Geht es nach der verbalen Tonlage vor dem Duell der rheinischen Rivalen aus Köln und Leverkusen, dann winkt den Zuschauern am Sonntag im Müngersdorfer Stadion eine heftige Auseinandersetzung. FC-Coach Steffen Baumgart stichelte im Vorfeld der Partie ob der hinlänglich bekannten Atmosphäre bei der hundertprozentig werbetreibenden Tochter des Chemiegiganten, dass die „Geißböcke“ auch in der BayArena ein Heimspiel gehabt hätten. Bayer-Faktotum Rudi Völler schoss umgehend zurück, bescheinigte dem Kölner Coach eine „Einschleimphase“. Kurzum: Die Giftpfeilen zwischen den Lokalrivalen, sie flogen medial wieder einmal hin und her.
Dazu noch die ewige Diskussion, ob das Aufeinandertreffen der rheinischen Nachbarn nun jetzt ein Derby sei oder eben nicht. Garniert mit der vermutlich noch Generationen andauernden Frage, wie es der 1. FC Köln geschafft hat, ein Jahrhunderttalent wie Florian Wirtz ausgerechnet an die „Werkself“ zu verlieren. Was sind schon die von Artzinger-Bolten verschleuderten Häßler-Millionen, wenn man der hypothetische Entwicklung des Jungspunds am Geißbockheim hinterhertrauern kann? Und die Schuldfrage: Waren es die bösen Leverkusener, die das unschuldige Talent abspenstig gemacht haben? Die sträflich schlafenden FC-Verantwortlichen, die selbstverständlich nie für irgendetwas die Verantwortung trugen? Oder doch die Familie des Spielers? Nichts Genaues weiß man nicht. Eine herrliche Spielwiese für Abende an der Theke.
Der FC geht als Außenseiter in das Nachbarschaftsduell
Doch die für Sonntag um 15.30 Uhr angesetzte Bundesliga-Partie wird dort ebenso wenig entschieden wie auf Pressekonferenzen oder vor Medienmikrofonen. Wichtig ist bekanntermaßen auf dem Platz – und da geht der 1. FC Köln als Außenseiter in das Derby, das für einige keines ist. Auch wenn die „Geißböcke“ in dieser Saison gerade zuhause auftrumpfen, bereits drei Siege vor den eigenen Fans feiern durften: Die Favoritenrolle ist vor dem Aufeinandertreffen der rheinischen Rivalen klar an die “Werkself” vergeben. In der vergangenen Spielzeit zeigte Leverkusen in den direkten Duellen dem FC klar die Grenzen auf, entschied beide Partien (4:0 in Köln, 3:0 zuhause) deutlich für sich. Zwei Derby-Erfolge in einer Bundesliga-Saison mit einem Torverhältnis von 7:0: Das ist Rekord bei dieser Paarung.
“Wenn wir bestehen wollen, müssen wir als Mannschaft mit allem, was wir haben, dagegen arbeiten. Wir müssen Tugenden wie Intensität und Mut auf den Platz bringen.”
Auch Steffen Baumgart schwärmt in den höchsten Tönen von den sportlichen Qualitäten des kommenden Gegners: „Wir treffen auf eine der besten Mannschaften in Deutschland, auch wenn sie vergangenes Wochenende deutlich gegen Bayern München verloren haben. Sie verfügen über eine hohe Geschwindigkeit und haben ein gutes Umschaltspiel mit sehr hoher Qualität. Wenn wir bestehen wollen, müssen wir als Mannschaft mit allem, was wir haben, dagegen arbeiten. Wir müssen Tugenden wie Intensität und Mut auf den Platz bringen. Wir wollen weiterhin zu Hause ungeschlagen bleiben“, so der FC-Coach über die technisch starken Leverkusener, die ihre Qualitäten 2021/22 gerne auswärts ausspielen. Die „Werkself“ ist unter dem neuen Trainer Gerardo Seoane auf fremdem Platz in der Bundesliga momentan noch ohne Niederlage.
