Liebe Leute, liebe Fans des 1. FC Köln, lasst mich euch mit auf eine kleine Reise nehmen. Nein, keine Reise in die Vergangenheit des Anthony Modeste. Genug ist geschrieben worden über seine herausragende Zeit unter Coach Peter Stöger, über Rekordablösen, China, die Rückkehr, Markus Gisdol, die Flucht nach Frankreich und allem, was noch so dazugehört. In diesem Text – und der ist nicht weniger als die Huldigung des Spielers der Saison des großartigsten Fußballclubs der Welt – geht es um eine Reise durch die 20 Bundesligatreffer des Anthony Modeste in der Saison 2021/2022, allesamt erzielt für den 1. FC Köln und dank seiner Vorlagen liefernden Mitspieler.
Los geht die Reise aber mit ein paar überraschenden Fakten über Anthony Modeste und seine Torgefahr. Wusstet ihr etwa, dass der Franzose unter Steffen Baumgart im Schnitt in zwei Spielen ganze drei Mal aufs Tor schießt? Klingt gar nicht mal so viel, ist aber tatsächlich ein ganz guter Wert, da es darum geht, dass Schüsse eben erstmal aufs Tor kommen müssen, um eine Chance zu haben drin zu sein. Tony Modeste ist gut in dieser Kategorie, sehr gut sogar. Nur zwei Spieler in der Liga schießen häufiger aufs Tor und treffen dabei mal mindestens den Kasten, es sind Robert Lewandowski und Patrik Schick. Modeste versuchte es insgesamt etwas über 100 Mal, etwas über 40 Mal zielte er gut – es sprangen 20 Treffer dabei heraus. Oder anders formuliert: WIE ÜBERRAGEND IST BITTE ANTHONY MODESTE?!?
Flanke, Kopfball, Tor
Die erste Bude bereitet Jan Thielmann gegen Berlin vor, noch so ein Überflieger. Auf Links hat das FC-Eigengewächs jede Menge Platz, er kann sich den Ball seelenruhig vom linken auf den starken rechten Fuß legen, Übersteiger in der Entstehung inklusive, dann kommt die präzise Flanke an den Fünfmeterraum. Dort hat Modeste seinen gut trainierten Körper längst in den Gegenspieler gelegt, der kommt aus dem Gleichgewicht, der Kölner Torjäger steht alleine da und köpft, gar leicht mit dem Rücken zum Tor stehend, ein. Der erste Saisontreffer, die Brille, Jubel.
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Und wir bleiben direkt auf der linken Angriffsseite des FC, wo Legende Jonas Hector gerade die Bayern düpiert, Flanke natürlich mit Jonas’ linkem, Modeste läuft ein, fast genau derselbe Punkt, das zweite Saisontor ist erneut ein Kopfball, aber einer aus vollem Lauf, den Modeste auch richtig gut erwischt und so wie einen Schuss wuchtig in die Maschen köpft. Ein Stürmer steht am Ende da, wo ein Stürmer stehen muss. Und Modeste ist nicht irgendein Stürmer.
Beim SC Freiburg dann ist Modeste ein Schleicher, kurz vor dem gegnerischen Sechzehnmeterraum lauert Tony, ein Gegenspieler ist in seiner Nähe, doch der FC-Torjäger hat die Kontrolle, der Abwehrspieler, übrigens Ex-Kölner Lukas Kübler, muss sich komplett nach hinten drehen, um den Laufweg seines Gegenspielers zu checken. Modeste wird das am Ende für sein drittes Kopfballtor nutzen. Die Flanke, eines der Angriffsmittel Steffen Baumgarts und zuvor beim FC eher stiefmütterlich behandelt, kommt diesmal von rechts. Der kölsche Cafu, Benno Schmitz, bekommt den Ball nach schöner Kombination, hat viel Platz und Ruhe, flankt etwas hinter den Elfmeterpunkt, wo Kübler nicht in den Zweikampf um den Kopfball kommt und Modeste ins aus seiner Sicht lange Eck verwandelt. Geile Bude.
Kraft zieht Modeste auch aus der Erinnerung
Doch Modeste kann es auch per Fuß. Gegen Leipzig spielt Ondrej Duda einen Pass, der seine eigentlichen Fähigkeiten erahnen läss, in den Strafraum zu Mark Uth, der verheddert sich, doch der Ball wird unsauber geklärt und hoppelt dem lauernden Anthony Modeste vor die Füße. Der damals 33-Jährige nimmt Maß und vollstreckt mit dem rechten Fuß mal eben in den rechten Winkel. Der Brillen-Jubel geht anschließend in Richtung Himmel an seinen Vater. Die Erinnerung an ihn lebt Modeste stets auch auf dem Platz.
