengelernt, er hat Vertrauen zu mir gefasst und wir haben uns im Februar 2016 zum ersten Mal getroffen. Danach auch Dutzende weitere Male an den verschiedensten Orten der Welt.
Foto: OLI SCARFF/AFP/Getty Images
Im Zuge dieser Treffen hat er mir die Daten übergeben. Gemeinsam mit einem “Spiegel”-Team und dem Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC) haben wir sieben Monate an dem Material gearbeitet. Das war eine irre Zeit: 60 Journalisten aus zwölf Ländern, die gemeinsam an hochsensiblen und exklusiven Stoffen arbeiten. Wir haben damals in 18,6 Millionen Dokumenten (1,9 Terabyte) gewühlt und im vergangenen Dezember eine erste europaweite Veröffentlichungswelle mit über 400 Texten gestartet. Danach haben mein Co-Autor Michael Wulzinger und ich begonnen, das Buch zu schreiben und in diesem Zusammenhang auch zahlreiche völlig neue Dokumente ausgewertet.
Du beschreibst in dem Buch sehr eindrucksvoll, wie intensiv und fordernd die Reportage war. Haben sich die Anforderung seitdem verändert?
Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen noch weiter verschärft. Wir wissen, dass Polizisten, Staatsanwälte und vor allem Privatdetektive hinter dem Whistleblower her sind, deshalb müssen wir insbesondere bei unseren Treffen sehr vorsichtig sein.
Vieles, was ihr im Buch beschreibt, bewegt sich in rechtlichen Grauzonen und ist mitunter nur moralisch verwerflich. Das Bild, das all das zeichnet, ist aber für den Fußball verheerend. Wieso ist gerade dieser Sport für dieses Geschäftsgebaren so anfällig? Oder wirkt es gar nur so, weil er derart im Fokus der Öffentlichkeit steht?
Mittlerweile sehen die Staatsanwaltschaften in Frankreich, England, Portugal, aber vor allem in Spanien unsere Enthüllungen etwas anders: Viele der von uns beschriebenen Fälle werden von der Justiz als strafrechtlich relevant eingestuft. Es fanden Hausdurchsuchungen bei Spitzenspielern wie Angel di Maria oder Javier Pastore statt, die Klubräume von Paris Saint-Germain wurden von der Polizei inspiziert. Gegen José Mourinho ist mittlerweile Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben worden, Cristiano Ronaldo wird Steuerbetrug von fast 15 Millionen Euro vorgeworfen, Falcao hat mittlerweile über acht Millionen Euro nachzahlen müssen. Weitere Untersuchungen gegen Spieler wie James Rodriguez, Diego Costa oder Jackson Martinez laufen noch an. Gegen Ronaldos Superberater Jorge Mendes haben unzählige Untersuchungen in Spanien und Portugal begonnen. Und man muss dazu sagen: Die Justiz ist noch komplett am Anfang ihrer Ermittlungen zu Football Leaks. Aber wenn man eine Startaufstellung aus all den Beschuldigten oder bereits Verurteilten im Zuge unserer Enthüllungen bauen würde, hätte man wohl eine Weltauswahl, die sportlich gegen jede Mannschaft dieser Welt bestehen könnte. Damit will ich ausdrücken: Wir haben Hintergründe zu diesen oft illegalen Handlungen von absoluten Weltstars aufgezeigt.
Im Zentrum des Interesses: Der portugiesische Berater Jorge Mendes (Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP/Getty Images)
Der Spitzenfußball hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, sich nahezu allen gesellschaftlich relevanten Prüfungsorganen zu entziehen. Die Polizei, Staatsanwaltschaft und Steuerbehörde ist nahezu nicht in der Lage, diesen von hochbezahlten Finanzberatern ausgeklüngelten Steueroptimierungs- und Beraterprovisonensystemen auf die Schliche zu kommen.
Und damit sind wir bei dem Kern der Frage: Der Spitzenfußball hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, sich nahezu allen gesellschaftlich relevanten Prüfungsorganen zu entziehen. Die Polizei, Staatsanwaltschaft und Steuerbehörde ist nahezu nicht in der Lage, diesen von hochbezahlten Finanzberatern ausgeklüngelten Steueroptimierungs- und Beraterprovisonensystemen auf die Schliche zu kommen. Bei den Topstars haben wir durchweg festgestellt, dass sie mit Briefkastenfirmen in Übersee arbeiten. Das sind solch verschachtelte Konstrukte, dass es der europäischen Justiz kaum möglich ist, diese Firmen zu entwirren. Das verhindern schon alleine die vielen Strohmänner, die dazwischengeschaltet werden, und die totale Verschwiegenheit von Offshore-Ländern, die mit europäischen Behörden nahezu überhaupt nicht zusammenarbeiten.
