Den HSV nach allen Regeln der Kunst HSV’t: Der effzeh profitiert von einer umstrittenen Entscheidung und schießt sich gegen die Hamburger nach verdientem Rückstand zum besten Saisonstart seit 1996.
Wie sollte es auch anders sein: Et Sünnche schingk, als wieder zahllose effzeh-Bekloppte ihren Weg nach Köln-Müngersdorf finden. Nur eine Woche nach dem überraschenden 1:1 gegen Vizemeister Wolfsburg steht der Hamburger SV auf dem Plan. Und die Laune ist auch purer Sonnenschein – ist ja nur der HSV. Der Boulevard surft ebenfalls mit einem vermeintlich lustigen, aber definitiv respektlosen Artikel auf der Hochstimmungswelle. „Das kann nur in die Hose gehen, sonst wäre es ja nicht der effzeh“, befindet mein Nebenmann am Eingang der Playa. „Ich bin wirklich optimistisch, das kann nur Schlechtes bedeuten“, entgegne ich mit dem Wissen um diese absurde Situation. „effzeh-Heimspiele sind wie Karneval, Weihnachten und Silvester. Einfach nichts erwarten, dann wird’s schon irgendwie okay“, erklärt mir der nächste Bekannte.
Eine Stunde später verstehe ich, was er meint: Überzeugend ist das nicht, was der glorreiche 1. FC Köln da auf den Müngersdorfer Rasen zaubert. Ein konstruktives Aufbauspiel findet seltenst statt – stattdessen der lange Hafer Richtung Anthony Modeste, der jedoch bei der Hamburger Innenverteidigung bestens aufgehoben ist. Das unruhige, oft unterbrochene Spiel wirkt so ein wenig wie der alte Spruch: „Diskutiere nie mit Idioten! Sie holen dich auf ihr Niveau und schlagen dich dort mit Erfahrung!“ Und der HSV scheint mit den Rhythmuswechsel zwischen Hektik (oh, diese vermeidbare Ballverluste!) und Apathie (oh, diese ewig dauernden Einwürfe und Freistöße) deutlich besser zurecht zu kommen. Es ist in den ersten 45 Minuten ein Duell auf Augenhöhe – leider auf Augenhöhe Rasenkante. Und die Hamburger, ja diese eigentlich schon gedanklich aus der Liga verbannten Hamburger haben die besseren Offensivaktionen. Denn der effzeh hat in Halbzeit eins einfach gar keine!
Lethargie? Fick dich ins Knie!
Und während man auf den Rängen noch so diskutiert, wo eigentlich Anthony Modeste heute ist und ob Peter Stöger in der Pause nicht besser personell irgendetwas verändert hätte, führt plötzlich der HSV. Und das praktisch durch einen Klassiker des Kölner Ballverlust-Repertoires: Einwurf inklusive folgendem Zweikampfverlust. Dass dann auch noch Sven Schipplock, der mit seinen Füßen aus Malta nun wahrlich nicht weiß, wie er es in die Bundesliga geschafft hat, das Tor von Lewis Holtby mit einem beherzten Sprint und einer klasse Hereingabe vorbereitet, macht die ganze Situation noch schlimmer. Es war zu diesem Zeitpunkt ein verdienter Rückstand: Zu lethargisch hatte sich der effzeh präsentiert, gegen einen gut sortierten HSV keinerlei konstruktive Offensivbemühung zustande gebracht und dazu noch in den entscheidenden Momenten geschlafen. Eine Reaktion (außer dem Wechsel von Kapitän Matthias Lehmann auf Milos Jojic): Zunächst nicht vorhanden! Stattdessen musste Timo Horn, Rondorfs Finest, gegen Ivo Ilicevic noch sein ganzes Können aufbieten.
Das war jetzt allerdings der Weckruf: Jojic per Hacke auf Modeste, Latte. Jojic in den Lauf von Modeste, aber der Abschluss mitten auf den Keeper. Aber der effzeh lebte, er kratzte, er biss, er stemmte sich endlich gegen diesen unangenehm zu bespielenden HSV. Und hatte noch ein Ass im Ärmel: Philipp Hosiner sollte es bei seinem Bundesliga-Debüt nun richten. Bei der ersten Chance war das Zielfernrohr noch nicht kalibriert, in der 76. Minute war es dann soweit: Neu-Kapitän Jonas Hector (kostet in der Kreisliga für gewöhnlich einen Kasten) startete, wurde von Kevin Vogt gefunden und brachte den Ball perfekt in die Mitte. Hosiner schob problemlos zum 1:1 ein – und ließ das ausverkaufte Müngersdorfer Stadion beben. Ich konnte die Kommentatoren schon hören: Eine Geschichte, die nur der Fußball schreibt. Smells like Hollywood.
Umstritten? Interessiert nicht!
Dabei sollte die filmreife Aktion doch noch folgen. Und auch dort war HO, HO, HOSINER beteiligt! Frederik Sörensens Befreiungsschlag hatte den aufgerückte HSV seziert, Jojic nutzte die Gelegenheit zu einem starken Seitenwechsel auf Hosiner, der den Ball nur an einem Hamburger Verteidiger vorbei Richtung Modeste bringen musste. „Spieeeeeeeeeeeel“, schienen alle Kölner Fans zu brüllen – und der Österreicher spielte. Perfekt, zu Modeste, der muss doch, nein, er verstolpert, er fällt, das war nichts, weiterspielen. Aber Deniz Aytekin entschied auf Elfmeter – und Platzverweis für Emir Spahic. Ausgerechnet Aytekin, der uns in der vergangenen Saison in Mönchengladbach (erinnern wir uns an den Freistoß, der keiner war – und die mögliche Gelb-Rote gegen Xhaka) und gegen Leverkusen (was für ein Elfmeter bei Kießlings Umfaller) schon so manche Nerven gekostet hat. Umstritten, heiß diskutiert, eventuell sogar falsch: Interessiert nicht, vor allem nicht Anthony Modeste, der vom Punkt eiskalt blieb. 2:1 – das Spiel gedreht, der FC auf dem Weg zum bärenstarken Saisonstart!
