Der 1. FC Köln befindet sich im Sturzflug – der Abgang von Jörg Schmadtke markiert nur den vorläufigen Tiefpunkt dieser Entwicklung. Wie konnte es soweit kommen – und wo wird das noch enden?
Marco Höger schaut geschockt, Leo Bittencourt entsetzt und traurig, Peter Stöger tröstet beide. Gerade hat der 1. FC Köln in Dortmund mit 0:5 verloren, chancenlos und auch in der Höhe völlig verdient. Stögers Serie von drei ungeschlagenen Saisons gegen den BVB riss auf dramatische Weise, auch weil die Dortmunder mit mehr Konsequenz und weniger Gnade viele weitere Tore hätten erzielen können. Die Kölner Spieler stehen immer noch ohne Punkt am Tabellenende, mit einem Torverhältnis von 1:12.
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Dieser desaströse Auftritt gegen den BVB ist jetzt viele Wochen her, die Situation hat sich jedoch nicht verbessert. Nach neun Ligaspielen steht der effzeh mit einem Torverhältnis von 3:17 und zwei Punkten immer noch auf dem letzten Platz. Die “Geißböcke” verloren wichtige Spiele gegen die direkte Konkurrenz (Frankfurt, Stuttgart, Hamburg) und stehen mit dem Rücken zur Wand.
Die Spielanlage ist die eines Absteigers, die Bilanz sowieso; die Stimmung logischerweise im Keller. Die Mannschaft ist im Vergleich zum Vorjahr nicht mehr wiederzuerkennen – auch unabhängig vom Weggang des Toptorjägers. Nun macht auch noch der Geschäftsführer Sport den Abflug, obwohl er erst kürzlich seinen Vertrag verlängerte. Ungläubig und unablässig fragt man sich: Was zur Hölle ist eigentlich passiert, dass den Verein jetzt so tief in der Scheiße sitzen lässt?
Anzeichen gab es schon 2016/17
Trotz des fünften Tabellenplatzes der vergangenen Saison gab es in der Rückrunde der Saison 2016/17 sportliche Anzeichen für Rückschritte. Nach einer sehr starken Hinrunde, die von einigen Verletzungen ausgebremst wurde, hielt die positive Entwicklung nicht an. Überschattet von einem überragenden Anthony Modeste war die Defensive seit dem Tausch von Mergim Mavraj gegen Neven Subotic erheblich anfälliger, was sich bis jetzt fortsetzt. Im Angriff hatte der effzeh beim Kreieren von Torchancen auch damals enorme Probleme, abgesehen von Yuya Osako gab es keinen Spieler, der Modeste gut zuarbeiten konnte – Leo Bittencourt und Marcel Risse waren verletzt.
Der euphoriegeladene und durchaus glückliche Schlussspurt kaschierte, wie auch hart erarbeitete Siege wie etwa gegen Frankfurt, die schon damals sichtbaren sportlichen Mängel. Als Symbolfigur dafür kann Milos Jojic gelten, der in der Rückrunde oft zum Einsatz kam und auch einige Tore erzielte, aber nie konstant Bundesliganiveau nachweisen konnte. Er war im Kopf und in den Beinen zu langsam – diese Beschreibung trifft heute auf viele Spieler zu. Die sportliche Leitung in Person Jörg Schmadtkes wusste diese Anzeichen nicht richtig zu deuten und konnte im Sommer keinerlei Abhilfe schaffen: Wie schon in den letzten drei Transferphasen wurden keine substantiellen Verstärkungen an Bord geholt.
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Wie unglücklich das Trainerteam darüber gewesen sein soll, wurde in den letzten Wochen öfters kolportiert – der Bedarf, die hinlänglich bekannten Baustellen zu schließen, war offensichtlich mehrfach deutlich gemacht worden. Sportlich ist der aktuelle Tabellenstand das Ergebnis einer fatalen Fehleinschätzung des Kaders, einer katastrophalen Transferpolitik und einer aus den Fugen geratenen, rat- und kopflosen Mannschaft.