Auf der nächsten Seite: Warum Fans immer mehr Interesse an “Football Leaks”
finden und wieso der Fußball kein Interesse an einer Aufklärung der Machenschaften hat
Für das Gros der Fußball-Fans ist das alles kein Thema. Während ihr ein Agreement Ronaldos über eine angebliche Vergewaltigung ausgrabt, wird der Portugiese nach dem Champions-League-Titel nur gefeiert. Zermürbt einen das?
So deutlich würde ich nicht sagen, dass diese Themen den normalen Fußballfan nicht interessieren. Wir stellen immer mehr fest, dass Fußballfans – vor allem in den sozialen Netzwerken – immer kritischer mit dem Fußball-Business umgehen und dabei auch häufig auf die Enthüllungen in unserem Buch bzw. aus unserer Football-Leaks-Serie verweisen. Beispielweise hat zuletzt RB Leipzig den Spieler Bruma verpflichtet. Wir hatten im Dezember über seine total chaotische Beratersituation berichtet. Das haben nun sehr viele Fans aufgegriffen und diesen Transfer hinterfragt.
Schwergewicht der internationalen Beraterszene: Mino Raiola, der unter anderem Zlatan Ibrahimovic und Paul Pogba als Klienten hat. (Foto: VALERY HACHE/AFP/Getty Images)
Gleiches gilt, wenn der Spielerberater Mino Raiola auf einmal zu Verhandlungen in Dortmund auftaucht. Wir haben zuletzt in unserem Buch beschrieben, wie Raiola alleine am Pogba-Transfer 49 Millionen Euro verdiente. Das führt dazu, dass viele Fans nun sehr skeptisch sind, wenn er bei ihrem Klub gesehen wird. Aber klar, die Ronaldo-Geschichte rund um die Vergewaltigungsvorwürfe war eher enttäuschend für uns. Wir haben sicherlich eher damit gerechnet, dass andere Reporter diesem Thema nachgehen, Ronaldo Fragen dazu stellen, selbst recherchieren. Das alles ist ausgeblieben. Wir können uns das nicht wirklich erklären, zumal wir der Ronaldo-Seite nachweisen konnten, dass sie in ihren Statements schlicht und ergreifend gelogen hat und mit Absicht die Öffentlichkeit in die Irre führen wollte. Aber wie oben beschrieben: Wir können nur aufklären, was die Öffentlichkeit daraus macht, können wir nicht beeinflussen.
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Welche Reaktionen gab es überhaupt auf „Football Leaks“ aus dem Fußball-Business selber? Wurde auch Druck auf euch ausgeübt, die Finger von diesem heißen Eisen zu lassen?
Meine schönste Anekdote geht aus einem Sitzungsprotokoll der European Club Association (ECA) hervor. Dort beschwert sich Karl-Heinz Rummenigge darüber, dass durch die Football Leaks ein „Schaden für die Atmosphäre in der Umkleidekabine“ hervorgehen würde. Seine größte Sorge war also, dass die Spieler herausfinden, wer wie viel Gehalt beziehungsweise Prämien bekommt und dadurch eine Form von Missgunst entsteht. Die Anekdote ist ein bisschen symptomatisch für die ganze Branche. Mir hat ein Funktionär – natürlich hinter vorgehaltener Hand – über unsere Enthüllungen gesagt: ‚Sie werden niemanden finden, der das, was sie da schreiben, öffentlich anprangern wird. Dafür leben alle zu gut von dieser Fußballbranche.’ Und tatsächlich: Es gab keinen Aktiven, keinen Funktionär, der wirklich mal seine Stimme erhoben hätte und gesagt hätte: ‚Was machen wir hier eigentlich? Wie kann es sein, dass Multimillionäre auch noch die Steuern prellen? Und wieso dürfen Berater höhere Provisionen einstreichen als ganze Klubs an Jahresgewinnen erzielen?’ Diese Empörung oder reinigende Debattenkultur ist mir aus der Fußballbranche nicht bekannt.
