Das Lob nach der Partie fiel genauso souverän und ruhig aus wie Sven Müllers Leistung auf dem Rasen. „Er hat gespielt, als ob es Regionalliga wäre. Alles in Ordnung. Genauso wie man sich das wünscht und vorstellt“, resümierte FC-Sportchef Jörg Schmadtke nach dem 0:0 beim VfL Wolfsburg. „Er hat es ruhig und sachlich gemacht, hat allerdings auch nicht allzu viel zu tun gehabt. Aber von einem Spieler, der bei uns einen Vertrag hat, erwarte ich das auch“, so der ehemalige Profi-Torhüter in bekannt bodenständigen Art über seinen erst 20 Jahre alten Schützling, der soeben ein blitzsauberes Bundesliga-Debüt gefeiert hatte. Müller dagegen war nach seiner Premiere völlig verständlich überglücklich: „Ich bin ne kölsche Jung, seit 14 Jahren hier, darf das erste Mal Bundesliga spielen, ich halte die Null, wir punkten, es gibt ‘Sven-Müller’-Sprechchöre – den Tag werde ich nie vergessen“, betonte das FC-Eigengewächs, das seit 2004 die Jugendmannschaften am Geißbockheim durchlaufen hat.
“Wir haben keine Aufregung gespürt”
Viel Arbeit hatte der 1,90 Meter große Modellathlet allerdings wahrlich nicht zu verrichten: Einen eher harmlosen Schuss von Nationalstürmer Mario Gomez, einen Kopfball von Bruno Henrique mitten auf den Mann – das war es an Offensivaktionen von den hochkarätig besetzten „Wölfen“, bei denen Sven Müller eingreifen musste. Ansonsten spielte er souverän mit, behielt die Ruhe und strahlte enormes Selbstvertrauen aus. „Ich war nicht nervös. Alle Mitspieler haben mir Mut zugesprochen, dass ich es machen soll wie immer. Es war Bundesliga-Atmosphäre, aber ich hatte die Coolness aus der Regionalliga“, erklärte der 20-Jährige, der in der ersten Runde des DFB-Pokals beim BFC Preussen (7:0) sein Profidebüt feierte.
13 Begegnungen hatte der ehemalige Junioren-Nationalspieler, der eine Partie für die DFB-U15 absolvieren durfte, zuvor in der vergangenen Saison im Tor der Kölner Viertliga-Reserve gestanden – nun durfte er in Abwesenheit der verletzten Timo Horn (Adduktorenprobleme) und Thomas Kessler (Knieverletzung) sein Können auf der ganz großen Bühne präsentieren. „Es ist schon ziemlich laut. Kommandos geben fällt schwer, deshalb ist man schon ein bisschen heiser nach der Partie“, berichtete Müller nach seiner unvergesslichen Premiere. Zufrieden waren auch die Kollegen, die sich vor dem schweren Auswärtsspiel in Wolfsburg noch eingeschworen hatten, für den unerfahrenen Torwart alles in die Waagschale zu werfen. „Das ist ein selbstbewusster junger Mann, wir haben keine Aufregung gespürt. Das erste Spiel zu Null – da kann man nur gratulieren“, erklärte Abwehrmann Mergim Mavraj.
Zwei Vereinslegenden getoppt
Gratulieren darf man Sven Müller auch zu zwei Wegmarken, die Eingang in die FC-Historie finden: Im zwölften Anlauf blieben die „Geißböcke“ in Wolfsburg endlich einmal ohne Gegentor. Angesichts der schrecklichen „Rama Lama Ding Dong“-Torhymne der Niedersachsen dürfte dies eine Wohltat für Spieler und Fans gewesen sein. Zum anderen hat der junge Torwart durch die „weiße Weste“ zwei Kölner Torhüterlegenden etwas voraus: Toni Schumacher, aktuell FC-Vizepräsident, musste beispielsweise bei seinem Ligadebüt gleich doppelt hinter sich greifen. Beim 2:2 gegen den VfL Bochum vertrat er Anfang September 1973 Stammkeeper Gerhard Welz und musste nach 2:0-Führung noch die Treffer von Werner Balte (Foulelfmeter) und Michael Eggert hinnehmen.
Wenigstens einen Sieg verbuchte dagegen Bodo Illgner bei seiner Startelf-Premiere in der Bundesliga: Nachdem Schumacher gegen die Bayern wegen einer Notbremse vom Feld musste, stand der damals 18-Jährige in der Saison 85/86 beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart in der Startaufstellung. Mit einer souveränen Leistung trug Illgner zum 2:1-Erfolg bei, konnte aber den Gegentreffer von Asgeir Sigurvinsson nicht verhindern. Für die Bestmarke eines seiner Vorbilder dagegen muss sich Müller noch strecken: FC-Stammkeeper Timo Horn behielt gleich in seinen ersten vier Bundesliga-Partien die „weiße Weste“. Das gelang zuvor noch keinem Keeper in der Beletage des deutschen Fußballs. Erst beim Auswärtsspiel in Hannover konnte Joselu den Rondorfer nach 365 Minuten ohne Gegentreffer überwinden.
„Man möchte schon den gleichen Weg gehen wie Timo und Kessi“, betonte Müller angesprochen auf das kölsche Torwart-Trio beim FC vor der Saison. Bereits im Alter von acht Jahren schloss er sich den „Geißböcken“ an, seine Karriere startete er zuvor beim SC West Köln in Neu-Ehrenfeld. Kurios: Von der Apenrader Straße wechselten auch die FC-Jungspunde Marcel Hartel und Salih Özcan in den Grüngürtel. Nachdem der „kölsche Jung“ bereits in der vergangenen Saison mehrfach bei den Profis mittrainieren durfte, machte ihn der Verein nach dem Abgang von U20-Nationalkeeper Daniel Mesenhöler zum dritten Torwart.
Shootingstar mit Bodenhaftung
Eine Beförderung, die ihn vor gewisse Herausforderungen stellte: „Der Sprung ist gewaltig. Es ist schneller, es ist härter, die Schüsse sind für mich als Torhüter ganz anders. Daran muss ich mich erst gewöhnen“, gestand er zum Auftakt der Vorbereitung ein. Die zwei-drei Wochen, die er sich selbst zur Anpassung an das höhere Niveau gab, scheint Müller weidlich genutzt zu haben. Trotz des rasanten Aufstiegs hebt der Shootingstar im Kölner Tor nicht ab – und kennt seinen Platz im Kader. Schon direkt nach seinem Debüt bekräftigte er, Platzhirsch Timo Horn alle Unterstützung zuteil werden zu lassen, damit dieser am nächsten Spieltag gegen Freiburg wieder das Tor hüten könne. „Ich kann meine Rolle ganz klar einschätzen und werde ihn unterstützen. Dieses Erlebnis wird mir keiner mehr nehmen“, ließ er keinen Zweifel an seiner Loyalität. Sollte Horn allerdings auch gegen Freiburg fehlen, wissen alle Beteiligten ganz genau: Auf Müller kann sich der FC verlassen!