Der Absturz spiegelt jedoch nur wider, was längst offensichtlich ist: Der effzeh scheint nach seinem Höhenflug im Gesamten wieder der einst unterstellten Hybris verfallen zu sein. Jörg Schmadtkes spontaner Abgang vom 23. Oktober und seine schon zuvor getätigten Äußerungen, wonach er einfach nicht mehr der Sündenbock sein wolle, zeigt, dass der Leitsatz “Der 1.FC Köln steht über allem” für manche offenbar nur eine abgedroschene Phrase zu sein scheint. Der Ex-Manager legte einen Abgang hin, der in vielerlei Hinsicht an seine Demissionen bei Hannover 96 und Alemannia Aachen erinnerte.
Mitgliederversammlung steht symbolisch für alles, was falsch läuft
Die Macher scheinen inzwischen jedoch nicht nur die sportlichen Realitäten aus dem Blick verloren zu haben, sondern lassen auch im Umgang mit den eigenen Fans mittlerweile oftmals das nötige Fingerspitzengefühl vermissen. Hierfür war die Mitgliederversammlung bester Anschauungsunterricht: Die Vereinsmitglieder, die einen Antrag auf Änderung der Satzung zur Stärkung der Mitgliederrechte bei Investoreneinstiegen stellten, wurden als Unruhestifter deklariert und mit einem impliziten AfD-Vergleich im Geißbockecho überzogen (den der 1. FC Köln nach Veröffentlichung des umstrittenen Interviews zurückwies), viele Unterstützer des Vorhabens fühlten sich bei der Antragsdebatte von der Redeleitung benachteiligt. Eine Entschuldigung dafür gab es bis heute nicht. Wozu auch, wenn doch Vereinsmitglieder vorher zum politischen Gegner hochstilisiert wurde, der sich darüber dann auch qua Status nicht zu beschweren hat?
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Zu dem Mangel an Feingefühl gesellen sich aber all die Kleinigkeiten, die so viel Schmerzhaftes über den gegenwärtigen Zustand des Vereins verraten. Der effzeh vergleicht sich in den Redebeiträgen mit der Spitzenklasse, verhält sich aber in vielen Dingen wie ein sich selbst überschätzender Kreisligist. Auf der Bühne vergleicht Werner Spinner den effzeh in der Stadionfrage mit Bayern München, nachdem vorher der Beginn der Versammlung massiv verzögert wurde, weil man mit dem Mitgliederandrang nicht klar kam – den man mit der Aussicht auf einen kostenlosen Europapokal-Hoodie zuvor beinahe herausgefordert hatte.
Man muss es mit aller Bitterkeit aussprechen: Der effzeh ist auf Platz fünf zur Sonne geflogen und hat nicht gemerkt, dass seine Flügel instabil sind, weswegen er nun krachend abgestürzt ist.
Der Flug zur Sonne & der tiefe Sturz
Toni Schumacher freut sich über die Leistungen der Damenmannschaft und behandelt diese gleichzeitig in unerträglichem Chauvinismus wie Modepüppchen. Alexander Wehrle spricht darüber, wie wenig kommerzialisiert der effzeh doch eigentlich sei und droht den Fans gleichzeitig damit, dass man das Kommerzrad noch deutlich schneller drehen könnte als ohnehin schon. Und Jörg Schmadtke muss einen desaströsen sportlichen Stand kommentieren, für den er maßgeblich verantwortlich ist, erkennt jedoch bei sich keine Fehler, sondern schiebt die Schuld auf das angeblich unruhige Umfeld des Vereins.
