https://effzeh.com

Zwischenzeugnis für den neuen Vorstand des 1. FC Köln: Versöhnung mit den Ultràs in Sicht?

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Als Toni Schumacher und Markus Ritterbach als scheidende Präsidiumsmitglieder des 1. FC Köln die Bühne der Mitgliederversammlung im Herbst 2019 verließen, war das Tischtuch zwischen ihnen und einem großen Teil der Fans, darunter die aktive Fanszene, gelinde gesagt löchrig bis zerschnitten. In ihren Scheidungspapieren hätten beide Parteien wohl „unüberbrückbare Differenzen“ angegeben. Mehr als zwei Jahre hatte es keinen Austausch mehr zwischen aktiver Fanszene und dem Vorstand des 1. FC Köln gegeben. Daran änderte auch der Rücktritt von Werner Spinner, den die Fans immer wieder gefordert hatten, nichts.

Mit einem Wechsel an der Spitze des Vereins hofften nicht wenige auf frischen Wind im Geißbockheim und auf eine neue Chance der Annäherung zwischen Südkurve und Verantwortlichen. Als die Findungskommission des Mitgliederrates ihr Team im Frühjahr 2019 vorstellte, war klar, dass mit Werner Wolf und Jürgen Sieger alles andere als FC-Neulinge ins Geißbockheim ziehen würden. Beide punkteten mit langjähriger Gremienarbeit und machten sich in der Vergangenheit um den 1. FC Köln verdient. Das Problem: dies geschah eher im Hintergrund und vom Großteil der Mitglieder und Anhänger unbemerkt. Für viele Anhänger der Geißböcke war dieses neue Vorstandsteam gefühlt eine Unbekannte. Trotzdem entschieden sich 78,22 Prozent der anwesenden Mitglieder dafür, dem Team das Vertrauen auszusprechen.

“Der Eindruck war bodenständig, ruhig und gelassen”

Umso wichtiger war es, dass das Team um Werner Wolf nun bis zur Mitgliederversammlung fleißig Klinken putzte, sich vorstellte und mit Fanclubs zum Austausch traf. Auch dem Zusammenschluss “Südkurve 1. FC Köln e.V.” stand das Vorstandsteam Rede und Antwort. Auf effzeh.com-Nachfrage heißt es von Fan-Seite: Der Eindruck, den die drei hinterlassen hätten, sei bodenständig, ruhig und gelassen gewesen. Im Vergleich „insgesamt eine Nummer unaufgeregter als der vorherige Vorstand“, so ein Fan-Vertreter. Dass Wolf und Co. in Sachen Investoren und Stadionneubau ähnliche Positionen wie viele der aktiven Fans vertreten, half natürlich dabei.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Seit dreieinhalb Monaten leiten Werner Wolf, Jürgen Sieger (seit dem 15.12. Carsten Wettich) und Eckhard Sauren die Geschicke der Geißböcke. Was ist seit der Wahl in Fan-Belangen passiert? Zeit, sie an ihren eigenen Worten zu messen. Im „Schwaadlappe“, dem Kurvenflyer der Wilden Horde, attestieren die Ultras dem neuen Vorstand seine zentralen Wahlversprechen eingehalten zu haben: Es wurden keine Anteile der KGaA verkauft, auch wurde die Kirche im Dorf beziehungsweise das Stadion in Müngersdorf gelassen.

Beim China-Thema allerdings, also den Plänen zum Bau einer Jugendakademie, wünsche man sich eine konkretere Positionierung vom neuen Vorstand – und zwar dagegen. Dass es dann letztendlich der Vorsitzende des Mitgliederrates, Stefan Müller-Römer war, der sich eindeutig gegen die FC-Pläne in China aussprach und der Club sich so an einem Spieltag (!) auf Druck der DFL zu einem Statement gezwungen sah, in dem man sich ein Hintertürchen für eine mögliche Kooperation öffnete, veranlasste letztendlich die aktiven Gruppen der Südkurve zur Präsentation mehrerer Tibet-Fahnen während des letzten Heimspiels im Jahr 2019. Dieser Konflikt dürfte Fans und Präsidium definitiv ins nächste Jahr begleiten.

Sportliche Talfahrt ließ andere Themen in Hintergrund rücken

Das oberste Ziel, der Klassenerhalt, ist kurz vor Jahresende alles andere als gesichert. Durch drei Siege in Folge dürfte es über die Weihnachtstage aber eine der ruhigeren Winterpausen am Geißbockheim werden. Nach einer in Summe mageren Hinrunde sind die Geißböcke am letzten Spieltag der Hinrunde noch auf einen Nicht-Abstiegsplatz geklettert, wo sie nun überwintern.

Auf der nächsten Seite: Regressforderungen und unser Fazit


Nach obligatorischem Trainerwechsel und der Neubesetzung eines Postens in der Geschäftsführung sind andere Themen, die nicht für das sportliche Überleben in Liga Eins relevant sind, in den Hintergrund gerückt. Es brennt also an vielen Ecken, doch ausnahmsweise mal nicht auf Fan-Ebene. Während Wolf und Co. nicht nur auf sportlicher Ebene mit großen Altlasten ins neue Amt starteten, so könnte der Wechsel für den Dialog mit der Fanszene sogar einen Neuanfang bedeuten.

