Am Montag vermeldete der 1. FC Köln den ersten Winterneuzugang: Emmanuel Dennis stößt auf Leihbasis für ein halbes Jahr vom Club Brugge zu den “Geißböcken”, der nigerianische Angreifer soll bis Saisonende der lahmende Offensive der Kölner neuen Schwung verleihen und für die nötige Tore zum Klassenerhalt sorgen. Die Leihe des 23-Jährigen soll den FC Medienberichten zufolge etwas mehr als eine Million Euro kosten, einen gewissen Anteil muss der abstiegsgefährdete Traditionsverein dem Vernehmen nach erst bei Erreichen des Klassenerhalts überweisen.
Doch wer ist dieser Emmanuel Dennis überhaupt, der einst mit zwei Toren gegen Real Madrid für Furore, später dann mit einer Bus-Eskapade für Negativschlagzeilen sorgte? Wir sprechen mit Glenn Bogaert, ehemaliger Sportjournalist und leidenschaftlicher Fan des Club Brugge, über die Qualitäten des schnellen Stürmers, über dessen Werdegang beim belgischen Spitzenclub und die Aussichten für die anstehenden Aufgaben beim 1. FC Köln.
Glenn, am Montag hat der 1. FC Köln Emmanuel Dennis für ein halbes Jahr vom FC Brügge ausgeliehen. Hat dich dieser Transfer des Angreifers überrascht?
Ja, gewissermaßen schon. Vor einem Jahr, nach seinem unglaublichen Auftritt gegen Real Madrid, als er zwei Tore im legendären Bernabeu schoss, waren einige Spitzenclubs in Europa an Emmanuel interessiert. Es wurde berichtet, dass er den Club nur für eine Ablöse von über 25 Millionen Euro verlassen darf. Die Erwartungen in Brügge und in Belgien waren, dass er zum teuersten Abgang der Vereinsgeschichte wird. Viele namhafte Teams wurden mit ihm in Verbindung gebracht, aus der Bundesliga Borussia Dortmund und Hertha BSC, aber auch Premier-League-Clubs wie Newcastle, West Bromwich, Watford, Sheffield oder Brighton & Hove Albion. Aus Frankreich soll die AS Monaco und Stade Rennes Interesse gehabt haben, Sampdoria Genua stand in Italien als möglicher Interessent im Raum. Dennis’ Berater sagte sogar, dass sein Schützling irgendwann einen Marktwert von 100 Millionen Euro erreichen könnte. Ich glaube nicht, dass dieses Preisschild wirklich realistisch ist, aber wenn du schon träumst, dann träume groß.
Was ist angesichts des kolportierten Interesses einiger Top-Clubs schief gelaufen, dass Emmanuel nun bei einem Abstiegskandidaten wie dem FC aufschlägt?
Naja, ab Januar 2020 begannen sich seine Leistungen zu verschlechtern. Er spielte lediglich in drei Ligaspielen sowie dem Europa-League-Hinspiel gegen Manchester United über 90 Minuten, der Trainer verzichtete sogar für einige Begegnungen ganz auf seine Dienste. Vor der Corona-Pause verletzte er sich dann am Knöchel, so dass er insgesamt nur in sieben von 13 Partien zum Einsatz kam. Sein letztes Highlight war wohl sein Treffer gegen Manchester United. Als dann der Spielbetrieb in Belgien aufgrund der Coronavirus-Pandemie eingestellt wurde, war das eine große Enttäuschung für Dennis. Er hatte keine Chance, sein Können in den wichtigen Playoffs, die über die belgische Meisterschaft entscheiden, zu präsentieren.
“Angesichts seiner zuletzt schwachen Leistungen war der 1. FC Köln wohl die einzig realistische Chance, Brügge nach dreieinhalb Jahren verlassen zu können.”