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Im Gegenteil: Die beleidigte Art seines Abschieds deutet darauf hin, dass es um den Umgang mit Kritik nicht zum Besten steht und er offenbar auch nicht die Suppe auslöffeln will, die er dem Verein maßgeblich eingebrockt hat. Man muss es mit aller Bitterkeit konstatieren: Der effzeh ist auf Platz fünf zur Sonne geflogen und hat nicht gemerkt, dass seine Flügel instabil sind, weswegen er nun krachend abgestürzt ist. Er ist der Ikarus der Bundesliga. Dass dies in den Abstieg mündet, ist derzeit leider mehr als wahrscheinlich. Und trotz des freien Falls spricht man immer noch von einem Stadion mit 75.000 Zuschauern, als sei die aktuelle Situation dafür völlig ohne Bedeutung. Der größte sportliche Hoffnungsträger ist 39 Jahre alt und derzeit verletzt.
Auf der nächsten Seite: Machtfülle, Fehler und Bindung zu den Fans.
Die Erkenntnis, die daraus folgt, ist eine, die schon zur Präsidentschaft Wolfgang Overaths gewonnen werden konnte: Menschen, die im Verein mit einer bis zur Unnahbarkeit geltenden Reputation ausgestattet sind, werden so schnell unangreifbar, dass sie weder von ihren Mitgängern in Vorstand und Geschäftsführung eingefangen werden können, noch von den Kontrollgremien. Der Mitgliederrat ist hierbei das einzige Gremium, das sich gelegentlich öffentlich äußert und den Protagonisten ihre Grenzen aufzeigt – wenn auch nur in dem Rahmen, den die Satzung vorgibt.
“Im Erfolg begeht man die größten Fehler”
Andere Gremien wie der Beirat oder der Aufsichtsrat sprangen dem Vorstand bereitwillig zur Seite: Während der Antragsdebatte zur Satzungsänderung sprachen sich Horst Becker (Beirat) und Aufsichtsrat Jörg Heyer deutlichst gegen den Vorschlag aus. Selbst im Mitgliederrat gab es jemanden, der entgegen der vorgegebenen Marschroute des Gremiums, sich in der Debatte neutral zu verhalten, seine Meinung äußerte: Michael Trippel, Fanliebling und Stadionsprecher, hielt einen solch konfusen, intellektuell unbrauchbaren und polemischen Redebeitrag, dass ihm von vielen Fans nahegelegt wurde, mindestens einen seiner Posten zu räumen.
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Die Satzung, die 2012 eigentlich verabschiedet wurde, um künftige despotische Umtriebe innerhalb des Vereins soweit wie möglich einzuschränken, sieht den Mitgliederrat als Kontrollinstanz des Vorstands und den Aufsichtsrat als ebenjene für die Geschäftsführung vor. Während ersterer jedoch Differenzen klar anspricht und sogar öffentlich benennt (etwa für den Fall eines chinesischen Investoreneinstiegs), scheint der Aufsichtsrat seit dem Rauswurf Jürgen Siegers den Geschäftsführern zu freie Hand gelassen zu haben. Dabei hatte der Mitgliederratsvorsitzende Stefan Müller-Römer schon vor einem Jahr gewarnt, dass man im Erfolg die größten Fehler begehe und man deshalb aufpassen müsse. Diese Warnung wurde offensichtlich überhört.
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Gerade im sportlichen Bereich gibt es ein massives Kompetenzvakuum, da Jörg Schmadtke sich diesen Bereich komplett untertan gemacht hatte. Neben Schmadtkes Hybris und seinen Fehleinschätzungen war es auch der mangelnde Wille, ihn einzudämmen, der zu den Transferphasen der vergangenen Monate führte. Er war im sportlichen Bereich der Alleinherrscher – und ob er jemanden neben sich geduldet hätte, der im sportlichen Bereich mitreden soll, war angesichts seiner Vorgeschichte in Aachen und Hannover äußerst fraglich. Nun erhält der Verein die Chance, den Fehler, den er bei Schmadtke beging, nicht zu wiederholen: alle sportliche Macht und Kompetenz auf eine Person zuzuschneiden.
