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Auswärtsspiel

“Es ist bizarr in dieser Saison”

Im Auswärtsspiel in der englischen Woche äußert sich “Nullfünfer” Till über Anthony Ujah, ein Nicht-Spiel und die Mainzer Stimmungslage in der Krise.

Baumarktatmosphäre © Kevin Berg
© Kevin Berg

© Kevin Berg

Zu den Spielen unseres geliebten und glorifizierten ersten Fußballclubs Köln stellen wir in dieser Saison einem Fan der gegnerischen Mannschaft ein paar Fragen. Und weil Gegner ja immer irgendwie “auswärts” sind, egal ob der effzeh zu Hause oder auf fremdem Platz antritt, und weil die Sichtweise von “auswärts” kommt, heißt die Kategorie folgerichtig “Auswärtsspiel”. Vor dem Heimspiel gegen Mainz 05 unter der Woche sprachen wir mit Till Erdenberger, Exil-Nullfünfer.

Till ist Schreiberling und seit er im Berliner Exil lebt, so etwas wie das Mainzer Antimaskottchen: Immer, wenn er ins Stadion geht, verliert Mainz 05. Außer beim letzten Mal: Da hat es zu einem Unentschieden gereicht. Den Ausgleich hat Till allerdings nicht mehr mitbekommen. Den Fluch im Kopf ist er zum ersten Mal in seiner Bundesligalaufbahn 5 Minuten vor Schluss gegangen, um noch mal ein Zeichen zu setzen. Wenige Sekunden später hat es geklingelt. Till Erdenberger wird heute Abend nicht im Stadion sein!

effzeh.com: Alaaf und Helau – aber was unterscheidet außer dem Karneval noch beide Teams?

Till: Aus der Ferne betrachtet scheint der FC – bei allen logischen Rückschlägen – mit Euphorie und Seriosität wohlig entspannt durch die Saison zu schippern. In Mainz herrscht derzeit nur stoische Seriosität. Keine Wutausbrüche, keine Theatergrätschen, keine Panik – keine Punkte. Oder zumindest in letzter Zeit sehr wenige.

effzeh.com : Mainz wird auch in Köln mittlerweile oft als Vorbild genannt, wenn es um gute Arbeit geht. Was ist das Erfolgsrezept der Nullfünfer?

Till: Das Erfolgsrezept trägt einen Namen: Christian Heidel. Die Zutaten sind Kontinuität und großes Vertrauen in den eigenen Bauch und vor allem den eigenen Kopf. Alle Entscheidungsträger haben sich hier in all den Jahren einen so großen Vertrauensvorschuss erarbeitet, dass eine ausgeglichene “die werdens schon richten”-Mentalität Einzug gehalten hat. Daraus entstand ein Kreislauf, der seines Gleichen sucht, dabei ist es eigentlich ganz logisch: Die Verantwortlichen treffen Entscheidungen, von denen sie überzeugt sind. Richtige Entscheidungen ziehen oftmals Erfolg nach sich. Erfolg macht selbstbewusst und sorgt für Ruhe. Und in der Ruhe kann man dann wieder gute, richtige und nachhaltige Entscheidungen treffen. Und so weiter. Bezeichnend, dass unsere letzte Trainerentlassung den Aufstiegstrainer eine Woche vor Saisonstart getroffen hat. Alle Welt hat Heidel damals für verrückt erklärt, weil er seinerzeit einen A-Jugendtrainer namens Thomas Tuchel auf die Bank gesetzt hat. Der Rest ist Geschichte. Auch, wenn jetzt hier und da ein bisschen Hühnerstall nach Blendgranateneinsatz-Stimmung ist, gibt es doch ein ganz tiefes Vertrauen in die Verantwortlichen.

effzeh.com: Nach Rumpelstart eine gute Phase und jetzt wieder im Abstiegskampf. Der FSV scheint in dieser Saison mehr Wundertüte denn je zu sein, oder?

