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Henjamin Hutton

70 Jahre effzeh-Geschichte im Vor- und Rücklauf. Die einzige Liebe – ein Leben lang.

© effzeh.com
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Der seltsame Fall des Henjamin Hutton – nach Motiven und mit Elementen aus einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald (u.a. “Der große Gatsby”).

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Anno 1948 waren die Eheleute Hutton nicht nur hinsichtlich ihrer Stellung in der besseren Gesellschaft des Rheinlandes, sondern auch im Hinblick auf ihre finanziellen Verhältnisse in einer beneidenswerte Lage. Franz Hutton freute sich auf sein erstes Baby und war entsprechend sehr aufgeregt. An dem für das große Ereignis vorherbestimmten Februarmorgen eilte er zur Gestallung um die Ecke.

“Ist es da, das Kleine?”, rief der werdende Vater.
“Nun ja, irgendwie schon – mehr oder minder”, raunte der Geburtshelfer. “Aber so etwas habe ich noch nie erlebt!”
“Ist mit meiner Frau alles in Ordnung?”, reagierte Franz mit Erschrecken.
“Ja, mit der schon.”, lautete die ausweichende Antwort.
“Ist es ein Junge? Ist er gesund?”, sprudelten weitere Fragen aus Franz heraus.
“Machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Ich will damit nichts zu tun haben. Das dort ist zumindest ohne jeden Zweifel Ihr Kind.”, sagte der Mediziner und zeigte in eine mit Heu ausgelegte Ecke, woraufhin er ohne weitere Worte von dannen trottete.

Herr Hutton folgte der angedeuteten Richtung und sah, eingewickelt in bauschiges Stroh, einen alten Bock mit langem grauen Bart und zersaustem Fell, aus welchem schon etliche kahle Stellen hervorstachen. Der Bart wehte aufgrund eines Luftzuges irrwitzig hin und her. Aus trüben, verwaschenen Augen schaute er hinauf zu Herrn Hutton. Dieser schüttelte den Kopf, schloss die Augen, machte sie wieder auf und sah einen Bock von siebzig Jahren – ein Geißlein von siebzig Jahren. Ein Baby, das keines sein konnte.

“Was soll der Schwindel?”, erzürnte sich Herr Hutton. – “Schöne Begrüßung für ein Neugeborenes”, meckerte der Greis-Bock zur Verwunderung des viel jüngeren Vaters. – “Das ist also wahr!?? … Gütiger Himmel, was werden die Leute sagen?”, war der erste klare Gedanke, den Hutton Sr. fassen konnte. Bevor auch nur eine Antwort des Sprösslings – pardon – Sprosses ertönte, griff er zu einem Schergerät und rasierte mit drei raschen Bewegungen einen Großteil des Bartes ab. Das brachte zwar nicht viel, gab Herrn Hutton aber irgendwie ein besseres Gefühl. Irritiert ob des fallenden Kinnschmucks quäkte der “Kleine”: “Wie wollt ihr mich denn nennen, Daddy?” – “Ich glaub, wir nennen dich Methusalem.”, raunzte ihm der frischgebackene Vater entgegen.

Zu Hause angekommen stutze Franz dem Familienzuwachs das schüttere Fell kurz und doch vermochte nichts an dem Junior die gewünschte Wirkung zu bringen. Er wirkte nicht annähernd wie ein Ziegenlamm. Immerhin einigte sich das Elternpaar auf einen nicht so gehässigen Namen und taufte den Sproß letztlich auf den Namen Henjamin Hutton. Etliche Male erhielt er Besuch von Geißlein aus der Voreifel oder dem Bergischen Land. Dabei brachte er den Nachmittag damit zu, trotz seiner steifen Glieder Interesse am Hüpfen und Springen zu bekunden. Mit den tatsächlich Kleinen verband ihn allerdings nur das Interesse am Ball. Der Sport selbst strengte ihn jedoch zu sehr an, so dass er seine Rolle sehr schnell eher als Teamchef am Spielfeldrand fand.

