Von Gastautor Marcel Ziesner
Lieber 1. FC Köln,
wir schreiben heute den 04. Juli – prinzipiell kein Tag, der dem Vernehmen nach spezieller wäre als jeder andere der restlichen 364 Tage des Jahres. Wäre da nicht dieses besondere Jubiläum, dieser 04. Juli im Jahr 1990.
Vermutlich wirst du dich nicht mehr erinnern, doch ich weiß es noch genau, denn es war Liebe auf den ersten Blick – meinerseits zumindest.
Wir hatten Mittwoch, den 04. Juli 1990. Es lief gerade die Fußball-WM in Italien und ich war 7 Jahre alt und hatte in einer teils fußballbegeisterten, teils fußballdesinteressierten Familie meine ersten Berührungspunkte mit dem runden Leder. Mein erstes Spiel, dass ich geschaut habe, war damals das erste Spiel der deutschen Elf gegen Jugoslawien.
Die WM war schon einige Tage und Spiele alt und Jürgen Klinsmann kristallisierte sich so langsam zu meinem allerersten Lieblingsspieler heraus (er blieb es auch noch viele Jahre bis er irgendwann ein blau-rotes Trikot trug). Die Beckenbauer-Mannen schlugen die Jugos, wir schossen die VAE ab, verwalteten ein Remis gegen Kolumbien. Anschließend schalteten wir Holland aus (damals wurde auch meine sportliche Rivalität gegen die Oranjes begründet) und schlugen im Viertelfinale die CSFR. An besagtem 04. Juli 1990 trafen wir also im Halbfinale auf das englische Team. Auch dieses Spiel durfte ich erneut komplett verfolgen.
Bis zu diesem Tage sollte ich wohl als Bayern-Fan erzogen werden. Mein Vater tat zumindest einiges dafür und stattete mich mit dem Ende der 80er/Anfang der 90er üblichen Fanutensilien aus, z. B. einem Schal und einem Plüschteddy (den ich sogar heute noch hab). Doch wenn man so erpischt ist, jemanden in eine Schublade zu stecken, macht man manchmal auch – entscheidende – Fehler. Wie an besagtem 04. Juli.
Es kam zum Elfmeterschießen, nachdem es nach 120 Min. 1:1 stand. Während Dieter Kürten sich damals im TV durch die Pause zwischen Verlängerung und 11m-Schießen moderierte, fingen die Kameras den deutschen Keeper bei seinen für mich damals sehr spektakulären Dehnübungen vor dem Shoot-out ein und ich begann mich so langsam für diesen gewissen Bodo Illgner zu interessieren. Alle Deutschen trafen, Illgner hielt gegen Pearce, Waddle schoss den Ball in den Himmel und gefühlt ganz Deutschland stürmte auf Illgner zu. Mein erster Held war geschaffen. Und dann kam die entscheidende Frage, deren Antwort bis heute mein Leben beeinflusste: „Wo spielt der Illgner?“. Und der Mann, der mich zum Bayern-Fan erziehen wollte, sagte nur: „Beim 1. FC Köln!“
Und so tratest du in mein Leben.
Wie gesagt, es war Liebe auf den ersten Blick.
Anfangs entwickelte sie sich rasant aber dennoch distanziert, denn du warst noch ein sehr geheimnisvolles Wesen für mich, mit dem ich mich erst mal befassen musste. Das Terrain Bundesliga war für mich neu. Dass ich dir künftig meine Wochenenden widmen würde, das war noch einige Monate nicht abzusehen.
Meine erste Erinnerung an dich nach der WM war ein 2:1-Erfolg von dir auf dem Kaiserslauterer Betzenberg (DFB-Pokal). Diese Schönheitskönigin galt damals vor allem zu Hause als nahezu unbesiegbar, doch du kamst, sahst und zeigtest der Welt, wer die Schönste im Land war!
Selbiges tatest du kurze Zeit später mit einem 3:0 gegen Duisburg, das ich sogar live im TV sah. Der Putz bröckelte erstmals bei einem 1:1 gegen Wattenscheid 09. Dennoch vertiefte sich mein erster Eindruck: Du bist meine Liebe für´s Leben.
Daran änderte auch nichts, als kurz darauf der DFB Pokal an Werder Bremen abgegeben wurde.