Der Fußball propagiert zwar ständig, dass er sich selbst kontrollieren und mäßigen kann, ich glaube aber, dass er längst jede Kontrolle verloren hat und dringend Hilfe von außen benötigt. Dieser Sport ist ein Multimilliardenbusiness, das viele Geld zieht die Kriminellen extrem an.
Siehst du irgendwelche Entwicklung, die den bei Euch geschilderten Geschäftsgebaren Einhalt gebieten sollen? Kann der Fußball das allein überhaupt leisten?
Der Fußball propagiert zwar ständig, dass er sich selbst kontrollieren und mäßigen kann, ich glaube aber, dass er längst jede Kontrolle verloren hat und dringend Hilfe von außen benötigt. Politik, Steuerbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaften sind gefordert, diese Branche deutlich stärker zu beleuchten als bisher. Ich glaube auch, dass dies in den kommenden Jahren auch immer stärker geschehen wird. Durch die Ermittlungen des FBI, der Schweizer Bundesanwaltschaft und der Frankfurter Staatsanwaltschaft rund um die Fifa und den DFB werden sehr viele Einblicke in diese korruptionsdurchsetzte Branche geliefert, die Ermittlungen im Zuge unserer Football Leaks werden zudem viele weitere Optionen eröffnen, um den finanziellen Unregelmäßigkeiten in diesem Milieu nachzuspüren.
Foto: Shaun Botterill /Allsport
Aber klar, wie in jeder kriminellen Branche, werden die Gauner unter den Beratern und die windigen Investoren auch wieder neue Wege finden, um Geld aus dem Fußball abzusaugen. Dieser Sport ist ein Multimilliardenbusiness, natürlich zieht das viele Geld die Kriminellen extrem an. John, unser Whistleblower, wünscht sich, dass sich der weltweite Fußball auf ein sogenanntes „Clearing House“ einigt. Eine unabhängige Stelle, die jeden Euro, der rund um einen Transfer fließt, in einer transparenten Datenbank erfasst. So könnte man beispielsweise eindämmen, dass Berater mit vier, fünf unterschiedlichen Firmen an ein und demselben Transfer partizipieren. Ein solches „Clearing House“ wäre eine wunderbare Möglichkeit, um zumindest die schlimmsten Ausuferungen ein wenig einzudämmen. Nur glaube ich persönlich kein bisschen daran, dass irgendwer aus dem Fußballgeschäft eine solche Transparenz wirklich will.
Gibt es besondere Merkmale des deutschen Fußballs – im positiven wie im negativen Sinne?
Nein. Der deutsche Fußball unterscheidet sich nicht wirklich von den anderen großen Ligen. Lediglich was den Umgang mit Werberechten angeht, ist man in Deutschland vorsichtiger geworden. Dies hat aber nichts mit einer ausgeprägteren Moral zu tun, sondern mit dem Bundesliga-Steuerskandal, den es vor mehr als zehn Jahren gab. Ich erinnere da gerne an den Fall Youri Djourkaeff vom 1. FC Kaiserslautern. Die deutschen Finanzämter haben damals entschieden, dass diese Werberechtedeals großteils als verdeckte Gehaltszahlungen zu ahnden sind. Seitdem achten die Vereine darauf, dass sie nicht mehr in diese Falle tappen. Aber was Investorenmodelle (trotz 50+1), den (un-)moralischen Umgang mit Spielerberatern, Steuerminimierungstaktiken etc. angeht, ist die Bundesliga mit jeder anderen Liga vergleichbar.
Man kann diese Praktiken auf einen recht simplen Satz herunterbrechen: Hilft ein Spieler einer Mannschaft sportlich weiter, verlieren die Klubs nahezu alle juristischen oder moralischen Hemmungen und machen alles möglich, um den Spieler zu kaufen.
Der 1. FC Köln kommt im Datenmaterial auch vor, das Vertragskonstrukt zum Spieler Pedro Geromel und Gestifute ist rund ums Geißbockheim legendär. Kein Sonderfall vermutlich, oder?
Nein. Wir haben solche oder ähnliche Konstrukte auch in Berlin, Hamburg, Hoffenheim, Frankfurt und einigen anderen Klubs gefunden. Man kann diese Praktiken auf einen recht simplen Satz herunterbrechen: Hilft ein Spieler einer Mannschaft sportlich weiter, verlieren die Klubs nahezu alle juristischen oder moralischen Hemmungen und machen alles möglich, um den Spieler zu kaufen.
