Zu den Spielen unseres geliebten und glorifizierten ersten Fußballclubs Köln werden wir auch in dieser Saison einem Fan der gegnerischen Mannschaft ein paar Fragen stellen. Und weil Gegner ja immer irgendwie “auswärts” sind, egal ob der effzeh zu Hause oder auf fremdem Platz antritt, und weil die Sichtweise von “auswärts” kommt, heißt die Kategorie folgerichtig “Auswärtsspiel”. Wir sind nicht nur gespannt, wieviel effzeh in den Anhängern der anderen Bundesligisten steckt, sondern erwarten auch eine Einschätzung zur Situation der eigenen Mannschaft.
Für das heißersehnte Derby in Mönchengladbach haben wir mit Michael Heinen gesprochen, der bei seitenwahl.de (Twitter: @Seitenwahlde) über den VfL schreibt. Wir sprechen über den Formabfall der Gladbacher, den Verlust von Schlüsselspielern und die Perspektiven für den effzeh.
Nach einem eigentlich guten Saisonstart ist man in Gladbach dennoch unzufrieden: zwölf Punkte aus zehn Bundesligaspielen können sicherlich nicht der Anspruch sein. Siehst du das ähnlich oder gestehst du der Mannschaft eine solche Phase auch einmal zu?
Die Mannschaft hat seit 2011 in jedem Jahr auf oberstem Niveau gespielt und die Erwartungen selbst vieler Fans zumeist übertroffen. Da ist es kein Drama, wenn in diesem Jahr ggf. mal ein Tabellenplatz herauskommt, mit dem das Potential der Mannschaft nicht vollständig ausgeschöpft wird. Zumal es insbesondere mit den Verletzungen einiger wesentlicher Stammspieler gute Gründe für ein solches Abschneiden gibt. Problematischer sehe ich die mittelfristige Perspektive, denn schon in der Rückrunde der Vorsaison war Borussia sehr inkonstant und überwiegend mittelmäßig unterwegs. Saisonübergreifend gab es in den letzten 29 Bundesligaspielen genauso viele Siege wie Niederlagen. Dieses Mittelmaß spiegelt sich aktuell in der Tabelle wider und langfristig sollte es nicht der Anspruch von Borussia sein, sich dort festzusetzen.
Wie geht man allgemein mit einer erhöhten Erwartungshaltung um, wenn man regelmäßig zu Gast in Europa ist? Dies soll ja langfristig auch mal das Ziel des effzeh sein…
Der Verein macht es sich ein wenig einfach, wenn er stets auf die Situation 2011 verweist, als der Verein mit anderthalb Beinen in der 2. Liga stand und sich nur sehr knapp in der Relegation rettete. Es ist ganz natürlich und auch wichtig, dass sich innerhalb von fünf Jahren die Ansprüche des Vereins langsam aber stetig steigern. Borussia gehört mittlerweile sowohl vom Spieleretat als auch von der Qualität des Kaders zum oberen Tabellendrittel, sodass es nicht vermessen ist, auf eine Endplatzierung in diesem Bereich zu hoffen. Wenn es gut läuft, ist dann wie im Vorjahr sogar die Champions-League drin. Wenn es schlecht läuft, wie offenbar dieses Jahr, kann man auch mal aus Europa rausrutschen. Dessen ist sich ein Großteil der Fans schon bewusst – nicht zuletzt weil er es von Max Eberl gebetsmühlenartig eingetrichtert bekommt. Grundsätzlich sind derlei Mahnungen („jaaanz ruhig“, wie Herr Schmadtke sagen würde) schon der richtige Weg. Trotzdem muss es auch ein Max Eberl ein Stück weit akzeptieren, dass am langen Ende die Ansprüche steigen. Ziel muss es sein, sich ehrgeizige, aber nicht überzogene Ziele zu setzen.
[perfectpullquote align=”left” cite=”Michael Heinen” link=”” color=”” class=”” size=””]”Wenn es schlecht läuft, wie offenbar dieses Jahr, kann man auch mal aus Europa rausrutschen.”[/perfectpullquote]Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür, dass es momentan nicht so gut läuft? Sind es die Verletzungen der Schlüsselspieler, die Dreifachbelastung oder Fehlentscheidungen von Trainer Schubert?
Wie so oft ist es eine Vielzahl von Gründen. Die Verletzungen sind in jedem Fall ein Faktor, denn wie jeder Verein hat auch Borussia Spieler, die nicht gleichwertig zu ersetzen sind. Zudem kann durch den verletzungsgeplagten Kader die Rotation nicht so zielgerichtet vorgenommen werden wie es in den vergangenen Jahren möglich war, so dass auch die Belastung schwerer wiegt. Darüber hinaus agiert aus meiner Sicht aber auch der Trainer nicht immer glücklich und macht sich durch einige Aktionen angreifbar.
Du sprichst an, dass Schubert momentan etwas in der Kritik steht. Kannst du das nachvollziehen?