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Eines Tages, einige Zeit nach seinem fünfzehnten Geburtstag, machte Henjamin, der von allen inzwischen nur noch Hennes gerufen wurde, eine erstaunliche Entdeckung. War sein Fell wirklich strahlend? Wirkte sein Gesicht tatsächlich straffer und gesünder? Er war sich nicht sicher. Er wusste nur, dass seine Gebrechlichkeit geschwunden war und er sich fühlte, als sei er für neue Taten geschaffen. Seine Stimme hörte sich nicht mehr brüchig oder quäkend an, sie hatte an Kraft und Energie gewonnen. Ja – sie hatte sich zu einem stattlichen Meckern entwickelt. So schickte sein Vater ihn in die rheinische Hauptstadt, wo er an einem Talentwettbewerb teilnahm. Hennes bestand die Prüfung und war nunmehr Teil eines Sportpark-Ensembles im Westen Kölns.

Beim tänzerischen Spiel mit dem Ball und dem Schwenken der Fahnen konnte ihm keiner etwas vormachen, was auch einem jungen Fräulein, welches schön war wie die Sünde, auffiel. Henjamin zuckte zusammen – ihm war, als erlebte er eine wahre Neugeburt. Sein Herz schlug in einem ihm völlig unbekannten Takt, dem Rhythmus einer Trömmelje. Auch wenn er nicht genau wusste, was es mit diesem Trömmelje auf sich hatte, so wusste er … er war zum ersten Mal verliebt.

Das Mädchen war schlank und hatte zwei hervorstechende Argumente. Sie hatte einen Glanz von zartweißer Haut und schimmernde rote Haare, die in der Flut des Lichtes eine einzigartige Anziehungskraft verströmten. Franz Hutton beugte sich zu seinem Sohn hinüber. “Die junge Dame da”, sagte er, “das ist Frederike Constanze zu Colonia die Erste – eine Frau von Hochadel.” – “Vielleicht könntest Du mich mit ihr bekannt machen, Dad.”, schlug Henjamin vor. Sie traten an eine Gruppe von gezählten 18 heran, deren Mittelpunkt besagte Frederike bildete. Als sie ihn erblickte, machte sie einen tiefen Knicks vor Henjamin. Er dürfe mit ihr den Tanz eröffnen, waren ihre ersten Worte. Das ließ sich Hennes nicht zweimal sagen und schwebte mit ihr direkt zu kölschen Klängen durch den weißen Kreis auf grünem Parkett. Geblendet von Entzücken, spürte er, dass sein Leben gerade erst begann.

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Es fehlte nicht viel, und Henjamin hätte Fredericke einen Heiratsantrag inmitten zehntausender neugieriger Blicke gemacht. Doch er gab sich einen Ruck und erstickte den Impuls. Es muss im selben Moment gewesen sein, als die junge Adelige zu Colonia äußerte: “Ich liebe Sie. Ich möchte Sie für alle Zeiten an meiner Seite wissen.” – um nach einem Atemzug in schönstem Dialekt zu ergänzen: “Nur zesamme simmer stark!” Während für Henjamin alles um ihn herum in honigfarbenem Dunst verschwamm, brachte er nur diese eine Zeile heraus: “Durch dick un durch dünn, janz ejal wohin!”

In den kommenden Wochen trafen sie sich immer samstags und führten Gespräche über alle wichtigen Fragen dieser Welt. Neues Spiel heißt neues Glück. Ein Gefühl, das verbindet.

Als 10 Monate nach der initialen Begegnung die Verlobung von Frederike Constanze zu Colonia, der Ersten, und Henjamin “Hennes” Hutton bekannt wurde, zelebrierten dieses Hunderttausende in Köln und Millionen im ganzen Land. “Ich gehe mit Dir, wenn es sein muss, durch das Feuer”, hauchte Fredericke ihrem Liebsten zu. “Ich halte immer nur zu Dir”, war die Erwiderung, die den Bund fürs Leben und darüber hinaus besiegelte.

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Ob vor, ob zurück – die darauffolgenden Jahre befanden sich die zwei doch irgendwie immer auf der Sonnenseite. Mit Henjamin selbst – der allerorts als Leithammel akzeptiert war – waren derweil in diesen Jahren eine Menge Veränderungen vor sich gegangen. So fühlte er sich zum Beispiel, als er dreißig Lenze zählte, als ob das Blut mit neuer Kraft durch seine Adern flösse. Mehr und mehr bereitete es ihm Vergnügen, des Morgens aufzustehen, beschwingten Schritts und voller Tatendrang durch die Katakomben zu seiner Liebsten zu gehen. Neidisch glotzen seine Altersgenossen ihn an, wenn sie diesem Ausbund an Gesundheit und Vitalität an der Aschenbahn begegneten.