Im Heimspiel gegen Leverkusen zeigt dann einmal mehr Jonas Hector, was ihn zum besten Kicker in der Mannschaft des 1. FC Köln macht. Gleich sechs Leverkusener stehen im eigenen Strafraum, Hector gesellt sich dazu und zaubert dann eine Flanke aus seinem Fußgelenk, mein lieber Mann, diese Hereingabe sollte man einrahmen. Vom linken Strafraumeck, aber wie gesagt im 16er stehend, überspielt der Kapitän drei Gegenspieler, die Kugel landet so weich wie ein zerlaufender Camembert im, ja im Fünfmeterraum bei Modeste. Wir haben Zeit für die Ballannahme, und der Ball wird entspannt mit der Innenseite an Hradecky vorbei ins Tor geschoben. Tor Nummer 6 wird gefeatured von Kingsley Ehizibué per langem Einwurf und Sebastian Andersson, auf dessen Schädel der Ball landet. Der Schwede verlängert per Bogenlampe und Modeste schnürt ebenfalls per Kopf den Doppelpack zum 2:2 gegen die ungeliebten Nachbarn vom Autobahnkreuz.
Tony Doppelpack
Im Karnevalstrikot lässt Modeste dann gleich noch einen Doppelpack folgen. Gegen Union Berlin ist es Florian Kainz, der mit starker Schusstechnik aus 20 Metern aufs Tor zielt, der Ball flattert und kracht gegen den Querbalken, die Zuschauer und Zuschauerinnen raunen, doch Anthony Modeste bleibt, wie man im Fußballjargon so schön sagt, in der Situation, ist hellwach, kontrolliert den Abpraller irgendwie und vollendet dann volley mit ausgestrecktem Bein. Und Kainz bleibt auch bei der Vollendung des Doppelpacks gegen Union maßgebend. Per Eckstoß befördert er den Ball an den Fünfmeterraum, Höhe erster Pfosten. Das Problem: Modeste hat sich eigentlich im Fünfer, also wesentlich Tor positioniert.
Doch der Stürmer hat einen Sahnetag erwischt. Die herannahende Kugel von Kainz im Blick sprintet Modeste quasi entgegen der Fahrrichtung, er rennt förmlich weg vom gegnerischen Tor, verfolgt von seinen Bewachern. Doch Modeste schafft es seinen Körperschwerpunkt noch hinter und unter den Ball zu bekommen, jetzt knapp außerhalb des Fünfmeterraums. Und auch, wenn die ganze Bewegungsenergie eigentlich in die andere Richtung geht, Modeste gelingt es abrupt zu stoppen und mit voller Kraft und einer Drehung des Kopfes nach hinten und dann auch noch in Richtung langes Eck zu köpfen. Perfektion. Besser geht es nicht. Im Anschluss gibt es den ebenfalls legendären Baumgart-Mützenjubel. Nach so einem Tor ist alles erlaubt.
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Es folgt ein Treffer der Marke Slapstick. Ondrej Duda narrt ganz Wolfsburg und spielt dann Florian Kainz frei, doch der Österreicher trifft den Ball nicht richtig und daher aus sechs Metern irgendwie krumm die Latte, bei quasi leerem Tor. Doch im Grunde auf der Torlinie lauert natürlich Anthony Modeste und schubst den Ball mit der Birne dahin, wo er hingehört. Und weil ein Tor pro Spiel mittlerweile langweiliger Standard ist, macht der Franzose eben auch gegen Wolfsburg einen zweiten Treffer. Die Flanke kommt von Kingsley Schindler aus dem Halbfeld an den Fünfer, Modeste läuft zwischen zwei Verteidigern, unter anderem einem gewissen Sebastiaan Bornauw, ein, und köpft mit einer Art Wischer mit der Stirn den Ball ins Gehäuse.
Und Schindler hat jetzt Blut geleckt, nach Pass von Benno Schmitz im Spiel gegen Stuttgart, bringt der ebenfalls wiedererstarkte “Joker” den Ball in die Mitte, hier ist Tony Modeste schon wieder herausragend unterwegs. Ich weiß nicht, wie viele Tore in dieser Art und Weise in der Bundesliga fallen, aber viele können das nicht. Es ist erneut dieser Bewegungsablauf, der an Dirk Nowitzkis stilprägenden Fadeaway im Basketball erinnert, Modeste bewegt sich vom Tor weg, bekommt den Schwerpunkt wieder hinter den Ball und köpft dann so unglaublich kräftig gegen alle möglichen Laufrichtungen auch noch ins lange Eck. Ex-FC-Star Thomas Broich sagt dazu: „Ich kann nicht glauben, wozu dieser Mann fähig ist, das ist verrückt.“ Auch Broich beeindruckt die Bewegung nach hinten bei gleichzeitiger Kraft des Kopfballs. Ein schier unfassbares Tor.