Aber noch war nicht Schluss: So lahm die Partie in der ersten Hälfte war, so nervenaufreibend war sie nach dem Seitenwechsel. Eckball HSV, Cleber setzt das Ding völlig frei aus sechs Metern am Tor vorbei. Durchatmen. Bittencourt allein Richtung Hamburger Tor, er muss doch nur querlegen zu Modeste, dann ist das Ding durch, er legt quer, aber wie, Chance vorbei. Risse mit dem Arm am Ball, im eigenen Strafraum, Elfmeter? Nein! Fünf Minuten über der Zeit – Abpfiff, Jubel, Heiterkeit. Sieben Punkte hat der effzeh nach drei Spielen auf dem Konto, doch wie er dieses Spiel gewinnen konnte, weiß er wohl selber nicht. Den HSV nach allen Regeln der Kunst HSV’t, ma sagn! „Jetzt wissen die Hamburger endlich, wie sich die Gegner bei ihren Siegen fühlen“, urteilt ein Kollege, noch während die HSV-Spieler inklusive Trainer Bruno Labbadia wütend auf Schiedsrichter Aytekin einreden. „Karma is a bitch“, fällt mir nach intensiven 90 Minuten, den vielen nicht gegebenen Elfmetern in der Vorsaison und der Erinnerung an den höchst umstrittenen Klassenerhalt der Hanseaten ein. Auf den Punkt bringt es dann doch Ralf Friedrichs: „Der #effzeh-Sieg war vielleicht nicht gerecht, aber wäre der Fußball gerecht, würde der #HSV in der 2. Liga spielen…“
||| Wie Dittsche ohne Bademantel – unsere Einzelkritik |||
Der #effzeh Sieg war vielleicht nicht gerecht, aber wäre der Fußball gerecht würde der #HSV in der 2. Liga spielen. …
— Ralf Friedrichs (@FC_STAMMTISCH) August 29, 2015
Zahlen lügen nicht…
- Sieben Punkte aus drei Spielen: Der effzeh feiert den besten Saisonstart in der Bundesliga seit 1996. Damals war der beste Verein der Welt nach drei Siegen zum Auftakt (3:0 in Düsseldorf, 1:0 gegen 1860 München und 3:1 in Freiburg) sogar letztmals Tabellenführer in der Beletage des deutschen Fußballs. Am Ende der Saison wurden unsere Jungs Zehnter – damit könnten wir durchaus leben!
- In the middle of nowhere: Dass die Stöger-Elf in der Zentrale keinen Zugriff auf die Partie bekam, hatte auch mit einer desaströsen Zweikampfbilanz zu tun. Kevin Vogt gewann beispielsweise nur 38 Prozent seiner Zweikämpfe, Kapitän Matthias Lehmann sogar nur ein Fünftel aller direkten Duelle. Im Vergleich: Hamburgs Gideon Jung war in fast drei Viertel aller Zweikämpfe (73 Prozent) erfolgreich, auch Lewis Holtby (59 Prozent) und Albin Ekdal (53 Prozent) haben eine positive Bilanz.
- Das Dutzend ist voll: Die Folterkammer Müngersdorf scheint Vergangenheit zu sein, denn der effzeh bleibt im Kalenderjahr 2015 vor den eigenen Fans weiter ohne Niederlage. Der 2:1-Sieg über den HSV war bereits die zwölfte Partie in Serie, die die Stöger-Elf im Müngersdorfer Stadion nicht als Verlierer verlässt. Allerdings gewann der effzeh auch nur vier Partien (gegen Frankfurt, Hoffenheim, Schalke und jetzt gegen den HSV) aus diesem Dutzend.
- Volles Haus in Müngersdorf: 50.000 Fußballfans fanden den Weg in den Kölner Westen, um sich das 89. Bundesliga-Duell der beiden Traditionsvereine anzuschauen. Und insbesondere der Gästeanhang zeigte sich lautstark: Ganz im Kontrast zu dem müden Haufen, der in der Vorwoche unser Stadion beehrte, waren die HSV-Fans ein würdiger Gegner für den glorreichen effzeh. Auf den Rängen war das Duell schon sehr akzeptabel, die Partie konnte erst in der Schlussphase das Niveau angleichen.
Die Statistik
1. FC Köln: Horn – Olkowski (66. Hosiner), Sörensen, Heintz, Hector – Vogt, Lehmann (59. Jojic) – Risse, Zoller (81. Gerhardt), Bittencourt – Modeste
Hamburger SV: Adler (40. Hirzel) – Diekmeier, Spahic, Cleber, Ostrzolek – Ekdal – Jung (46. Kacar), Holtby (82. Lasogga), Gregoritsch – Schipplock, Ilicevic
Tore: 0:1 Lewis Holtby (47.), 1:1 Philipp Hosiner (76.), 2:1 Anthony Modeste (80. Elfmeter)
Gelbe Karten: Simon Zoller (42.), Marcel Risse (82.) – Sven Schipplock (49.), Albin Ekdal (55.)
Rote Karte: Emir Spahic (79.)
Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach)
Zuschauer: 50.000