In den folgenden Jahren kamen wir uns allmählich näher, woran auch ein Schicksalsschlag im November 1991 nichts machen konnte, als unser beider guter Freund Maurice Banach tödlich verunglückte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser emotionale Punkt unsere Beziehung sogar etwas festigte, denn fortan wollte ich immer weniger von dir verpassen, erkundigte mich regelmäßig nach dir und versuchte dir trotz großer räumlicher Distanz immer relativ nah zu sein – der Sportschau und später ran sei Dank.
Ein wenig frustriert war ich ja schon, als du dich 1992 mal alleine auf große Europatour machen wolltest. Doch die Reise ging letztlich ja auch nur bis nach Schottland und anschließend war das Europathema auch gegessen und ich musste nie mehr den Eindruck gewinnen, du wolltest Reißaus vor mir nehmen.
Dennoch hatte ich das Gefühl, du fühltest dich nicht wohl. Dass es 1992 nur für Schottland reichte, kränkte irgendwie deinen Stolz denn die Jahre danach waren irgendwie dadurch geprägt, dass du scheinbar dieser vergebenen Chance nachtrauertest und mich dabei zu vernachlässigen schienst. Dein gekränkter Stolz schien dich auch müde, hochnäsig und qualitativ nachlassend zu werden. Von Jahr zu Jahr bautest du körperlich irgendwie ab, während ich in unserer Beziehung weitaus mehr an Kraft und Struktur gewann.
Deine Kraftlosigkeit führte dich 1996 schon fast auf die Intensivstation, doch du gaißmayertest dich gerade noch mal durch. Doch es folgte der 09. Mai 1998 und es geschah das schier Unmögliche: Meine geliebte Frau, die stets zu den Schönsten der Schönen gehörte, musste die Liga der nationalen Topmodels verlassen. Warst du wirklich so unattraktiv geworden? War es an der Zeit, sich nach einer jüngeren Partnerin umzuschauen? War unsere Beziehung noch zu retten? Wir entschieden uns beide dafür, in den folgenden Jahren trotz vieler Tiefschläge, so mancher Negativrekorde und – leider muss ich dir das ankreiden – einseitiger Beleidigung, Schmach, Demütigung, usw. unsere Ehe weiterzuführen. Doch es war irgendwie anders, die Anfangseuphorie war einer gewissen Routine gewichen. Du warst relativ leicht ausrechenbar für mich. In manchem Jahr sah ich dir an, dass du es wieder versuchen möchtest, bei den nationalen Schönheiten mitzuwirken, es aber irgendwie nicht durchzustehen vermochtest. In anderen Jahren sah ich dir an, dass du nach einer gewissen Grundsanierung, man nennt es auch Lifting, wieder etabliertest und die Schönheiten der 2. Riege hinter dir lassen konntest. Es folgte ein Jahr aufs andere: Lifting, Demontage, erneutes Lifting, erneute Verbannung aus dem Kreis der Allerschönsten.
So betritten wir eigentlich die Beziehungsjahre 9 bis 22. Nie verlangte ich von dir mehr, als du im leisten zustande warst. Ich wäre schon damit zufrieden gewesen, wenn du jedoch das Machbarste aus dir rausgeholt hättest. Doch meine Wünsche wurden oftmals nicht erfüllt, was zu mehreren Tiefschlägen führte. Ich erduldete sie alle, doch irgendwann war es auch mir zuviel.
Es kam das Jahr 2012 und unsere Beziehung stand kurz vor dem Scheitern. Zu viel hatte ich einstecken müssen, zu einseitig sah ich Liebe geben und Liebe nehmen an: Ich gab fast alles, bekam aber kaum was zurück.
Ich stand 2012 tatsächlich da und wollte die Scheidungspapiere einreichen, doch du warst zum Glück clever genug und suchtest Rat bei Eheberatern namens Spinner, Schmadtke, Wehrle, Stanislawski, Schumacher, Jakobs und Stöger. Diese diversen Herren der Jahre 2012 bis heute haben unsere Ehe wieder aufgefrischt.
Heute, am 25. Jahrestag unserer Ehe, an besagtem 04. Juli, merke ich erneut Tag für Tag, welch wunderbare Frau ich da doch an meiner Seite habe. Schön wie eh und je, nicht mehr ganz so stolz, stark und straff wie noch vor 25 Jahren, doch nach wie vor sexy und erotisch, eine Augenweide durch und durch. Ich freue mich auf die näcshten mindestens 25 Jahre Partnerschaft zwischen uns beiden!