Modeste bleibt ein Entertainer
Es muss aber nicht immer so kompliziert sein, doch das Prinzip Baumgart bleibt gleich. Flanke von außen, Kopfball des diesmal wieder einlaufenden Modestes, Tor. Uth bereitet gegen Hertha von links vor, Modeste ist völlig allein weniger als fünf Meter vor dem Tor zur Stelle. Unhaltbar. Doch der FC-Entertainer, „immer Spaß mit die Franzose“, kann auch wunderschön. Gegen Bochums Manuel Riemann wird Tony in Mittelstürmerposition freigespielt, Annahme mit der Hüfte, Lupfer mit der Innenseite gegen den zu weit vor dem Kasten stehenden Keeper, Toooor.
Aber ein Stürmer kann eben nicht treffen, wenn seine Mannschaft nicht genauso on point ist, wie ihr Stürmerstar. Zwar macht Modeste auch unmögliche Tore, doch ebenso viel Lob gebührt seinen Mitspielern, wie der 14. Saisontreffer gegen Freiburg zeigt. Kilian schlägt per Holzfuß die Murmel lang hinten raus und Jan Thielmann zeigt eine Legenden-Ballmitnahme, die jeder Scout zu diesem kölschen Jung gesehen haben muss. Mit viel Tempo düpiert Thielmann seinen hochgelobten Gegenspieler Nico Schlotterbeck nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in diesem Spiel, Ablage auf Modeste im genau richtigen Moment, Schlenzer, Tor. Ist das der FC, der hier auf einmal so einen berauschenden Fußball spielen kann? Danke Steffen Baumgart, danke Jan Thielmann, danke Anthony Modeste.
Und auch ein Keeper, den manch einer zur Zeit gar vor Manuel Neuer sieht, kann Modeste nicht aufhalten. Gegen Frankfurt wird der Stürmer ungewöhnlicherweise steil geschickt. Ungewöhnlich, weil es das erste Saisontor dieser Art ist, schnell genug und technisch stark in der Ballkontrolle ist Modeste, das beweist er hier eindrucksvoll, enteilt der Frankfurter Hintermannschaft und tunnelt eben jenen Kevin Trapp, der die Eintracht zum Titel in der Europa League hielt. Aber Abwechslung beim Toreschießen ist eben auch ein wichtiger Punkt auf dem Weg zu sagenhaften 20 Saisontoren. Also spielt Mark Uth wie gewohnt Kainz auf der linken Außenbahn frei, doch der gibt ausnahmsweise mal flach nach innen.
Das Ding ist halt nur, dass Anthony Modeste das völlig schnuppe ist. Er läuft ein, setzt sich im Spiel gegen Gladbach ein Stück nach hinten vom Verteidiger ab, und erzielt mit Links per Direktabnahme und Flachschuss den nächsten wunderbaren Treffer. Zu 20 Buden gehört viel Können, das ist klar, aber ein wenig Glück ist eben auch dabei. Es geht im Fußball auf diesem Niveau um Augenblicke, um Sekunden. Gegen Arminia Bielefeld wird Modeste mal wieder im Strafraum angespielt, er ist erstaunlich frei, hat sich im Vorfeld erneut herausragend bewegt, doch ein Verteidiger ist eben doch noch da. Und der schmeißt sich auch mit seinem ganzen Körper in den nun folgenden Abschluss des kölschen Torjägers aus elf Metern, der Ball wird abgefälscht und landet so im Tor.
Viele Ecken, nur ein Elfer
Was eher erstaunlich ist, ist dass Modeste bei seinen 20 Toren nur einen einzigen Elfmeter dabei hat. Gegen Augsburg verwandelt er sicher unten links. Zum Vergleich: Bei einem gewissen Erling Haaland sind fünf der 22 Saisontore Strafstöße. Auch in der Partie gegen Augsburg gelingt Tony dafür der Doppelpack, weil Mark Uth mit toller Übersicht aus dem Sechzehner zurück an die Strafraumkante legt, wo Modeste mal wieder vollkommen frei ist und den Ball in Ermangelung von Alternativen humorlos in den Winkel hämmert. Kann man so machen.
Sein letzter Treffer der Spielzeit ist ein echter Abstauber. Weil Stuttgarts Keeper Florian Müller einen Ball nicht festhalten kann, profitiert Anthony Modeste. Denn der Knipser lauert genau darauf und drückt den Ball aus einem Meter per Kopf auch in Bedrängnis recht problemlos über die Linie. Und so endet diese Reise durch die Tore des Anthony Modeste mit 20 von 52 erzielten Kölner Toren auf Rang sieben der Abschlusstabelle der Bundesliga und der damit verbundenen Qualifikation zur im vergangenen Jahr neu geschaffenen Europa Conference League. Anthony Modeste, und da lehne ich mich jetzt einfach mal aus dem Fenster, wird beim Auftritt des FC in Europa dieses Mal dabei sein. Das hat sich der Spieler der Saison sowas von verdient.