Liebe Leserinnen und Leser,
heute möchte der Autor diese Kolumne dafür nutzen, um Ihnen eine kleine zeitgenössische Geschichte zu erzählen:
Es ist eng. Der Geruch von Männerschweiß liegt in der Luft. Schon seit Stunden sitzen die jungen Männer in dem engen, stickigen Bus. Aus den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage wabert nur eine lauwarme Brise, doch die Fahrt geht unermüdlich weiter. Die Männer haben ein Ziel vor Augen. Und eine Mission. Sie haben genug von der Perspektiv- und Arbeitslosigkeit, der Tristesse ihrer Existenz, den leer gefegten Landstrichen, die kaum Hoffnung auf eine rosige Zukunft machen. Davon, die ewigen Verlierer zu sein. Ihr Schrei nach Liebe ist verhallt.
Alles egal, denken sie und packen die paar Sachen, die sie haben. Ihre Lieblingsklamotten, die gefütterte schwarze Markenjacke, die teuren Lederstiefel, natürlich ihr teures Smartphone – so arm sind sie ja nun auch wieder nicht. Trotzdem kratzen sie ihr Geld zusammen und geben das meiste direkt wieder ab. So einen Transport gibt es eben nicht umsonst, sagt der Fahrer. Benzin, Zeit, Risiko – das muss bezahlt werden. Und alle blechen, weil der Deal eben so ist. Wer mit will, zahlt.
Die Lautsprecher wummern und kratzen. Obwohl die allein reisenden jungen Männer beschlossen haben, ihre Heimat zu verlassen, bahnen sich vertraute Klänge den Weg durch die marode Unterhaltungselektronik. Heimatmusik, eine letzte Verbundenheit auf der langen Fahrt. Sie werden sie weiterhin hören, auch wenn sie da sind, so viel ist klar. Sie lassen sich sowieso nicht integrieren.
Ewige Stunden vergehen. Bis die Grenze kommt. Das Adrenalin schießt den jungen Männer in die Adern. Bloß nicht erwischt werden. Bloß nicht zurück müssen. Ihre Mundwinkel zucken nervös. Sie halten die Luft an. Bis sie es geschafft haben. Und niemand hat entdeckt, dass sie gar nicht das Recht haben, hier zu sein. Doch nun dauert es nicht mehr lange, dann sind die Entbehrungen, das Geld und das Durchhaltevermögen nicht umsonst gewesen. Die Bremsen quietschen auf den letzten Metern bis der Bus langsam zum Stehen kommt. Die Türen öffnen sich zaghaft. Diese Horde allein reisender junger Männer ist am Ziel. Erschöpft sind sie, aber euphorisiert. Denn freudige Gesichter heißen sie willkommen, winken ihnen zu. Plötzlich ist alles bunt, alles möglich, denn niemand kennt sie hier. Ihre Mission beginnt.
Es ist nicht so, als hätte es keine Warnungen gegeben. Man werde schon noch sehen, wie das alles enden wird und wie diese Wilden die Kontrolle übernehmen werden, so lauteten die besorgten Warnungen. Doch jetzt ergießen sich die Horden ungebildeter junger Männer wie eine Flutwelle über das Land und drücken ihm ihren Stempel auf.
Sie trinken Alkohol in rauen Mengen, nehmen Drogen. Sie filmen alles mit ihren teuren Smartphones, die sich so mancher nur schwer leisten kann. Später soll jeder sehen können, wie sie das Fremde erobert und ihre andersgläubigen Feinde besiegt haben. Sie bringen ihre Konflikte mit, eskalieren, prügeln aufeinander ein, werfen mit Stühlen, verwüsten die Stadt. So dass einheimische Mädchen sich schon bald nicht mehr alleine auf die Straße wagen.
Dann ist es zu spät. Die Horde allein reisender junger Männer hisst triumphierend ihre Fahnen und grüßt stolz ihre heimatlichen Führer. Was folgt, ist Chaos. Von wegen, wir schaffen das.
Deutsche Hools drehen in Lille durch… Polizei: kaum vorhanden. #EURO2016 pic.twitter.com/71rcXAz5Hf
— Rafael Buschmann (@Rafanelli) 12. Juni 2016
Sollte nun jemand tatsächlich auf die verquere Idee gekommen sein, es handle sich in dieser Geschichte um Syrer, Marokkaner, Libanesen oder Menschen von anderswo, die sich auf den beschwerlichen Weg nach Deutschland gemacht haben, wäre das nicht nur ein Irrtum, sondern auch fatal. Denn dann wäre derjenige nämlich den hier bewusst angedeuteten Lügen und Vorurteilen aufgesessen, die über Flüchtlinge von Ausländerfeinden in ganz Europa in den letzten Monaten immer wieder verbreitet wurden, die aber viel besser zu ihren asozialen Urhebern passen.
Also auch zu den rassistischen Arschlöchern, die in den letzten Tagen die EM-Spielorte verwüstet haben und von denen diese Geschichte hier tatsächlich handelt. Das ist diese Art von Ironie, die zu bitter schmeckt, um sie noch lustig zu finden. Denn mit bigotten rechtsradikalen Hooligans, die in ihren Heimatländern gegen friedliche Ausländer hetzen um sich dann in der Fremde wie Höhlenmenschen zu benehmen, haben Flüchtlinge nun wirklich überhaupt gar nichts gemeinsam.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leser, das war die zweite Ausgabe der „Linksaußen“-Kolumne, deren Autor diese Position tatsächlich auf dem Platz bekleidet hat, sie in diesem konkreten Fall aber auch gerne politisch bekleiden möchte. Denn auch bei dieser Europameisterschaft hat es dank meist rechtsextremer Hooligans wieder Gewalt und Krawalle gegeben – wie schon 1998, als Gewalttäter den französischen Polizisten Daniel Nivel ins Koma traten, waren erneut auch Deutsche beteiligt. Aber auch heute, 18 Jahre später, gilt: Keinen Spalt breit den Faschisten. Im Fußball. In Deutschland. Überall. Also, liebe Leser, gehen wir es an. Im Fußball. In Deutschland. Überall.
PS: Und jetzt sagen Sie mir noch mal, Politik und Fußball hätten nichts miteinander zu tun.
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