Dabei wäre die sportliche Kompetenz in der Person von Jörg Jakobs eigentlich sogar im Klub vorhanden gewesen. Der Sportdirektor wirkte drei Jahre an der Transferpolitik mit und zeichnete dem Vernehmen nach für die Verpflichtung mehrerer interessanter und entwicklungsfähiger Spieler verantwortlich. Obwohl nicht jeder Spieler einschlug, wurde immerhin versucht, die Lücken im Kader zu schließen. Doch um den promovierten Sportwissenschaftler wurde es seit etwa zwei Jahren sehr ruhig.
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Mittlerweile arbeitet der Sportdirektor vornehmlich im Nachwuchsbereich und eine weitere Zusammenarbeit ist nach dem Auslaufen seines Vertrages zum Saisonende nicht wahrscheinlich. Zu kühl, zu distanziert klingen die dazugehörigen Aussagen. Jakobs scheint derzeit weder die Reputation noch den Einfluss im Verein zu haben, um sich wieder in die Kaderplanung einbringen zu können. Ob es die Verpflichtung eines 39-jährigen Altstars wie Claudio Pizarro bei einem höheren Einfluss Jakobs’, etwa bis vor zwei Jahren, gegeben hätte, scheint doch recht fraglich zu sein. Ob Jakobs nach Schmadtkes Abgang in die vorderste Front geholt wird, ist ungewiss.
Die Bindung zu den Fans ist nicht mehr vorhanden
Die ganze Tragik der aktuellen Lage zeigt sich auch darin, wie stiefmütterlich der Verein mit seinen Fans umgeht. Sie fühlen sich vielerorts nur noch als Konsumenten, die brav ihren Obolus zu entrichten haben, regelmäßig Merchandisingprodukte kaufen sollten und denen bei der Hymne auf der Mitgliederversammlung Tränen in den Augen stehen müssen. Das Potential, das alleine in der ehrenamtlichen Fanszene brach liegt, ist gewaltig. Es gibt wohl kaum einen Verein, dessen Fans angesichts des aktuellen Tabellenstands derart ruhig bleiben würden und die sofort zu Hilfe eilen würden, wenn der Verein aktiv auf sie zugehen würde. Eine solche Situation gab es während der beiden Zweitligajahre von 2012 bis 2014. Jeder wusste: Wenn ich nicht hingehe, stirbt der Verein. Das wurde damals vom effzeh dankbar angenommen.
Foto: Dan Mullan/Getty Images
Wie sich die Zeiten und die Leute geändert haben, zeigten für so manchen Hardcore-Fan die ersten Reaktionen nach dem Auswärtsspiel in London: Es gab eine nahezu ausschließlich friedliche Faninvasion an einem Wochentag im Ausland, rund 20.000 Kölner feierten an der Themse die Rückkehr nach Europa. Weil der FC Arsenal völlig überfordert war und wenige Fans sich nicht ans Protokoll hielten, wurde das Spiel verspätet angepfiffen. Im Stadion sprengten die Kölner sämtliche Lautstärkerahmen, die das Emirates Stadium in den letzten Jahren erlebte – unabhängig von der Leistung der eigenen Mannschaft.
Nach dem Spiel zollten die Spieler ihren Fans aus respektvoller Entfernung höflich Dank und zeigten sich auch anschließend irritierend zurückhaltend über einen der größten Tage in der jüngeren Vereinsgeschichte. Selten gab es eine Szene, die bezeichnender für die gefühlte Distanz zwischen Verein und Fans und für die generell abgehoben empfundene Haltung im Club war. Unter Michael Meier wurde der Begriff der elitären Arroganz geprägt. Welcher Begriff für die aktuelle Phase des 1. FC Köln als Überschrift dienen könnted, ist noch nicht klar. Irgendwas ähnliches könnte es aber wohl leider sein.