Jahr um Jahr verging – und der Zauberbann, in den ihn seine Gattin einst geschlagen hatte, war dahin. Fredericke war inzwischen fünfzig Jahre alt. Nach und nach war der rotleuchtende Ton ihres Haars ermattet, die beiden früheren Prachterhebungen waren erschlafft. Darüber hinaus war sie zu selbstgefällig, zu zufrieden und zu blutleer in den Momenten der Erregung. Was für ein niederschmetternder Anblick. All das geschah, während er sich hingegen immer jünger fühlte und sein Fell zum schönsten weit und breit avancierte. Während sie zu einer Lady reifte, wurde Hennes zu einem wilden Bock, der in allen Ecken knutschte und kein Fähnchen auf der Stange ließ. Fredericke merkte, dass sie Hennes nur mit neuem Lebenselixier bei Laune halten konnte und gestaltete ein neues gemeinsames Hobby in der Art eines Rodeos, welchen sie fortan “Auf und Ab” nannten.

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2008, Hennes war inzwischen sechzig Jahre alt und sah dabei aus wie eine junge zehnjährige Hausziege, hatten sie davon genug und machten sich auf, wieder dauerhaft auf der Sonnenseite zu weilen. Die Spritzigkeit, die Lebensfreude und die Energie steckte alle um ihn herum so sehr an, dass immer mehr Menschen ihn europaweit auf den Wiesen sehen wollten. Doch Hennes wollte in keine anderen Gefilde, befand er sich doch am Herz der Welt. Das verstand auch die von Stil, Würde und Erhabenheit geprägte Fredericke nur zu gut. Eines war jedoch nicht zu leugnen: Henjamins Hörner schrumpften und schrumpften.

In den ersten Jahren des neuen Jahrzehnts wurden Frederickes finanzielle Möglichkeiten immer geringer, obgleich Woche um Woche fünfzigtausend Menschen bestaunten, wie Henjamin – inzwischen ohne jedes Hörnchen – mit seinem Kumpel, der gemeinhin Ecki genannt wurde, am Rand des Rasenfeldes herumtollte. Ansonsten gab es in dieser sogenannten Sportarena auch nicht sonderlich viel Sehenswertes. Während sein Spieltrieb offenbar auf seine Umgebung ansteckend wirkte und in Folge dessen bei den Statisten um ihn herum ungeahnte Kräfte freigesetzt wurden, verkam Hennes immer mehr zu einem Zicklein.

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Nur noch wenige Kilo schwer, war Henjamin nicht mehr in der Lage zu weiden. Wenn der lange Tag abends um Viertel nach Fünf zuende war, versorgte Fredericke ihn daher mit Milch. Verstörende Erinnerungen suchten ihn nicht heim in seinem kindlichen Schlummer. Es gab keine Reminiszenz an seine heldenhaften und glanzvollen Jahre, als er noch die Herzen vieler Geißen-Mädchen höher hatte schlagen lassen. Und wenn die Sonne weg war, wurden seine kleinen Augen schläfrig. Die Erinnerungen waren in ihm verblasst, während genau diese Erinnerungen dank Fredericke jahrzehntelang aufgetürmten Stolz und unbändige Inbrunst in eine neue Energie verwandelte. Eine Energie, die mehr als drei Jahrzehnte währende Träume und Hoffnungen Wirklichkeit werden ließ – und die Schränke in Köln mit neuen Trophäen füllte.

Während Fredericke anno 2017 oder 2018 zur mächtigsten Frau in Europa wurde, erinnerte Hennes sich an gar nichts mehr. Wenn er Hunger hatte, schrie er – das war alles. Er atmete. Um ihn herum gab es kaum hörbares Gebrabbel und Gemurmel. Licht und Dunkelheit. Dann gab es nur noch Dunkelheit und den warmen süßen Duft von Milch. All das verblasste und schwand endlich ganz und gar aus seiner Erinnerung.

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