Also hat die Coronavirus-Pandemie seinen Transferplänen gewissermaßen einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Ja, das könnte man durchaus so sagen. In der Transferperiode im Sommer waren nur wenige Clubs in der Lage, richtig Geld in die Hand zu nehmen, was Dennis mindestens ein weiteres Halbjahr in Brügge einbrachte. Das war in meinen Augen ein mentaler Tiefschlag für einen ehrgeizigen Spieler wie ihn. Auch weil ein Last-Minute-Transfer in die Premier League geplatzt war: Dennis sollte an West Bromwich Albion verliehen werden, doch er erhielt auf der Insel die notwendige Arbeitserlaubnis nicht. Das dürfte ihn richtig getroffen haben, zumal ihm nach der Hinrunde 2019/20 die Welt offen gestanden hatte. Ich glaube zwar, dass ihn einige Clubs immer noch auf dem Radar haben, aber diese dürften auch bemerkt haben, dass Dennis in dieser Saison Schwierigkeiten hatte, seine Leistungen aus seiner Glanzzeit zu bestätigen. Außer einem Tor gegen Zenit St. Petersburg kam da nicht viel von ihm. Daher denke ich, dass angesichts seiner zuletzt schwachen Leistungen (13 Spiele, ein Tor, zwei Assists in 778 Minuten) der 1. FC Köln wohl die einzig realistische Chance war, Brügge nach dreieinhalb Jahren verlassen zu können.
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Er scheint ziemlich schnell zu sein und eher auf dem Flügel als im Sturmzentrum zuhause zu sein. Was für einen Spieler bekommt der FC dort? Was sind seine Stärken?
Emmanuel kann als Außenstürmer auf beiden Seiten spielen, aber auch als Nummer 9. Aber in meinen Augen hat er seine besten Leistungen als Rechtsaußen gebracht. Seine Geschwindigkeit und seine Explosivität machen ihn in Verbindung mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Stärke im Eins-gegen-Eins zu einem Spieler, der ein Spiel im Alleingang entscheiden kann. Vielseitig und leichtfüßig: Dennis kann mit einer Einzelaktion alles auf den Kopf stellen. Als Verteidiger musst du ihn ständig im Auge haben – auch, weil er völlig unberechenbar ist. Er zieht gern ins Zentrum, aber kann durch sein Tempo ebenso bis zur Grundlinie durchbrechen, um von dort seine Mitspieler einzusetzen. Der Gegner weiß nie, was er vor hat.
Und seine Schwächen?
Wenn wir über Schwächen sprechen, dann muss ich definitiv seine Leistungsschwankungen ansprechen. In einem Spiel ist er überragend, wenige Tage später richtig schlecht und wirkt geradezu gleichgültig. Er muss fokussierter sein, sich professioneller verhalten und effizienter agieren. Die Ruhe vorm gegnerischen Tor zu bewahren ist auch ein Punkt, an dem er arbeiten muss. Manchmal trifft er mit einer genialen Aktion, aber seid nicht verwundert, wenn er eine hundertprozentige Torchance kläglich vergibt. “Alles oder nichts” – so scheint es manchmal bei diesem rätselhaften Emmanuel Dennis zu sein. Aber ich möchte betonen, dass er immer Verantwortung übernimmt. Dennis hört niemals auf, es zu versuchen, auch wenn es drei- oder viermal misslingt. Er hat einen starken Charakter und lässt sich auch von Anfeindungen der gegnerischen Fans nicht aus der Ruhe bringen. Noch wichtiger: Auf der Außenbahn weiß er um seine Aufgaben in der Defensive.
“Dennis spielt, um die Fans zu unterhalten, er braucht die Atmosphäre, um sich zu pushen.”
Die Unberechenbarkeit, die ihn für den Gegner so gefährlich macht, kann auch schwierig für seine Mitspieler sein. Man weiß nie, ob er jetzt dribbelt, passt oder doch flankt. Er schwankt immer ein wenig zwischen Genie und Wahnsinn, kann den Ball in der einen Sekunde ungeschickt verlieren und in der anderen mit einem brillanten Abschluss treffen. Dennis spielt, um die Fans zu unterhalten, er braucht die Atmosphäre, um sich zu pushen. Erwartet aber nicht, dass er der neue Torjäger werden wird, auch wenn er in Brügge nach seiner Ankunft mit fünf Toren in vier Spielen losgelegt hatte wie die Feuerwehr. Hoffentlich legt er in Köln einen ähnlichen Blitzstart hin.
