Es macht ja eigentlich immer Spaß, wenn man sich zum Fußballschauen mit einem Fan der gegnerischen Mannschaft verabredet, mit dem man sich trotz unterschiedlicher Ansichten über Fußball trotzdem einigermaßen leidlich versteht. Das Spiel gemeinsam zu verfolgen bietet dann die Möglichkeit, dem Gegner in aller Form und Schönheit den Misserfolg unter die Nase zu reiben. Nach misslungenen Aktion zu sticheln. Die Fans in der Gästekurve als zahnlose Halbgebildete zu diskreditieren. Das alles macht eben einfach Spaß und gehört in irgendeiner Form ja auch dazu. Da der effzeh ja zuletzt jetzt nicht unbedingt einen überragenden Lauf hatte und vor dem Spiel die personellen Sorgen ja fast bis in den Himmel wuchsen, musste ich tatsächlich zweimal überlegen, ob ich die Einladung meines Schalker Kollegen annehmen würde. Wider besseres Wissen entschied ich mich dann doch dazu, den Auftritt der Königsblauen beim Westdeutschen Meister im fantechnischen Eins gegen Eins zu verfolgen. Hatte ich mir ja genau das richtige Spiel ausgesucht.
Die beiden Kölschen Schlüsselspieler Hector und Modeste standen dann wenig überraschenderweise auch in der Startelf, woraufhin meine kompletten Angstzustände vor Spielbeginn erheblich nachließen. Grundsätzlich gingen jedoch sowohl der blaugekleidete Schalker als auch ich davon aus, dass es nicht zwingend ein Spektakel zwischen beiden Mannschaften werden dürfte, da der effzeh ja momentan eher weniger vor Selbstvertrauen strotzt und der Schalker Aufschwung auch noch nicht allzu stabil erschien. Wie man sich doch täuschen kann.
Die Aufstellung der Schalker wurde von meinem Kollegen ziemlich abgefeiert, da sowohl Schöpf als auch Höjbjerg im Mittelfeld auflaufen durften. „Nie im Leben werden die heute einen Stich machen“, tönte ich noch, während die Hymne lief, „Matze Lehmann wird ihnen den Spaß am Fußball nehmen“. Mein Kollege antwortete mit einem schelmischen Grinsen, dass ich „jetzt noch gute Laune“ und „spätestens nach der ersten Fehlentscheidung des Schiris keinen Bock mehr“ hätte. Dass sich bereits nach noch nicht einmal einer Minute Spielzeit bereits eine Szene ereignen sollte, die meinen Puls rasant steigen ließ, konnte allerdings auch er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Es hat wohl selten einen klareren und unnötigeren, wahrscheinlich auch so frühen Foulelfmeter in Müngersdorf gegeben wie dieses Mal, als Dominic Maroh versuchte, Höjbjerg liebevoll im Gesicht zu streicheln. Wolfgang Stark fand diese Art von Liebkosung weniger witzig und zeigte auf den Punkt. Der frohlockende Kollege neben mir erstarrte kurz, als sich Huntelaar den Ball schnappte, da der „Hunter“ ja die letzten vier Elfmeter alle „verballert“ habe. Das Gesetz der Serie sollte sich nicht bewahrheiten, Timo Horn ahnte zwar die Ecke, der Ball jedoch war drin. 0:1 nach zwei Minuten. Und das nach den Auftritten zuletzt. Mir schwante Böses.
“Was war denn hier los!”
Das schlechte an einem frühen Rückstand ist, dass man hintenliegt – das Gute jedoch, dass noch viel Zeit zum Ausgleich bleibt. Mit dieser formschönen, leicht euphemistischen Allegorie versuchte mein Kollege, sein euphorisches Jubeln nach dem Tor zu entschuldigen. Kurz darauf musste ich mich allerdings selbst entschuldigen, als ich nach Modestes vergebenem Kopfball aus Versehen die sündhaft teure Zimmerpalme mit einem Faustschlag bearbeitet hatte. Dafür erntete ich verständlicherweise böse Blicke. Ich hatte mich kaum beruhigt, als Timo Horn auf der Gegenseite einen Volleyschuss aus dem Eck kratzte und der effzeh gefühlt im Gegenzug die nächste Großchance vergab. Was war denn hier los!
