In 17 von 17 Spielen stand Anthony Modeste in der Hinrunde der aktuellen Bundesliga-Spielzeit auf dem Feld. Und nicht nur das: In allen 17 Partien stellte sein Trainer Steffen Baumgart Modeste vorne in der Spitze in seiner Startformation auf. 100 Prozent Startelf-Quote. Allein das wäre nach den Erfahrungen der Vorsaison eine extrem positive Entwicklung des 33-Jährigen. Zum Vergleich: In der Spielzeit 2020/2021 stand Modeste ein einziges Mal in der Startaufstellung des 1. FC Köln, weitere sieben Mal wurde er eingewechselt, kein einziger Treffer gelang dem Franzosen. Es folgte die Flucht in die Ligue 1 zur AS Saint-Étienne mit sieben Einsätzen, ebenfalls ohne Tor.
Und jetzt? Anthony Modeste ist wieder da. Und das kündigte sich bereits am ersten Bundesliga-Spieltag an. Nach dem 3:1-Sieg zum Auftakt wurde Doppelpacker Florian Kainz zurecht als Matchwinner gefeiert. Doch das Wirken des Anthony Modeste unter dem neuen Trainer fiel direkt auf. Wir vermerkten im Spielbericht zwei Sterne für den Torjäger, daneben stand: Anthony Modeste – Ist er wieder zurück? Ein Treffer im Stile eines Top-Torjägers, eine Vorlage wie ein Flankengott und dazu Einsatzfreude pur. Scheint mit Baumgart jemanden gefunden zu haben, der die richtigen Knöpfe bei ihm drückt.
Totgesagte leben länger
Damals noch als Frage formuliert, ist es tatsächlich denkbar, dass der legendäre Anthony Modeste, der uns nach 25 Jahren Abstinenz zurück nach Europa schoss, dieser Anthony Modeste wirklich wieder da ist? Ja. Er ist zurück. So sehr, dass der Streaming-Sender DAZN eine seiner ersten Folgen des neuen Formats „Decoded“ einzig dem Stürmer des 1. FC Köln widmet. Moderator Daniel Herzog begründet das so: „Totgesagte leben länger. Der war komplett weg von der Bildfläche.“ Doch jetzt lebt der Totgesagte wieder auf. Anthony Modeste schießt den 1. FC Köln in die obere Tabellenhälfte.
Oder besser gesagt, er köpft. Der Modeste der aktuellen Spielzeit ist mehr Kopfballspieler als Fußballspieler, elf Saisontreffer stehen nach einer halben Saison zu Buche, sagenhafte acht davon erzielte Tony Modeste per Kopf. Für DAZN-Experte Sebastian Kneissl auch ein Ergebnis seiner Spielweise: „Anthony Modeste möchte keinen direkten Körperkontakt. (…) Überlegtes Handeln statt Physis“, fasst Kneissl das clevere Spiel des Franzosen zusammen.
Mit seinen acht Kopfballtoren ist Modeste auf Rekordkurs. Seit Beginn der Datenerfassung des Kicker in der Saison 1988/1989 hat kein Spieler in der Hinrunde jemals solch einen Wert erzielt. Auch europaweit weist Modeste mit einigem Abstand die meisten Kopfballtreffer auf. Ein weiterer statistischer Wert ist europäische Spitze, und auch das hängt mit den Treffern per Kopf zusammen: Modeste erzielt seine Tore im Schnitt aus etwas mehr als sieben Metern Entfernung. Kein Topstürmer in Europa ist näher dran am gegnerischen Tor, kein Erling Haaland, kein Robert Lewandowski, kein Cristiano Ronaldo.
