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Bundesliga-Stadionpläne: Braucht der effzeh wirklich ein größeres Stadion?

Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

Eine der wichtigsten Fragen in dieser Sommerpause betrifft die Spielstätte des effzeh. Baut man in Köln aus oder komplett neu? Wir haben mit Filmemacher Hermann Rheindorf über den “Mythos Müngersdorf” gesprochen.

Auch wenn die Saison beendet ist, dreht sich in Köln derzeit alles um den Fußball. Die Debatte um die Zukunft der eigenen Heimspielstätte beschäftigt den Verein, die Fans und auch bei der Stadt werden verschiedene Szenarien durchgespielt. Zuletzt wurde bekannt, dass sowohl der Verein als auch die Kölner Sportstätten, eine hundertprozentige Tochter der Stadt Köln, mit Albert Speer und Partner denselben Stadtplaner mit verschiedenen Gutachten beauftragt haben. Erste Ergebnisse der Machbarkeitsstudien über Ausbau und mögliche Standorte für einen Neubau werden Ende Juli erwartet.

Die Ausgangslage: Der 1.FC Köln könnte im Moment deutlich mehr Karten verkaufen als die derzeit möglichen 50.000. Mit mehr als 90.000 Mitgliedern, 25.000 Dauerkarten-Besitzern und fast 10.000 auf der Warteliste klingen Mehreinnahmen in Millionenhöhe durch ein größeres Stadion mit 75.000 Plätzen verlockend. Die Anhängerschaft jedoch ist gespalten: Während große Teile der aktiven Fanszene ankündigen, bei einem Neubau vor den Toren der Stadt nicht um jeden Preis mitziehen zu wollen, freuen sich andere auf mehr verfügbare Karten und damit größere Chancen, auch mal eins der begehrten Tagestickets zu erhaschen.

Warum hängen so viele effzeh-Fans so sehr am Müngersdorfer Stadion?

Der historische Aspekt der Debatte wird vernachlässigt

Ein Aspekt, der in der Stadion-Debatte bislang vernachlässigt wurde, ist der historische. Schon seit über 90 Jahren ist Müngersdorf Kölns Heimat für den großen Sport und Schauplatz von Großveranstaltungen mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern. Der Mythos Müngersdorf, was macht ihn aus? Warum hängen so viele Menschen an dem Traditionsstandort? Filmemacher Hermann Rheindorf hat sich in seinem neusten Dokumentarfilm dieser Frage angenommen. In seiner „Kölner Stadionchronik “ beleuchtet er die 93-jährige Geschichte des Sportparks Müngersdorf, auf koelnprogramm.de erfährt man mehr über seine Projekte. Wir haben mit ihm über das Stadionerlebnis, Kosten-Nutzen-Rechnungen und Großmannsdenken gesprochen.

Was macht die Faszination Müngersdorf für diese Stadt aus?

Hermann Rheindorf: Seit 93 Jahren ist das Müngersdorfer Stadion Kölns Heimat für ganz großen Sport. Seitdem kommen dort regelmäßig viele tausende Menschen zusammen. Vorher gab es zwar auch schon einen großen Sportplatz in Köln, nämlich die Poller Wiesen. Dort war das bis dato größte Sportfeld Kölns. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs mussten in Deutschland und somit auch in Köln sämtliche Verteidigungsanlangen und Forts gesprengt werden. Die darum liegenden Äcker und Wiesen mussten vorher frei bleiben: Wäre Köln angegriffen worden, wären die Wiesen vor den Anlagen ein Schlachtfeld gewesen.

[accordions] [accordion title=”Zur Person” load=”show”]Hermann Rheindorf ist Journalist, Filmemacher und Arsch-huh-Sprecher. Seine „Kölner Stadionchronik“ kann man hier bestellen oder bei Vimeo online streamen.[/accordion] [/accordions]

Foto: Hermann Rheindorf

Und deswegen durfte dieser Bereich nicht bebaut werden. Da Deutschland nach dem verlorenen ersten Weltkrieg diese Verteidigungsanlagen nicht mehr haben durfte, wurden sie gesprengt oder abgerissen. Erst dann entstand die Möglichkeit, dort zu bauen. Es ist jetzt 93 Jahre her, dass das erste große Stadion – das 50 Jahre gehalten hat – dorthin gebaut wurde. Wenn man sich mit Müngersdorf als effzeh-Heimat oder als Spielstätten-Heimat identifiziert, dann interessiert man sich wahrscheinlich auch mal für die Frage, wie das denn so geworden ist, wie es heute ist. Wenn man als Traditionsverein in die eigene ruhmreiche Geschichte guckt, dann kommt man an Müngersdorf nicht vorbei.