Du sprichst es an: In dieser Saison ist Dennis noch ohne Tor in der Jupiler League, nur 433 Minuten Einsatzzeit im Ligabetrieb: Kann der Nigerianer dennoch eine Direkthilfe für die “Geißböcke” sein?
Es könnte schon ein paar Wochen dauern, bevor er bei 100 Prozent ist. Dennis hatte leider zu Beginn des Jahres mit einer kleinen Zehenverletzung zu kämpfen. Aber wir wissen nicht, ob es wirklich eine Verletzung war, viele Fans in Brügge sind der Überzeugung, dass Dennis damit seinen Abgang beschleunigen und Druck auf den Verein ausüben wollte. Dass er dadurch ein paar Trainingseinheiten verpasst hat, könnte sich negativ auswirken, andererseits dürfte Emmanuel sehr motiviert sein, sein Können in Köln von Beginn an zu zeigen. Daher glaube ich, dass er beim FC eine wichtige Rolle im Abstiegskampf spielen kann.
Habt ein Auge auf ihn in den Spielen gegen große Clubs wie Bayern oder Dortmund, er braucht offensichtlich diese Herausforderung durch bekannte Namen, um seine beste Leistung zu zeigen. Dennis braucht den Druck, die Anspannung bei wichtigen internationalen Spielen oder Derbys gegen die größten Rivalen. Das war vielleicht zuletzt ein Problem in Belgien, er schien das Gefühl zu haben, dass die Dinge zu einfach für ihn gingen. Positiv für den FC ist daher, dass die Bundesliga zu seinen Lieblingsligen gehört. Er wird sicherlich wild entschlossen sein, seine Qualitäten auf diesem Niveau nachzuweisen. Und wenn er das mit guten Leistungen schafft und größere deutsche Clubs auf sich aufmerksam machen kann, dann ist er einen Schritt näher an seinem Ziel, zu einem Top-Team zu wechseln. Dieses klare Ziel wird ihn definitiv genug motivieren, um in Köln alles zu geben!
Die unrühmliche Bus-Episode, als er vor dem Dortmund-Spiel in der Champions League suspendiert wurde, weil aufgrund der Coronavirus-Bestimmungen sein Stammplatz belegt war, machte sogar in Deutschland Schlagzeilen. Wie schätzt du diesen Vorfall ein? Und wie wurde das von den Brügge-Fans allgemein aufgenommen?
Zuerst war der Club nicht so erpicht darauf, großartig in die Details zu gehen, weil Brügge das wichtige Spiel gegen Borussia Dortmund vor der Brust hatte. Trainer Philippe Clement sagte auf der Pressekonferenz nur, dass Emmanuel die Regeln nicht befolgt hatte. Nach dem Spiel wurde dann Stück für Stück in den belgischen Medien bekannt, was eigentlich passsiert war. Dass Dennis hartnäckig einen Platz im richtigen Bus verweigerte. Alle vom Trainer bis zu den Teamkollegen haben ihn zu überzeugen versucht, aber er war in schlechter Stimmung, blieb lieber in Brügge und ließ sein Team bei einem wichtigen Europapokal-Spiel im Stich.
“Man liebt ihn – oder man hasst ihn. Er ist ein besonderer Typ, das ist klar.”
Wahrscheinlich eine emotionale und impulsive Reaktion, aber vor allem kein wirklich kluger Zug von ihm. Die Fans waren danach enttäuscht und wütend. Aufgrund seines speziellen Charakters und der Tatsache, dass er manchmal wie eine ungelenkte Rakete mit einer wirklich komplizierten Betriebsanleitung ist, hatte er schon immer Fans und Kritiker in Brügge. Man liebt ihn – oder man hasst ihn. Er ist ein besonderer Typ, das ist klar. Als Trainer ist es wohl der Schlüssel, in seinen Kopf zu kommen. Gelingt einem das, dann hat er auf dem Platz dieses gewisse Etwas und kann eine entscheidende Rolle spielen. Darüber hinaus ist es in meinen Augen positiv, dass in Köln mit Tolu Arokodare ein weiterer Nigerianer im Kader steht. Das kann seiner Integration beim FC nur zuträglich sein.