Das Verhältnis zum Trainer passt
„Momentan habe ich natürlich viele Freunde“, fasst Modeste selbst lapidar seine überragende Verfassung zusammen. Doch es ist kein Geheimnis, dass dies vor allem mit seinem Trainer zusammenhängt. Steffen Baumgart schenkte Modeste von Beginn an das Vertrauen. Kolportiert wird ein Gespräch im Vorfeld der Bundesliga-Spielzeit, in welchem Baumgart Modeste bei der Ehre packte. Seitdem demonstrieren beide ihr herzliches und inniges Verhältnis. Der Torjäger zahlt das Vertrauen mit dem höchsten Gut zurück, was er zu geben hat, mit Toren. An sage und schreibe 44 Prozent aller Treffer des 1. FC Köln ist Modeste direkt beteiligt, zu seinen elf Toren kommt dabei eine Vorlage auf Florian Kainz.
“Die anderen Trainer hatten ihn auch im Kader.”
Und so gewährt der Coach seinem Spitzenspieler auch gewisse Freiheiten. Modeste hat in dieser Saison dem wichtigsten Mitarbeiter seines Arbeitgebers, Cheftrainer Steffen Baumgart, bereits Wasser aus einer Trinkflasche ins Gesicht gespritzt und ihm die sagenumwobene Schiebermütze geklaut, sich selbst aufgesetzt und einen Tanz damit aufgeführt. Die Süddeutsche Zeitung bemerkt dazu: „Früher hätten Trainer wegen so etwas den Tatbestand ‚Untergrabung der Autorität des Vorgesetzten‘ konstatiert und Waldläufe mit Bleiwesten verhängt.” Steffen Baumgart hingegen erschien am 11.11. im Schweinchen-Kostüm und betreute so den als Arzt gekommenen Modeste in Köln standesgemäß. Zudem schickte er seine Akteure in den verlängerten Weihnachtsurlaub, erst Anfang Januar geht es in Köln weiter.
Geschichten, die nur der Fußball schreibt
Und dass Anthony Modeste für uns der Spieler der Hinrunde ist, hat eben auch viel mit dem neuen Chef zu tun, den der 1,87 Meter große Star hat. „Der fast gleiche Kader, aber alles geändert mit ein geiles Trainer“, sagte Modeste nach dem Hinrunden-Abschluss gegen den VfB Stuttgart, bei dem Modeste das Siegtor zum 1:0 schoss. Unnachahmlich, mit einem Kopfball, der stark an das Basketballspiel eines gewissen Dirk Nowitzki erinnerte, der den NBA-Basketball mit seinem „Fade Away“ beeinflusste und veränderte. Modestes Art des Kopfballspiels bewegt sich vielleicht nicht in derselben stilprägenden Dimension, jedoch der Bewegungsablauf kommt dem „Fade Away“ verdächtig nahe. Modeste stiehlt sich zwischen mehreren Verteidigern davon, hat also etwas Platz um sich herum, der Ball fliegt in den Sechzehner, Modeste macht einen Schritt zurück und köpft dann dennoch mit großer Wucht und ebenso platziert ein.
https://twitter.com/fckoeln/status/1475149414641516544
Wäre Modeste eine Aktie, so wäre diese von ihrem höchsten Wert ein gutes Stück entfernt. Wer die Aktie zum Höchstpreis, also ungefähr zum Zeitpunkt des Wechsels nach China, verkauft hätte, hätte sicher satten Gewinn gemacht. Wer die Aktie Modeste allerdings noch immer im Depot liegen hat, der sieht zwar lediglich einen aktuell vergleichsweise niedrigen Marktwert von etwa zwei Millionen Euro (Quelle: transfermarkt), kommt aber dafür auf eine überragende Dividendenrendite. So jedenfalls könnte man die Torquote des Topstürmers adäquat auf den Börsenmarkt übertragen. Steffen Baumgart hat diesen vielleicht nicht ganz so offensichtlichen Wert, der da in seinem Kader schlummerte, erkannt. Und er hat es geschafft ihn zu nutzen, die Leistung auf die Straße zu kriegen. „Die anderen Trainer hatten ihn auch im Kader“, schmunzelte Baumgart in sich hinein. Der Mann weiß, dass sein Plan perfekt aufgegangen ist. Und macht Anthony Modeste so weiter wie in der Hinrunde, dann steht dem Blick nach oben für den 1. FC Köln nichts im Wege.