Sobald der 1. FC Köln in den kommenden Tagen und Wochen den Aufstieg in die Bundesliga sichergestellt haben wird, ist es nicht ausgeschlossen, dass dem Abpfiff Feierlichkeiten folgen werden. Feierlichkeiten, die die Korrektur des wohl am meisten vermeidbaren Abstiegs in der Geschichte der “Geißböcke” zum Anlass haben – anstatt wie vor einigen Jahren noch auf dem Weg zu einem ernstzunehmenden Erstligisten zu sein, wird der effzeh im kommenden Jahr in der Bundesliga primär um den Klassenerhalt kämpfen müssen.
Die Diskrepanz zwischen dem, was der Verein aufgrund seiner Wucht und seines Potenzials zu leisten imstande wäre, und dem, was im Jahr 2019 als Ist-Zustand konstatiert werden kann, ist frustrierend, weil es eben zwischenzeitlich danach aussah, als hätte der erste Bundesliga-Meister der Geschichte die Kurve bekommen.
Kölner Launenhaftigkeit
Schaut jemand von außen auf den effzeh, fällt sofort auf, dass die typische Kölner Launenhaftigkeit momentan wieder ganz besonders prominent ist – wie kann es denn sonst sein, dass bei einem Tabellenersten deutlich vernehmbare Rufe nach der Entlassung des Cheftrainers laut werden? Die Lage ist natürlich weitaus komplexer und wirft Fragen auf, die die gesamte Organisation des 1. FC Köln betreffen. Das Fußballgeschäft mit anderen Wirtschaftsbereichen zu vergleichen ist zwar immer eine recht waghalsige Angelegenheit, die Funktionalität des Konstrukts “effzeh” verdient aber trotzdem eine nähere Betrachtung.
Sieht man den 1. FC Köln als Unternehmen, ist dessen Produkt in erster Linie guter Fußball – das lässt sich zwar schwer messen und eigentlich wäre das Adjektiv “erfolgreich” auch möglich, das soll aber für die Argumentation an dieser Stelle ausreichen. Doch was bedeutet guter Fußball? Viel Ballbesitz, viel Dominanz, rasante Konter? Der Konsens wäre hier wohl irgendwo in der Mitte: Guter Fußball ist, wenn Spieler zu allen Momenten eines Spiels die richtigen Entscheidungen treffen und die Mannschaft im statistischen Mittel jedes zweite Spiel gewinnt. Begleitet wird das Ganze im Idealfall von weicheren Faktoren wie einer guten und lebendigen Stimmung im Stadion oder einer Mannschaft an Funktionären, die an einem Strang zieht und das Wohl des Vereins über eigene Interessen stellt. Die Mannschaft besteht idealerweise aus Spielern, mit denen sich die Fans identifizieren können, gleichzeitig werden regelmäßig hohe Transfererlöse erzielt, was die wirtschaftliche Lage verbessert. Auch hier geht es um gute, um zielgerichtete Entscheidungen.
Fehler auf allen Ebenen
Setzt man nun den derzeitigen Zustand des effzeh dagegen, wird deutlich, dass das Unternehmen in seiner Gesamtheit nicht wirklich funktioniert. Zuerst ein Blick auf die oberste Ebene: Der Präsident ist zurückgetreten, seine Vizes verschanzen sich in der Hoffnung auf ein zweites Mandat. Wirklich bedeutende Impulse in Bezug auf die zukünftige Strategie des Vereins waren in der jüngsten Vergangenheit gab es nicht. Auf der operativen Entscheidungsebene überlagern die vereinspolitischen Statements des Geschäftsführers Sport das Tagesgeschäft. Armin Veh hat in seinen fast anderthalb Jahren beim 1. FC Köln sowohl gegen den Mitgliederrat als auch den amtierenden Präsidenten geschossen, um aus seiner Wahrnehmung heraus mit unbequemen Wahrheiten einen Verbesserungsprozess einzuleiten.
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Seine Einstellung im Dezember 2017 folgte dem Vernehmen nach einer Empfehlung durch seinen Kollegen Alexander Wehrle, der den Finanzbereich verantwortet. Veh war daher bereits vor etwa einem Jahr mit der Aufgabe betraut, einen Zweitligakader zusammenzustellen, der den Ansprüchen eines Aufsteigers genügen würde – neben den emotional begründbaren Vertragsverlängerungen von Identifikationsfiguren wie Timo Horn oder Jonas Hector konnte Veh als sportlich Verantwortlicher den Kader nach seinen Vorstellungen bauen – und bewies dabei abgesehen von den Verpflichtungen Schaubs und Drexlers keine außergewöhnliche Fantasie. Für den sportlichen Bereich brauchte es nach dem Nachlassverwalter Stephan Ruthenbeck eine zukunftsgerichtete Personalie, die den 1. FC Köln spielerisch weiterentwickeln würde. Diese wurde mit Markus Anfang gefunden, der zuvor zwei Jahre lang erfolgreich in Kiel gearbeitet hatte.
Minimalziel wird erreicht
Das Minimalziel Aufstieg wird Anfang mit seiner Mannschaft erreichen, die lauten Fragen nach seiner Eignung für das Traineramt des 1. FC Köln haben aufgrund der Vergangenheit und vielen falschen Entscheidungen durchaus ihre Berechtigung. Angetreten war der Fußballlehrer mit der Überzeugung, beim 1. FC Köln eine auf Dominanz ausgelegte Spielidee zu etablieren – der Kader war im Frühjahr und Sommer 2018 in Rücksprache mit Veh auch auf ein 4-1-4-1 ausgelegt worden. Nach den ersten Misserfolgen im Spätherbst änderte Anfang die Herangehensweise auf ein System mit zwei Stürmern, was in der Folge zwar Punkte brachte, die Nachhaltigkeit dieser fußballerischen Herangehensweise ist allerdings fraglich.
