Lieber Herbert Neumann,
schön, dass Sie sich so viele Gedanken über den 1. FC Köln machen. Die Tatsache an sich, dass Sie sich so oft zu diesem Verein zu Wort melden sowie Ihre Vergangenheit lassen eigentlich darauf schließen, Sie hingen noch immer an diesem schönen Club.
Doch dann muss man lesen, wie Sie Herrn Scherz Ihre Meinung via Medien zuflüstern möchten, ausgelegt wie ein Schriftwechsel, wobei die Frage erlaubt sein sollte, wieso so etwas nicht wirklich einfach im Stillen, per Mail oder vielleicht im Rahmen einer Brieffreundschaft, vonstattengehen kann, dann müssten wir uns nicht am folgenden stören.
So schreiben Sie nach dem „Komplettversagen im Spiel gegen den MSV Duisburg“ von Konzeptlosigkeit, mit der der Trainer seine Spieler „ins Elend“ schicke. Von schlechter Spielfeldbesetzung, einem plan- und fast hilflosen Hin- und Hergeschiebe des Balls, einem nicht nachvollziehbaren Rotationsprinzip und einem nicht existierenden Mittelfeld. Dies seien lediglich die „vordergründigsten Kritikpunkte“.
Hatten Sie sich bis hierhin vor allem auf den in Ihren Augen konzeptfreien Trainer eingeschossen, knüpfen Sie sich als nächstes die Sportliche Leitung vor. Schließlich sei es Ihnen ein Rätsel, wie man es zulassen könne, dass ein Spieler wie Lehmann verpflichtet wurde. Diesem sprechen Sie besondere fußballerische Qualitäten und somit seinen Mehrwert für den Verein ab und schaffen es dabei sogar noch, einen weiteren Pfeil gegenüber dem Trainer zu platzieren („Vielleicht besteht einer für den Trainer“). Hier sieht man übrigens ein wunderbares Beispiel, wie destruktive Schreibweise funktioniert: Innerhalb eines beschriebenen Sachverhaltes werden mehrere, in diesem Fall drei, Parteien angegriffen: Die Sportliche Leitung, die den Transfer zuließ, der Trainer, der offenbar den Leistungsgedanken beiseiteschiebt und der Spieler, der es angeblich nicht besser kann (was aus der Feder eines ehemaligen Profis am schwersten wiegt).
Dem Trainer hinterlassen Sie anschließend auch noch einen weiteren kleinen Gruß, indem Sie festhalten, der täglichen Trainingsarbeit mangele es an „messerscharfen Analysen und gezielten Anpassungen von Trainingseinheiten“. An dieser Stelle wäre ein kleiner Hinweis wünschenswert, wie oft Sie tatsächlich zuletzt vor Ort waren, um sich ein genaues Bild von der Trainingsarbeit zu machen und selbst wenn Sie täglich dabei sein sollten: Was treibt Sie zu einer solchen, die Arbeit eines Profitrainers vernichtenden Aussage, dessen Gesamtwirken Sie mit Sicherheit selbst als Dauergast des Trainings nicht wirklich einschätzen können? Oder sind Sie auch bei den Ansprachen dabei?
Nachdem also die Gegenwart bulldozerartig niedergewalzt wurde, wird dann zum ganz großen Schlag ausgeholt: Dem Verein mangele es an einer präzise definierten Idee. Überspringen wir den faktisch falschen weiteren Kritikpunkt, die Jugend hätte seit „gefühlten 20 Jahren (…) keine Ausnahmespieler ausgebildet“ (kennen Sie Podolski?) und wenden wir uns dem großen Ganzen zu, denn dieses scheint Ihnen ja am Herzen zu liegen: Beim effzeh ist wie immer alles schrecklich schlecht und peinlich.
Das kennen wir ja. Das wussten wir ja schon. Das langweilt. Nur: Fällt Ihnen dann dabei etwas auf? Oder anders gefragt: Sehen Sie ein, dass diese Aneinanderreihung einem vernichtenden Rundumschlag gleichkommt, dem jegliches Maß an differenzierter Betrachtungsweise fehlt? Und der vor dem Hintergrund des nun folgenden noch aberwitziger erscheint, denn: Erinnern Sie sich? Schrieben Sie selbst nicht am 29.10., also vor rund zwei Wochen (!) Ihrem Freund Scherz noch folgende Zeilen:
„Nach den Verirrungen der letzten Jahre – die gekennzeichnet von einer Fülle falscher Entscheidungen waren, die in einem rasanten Tempo und begünstigt durch einen Mangel an Kontrolle getätigt wurden – ist nun so etwas wie Ruhe eingekehrt. Der Wahnsinn scheint zu Ende. Vieles fühlt sich neu an. Langsamkeit, Entschleunigung und ein klarer Kopf sind angesagt. Eins nach dem anderen.
Der Vorstand bereitet die nächsten notwendigen Schritte vor, der Trainer bemüht sich um Geradlinigkeit, und die Mannschaft kämpft, läuft und präsentiert sich meist als Einheit. Das Publikum erscheint zahlreich, ist geduldig, übt sich in Bescheidenheit, und das Präsidium singt zusammen mit den Fans die FC-Hymne. Das ist alles ziemlich neu, anders und ein bisschen gewöhnungsbedürftig.“
Ist es also so, dass Sie noch am 29.10. – auch wenn Sie damals bereits Optimierungsmöglichkeiten (übrigens auch seinerzeit vor allem in der Trainingssteuerung) erkannt haben wollten – einigermaßen zufrieden mit dem Status Quo waren? Und ist es vor diesem Hintergrund nicht mehr als fragwürdig, zu einem derart großen, radikalen und absoluten Rundumschlag auszuholen, der alles, aber auch wirklich alles in Frage stellt? Und wo wir schon bei Fragen sind: Was soll das bringen? Ist das wirklich konstruktiv? Möchten Sie sich wirklich einreihen in die Riege der ewig lästernden Ehemaligen? Wie hätten Sie zu Ihrer aktiven Zeit einen derartigen Beitrag von Seiten eines Ihrer Vorgänger empfunden? Hätte ein solcher Beitrag Ihre Bindung und Identifikation zum Club gesteigert? Wären Sie am nächsten Spieltag höchstmotiviert dem Ball hinterhergehechelt?
Verstehen wir uns nicht falsch: Ihre Sicht ist zu respektieren und Kritik muss erlaubt sein, besonders nach den zuletzt gezeigten Leistungen. Und auch emotionale Kritik ist im Rahmen der Fußballbericherstattung und –betrachtung voll und ganz nachzuvollziehen. Aber bitte mit Bezug zum eigenen Standpunkt und zumindest mit einem Funken differenzierter Sachlichkeit. Oder möchten Sie sich, wenn zwei weitere Wochen verstreichen, die dann vielleicht/hoffentlich positiver verlaufen, erneut von Ihrem letzten Standpunkt verabschieden und eine Kehrtwende einschlagen müssen?
Wobei: Aus Sicht der Leser und Menschen, die mit diesem Club mitfiebern, wäre dies sogar zu wünschen.