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Rezension zur Dieter-Müller-Autobiografie: Die Tragik eines Torjägers

Auf und neben dem Platz: Dieter Müller kann auf ein bewegtes Leben mit reichlich Tragik zurückblicken. Das tut der einstige Torjäger des 1. FC Köln in einer kurzweiligen Autobiografie, die – wie er selbst – nicht ohne Schwächen ist. Unsere Rezension zu “Meine zwei Leben”.

Bildnummer: 06986888 Datum: 24.08.1974 Copyright: imago/Ferdi Hartung Dieter Müller (1. FC Köln); 307 Fussball Herren vsw vneg xmk 1974 quer o0 1. BL, Saison 1974/1975, GER, Porträt, Aufnahmedatum geschätzt Image number 06986888 date 24 08 1974 Copyright imago Ferdi Hartung Dieter Mueller 1 FC Cologne 307 Football men Vsw Vneg xmk 1974 horizontal o0 1 BL Season 1974 1975 ger Portrait date estimated
Foto: imago images / Ferdi Hartung

Mit Biografien ehemaliger oder gar noch aktiver Fußballer ist es immer so eine Sache. Zumeist sind die Ballkünstler, die auf dem Platz für ordentlich Furore gesorgt haben, neben dem grünen Rasen so gar nicht interessant. Wer gut kickt, muss beileibe noch keine spannende Person sein. Oder sie sind intellektuell aus derart schlichtem Holz gezimmert, dass sich eine Lektüre quasi mangels Inhalt dem normalen Fan schon verbietet. Auch glattgebügelte Imagetextchen aus der PR-Hölle wurden genauso gesichtet wie vermeintlich brisante Abrechnungen, um die Geschichte zu den eigenen Gunsten drehen zu können. Es gibt sie aber auch, die kleinen, feinen Ausnahmen – von Persönlichkeiten, die nicht nur mit dem Ball umzugehen wussten, sondern auch etwas von Wert zu erzählen haben.

Dazu zählt definitiv Dieter Müller, der legendäre Torjäger des 1. FC Köln. 1978 holte der treffsichere Mittelstürmer (159 Tore in 248 Bundesliga-Spielen für die „Geißböcke“) mit dem FC das Double, ein Jahr zuvor bereits das erste Mal in seiner Karriere den DFB-Pokal. In beiden Saisons war Müller in der Bundesliga Torschützenkönig (1977 mit 34 Treffern, 1978 mit 24), 1976 war der Kölner bei der Europameisterschaftsendrunde mit vier Toren der erfolgreichste Stürmer der DFB-Auswahl, die erst im Elfmeterschießen des Endspiels den Titeltraum begraben musste. Nach seinem Abschied aus Köln 1981 war der Erfolgshunger des gebürtigen Hessen aber noch längst nicht gestillt: Bei Girondins Bordeaux wurde Müller 1984 und 1985 französischer Meister, gilt noch heute als einer der besten Stürmer in der Geschichte des traditionsreichen Vereins.

“Das Schicksal kann ein mieser Verräter sein”

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Cover: Edel Books

Eine Bilderbuchkarriere, die allerdings von einiger Tragik begleitet wurde: Müller wird 1954 wenige Monate vor dem „Wunder von Bern“ als Dieter Kaster geboren. Sein leiblicher Vater ist der Fußballspieler Heinz Kaster (unter anderem Eintracht Frankfurt), der sich allerdings nach der Geburt seines Sohnes schnell aus dem Staub macht. Erst im hohen Erwachsenenalter lernt Müller ihn überhaupt kennen. Der spätere Weltklassestürmer wächst in bescheidenen Verhältnissen bei seinen Großeltern auf, bis seine Mutter den Offenbacher Baulöwen Alfred Müller kennenlernt. Der vermögende Unternehmer wird Dieters großer Förderer – und verstirbt, bevor der Angreifer seinen Durchbruch feiert. Damit nicht genug der Dramen: Nach der erfolgreichen Fußballkarriere muss Müller den Tod seines Sohnes verkraften, der mit 16 Jahren einem Gehirntumor erliegt. Die einstige FC-Legende springt derweil 2012 dem Tod von der Schippe: 31 Minuten steht sein Herz still, doch vor allem dank seiner damaligen Lebensgefährtin und heutigen Frau Johanna überlebt Müller ohne bleibende Schäden.

Über diese dramatischen Schicksalsschläge im Privatleben erzählt der heute 66-Jährige in seiner 240 Seiten starken Autobiografie „Meine zwei Leben“ (erschienen als Hardcover bei Edel Books), die er in Zusammenarbeit mit dem „kicker“-Journalisten Mounir Zitouni verfasst hat, genauso wie über die wohl glanzvollste Zeit des 1. FC Köln mit Trainern wie Hennes Weisweiler, Rinus Michels oder Tschik Cajkovski. Es ist die Geschichte eines Fußballheldens, der auf dem Platz große Erfolge feiern durfte, dafür aber außerhalb des grellen Scheinwerferlichts Tiefschläge überwinden musste. „Was mir das Schicksal genommen und der Fußball gegeben hat“ lautet die sinnige Unterzeile seiner Autobiografie, die auch die Tiefpunkte im Leben des Dieter Müller nicht ausspart. Krisen sportlicher Natur, Krisen zwischenmenschlicher Art, Krisen gesundheitlichem Kalibers. Der einstige Top-Torjäger lässt im Rückspiegel wenig aus.