Till: Es ist tatsächlich ein bisschen bizarr in dieser Saison: In der Depression nach den beiden Pokalniederlagen holt die Mannschaft einen vereinsinternen Startrekord und in diese leichte Euphorie hinein scheint alles wieder auseinander zu fallen. Es gibt für Vereine wie Mainz 05 – oder auch den 1. FC Köln – wahrscheinlich 150 Gründe, warum man ein Bundesligaspiel verlieren kann. Und ganz viele davon entziehen sich dem eigenen Einfluss. Am Anfang hat viel geklappt und es hat auch ein bisschen Glück mitgespielt und irgendwann kippt es und wir lernen gerade kennen, wie es sich in einem solchen Sog leben lässt. Nämlich beschissen. Da schießt du dir die Dinger reihenweise selbst rein, der Gegner wechselt vor dem Spiel den Trainer und kommt aus dem eigenen Negativlauf für einen kurzen Moment raus, wichtige Spieler verletzen sich. Woanders wird dann der Trainer gefeuert, bei uns greifen andere Mechanismen: In den Foren werden nacheinander der Stadionsprecher, der Caterer (zurecht!) oder der Torwarttrainer für den vermeintlich desolaten Zustand der Mannschaft und des Vereins verantwortlich gemacht. Überspitzt gesagt. In echt waren wir am Anfang der Saison spielerisch genau so wenig auf Kurs Europa, wie wir jetzt dem Untergang geweiht sind. Alles wird schön und am Ende werden wir Zehnter.

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Foto-Credit: Dirk Unschuld

effzeh.com : Shinji Okazaki ist Euer gefährlichster Mann, stets torgefährlich und präsent. Auf wen gilt es noch aufzupassen?

Till: Ohne falsche Koketterie: Aktuell auf gar keinen. Ab 25 Meter vor dem Tor überkommt die Kreativen eine Abschlussallergie und die Ideen gehen aus. Wenn Okazaki nicht für Gefahr sorgt, kann man sich eigentlich recht beruhigt zurück lehnen: Es wird nicht viel passieren. Dabei kann man den Jungs den Willen kaum absprechen, aber im Moment krankt es ab der Mittellinie. Dabei gibt es da ja wirklich ein paar Jungs, die uns schon viel Spaß gemacht haben. Vielleicht haben wir uns und die Liga aber auch nur die letzten sieben, acht Spieltage selbst eingelullt, um jetzt endlich gegen die Bayern wieder mal Geschichte zu schreiben. Machen wir ja alle zwei, drei Jahre mal ganz gerne.

effzeh.com : Zwei Ex-Mainzer werden bei uns auflaufen, gerade Ujah ist in bärenstarker Verfassung. Verfolgst du die Form der beiden FC-Kicker, die einst bei Euch waren? Hättest du deren Entwicklung so erwartet?

Till: Klar verfolgt man das, die beiden sind ja auch im Guten gegangen. Gerade Ujah kam ja mit einem Haufen Vorschusslorbeeren zu uns und hat auch immer mal wieder aufblitzen lassen, was Heidel und Tuchel offenbar in ihm gesehen haben müssen. Letztendlich hat es aber einfach nicht ganz gereicht. Beinahe genau so war es bei Risse auch. Eigentlich hätte er schon bei uns viel mehr zeigen müssen, kam aber oft einfach nicht so richtig aus dem Quark. Dass die Jungs woanders Fuß gefasst haben, ist deswegen nicht ganz überraschend. Schön, dass sie es gepackt haben. Und gerade Ujah weint man natürlich in dieser Situation schon manchmal ein Tränchen nach. Allerdings wurde in den letzten zwei, drei Wochen auch wirklich schon jedem Stürmer seit dem seligen Gerd Klier nachgeweint. Und seitdem hat so mancher im Nachhinein arg glorifizierte Nullkicker seine Visitenkarte in Mainz abgegeben. Also: Anthony, mit uns das wird nichts mehr.

effzeh.com : Was oder wen hättest du gern vom effzeh? Und was verbindest du mit dem Klub?