Insgesamt scheint Dennis ziemliche Leistungsschwankungen zu haben und es manchmal auch mit der Disziplin nicht so genau zu nehmen. Ist er ein Unruhestifter? Und könnte die Chance, sich in der Bundesliga zu beweisen, ihn trotz der schwierigen Situation in Köln genug im Zaum halten?
Hmm, ich würde ihn nicht als Unruhestifter bezeichnen. Dennis ist manchmal ein bisschen wie ein hyperaktives Kind im Körper eines Profifußballers. Er liebt es zu lachen und zu scherzen. Auf dem Trainingsplatz kann er sehr unbeständig und verrückt sein. Montags ist er der Vorzeige-Profi, einen Tag später verliert er sich komplett. Ich erinnere mich an eine Einheit, als der damalige Brügge-Trainer Ivan Leko Dennis unvermittelt anschnauzte, er solle fokussierter sein und nicht mit seinem Kopf die ganze Zeit in seiner nigerianischen Heimat sein. Ich glaube, ein Mentor könnte wichtig sein, um ihn in die richtige Richtung zu lenken. Von den Umständen lässt er sich allerdings nicht beeindrucken, daher denke ich, dass er nicht zurückschreckt vor dem Abstiegskampf in Köln und die Situation eher als große Herausforderung begreift, um sein Können in der Bundesliga zu zeigen.
Was für eine Person ist Dennis neben dem Platz? Könnte er zum mitunter verrückten Club in dieser verrückten Stadt passen?
Abseits des Rasens liebt er es auffällig, Dennis ist extrem extrovertiert unterwegs mit allen möglichen witzigen Fotos und farbenfrohen Outfits an seinen Social-Media-Kanälen, vor allem auf Instagram. Er erinnert mich dabei ein wenig an den belgischen Nationalspieler Michy Batshuayi, der 2018 für Borussia Dortmund stürmte. Ein wenig verrückt, aber mit einem guten Herzen und einem aufrichtigen Charakter. Es ist wichtig zu verstehen, dass er seine Eltern schon früh verloren hat – und er einen ungewöhnlichen Weg zum Profifußballer genommen hat. Brügge verpflichtete ihn 2017 aus der Ukraine (von Sorya Luhansk, Anm.d.Red.), was sicherlich nicht der übliche Weg für einen jungen nigerianischen Spieler sein dürfte. Dennis ist ein wenig ein Außenseiter, ein Einzelgänger. Zuletzt verstarb sein Bruder bei einem Bootsrennen, was ihn sehr getroffen hat. Erfolgreich Fußball zu spielen war für ihn immer ein Weg, seine Familie stolz zu machen.
Auch deshalb ist seine Beziehung zum Ball eine intensive – denn dieses runde Etwas bedeutet ihm alles in seinem Leben, das nicht einfach war. Diese schwierigen Kapitel in seinem Leben dürften dazu geführt haben, dass er große Träume hat und das Leben genießen will. Dennis erwähnte einmal in einem Interview, dass er gerne in einer lebendigen und schönen Stadt leben will, wo er “good vibes” verspürt. Er mag keine langweilige Städte. Vielleicht wollte er deshalb Brügge verlassen. Das hier ist eine schöne mittelalterliche Stadt und eine Touristenattraktion, aber eventuell zu klein und zu ruhig für jemanden, der nach den Sternen greift und die Welt entdecken will. Also: Wenn du sagst, dass Köln eine verrückte Stadt ist, dann bin ich zuversichtlich, dass Emmanuel Dennis und der FC perfekt zusammenpassen.
Über unseren Interviewpartner: Glenn Bogaert ist von Kindesbeinen an Fan des Club Brugge, langjähriger Dauerkarteninhaber und Auswärtsfahrer bei den “Blau-Schwarzen”. Der ehemalige Sportjournalist arbeitete von 2014 bis 2017 für die größte belgische Tageszeitung “Het Laatste Nieuws“, von 2017 bis 2018 beim Onlinemagazin voetbalkrant.com und als Freelancer für blauwzwartfans.be, dem größten Online-Fanzine über den Club Brügge. Ihr findet ihn auf Twitter unter @glennbogaert.