Jeder – unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern – war mit großer Wahrscheinlichkeit schon mindestens einmal an diesem Ort, den du auch regelmäßig besuchst, wo deine Kinder hingehen. Das Müngersdorfer Stadion ist eins der öffentlichsten und bekanntesten Gebäude der Stadt, mit dem jeder auch besondere Erinnerungen mit verbindet. Große sportliche Erfolge, aber auch tolle Konzerte wie beispielsweise das der Rolling Stones. Jede Generation verbindet Erinnerungen mit diesem Ort. Das Stadion und diese Erinnerungen wiederum verbinden Generationen miteinander.

Auf der nächsten Seite: Die Gründe für den Film und das Stadionerlebnis in den 70ern.

“Das Medium “Film” ist besonders anschaulich”

Warum hast du einen Film darüber gemacht?

Rheindorf: Wenn man sich fragt, wie war das denn damals, dann vermittelt das Medium „Film“ besonders anschaulich. Man kann in einer historischen Zeitreise wunderbar nachvollziehen, wie im Grunde genommen eine Veranstaltung die andere ablöst. An den Bildern kann man erkennen, in welchen Zeiten das eben war. Das gilt besonders während der Kriegszeit: Gerade sah man noch ein „Länderspiel der Nazis“ und kurz darauf fährt der amerikanische Jeep ins Stadion ein. Man kann in die verschiedenen Epochen schauen, wie sich das Gefühl ändert, wie sich das Aussehen der Leute ändert. Und plötzlich kommt man in der Gegenwart an und dort hakt dann irgendwann die eigene Erinnerung ein und so wird man selbst mit den eigenen Erinnerungen Bestandteil der Dokumentation. Das macht diese Doku über das Stadion so interessant für die Menschen.

Was ist denn deine liebste Erinnerung an das Müngersdorfer Stadion?

Rheindorf: In den 70er Jahren war ich immer in der Südkurve, Eingang 19 bis 21. Es zog mich dort immer wieder hin, weil dort die Fans gesungen haben. Wenn man als Kind oder Jugendlicher zum ersten Mal dort ist, orientiert man sich doch immer an denen, die für Stimmung in der Bude sorgen. Damals waren das diese beiden Eingänge, dort konnte man fast immer für fünf Mark eine Jugendkarte bekommen. Auch bei Auswärtsspielen am Bökelberg oder im alten Haberland-Stadion in Leverkusen ging man einfach zum Kassenhäuschen und holte sich dort eine Karte. In dieser Zeit lag der Zuschauerschnitt noch bei 15.000 Besuchern pro Spiel. Und wenn man zu Hause gegen eine graue Maus wie den VfL Bochum oder den MSV Duisburg spielte, dann kamen vielleicht 8000 Leute. Da kamen wir uns vor wie die Avantgarde! Das hatte für mich nichts mit Eventcharakter, sondern das, was dort stattfand war immer echt – keine Inszenierung.

Wenn die eigene Stadt eines der modernsten Stadien hat, dann ist das schon ziemlich beeindruckend.

Das Stadionerlebnis in den 1970er Jahren

Damals gab es auch so gut wie keine Werbung. Wir waren ab zwei Stunden vor Anpfiff im Stadion und er wurde ab und zu mal eine Durchsage gemacht, aber es war kein Werbemarathon und durchgängige Musik gab es auch nicht. Es war einfach echt. Wenn wenige Leute da waren, war es relativ ruhig, wir kamen uns manchmal vor wie der letzte Mohikaner. Der effzeh hatte damals auch nur 2000 Mitglieder.

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Das Stadion von 1974 fanden wir als Kinder richtig cool, weil es unfassbar groß aussah. Das war das erste komplett überdachte Stadion Deutschlands. Das war damals für uns das Nonplusultra! Auch wenn die Tartanbahn für uns keine Funktion hatte, so machte das Stadion damit einen machtvollen Eindruck. Wenn die eigene Stadt eines der modernsten Stadien hat, dann ist das schon ziemlich beeindruckend. Als Kind bildest du dir etwas darauf ein. Das sind meine Jugenderinnerungen an dieses Stadion.

Du verfolgt die aktuelle Diskussion über Ausbau oder Neubau – was sagt dein Herz?

Rheindorf: Ich spüre natürlich das Dilemma. Und darum finde ich es ganz wichtig, dass man klärt, was eigentlich alles an dieser Ausbau-Frage hängt. Kann man das technisch machen? Ja, das kann man – wenn auch für astronomisch anmutende Summen. Der effzeh äußert ja nicht zum ersten Mal den Wunsch nach einem größeren Stadion. Schon vor drei Jahren war das ein Thema, doch damals plante man nur in die Richtung eines Fassungsvermögens von 65.000 Leuten. Doch damals sah man schnell ein, dass die Zeit noch nicht reif war. Man hat das damals aber simuliert, wie das aussehen könnte. Daran kann man sich ja heute orientieren, wenn man mit 75.000 Besuchern rechnet. Eine Erweiterung auf 65.000 Zuschauer wird aktuell mit 80 Millionen Euro Baukosten taxiert, eine Aufstockung auf 75.000 auf mehr als 100 Millionen, also fast so viel wie das gesamte Stadion vor 13 Jahren gekostet hat.