Till: Den FC und den FSV verbindet wohl auf alle Zeiten ein Nicht-Spiel. Ich denke, du weißt, welches ich meine. Es war wohl kein Zufall, dass sich Babak Rafati damals vor dieser Ansetzung versucht hatte, das Leben zu nehmen. Es gab ja eine Vorgeschichte: Rafati hatte euch in unserer zweiten Bundesligasaison im ersten Saisonspiel einen Skandalelfer zugeschustert, in der Folge wurde er am Bruchweg zur persona non grata. Bei einem späteren Heimspiel wurde er beim Aufwärmen von der kompletten Südtribüne so vehement ausgepfiffen, dass er sein Programm in die andere Hälfte verlegen musste. Für Mainzer Verhältnisse eigentlich völlig untypisch. Und ich muss gestehen, dass es ein beinahe wohliges Gefühl war, damals Rafati als Reaktion auf seine Fehlleistung das Arbeiten anständig erschwert zu haben. Als Jahre später die Meldung von seinem Selbstmordversuch kam, erinnerte man sich natürlich an die Vorgeschichte. Und leider erst da und viel zu spät fiel zumindest mir dann doch wieder ein, dass die handelnden Akteure auf dem Rasen vor allem Menschen sind. Egal, wie viel sie verdienen, egal, wie viele Fehler sie machen. Ich unterstelle grundsätzlich allen Beteiligten, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen handeln und deshalb auch und gerade bei für uns schmerzlichen Fehlleistungen dennoch mit Respekt und Würde behandelt werden müssen. Deshalb erinnern mich Spiele gegen den 1. FC Köln immer wieder daran, dass es “nur” Fußball ist, dass es “nur” Menschen sind und dass man sich in den 90 Minuten auch und gerade auf den Rängen so benehmen sollte, dass man auch 2 Jahre später noch in den Spiegel schauen kann.

Ziel: In der Bundesliga etablieren.   © Frank Schneeweiß

© Frank Schneeweiß

Was ich vom 1. FC Köln gerne hätte? Den einen Punkt, den ihr mehr habt, als wir. Und ansonsten hätte ich gerne Anthony Ujah für mein Comunio-Team. Der FSV ist tatsächlich auf allen Schlüsselpositionen – hoffentlich noch auf Jahre hinaus – gut besetzt. Spieler kommen und Spieler gehen, weswegen ich mir da niemanden wünschen würde. Hauptsache, der Architekt, der das “Große Ganze” vorgibt, Ihr scheint in dieser Hinsicht ja auch endlich auf einem ganz guten Weg zu sein.

effzeh.com: Das letzte Duell ging knapp an uns, da waren wir noch Zweitligist. Warum beenden wir trotzdem nicht unsere Heimschwäche gegen Euch?

Till: Ganz ehrlich: Vielen Dank für die Vorlage, aber mir fällt im Moment kein triftiger Grund ein. In der Saison, als unser Spiel gegen euch verschoben werden musste, gab es für uns schon einmal den Dreierpack Stuttgart-Köln-Bayern für uns, aus dem wir sieben Punkte geholt haben. Da sich Geschichte wiederholt, brauchen wir aus den letzten beiden Spielen des Jahres noch sechs Punkte. Deswegen… Vielleicht? Wirkt das sehr konstruiert? Ach, weißte was? Wir hauen euch weg und fertig. Fußball braucht keine Gründe, wir aber die Punkte und das gute Gefühl.

effzeh.com : Dein Tipp zum Abschluss!

Till: 3-0 für uns. Ich weiß nicht wer und ich weiß nicht wie. Aber so ist eben Fußball. Kann man nicht immer erklären.

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