Ein unterhaltsamer Gesprächspartner mit “großem Herzen”

Und doch bleibt Müller, wenn er in seiner Autobiografie auf sein abwechslungsreiches Leben voller Aufs und Abs blickt, seltsam reserviert, bis auf das von ihm komplett selbst verfasste und sehr berührende Kapitel zu seinem Sohn Alexander geradezu emotional distanziert. Man ist geneigt zu sagen, auch hier spiegelt sich im Erzählen auf den 240 Seiten, die nicht immer gänzlich chronologisch geordnet sind und dem Leser mitunter so manchen Zeitsprung zumuten, der Torjäger Dieter Müller wider. Ohne großen Schnörkel, ohne langes Vorspiel werden die Themen angesprochen und abgehandelt. Es wird nicht lange verbal herumgedribbelt, vielleicht ästhetisch wertvoll um den Strafraum kombiniert, es geht zur Sache, es wird auf das eigentliche Ziel hingearbeitet. Nicht ungehobelt, sondern klar, reflektiert und besonnen.

FRANKFURT AM MAIN, GERMANY - SEPTEMBER 04: Dieter Mueller, member of the Club of Former National Players is seen prior to the EURO 2016 Qualifier match between Germany and Poland at Commerzbank-Arena on September 4, 2015 in Frankfurt am Main, Germany. (Photo by Thomas Niedermueller/Bongarts/Getty Images)

Foto: Thomas Niedermueller/Bongarts/Getty Images

„Dieter war ein Fußball-Ästhet, der aufgrund seiner sympathischen Art überall, wo er spielte, Freunde hinterließ. Er ist ein sensibler Junge mit großem Herzen, was in diesem Fußballgeschäft etwas Außergewöhnliches war und ist“, schwärmt beispielsweise Gernot Rohr, sein ehemaliger Mitspieler aus Zeiten bei Girondins Bordeaux. Das zeichnet auch Müllers Autobiografie aus: Müller scheint niemandem (außer seinem ersten Profitrainer Gyula Lorant), den er in seinem Leben begegnet ist, wirklich böse zu sein. Welch unterhaltsamer Gesprächspartner der einstige Weltklassestürmer sein kann, beweisen nicht nur die zahlreichen Interviews, die er rund um das Erscheinen von „Meine zwei Leben“ gegeben hat, sondern auch unzählige Anekdoten aus den „guten, alten Zeiten“ des Fußballs, die die FC-Legende im Buch zum Besten gibt.

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Das bestätigt auch sein guter Freund Helmut Schulte, der ihn Anfang der neunziger Jahre bei Dynamo Dresden, als Müller Manager und Schulte Trainer des sächsischen Traditionsvereins waren, kennen und schätzen lernte. „Gefühl, Lebensklugheit und Humor sind Ingredienzien eines sehr wertvollen Menschen“, erklärt der einstige Fußballprofi in seinem Vorwort der Autobiografie.

Eine Autobiografie wie der Mensch: Nicht ganz perfekt, aber sehr sympathisch

Gerade diese Komponenten allerdings hätten im Buch gern größeren Platz finden können: Müller blickt zwar nicht nur auf die schönen Seiten seines Lebens, sondern erzählt auch von den Fehl- und Schicksalsschlägen. Da gehen die Schilderung jedoch oft nicht in die Tiefe – es ist vielmehr ein Abhandeln, was passiert ist, statt zu ergründen, wie er diese Probleme bewältigt hat. Die philosophische Seite des großen Torjägers, sie bleibt so unter der Oberfläche. Die ist aber, auch wenn es mitunter etwas sehr in die „Früher war alles besser“-Richtung geht, interessant genug für ein kurzweiliges Lesevergnügen, das nicht nur für Fans des 1. FC Köln eine Bereicherung darstellt. Es ermöglicht einen Blick auf den Menschen hinter dem erfolgreichen Angreifer, der trotz aller Tore für das Fußballgeschäft vielleicht etwas zu sensibel war. Man könnte sagen, Dieter Müllers Autobiografie ist wie er selbst: Nicht ganz perfekt, aber emotional, unterhaltsam und sehr sympathisch. Das ist deutlich mehr Wert, als die meisten Fußballer von sich und von ihren Biografien behaupten dürfen.

Dieter Müller mit Mounir Zitouni: Meine zwei Leben – Was mir das Schicksal genommen und der Fußball gegeben hat; 240 Seiten, Hardcover, Edel Books; ISBN 978-3-8419-0697-7; 22 Euro

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