Ihm ist zugute zu halten, dass er nach dem Schock des Favre-Abgangs einige hervorragende Entscheidungen getroffen hat. Er hat nicht gleich alles über den Haufen geworfen, sondern geschickt auf die überragende Vorarbeit seines Vorgängers aufgebaut. Mit einigen personellen Umstellungen hat er sich eine Achse aus Christensen – Xhaka – Dahoud – Stindl – Raffael aufgebaut, sodass sich die Mannschaft in den ersten Wochen seiner Interimsregentschaft in einen Rausch spielte. Danach fing er aber zunehmend an, seine eigenen Ideen ins Spiel einzubauen, sei es mit der Dreierkette oder dem Streben nach absoluter Flexibilität. Mit dem 3:1-Erfolg über Bayern München wurde er in seinen Träumen zunächst bestätigt. Danach rutschte die Mannschaftsleistung aber zunehmend ins Mittelmäßige ab. Anstatt auf gewachsene Mechanismen und ein gestandenes Korsett aufzubauen, versteifte sich Schubert zunehmend in taktische Experimente, womit er seine Mannschaft zunehmend zu überfordern scheint. Fast jeder Spieler hat in den vergangenen Monaten auf verschiedensten Positionen gespielt. Die daraus entstandene Verunsicherung war bei den meisten Spielen zuletzt spürbar.
In der Bundesliga sind die Gladbacher seit fünf Spielen ohne eigenes Tor. Liegt das eher an taktischen oder mentalen Gründen? Fehlt es an einem Konzept für die Offensive oder ist es „nur” die mangelnde Chancenverwertung?
Auch hier wird es eine Mischung von allem sein. Ein Kernproblem ist sicherlich die jüngste Verletzung von Raffael gewesen, der für Borussias Offensivspiel eine herausragende Bedeutung einnimmt. Sein natürlicher Vertreter Hazard, der sehr gut in die Saison gestartet ist, fiel ebenfalls aus, sodass Borussia auf dieser zentralen Position viel Qualität gefehlt hat. Auch der Abgang von Granit Xhaka ist ein zu beachtender Faktor, zumal der designierte Nachfolger Mo Dahoud bislang nicht in der Lage ist, die gewünschten Akzente zu setzen. Trotzdem sollten die verbleibenden Offensivspieler stark genug sein, um mehr Torgefahr zu entwickeln als zuletzt. Da spielen dann zum Teil auch die Personalentscheidungen des Trainers eine Rolle.
Der Gladbacher Trainer setzt ja ähnlich wie Stöger auf taktische Flexibilität, um sich gut an den Gegner anzupassen. Würdest du dir in einer solchen Phase etwas mehr Automatismen wünschen, um Ergebnisse einzufahren?
Taktische Flexibilität ist grundsätzlich ein guter Ansatz und sollte von einer Topmannschaft beherrschen werden. Wie bei so vielem darf man es aber damit nicht übertreiben. Wenn man z. B. über einen der besten Innenverteidiger der letzten Spielzeit verfügt, der von halb Europa gejagt wird, dann erscheint es wenig sinnvoll, diesen auf einmal im defensiven Mittelfeld einzusetzen. Ein Fabian Johnson wiederum hat sich als defensiv starker Außenstürmer bewährt. In den letzten Jahren bildete er mit Oscar Wendt auf links ein überragendes Tandem. Anstatt die beiden weiter zusammen agieren zu lassen, findet sich der Amerikaner aber auf einmal im Sturm wieder, wo er ziemlich verloren wirkt. Die Liste der Beispiele ließe sich noch verlängern. Mit solchen Entscheidungen trägt der Trainer leider auch zur unschönen Situation bei.
Wie ist es um die Hierarchie in der Mannschaft bestellt? Führungsspieler wie Xhaka und Stranzl sind nicht mehr da… Könnte auch dies ein Grund dafür sein, dass es punktemäßig noch nicht so läuft?
Ja. Mit Xhaka, Stranzl, aber auch Brouwers und Nordtveit haben vier Spieler den Verein gelassen, die auf und/oder neben dem Platz eine wichtige Rolle eingenommen haben. Es gibt zwar weiterhin eine Reihe von Spielern, die schon in anderen Vereinen einen Führungsanspruch hatten (z. B. Stindl, Vestergaard). Die neue Hierarchie muss sich aber erst noch herausarbeiten und solche Dynamiken spielen gerade in Zeiten sportlichen Misserfolgs immer eine Rolle.
Wie breit ist der Kader des VfL wirklich? Die Ausfälle von Christensen und Raffael haben ja zwischenzeitlich eine große Lücke hinterlassen, die Spieler wie Schulz oder Hofmann nicht füllen konnten.
Die Breite des Kaders ist schon recht hoch. Trotz der hohen Zahl an Verletzten kann Borussia immer noch auf Spieler zurückgreifen, die ihre Liga-Tauglichkeit unter Beweis gestellt haben. Aber außer vielleicht noch den Bayern gelingt es keinem Bundesligisten, alle Spieler gleichwertig zu ersetzen. Damit muss jeder Verein ein Stück weit leben und dann eben aus den eingeschränkten Möglichkeiten das Optimum machen.
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