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Eindrücke eines Fankurven-Debütanten

Das erste mal Südkurve mit 29 Lenzen. Eine Erzählung eines Fußball Fans, der eigentlich garkeiner ist

© effzeh.com
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Von Jens Balkenborg.

Wie im Stummfilm, nur lauter. Die Orchestermusiker ersetzt durch mehrere pulsierende Trommeln, gepaart mit lauten Uhhhhs, Ahhhs und Fangesängen. Die Leinwand ein grüner Rasen, auf dem sich 22 Spieler abrackern, um das bekannte Runde ins Eckige zu befördern. Ort: Südkurve Köln. Mein erstes Mal in einer richtigen Fankurve, und sofort ist es die der bestbesuchten Zweitligamannschaft überhaupt.

Aber alles der Reihe nach. Es ist Samstag, der 23.11.2013. Obwohl kein großer Fußballfan, bin ich der Einladung eines Freundes nachgekommen, um mir das Spiel 1. FC Köln gegen FC Ingolstadt 04 anzuschauen. Vor Jahren, kurz nach der Eröffnung des Rhein Energie Stadions, war ich zuletzt hier, damals allerdings sitzend auf der Osttribüne. Schon auf dem Weg zum Ort des Geschehens überall Rot-Weiße Schals, Mützen, Pullis, T-Shirts, Trikots, Handschuhe, Gesichter, alles in den Vereinsfarben, das irgendwie anzumalen bzw. so zu kaufen ist. Die Bahnen sind zum bersten voll, und trotzdem herrscht gute Stimmung, wie Fangesänge und ausgelassene Gesichter verraten. Vor dem Stadion sammelt sich eine bunte Schar, die Altersspanne reicht von ganz jung bis schwer betagt. Viele genehmigen sich eine Rostbratwurst oder Pommes und trinken gemütlich Bier, eine Stärkung, um die bevorstehenden 90 Minuten gut zu überstehen.

 

Es geht los

Kurz vor Anpfiff begeben wir uns Richtung Südkurve. Nach kurzer Wartezeit in der Schlange und einem elektrischen Kartenleser, der mich hereinlässt und mir „Viel Spaß“ wünscht, geht es direkt die Treppe zu den Rängen hinauf. Beim betreten der Arena kommt mir der Gedanke, dass auch alteingesessene Fans bei diesem Anblick noch immer beeindruckt sein müssen. Ein Rechteck, gefüllt mit heute 47.000 Zuschauern, wie uns die Anzeigetafel später mitteilen wird, das ohne störende Laufbahnen direkt an das Grün des Rasens anschließt. Fußball hautnah. Obwohl die Kurve ausverkauft ist, finden wir genügend Platz für uns alle. Zwanzig Meter links fliegen ununterbrochen riesige Vereinsfahnen durch die Luft (und werden dies auch über die gesamte Spieldauer tun; eine sehr sportliche Leistung, wie ich finde), Trommler geben den Puls der gesamten Kurve vor, Antreiber stehen mit dem Rücken zum Spielfeld und brüllen Lieder, die von der Menge wiedergegeben werden. Als kurz vor Anpfiff die Hymne des 1. FC ertönt, wird diese durch kollektiven Gesang begleitet, dreiviertel der Anwesenden schunkeln mit erhobenem Fanschal zum Rhythmus und drehen den Halswärmer in der Hand, als gegen Ende des Songs der Beat anzieht. Mir fallen die Ingolstadt-Fans auf: ein kleiner Haufen, angereist, um sein Team zu unterstützen. Auch wenn ich ihnen Respekt zolle für den Einsatz, umfängt mich ein mitleidiges Gefühl, wie sie dort lautlos stehen und ihre kleinen Fähnchen schwenken. Plötzlich fliegt ein Ball in mein Blickfeld und reißt mich aus meinen Gedanken. Das Spiel ist bereits in vollem Gang und ich habe nichts mitbekommen. Kein Anpfiff war zu hören, nichts, nur der Sound der Südkurve, und der Stummfilm elf gegen elf nimmt bereits seinen Lauf! Die Fans kommentieren das Spielgeschehen, eine Zeit lang brüllen sich Süd- und Nordkurve in musikalischer Call-and-Response-Manier COME ON EFFZEH zu.