Fanszene zeigte sich auswärts oft von ihrer strahlenden Seite

Diese zeigte sich zum Ende des Jahres bestens aufgelegt und regelmäßig von ihrer “leuchtenden Seite”: Bei den Auswärtsspielen in Mainz, Saarbrücken, Düsseldorf und Berlin zündeten Fans im Stadion immer wieder Pyrotechnik, was eine empfindliche Strafe durch den DFB nach sich ziehen dürfte. Statt der üblichen verurteilenden Phrasen entschied sich der Vorstand des 1. FC Köln zu angenehmer Zurückhaltung und sprang nicht über jedes Stöckchen, das ihnen von Journalisten hingehalten wurde. Letztendlich äußerte sich Werner Wolf im Express und ordnete unaufgeregt ein: „Mein persönlicher Eindruck war, dass sehr viel Pyrotechnik gezündet wurde, was glücklicherweise aber kontrolliert abgelaufen ist.“ Die große öffentliche Schelte blieb aus.

Wolfs Worte zeigen umso eindrücklicher den Kontrast zu seinen Amtsvorgängern. So veröffentlichte der 1. FC Köln noch unter altem Vorstand nach dem Auswärtsspiel in Magdeburg eine Stellungnahme. Dort hieß es unter anderem, dass im Fanblock des 1. FC Köln von einigen FC-Fans massiv Grenzen überschritten worden seien. Und: „Eine kleine Gruppe bringt den FC und den Großteil der FC-Fans, die auch in Magdeburg friedlich unser Team angefeuert haben, in Misskredit.“

Neuer Vorstand vermeidet Schnellschüsse in Sachen Fans

Im krassen Gegensatz dazu verwies Wolf zudem nach den vielen Spielen mit Pyro-Einsatz, man arbeite intensiv mit den Fans an diesen Themen. „Das ist aber nichts, was man mal so eben mit einem Fingerschnippen löst“, befand der Präsident. Der neue Vorstand setzt also auf Nachhaltigkeit in Sachen Fans, für die er verständnisvolle Worte findet: „Diese Fans leben ihre Fankultur.“ Seine Aufgabe sehe er darin, „tragfähige Lösungen für die Zukunft“ zu erarbeiten. Diese neue Zurückhaltung kommt bei den Fans gut an: „Die Öffentlichkeitsarbeit unter Werner Wolf ist besser geworden“, so ein Vertreter der Südkurve auf Anfrage. Nicht, weil Wolf sage, was man hören wolle, aber weil man sachlicher und bodenständiger an die Materie herangehe. „Das tut allen im Verein gut“, meint er.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

An einer Sache aber scheiden sich die Geister und werden dies auch in Zukunft tun: Bei der Weitergabe von DFB-Strafen an Einzelpersonen, kurz Regressforderungen. Während sich der Verein unter dem alten Vorstand durch die Instanzen klagte, um identifizierte Störer an den Kosten zu beteiligen, so lehnen Fan-Zusammenschlüsse wie „Unsere Kurve“ – eines der Mitglieder ist das Kölner Fanprojekt “fans1991” – und auch der “Südkurve 1. FC Köln e.V.” diese Weitergabe kategorisch ab. Ihr Argument: ein undurchsichtiger Strafenkatalog, der willkürliche Strafzahlungen vorsieht und so letztendlich Existenzen zerstören kann. Und die Haltung von Werner Wolf und Co.? Dem Express sagte Wolf erst kürzlich: „Wenn jemand identifiziert wird, werden wir uns damit auseinandersetzen müssen, das ist klar. Das wird Konsequenzen haben.“ Und die hat es.

Beim Regress scheiden sich die Geister

Beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach zündete ein Fan einen Böller und warf ihn in Richtung Innenraum. Durch die laute Detonation erlitten zwölf Personen ein Knalltrauma. Der Täter wurde ermittelt, was sich nun auf die Höhe der Verbandsstrafe zugunsten des Vereins auswirkt, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verurteilte die Rheinländer zu einer Geldstrafe von 5000 Euro. Ohne die Täter-Ermittlung hätte der Kontrollausschuss mindestens 40.000 Euro Geldstrafe beantragt. Der FC kündigte an, die Geldstrafe auf zivilrechtlichem Wege an den Täter weitergeben zu wollen. Der Täter stammt nachweislich nicht aus der Fanszene des FC, ist in keinem Fanclub organisiert und handelte allein. Die “Südkurve 1. FC Köln e.V.” und alle ihr angeschlossenen Fanclubs haben sich in ihrem Verbundsbrief gegen den Einsatz von Böllern ausgesprochen. Daran werden sich die Mitglieder der “Südkurve 1. FC Köln e.V.” auch in Zukunft messen lassen müssen.

Das Zwischenzeugnis nach 100 Tagen für den neuen Vorstand fällt nüchtern aus: Das liegt zum einen daran, dass andere dringlichere Baustellen eröffnet wurden wie etwa die sportliche Krise und Personalwechsel auf dem Trainer- und Geschäftsführerposten, zum anderen liegt es in der Natur der Sache, dass die Gräben, die jahrelang ausgebuddelt wurden, nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate zuzuschütten sind. Das Konzept des Vorstands von Wolf und Co. zielt auf Langfristigkeit ab. Wer nun auf baldige Choreografien bei Heimspielen in Müngersdorf hofft, der wird sich gedulden müssen. In ihrem Kurvenflyer kündigte die “Wilde Horde” an, dass es in diesem Jahr aufgrund der weiterhin bestehenden Choreo-Klausel keine bunten Choreografien geben werde.

ZurückSeite 1 von 2