Offensivstarke Gäste um Torjäger Patrik Schick
Nach der heftigen 1:5-Klatsche im Topspiel gegen den FC Bayern sinnen die Gäste genauso auf Wiedergutmachung wie der FC, der zuletzt ein 0:5 bei der TSG Hoffenheim einstecken musste. Damit sich so etwas für die Kölner nicht im Nachbarschaftsduell gegen die hochkarätig besetzte Offensive der Leverkusener wiederholt, setzt Baumgart auf die Grundtugenden, die die Mannschaft besonders in den Heimspielen auf den Platz gebracht hatte. „Wir wollen weiterhin unserem Spielstil treu bleiben und den Gegner früh unter Druck setzen. Es wird schwierig, wenn Leverkusen den Weg nach vorne findet. Es geht um eine große Geschlossenheit“, fordert er eine kollektive Reaktion seiner Mannschaft und hofft auf lautstarken Support der eigenen Fans: „Wir haben 50.000 Fans im Stadion. Ich hoffe, dass die Kölner uns bis zur letzten Minute unterstützen und wir das Feuer auf dem Platz entfachen können.“
Feuer wird der FC auf dem Platz auch brauchen, um die individuelle Qualität der Gäste im Zaum halten zu können. Denn die „Werkself“ kann mit Patrik Schick (sieben Treffer bisher) einen brandgefährlichen Angreifer aufbieten. In Szene gesetzt wird der Tscheche immer wieder vom spielstarken Mittelfeld der Leverkusener, das von einem in Köln sehr bekannten Gesicht angetrieben wird. Florian Wirtz, zuletzt in der Bundesliga zum Spieler des Monats September gewählt worden, war bis zum Winter 2020 in der Nachwuchsabteilung der „Geißböcke“ unterwegs, ehe der Wechsel ans Bayer-Kreuz erfolgte. In dieser Spielzeit zeigt sich der Shooting Star in herausragender Verfassung, war in jedem seiner sieben Saisonspiele an mindestens einem Treffer direkt beteiligt (insgesamt vier Tore, sechs Vorlagen).
Baumgart: “Es geht ums Sportliche, es geht um drei Punkte”
Für die „Geißböcke“ wird es daher darauf ankommen, den Angriffswirbel um die pfeilschnellen Außenbahnspieler und das spielintelligente Zentrum der Leverkusener im Keim zu ersticken. Viel Laufarbeit, viel Kampfkraft, viel Willen und Leidenschaft muss der FC auf den Platz bringen, will er im Duell der rheinischen Rivalen eine ernsthafte Chance haben. Personell kann der Außenseiter dafür – bis auf den ärgerlichen Ausfall von Ellyes Skhiri, der mit einem Bruch des Wadenbeinköpfchens noch etwas länger pausieren muss – aus dem Vollen schöpfen. Das ermöglicht Steffen Baumgart taktische Überlegungen in der Abwehr, aber auch in der Offensive. Bleibt der FC-Coach beim Doppelsturm Andersson/Modeste? Setzt er lieber doch auf eine kompaktere, nominell defensivere Lösung? Fragen, die ab 15.30 Uhr auf dem Platz beantworten werden müssen.
Denn letztlich entscheidet sich die Partie im direkten Duell auf dem Rasen – angefeuert von einem (bis auf den Gästebereich) erstmals wieder ausverkauften Müngersdorfer Stadion will der FC seinen Heimnimbus verteidigen und mit einem Achtungserfolg im Derby, das bekanntlich für einige keines ist, wieder auf sich aufmerksam machen. Und zu den Wortgefechten über die Medien im Vorfeld – da fand Steffen Baumgart die passenden Worte: „Ich habe in dem Artikel eher gelesen, dass Rudi Völler die Arbeit schätzt, die wir hier in Köln leisten. Das mit dem Einschleimen ist so ein Nebensatz, wie es bei mir die Bemerkung mit den Zuschauern der Fall war. Darum geht es nämlich gar nicht. Es geht hier ums Sportliche, es geht um drei Punkte. Darauf sollten wir uns konzentrieren“, so der FC-Coach. Amen!