 

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Atmosphäre

In der ersten Halbzeit ist der FC Köln am Drücker. Praktisch für uns, da die Jungs aus der Rheinmetropole auf das zum Greifen nahe Tor spielen und die ein oder andere gute Chance haben. Die verzogene Perspektive allerdings macht auch total ungefährliche Situationen seitens der Gäste spannend. Sobald ein gegnerischer Spieler die Mittellinie übertritt, wäge ich ihn sofort in torgefährlichen Gefilden. Ich muss an den Standardspruch der Pro-Fernseh-Prediger denken: „Im TV sieht man immer mehr als im Stadion!“ Sicherlich richtig, allerdings kastriert um den Ritualcharakter und die unbeschreibliche Atmosphäre. Tausende feiernde Fans und den Geruch von Wurst, Bier und Zigaretten kann auch das beste 3-D-Surround-Heimkino-Set nicht imitieren. In der Halbzeit traben die Massen schnell zum Klo oder holen sich neuen Proviant für die zweite Hälfte. Ich bleibe an meinem Platz und beobachte das Treiben. Auf der Osttribühne tanzt ein Typ in einem rosa Teletubbykostüm, als wäre er auf der Nature One. Auch wenn die Trommeln nach wie vor hämmern, scheint er einem ganz eigenen Rhythmus zu folgen. Ich bemerke eine witzige Bandenwerbung: Das Wort Tor erschient und wird plötzlich um ein ten ergänzt, Torten Schneider wirbt für sich. Kein Product-Placement oder dergleichen, einfach eine unterhaltsame Beobachtung während der Pause.

 

Ruhe vor dem Sturm

Auch der Anpfiff zur zweiten Hälfte entgeht mir akustisch, mein Blick ist dieses Mal allerdings pünktlich. Leider passiert etwas sogar mir im Fußball nicht unbekanntes: Nach einer schwachen ersten Hälfte, der bis jetzt nur mauernden Gäste gelingt ihnen kurz nach dem Anpfiff das erste (und auch einzige) Tor der Partie. Die gesamte Kurve ist einen Herzschlag lang ruhig, um dann noch lauter den 1. FC anzufeuern, frei nach dem Prinzip Aufstehen und weiter. Leider verkommt das Spiel zu einem ziemlichen Gebolze, zu dem mir nichts berichtenswertes mehr einfällt. Der Teletubby tanzt immer noch und auch meinem Nachbarn fällt die Tor…te auf. Auch wenn das Spiel vor sich hineiert, scheint alles beim Alten zu sein, die Welt ist nicht aus den Angeln. Seltsamerweise habe ich trotz Führung ihrer Mannschaft noch immer Mitleid mit den Ingolstädtern, sie tapfer in ihrem kleinen Käfig ausharren und von der akustischen Übermacht erdrückt werden. Kurz vor Ende wird es nochmal interessant, als die Kölner sich einige gute Chancen erarbeiten und einmal sogar knapp am Aluminium der Latte scheitern. Jeder Ballkontakt wird kommentiert, die Variablen Hoffnung und Zeit kulminieren zu unglaublicher Spannung. Leider werden die Mühen wie so oft nicht belohnt, der 1. FC Köln verliert 0:1 und büßt auch die Tabellenführung ein, wie uns die Anzeigetafel mitteilt. Nichtdestotrotz bedankt sich die Mannschaft klatschend bei den Fans, die ihrerseits ihre heute glücklose Elf feiern.

 

Sicherlich eins der schlechteren Spiele, aber das kann man sich bekannterweise vorher nicht aussuchen. Auch wenn das Geschehen auf der Leinwand nicht das Beste war, haben mich das Orchester und die Atmosphäre extrem beeindruckt. Während wir Richtung Ausgang gehen, dröhnen meine Ohren noch immer und mein Herz versucht vergebens, seinen eigenen Rhythmus wiederzufinden. Fans falten ihre überdimensionalen Fahnen zusammen und hängen meterlange Schals von den Trennzäunen ab, Ost und Westtribüne sind mittlerweile beinahe komplett leer. Auch der Teletubby ist schon weg. Wahrscheinlich tanz er bereits auf der nächsten Afterhour. Mit allerhand Eindrücken verlasse ich dieses beinahe surreale Rechteck, gehe die Treppe hinab und befinde mich wieder auf „gewöhnlichem“ Boden.

 

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