Auf der nächsten Seite: Rheindorf weiter über die aktuelle Stadion-Debatte.

“Man muss auch auf die äußeren Faktoren Rücksicht nehmen”

Doch ich sehe aber auch, dass die äußeren Faktoren, auf die man hier sonst noch Rücksicht nehmen muss, einem Höllenritt gleichen, wie ein Insider es nennt: Denkmalschutz, Naturschutz, Lärmschutz, gravierende Mängel bereits jetzt bei der Verkehrslage, ein horrender Nachholbedarf bei der KVB und zu Recht kritische Anwohner, die das Projekt juristisch in die Länge ziehen oder gar verunmöglichen könnten. Wenn man sich das alles bewusst macht, fragt man sich nicht, ob man das nicht einfach lassen sollte. Hinzu kommt, dass sich der Verein für den Ausbau ein hohes finanzielles Risiko auf sich nehmen würde. Man sollte ja auch – zumindest theoretisch– einplanen, dass die sportliche Leistungskurve auch mal wieder nach unten gehen kann und dann weiß man nicht mehr, ob dann alle plötzlich noch ihren Spaß haben, jedes Wochenende zu leiden, wie wir das ein paar Jahre gemacht haben. Das drückt ja richtig aufs Gemüt.

Wenn man über Jahre hinweg immer diese Fahrstuhl-Erlebnisse hat und weiß, dass dann ein richtiger Trauerschleier über der Stadt und über den Schlagzeilen hängt, die einen von gestern Straßenecke anbrüllen. Wer zahlt dann noch, um den 1. FC Köln zu sehen? Ich glaube, das Herz der allermeisten hängt an Müngersdorf, keine Frage. Aber man muss jetzt mal sehen, wie es weitergeht.

Was man dann abwägt, was man für das Geld bekommt und die Emotionen außen vor lässt, ist es wahrscheinlich günstiger und praktikabler einen neuen Stadionkomplex zu bauen.

Und was ist mit den Fans, die nie an Karten kommen und den FC auch mal gern live und in Farbe erleben würden?

Foto: Mika Volkmann/Bongarts/Getty Images

Man könnte beispielsweise prüfen, wie viele Sitzplätze man in Steher umwandeln könnte. Das wäre eine gute Möglichkeit, um mehr Leute ins Stadion zu bekommen. Oder man schraubt an den Formen für die Ticketverteilung: Muss man wirklich alle Spiele sehen oder kann man auch mal zwei Spiele der Saison in der Kneipe gucken, wie andere auch? Für den Verein bringt das zwar keine Mehreinnahmen, aber es könnte den Frust der Fans entzerren, die nie an Karten kommen. Über solche Modelle könnte man drüber nachdenken.

Aber daran verdient der Verein nicht wirklich viel mit?

Rheindorf: Der Verein will einfach die Chance nutzen, Geld zu verdienen. Und dabei sprechen wir von einer Erweiterung der Plätze auf über 70.000 Besucher. Wenn das der erklärte Wille der Verantwortlichen ist, ist der Standort Müngersdorf einfach nicht konkurrenzfähig. Es gibt zwar ein allgemeines Bekenntnis zu Müngersdorf, aber wenn ich mir die Frage stelle, was es bedeutet, in Müngersdorf auszubauen, dann sind die Schwierigkeiten so hoch, dass es dort auf den ersten Blick gar nicht möglich ist. Man müsste so ziemlich alle bestehenden Regeln außer Kraft setzen, die Anwohner besänftigen, unverhältnismäßig tief in die Tasche greifen und der effzeh bekäme dafür nur 25.000 zusätzliche Plätze, darunter viele mit Sichtbehinderung. Was man dann abwägt, was man für das Geld bekommt und die Emotionen außen vor lässt, ist es wahrscheinlich günstiger und praktikabler einen neuen Stadionkomplex zu bauen.

“Im Zweifelsfall lieber kleinere Brötchen backen”

Man hat ja nicht ohne Grund einen Stadtplaner beauftragt, keinen Architekten. Albert Speer und Partner machen moderne Stadtplanung. Ich sehe da eher einen richtigen Komplex, eine „Stadium City“ mit allem Drum und Dran. Mit angeschlossener Shopping-Mall, eigenem Autobahnzubringer und perfekter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Das, was da überlegt wird, ist eher die Kategorie „Think Big“. Das wird nicht vergleichbar sein mit Gladbach, wo man einfach ein Stadion aufs platte Land gesetzt hat. Das ist aber nur mein Gefühl, wenn ich spekuliere.

Dein Schlusswort?

Rheindorf: Um Köln die Zerreißprobe zu ersparen, würde ich an die Verantwortlichen appellieren: Prüft bitte ganz genau, welche Möglichkeiten man Müngersdorf hat. Im Zweifelsfall gilt: lieber kleinere Brötchen backen und die 75.000 Zuschauer erstmal ad acta legen. Stattdessen könnte man schauen, was man mit kleineren Maßnahmen erreichen kann.

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