Auf der nächsten Seite: Warum Anfang nur das schwächste Glied in der Kette ist
Inwieweit diese Veränderung in der Taktik auf Anfangs Eigeninitative zurückgegangen ist, ist nicht bekannt – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Armin Veh als ehemaliger Trainer in dieser Entscheidung allerdings nicht unbeteiligt gewesen sein. In jedem Falle musste Markus Anfang als Reaktion auf die schlechten Leistungen einen neuen Impuls setzen, für den der Kader eigentlich nicht vorbereitet war – erst der Transfer von Kainz sorgte auf der linken Seite für eine passende Besetzung des Wing-Backs. Clemens und Risse auf der anderen Seite konnten beide noch nicht ihre langfristige Eignung für diese anspruchsvolle Position unter Beweis stellen.
Zwischen November und Februar beherrschte dann die Frage nach der Spielberechtigung eines ehemaligen, aber nun erneut verpflichteten Akteurs mehr oder minder das Tagesgeschäft beim 1. FC Köln. Rein sportlich wäre Anthony Modestes erneutes Wirken beim 1. FC Köln nicht zwingend nötig gewesen und der Verdacht, die Entscheidungsträger hätten Modeste nur unter Vertrag genommen, um nach einer aus ihrer Sicht desaströsen Mitgliederversammlung im Oktober wieder positive Schlagzeilen zu schreiben, konnte bislang auch nicht entkräftet werden. Im Binnenverhältnis ergab sich für das Trainerteam daher eine neue Herausforderung: Anthony Modeste hat in Köln aufgrund seiner unbestritten enorm guten Vergangenheit einen Vertrauensvorschuss. Zeitgleich entwickelte sich das Duo Terodde und Cordoba positiv, beide ergänzten sich gut und trugen den 1. FC Köln durch viele Spiele.
Risse im Binnenverhältnis?
Da Modeste aber mit der Zeit immer mehr Spielfitness aufbaute, stieg der Druck auf Anfang, dem Franzosen Einsatzzeiten zu verschaffen – die Moderation der Ansprüche dieses Sturmtrios kristallisierte sich daher als weitere Herausforderung heraus. Während der ersten Monate der Rückrunde blieb Markus Anfang überdies den Beweis schuldig, die Mannschaft fußballerisch auf ein besseres Niveau zu heben, was nicht zuletzt die 0:3-Niederlage in Dresden offenbarte. Dass in deren Nachgang noch aufgrund eines Satzes von Dominick Drexler und einer Geste von Florian Kainz das Binennverhältnis der Mannschaft diskutiert wurde, ließ die Fragen nach Anfangs Eignung nur noch lauter werden.
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Vielleicht war es deshalb ganz gut, dass Armin Veh in einem Interview mit dem “Kölner Stadt-Anzeiger” positiv formuliert bemerkenswerte Äußerungen traf und ein wenig von der Thematik ablenkte. Ein Auszug offenbart, wie Veh sich die Zusammenarbeit beim 1. FC Köln im Idealfall vorstellt: “Dieser Verein muss dauerhaft eine Einheit werden. Das geht oben los. In der Führung müssen dauerhaft fähige Leute arbeiten und Kontinuität reinbringen. Diese Kontinuität darf dann allerdings nicht dazu führen, dass man gleich glaubt, man sei wieder viel größer, weil man drei, vier Jahr einigermaßen erfolgreich war. Das passiert oft im Erfolg, ständig. Das hat aber nie mit dem Klub zu tun, sondern immer nur mit den Menschen. Wenn ein Verein es nicht schafft, fähige Leute in die Spitze zu bekommen, wird es dauerhaft keinen Erfolg geben.”
Veh muss eine Entscheidung treffen
Der langfristige Erfolg steht beim 1. FC Köln momentan in Frage, weswegen Armin Veh als Verantwortungsträger bald eine Entscheidung treffen muss: Möchte er mit Markus Anfang als Trainer in die Bundesliga gehen? Die Weichen für die mittelfristige Zukunft beim effzeh werden auf einer Ebene oberhalb von Anfang getroffen – schaut man sich die bisherigen Entscheidungen von Armin Veh an, fehlt einem ein wenig die Zuversicht, dass hier eine gute, eine konstruktive Entscheidung getroffen wird – und Kontinuität entsteht.
Noch eine Ebene weiter oben, im Vorstand des 1. FC Köln, hält man sich aus derlei Debatten raus und kümmert sich eher um die Vorbereitung der Wahl im September – die Chancen Ritterbachs und Schumachers auf Wiederwahl sind zwar gering, aber durchaus existent. Es erscheint fraglich, ob beide “fähige Leute” sind, um den Verein wieder aufzurichten und erfolgreicher zu machen.
Auch auf dieser Ebene müssten aber eigentlich Entscheidungen getroffen werden: Wie loyal kann Armin Veh sein, nachdem er bereits Werner Spinner absägte? Egal, wie man es dreht und wendet: Die verschiedenen Ebenen beim 1. FC Köln erwecken momentan nicht den Eindruck, als würden dort regelmäßig gute Entscheidungen getroffen werden. Markus Anfang steht am Ende dieser Kette, weil im Fußballgeschäft traditionell der Trainer als erster fliegt. Er ist das schwächste Glied in der Nahrungskette der Branche. Die Frage, ob auch die anderen Posten mit Entscheidungsgewalt beim 1. FC Köln momentan richtig besetzt sind, muss neben allem Frust über die fehlende spielerische Entwicklung aber auch diskutiert werden.