Auf der nächsten Seite: Wie frustrierend die Berichterstattung über Transfers
sein kann und was der Sportjournalismus in Zukunft besser machen kann
Für uns als Fans stellt sich oft die Frage, ob das System noch tragbar ist. Gibt es noch einen anderen Weg als die Komplettverweigerung?
Das muss jeder für sich entscheiden und ich will mich nicht zu demjenigen aufschwingen, der zum Boykott des Fußballs ausruft. Ich will aufklären, was jeder einzelne mit den Informationen anfängt, ist ihm komplett selbst überlassen.
Cristiano Ronaldo spielt in Spanien, einem Land mit rund 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Und er zwackt diesem Land mehr als 150 Millionen an Werbegeldern ab, die er über Firmen in Irland und auf den British Virgin Islands abführen lässt. Von den 150 Millionen bleiben Spanien auf diese Weise rund sechs Millionen Euro an Steuern. Geht’s noch?
Trotz Steuerprozess und Vergewaltigungsvorwürfen: Cristiano Ronaldo bleibt Publikumsliebling. (Foto: OSCAR DEL POZO/AFP/Getty Images)
Kannst Du normale Spiele im Fernsehen eigentlich noch genießen oder bist du mittlerweile zu verbittert über das Geschäft?
Ich liebe dieses Spiel weiterhin. Und es gibt nur wenige schönere Momente als mit den Kumpels abends im Park zu kicken und danach ein gemeinsames Bier zu trinken. Fußball ist so viel mehr als der Profisport und vielleicht ist das das Ärgerlichste für mich: Diejenigen, die am meisten von diesem großartigen Sport profitieren, die Profis, vergehen sich dermaßen an ihm. Und an den Leuten, die sie groß gemacht haben. Cristiano Ronaldo spielt in Spanien, einem Land mit rund 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Und er zwackt diesem Land mehr als 150 Millionen an Werbegeldern ab, die er über Firmen in Irland und auf den British Virgin Islands abführen lässt. Von den 150 Millionen bleiben Spanien auf diese Weise rund sechs Millionen Euro an Steuern. Geht’s noch? Und klar, diese Gedanken gehen mir schon durch den Kopf, wenn ich das Champions-League-Finale schaue und sehe wie Ronaldo den nächsten Titel gewinnt. Und dafür gefeiert wird. Das ist rein rational gesehen ziemlich schwierig zu kapieren.
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Ist es frustrierend, wenn einige Zeit nach der Veröffentlichung der Ergebnisse und des Buches schon fast wieder so etwas wie Gleichmut einkehrt, wenn man die Berichterstattung über Fußball verfolgt?
Manches nervt mich tatsächlich. Wenn James Rodriguez von Madrid nach München wechselt und alle großen Tageszeitungen darüber debattieren, ob Ancelotti ihn nun links außen oder als Spielmacher einsetzen wird, frage ich mich schon, ob es nicht auch ein, zwei wichtigere Themen rund um diesen Transfer gibt. Zum Beispiel: Gegen James läuft in Spanien gerade eine Steuerprüfung. Auch er hat seine Werbegelder in Übersee geparkt. Oder: Sein Berater ist Jorge Mendes, der erst vor wenigen Tagen in Madrid vor Gericht aussagen musste und den aktuell mehrere Behörden komplett durchleuchten. Fast jeder seiner Spieler arbeitete mit Offshore-Vehikeln, es wirkt als habe Mendes diese Steuerminimierungssysteme ganz gezielt eingesetzt, um auf diese Weise womöglich auch Spieler zu ködern. Das ist ja recht einfach und spricht sich unter den Spielern schnell rum: Hey, da ist ein Berater, der verwandelt dir dein Brutto- nahezu in ein Nettogehalt. Und mit diesem Berater machen die Bayern nun Geschäfte, ohne das eine einzige Zeitung das großflächiger hinterfragen oder kritisieren würde.
Foto: Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images
Gleiches gilt für den ganzen Transfergossip, der täglich durch die Zeitungen und das Internet wabert. Das kann ich ehrlicherweise kaum noch ertragen. Nehmen wir nur diese Modeste-Kiste: Wieso schafft es der Sportjournalismus nicht, sich Quellen aufzubauen, die einem Dokumente zu diesem Transfer zeigen? Das klappt doch in der Wirtschafts- und Politikberichterstattung auch. Im Sport wird hingegen mit irgendwelchen von PR-Beratern formulierten Interviews gearbeitet, die dann über den Boulevard gespielt werden und Gegenreaktionen provozieren sollen. Der Leser ist danach keinen Deut schlauer, außer, dass er denkt, dass die alle doch einen an der Schleuder haben müssen.