Obwohl wir im Vorhinein als fachkundige Laien davon ausgegangen waren, dass beide Mannschaften wohl eher abwartend spielen würden und sich ein Geduldsspiel einstellen würde, stellten beide Teams unter Beweis, dass das Mittelfeld teilweise komplett verwaist sein kann, wenn es minütlich in einem der beiden Strafräume brennt. Max Meyer ließ es sich kurz darauf nicht nehmen, auf 2:0 zu stellen, was erneut zu einem kleinen Stelldichein zwischen mir und der Zimmerpalme führte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon das Gefühl, dass das an diesem Tag ganz bitter würde ausgehen können. Doch der effzeh spielte unbeirrt weiter – die Räume in der Defensive, so groß wie manch Parkplatz eines Einkaufszentrums, nahm ich allerdings billigend in Kauf, weil das Spektakel einfach fesselnd war. Leo Bittencourt (!) verkürzte per Kopf (!!), kurzer Aufschrei im Raum, danach aber wieder totale Fokussierung aufs Spiel, wo Belhanda direkt nach Anstoß schon wieder die Latte traf. Noch vor dem Pausenpfiff vergaben Bittencourt und Mladenovic gute Chancen – und Wolfgang Stark verzichtete auf den Elfmeterpfiff in der Szene zwischen Lehmann und Neustädter. Ei, Kall, mei Drobbe!
Müngersdorf hatte wohl selten solch rasante 45 Minuten erlebt und manch Zusehender rieb sich verwundert die Augen, ob denn da wirklich der effzeh spiele. Die Drangperiode nach Wiederanpfiff ließ mich tatsächlich auf eine irre Wendung des Spiels hoffen, der effzeh schnürte die Schalker phasenweise in deren eigener Hälfte ein – verpasste es allerdings, den Ausgleich zu machen. Ein Flatterball von Risse, der eine überraschend geringe Streuung in seinen Flanken und Schüssen aufwies, stellte Fährmann das erste Mal wieder vor Probleme. Nach Bittencourts gutem Pass auf Modeste stand ich in Erwartung des Ausgleichs, die Zimmerpalme umarmend, doch Modeste vergab. Mein Kollege betete mantraartig für „den einen, den entscheidenden Konter, den wir setzen müssen“, während Fährmann einen gut platzierten Schuss von Hosiner aus dem Winkel kratzte. „Wie gut, wenn man dann noch einen di Santo auf der Bank hat“, kommentierte der Kollege sarkastisch, „der kann immer ein Spiel entscheiden“. Sein beißender Zynismus schlug alsbald in ungläubige Freude um, als Johannes Geiß‘ überragender Diagonalball Dennis Aogo in Szene setzte, der wiederum mit einer präzisen Flanke dem abtauchenden di Santo das 1:3 ermöglichte. Man weiß nicht, ob der Jubelschrei meines Kollegen oder mein eigener, nicht jugendfreier Ausbruch die Nachbarn mehr erschreckt hat.
Nicht unverdient, aber unglücklich
Im Anschluss an den Knock-Out versuchte Marcel Risse weiterhin verzweifelt, irgendwie einen Ball an Fährmann vorbeizubekommen, was allerdings nicht gelingen sollte. Modestes zu Unrecht aberkanntes Abseitstor sollte den Ausgang des Spiels ebenfalls nicht mehr beeinflussen. Ganz der faire Sportsmann gratulierte ich meinem Kollegen für den Sieg, stürzte mein Getränk herunter und war keine 20 Sekunden nach Abpfiff aus der Wohnung. Dampf ablassen.
Der effzeh hat das Spiel gegen Schalke nicht unverdient, aber auch etwas unglücklich verloren. Es ist jetzt auch nicht der richtige Zeitpunkt, in Panik auszubrechen, da a) das Polster zu den Abstiegsrängen immer noch verträglich ist und b) die sportliche Leistung der Mannschaft absolut in Ordnung war. Man hat eine Schlacht verloren, eine mitreißende, aber keinen Krieg. Nächste Woche gegen Hannover vielleicht weniger Spektakel, dafür drei Punkte, und alles wäre im Lot.
Vielleicht hat sich bis dahin auch die Zimmerpalme in der Wohnung meines Kollegen wieder von den 90 Minuten erholt.