Wieso schafft es der Sportjournalismus nicht, sich Quellen aufzubauen, die einem Dokumente zu diesem Transfer zeigen? Das klappt doch in der Wirtschafts- und Politikberichterstattung auch. Im Sport wird hingegen mit irgendwelchen von PR-Beratern formulierten Interviews gearbeitet, die dann über den Boulevard gespielt werden und Gegenreaktionen provozieren sollen. Der Leser ist danach keinen Deut schlauer, außer, dass er denkt, dass die alle doch einen an der Schleuder haben müssen.
Wie wichtig ist solch investigativer Sportjournalismus heutzutage? Leider wirkt es oft so, als gerate er aufgrund der bild- und schlagzeilenorientierten Medienlandschaft eher in den Hintergrund.
Ich glaube, wir sind in der Medienwelt in einer Übergangszeit. Die Vereine und Verbände sind mittlerweile so groß, dass sie Medien eigentlich nicht mehr brauchen. Ein Interview mit Spieler xy? Das kann der Verein auch per Facebook, Youtube oder auf seinen eigenen TV-Bezahlangeboten streamen. Dort hat er mehr Kontrolle über die Inhalte und im Zweifel sogar eine größere Verbreitungsfläche. Sportmedien werden sich im Zuge dieser Entwicklung entscheiden müssen: Machen sie sich noch mehr zum Büttel der Vereine und senden/schreiben diesen PR-Interviews hinterher oder wählen sie einen anderen Weg und verstärken in Zukunft ihre Rechercheteams? Die öffentlich-rechtlichen Sender haben nach den Verlusten der Champions League-Rechte bereits angekündigt, dass sie sich demnächst stärker mit sportpolitischen und -medizinischen Themen beschäftigen wollen. Das finde ich sehr begrüßenswert. Denn eines muss man auch sagen: Die Entkoppelung des Profifußballs von der Gesellschaft hat auch etwas mit der Aufgabe der Kontrollfunktion der Medien gegenüber diesem Sport zu tun.
Ich habe in den vergangenen Monaten Dinge rund um John erlebt, die ich mir so zuvor niemals ausmalen konnte. Wenn Elitesoldaten nach ihm suchen, Personen, die der Mafia nahe stehen, ihm Drohungen zukommen lassen, dann ist das alles extrem ernst zu nehmen.
John hat angekündigt, die Homepage “Football Leaks” vorerst ruhen zu lassen. Wie stellst du dir die Zukunft der Plattform vor? Wird John irgendwann ein frei lebender Mann sein können?
Dazu wage ich keine Prognose, weil ich in den vergangenen Monaten Dinge rund um John erlebt habe, die ich mir so zuvor niemals ausmalen konnte. Wenn Elitesoldaten nach ihm suchen, Personen, die der Mafia nahe stehen, ihm Drohungen zukommen lassen, dann ist das alles extrem ernst zu nehmen. Und es macht es unmöglich, auch nur annähernd zu beschreiben, wie seine Zukunft aussehen könnte.
Foto: LLUIS GENE/AFP/Getty Images
Ihr arbeitet mittlerweile an einem zweiten Buch zu den Daten. Ein weiterer Abgrund, der sich dort auftut, oder nur die Bestätigung einer moralisch verkommenen Branche?
Aktuell gibt es noch keine konkreten Pläne für ein zweites Buch. Wir haben neues Material von Football Leaks (und auch von anderen Quellen, die von sich aus auf uns zugekommen sind) erhalten, das wir gegenwärtig prüfen. Das ist mühselig und wir haben damit alle Hände voll zu tun. Wenn wir diesen Prozess abgeschlossen haben, werden wir aufgrund der Qualität des Materials entscheiden, wie wir es der Öffentlichkeit präsentieren wollen. Aber ich freue mich sehr, dass von vielen Lesern die Nachfrage kommt, ob und wann wir ein zweites Buch planen. Das zeigt uns auch, dass das Erste brauchbar war.
Das Interview führten Christopher Kohl und Arne Steinberg.