Text: Jan Lukas Elskamp, Denis Lennepe
Ein kölsches Eigengewächs bleibt beim 1. FC Köln an Bord: Salih Özcan, dessen Abschied eigentlich schon als beschlossene Sache galt, verlängert seinen Vertrag bei den “Geißböcken” bis 2023. “Ich bin sehr glücklich, dass ich weiter ein Teil der FC-Familie bin. Unabhängig von der Tatsache, dass hier meine Heimat ist, haben mich besonders die Gespräche mit Steffen Baumgart und allen FC-Verantwortlichen davon überzeugt, dass mein Weg hier noch nicht zu Ende ist”, erklärte der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler, der vor kurzem mit der U21-Nationalmannschaft Europameister geworden war. “Ich will in der kommenden Saison bestätigen, dass ich ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft bin und den nächsten Schritt in meiner Entwicklung gehen.”
Doch gerade diese Entwicklung ist es, die die Entscheidung beider Parteien, die Zusammenarbeit auch zukünftig fortzusetzen, nicht gerade unumstritten macht. Özcan, 2019 mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet, konnte die Vorschusslorbeeren aus dem Jugendfußball noch nicht konstant im Seniorenbereich rechtfertigen. Auch deshalb löst die Vertragsverlängerung mit dem talentierten Mittelfeldmann bei den Fans rege Diskussionen aus: Beide Seiten können sich dabei auf verschiedene Argumente berufen, die durchaus unterschiedlich gewichtet werden. Während die einen auf das vermeintlich große Potenzial des U21-Europameisters verweisen, sehen die anderen die vielen gescheiterten Anläufe in Köln als legitimen Trennungsgrund.
Baumgart: “Salih ist eine absolute Integrationsfigur für den FC”
Vor allem Steffen Baumgart hatte sich zuletzt für einen Verbleib des physisch robusten Eigengewächses stark gemacht – der neue Trainer spart auch in der Pressemitteilung des Vereins nicht mit Lob für den 23-Jährigen. “Salih ist eine absolute Integrationsfigur für den FC. Er ist hier geboren, hat seine fußballerischen Wurzeln in Köln und identifiziert sich total mit dem Club. Er hat schon sehr viel Erfahrung gesammelt, ist aber gleichzeitig immer noch ein junger und entwicklungsfähiger Spiele “, betonte Baumgart anlässlich der Vertragsverlängerung und fügte hinzu: “Er passt perfekt in das Spielerprofil, womit wir zukünftig arbeiten wollen. Ich bin davon überzeugt, dass er seine Qualitäten beim FC noch viel häufiger und stärker auf den Platz bringen kann als bisher – und das erwarte ich auch von ihm.”
“Er passt perfekt in das Spielerprofil, womit wir zukünftig arbeiten wollen.”
Dass Özcan als Spielertyp Gefallen beim neuen Trainer des 1. FC Köln findet, überrascht auf den ersten Blick nicht, überzeugt der Mittelfeldmann doch gerade durch seine physische Stärke. Seine Kraft hat Özcan sicher auch durch seine Ringer-Erfahrung: 15 Jahre lang war er als Kind im Bodenkampf aktiv. In einem Interview des Geißblogs aus dem Trainingslager vor der abgelaufenen Saison beantwortet er die Frage nach seinem Lieblings-Filmcharakter mit Kraftpaket Vin Diesel. „Wir sehen ja auch fast gleich aus“, sagte das FC-Eigengewächs mit einem Lachen. Exemplarisch für seine Kraft steht die Szene am vorletzten Bundesliga-Spieltag bei Hertha BSC, als er kurz nach seiner Einwechslung im Mittelkreis den Gegner durch ein faires Drücken einfach vom Ball wegschob und sich auch dadurch einen Startelf-Einsatz im entscheidenden Spiel gegen Schalke als Ersatz für den gelbgesperrten Ellyes Skhiri verdiente.
Özcan als rein physischen Balleroberer zu beschreiben, wird seinem Profil jedoch nicht gerecht. Vielmehr ist es die fußballerische Klasse, die den Spielgestalter auszeichnet. Immer wieder wurde Özcan vom ehemaligen FC-Trainer Markus Gisdol bei Rückständen eingewechselt, um mit seiner sauberen Passtechnik dem hapernden Offensivspiel etwas Ordnung zu verleihen. Häufig schickten ihn die Trainer mit Max Meyer zusammen auf den Rasen, um bei Rückständen für kreativere Aktionen in Ballbesitz zu sorgen. So auch gegen Stuttgart, als er als Joker aus Distanz in einer seiner auffälligsten Szenen der Saison den Ball an die Unterkante der Latte jagte. Es überrascht daher weniger, dass Özcan von Gisdol auch im Spiel bei Union Berlin von Anfang an eingesetzt wurde, als die Kölner mit gleich sechs nominellen Mittelfeldspielern starteten. Dass dieses Experiment nicht zu den wenigen Sternstunden der vergangenen Saison gehört, sollte den meisten Fans noch in Erinnerung sein.
U21-EM macht Appetit auf mehr
Die derzeitige Kölner Kaderplanung deutet aber immer mehr darauf hin, dass hinter einem Spielmacher Duda häufiger drei statt bislang zwei zentrale Mittelfeldspieler auflaufen werden. In solchen Mittelfeldzentren kam Özcan zuletzt besonders gut zur Geltung: Bei der U21-EM-Endrunde, in der das Team von Stefan Kuntz überraschend den Titel holen konnte, stand der Kölner im Halbfinale und Finale neben Niklas Dorsch und Arne Maier in der Startelf. Weil Dorsch im Zentrum den absichernden Zweikampf-Part übernahm, ergaben sich für Özcan auf der halblinken Position viele Möglichkeiten nach vorne, die er mit Dribblings und Läufen immer wieder nutzen konnte. Genau von dieser halblinken Rolle profitierte er auch während seiner Ausleihe zu Holstein Kiel, die traditionell ebenfalls häufig in einem 4-3-3 auflaufen. So konnte die Kölner Leihgabe in der Saison 2019/2020 immerhin fünf Tore und sieben Assists für die Störche verzeichnen.
Unter Baumgart könnte der 23-jährige nach seiner Vertragsverlängerung in dieser Rolle endlich in einem zu ihm passenden System spielen. Weil im Kader des FC mit Rexhbecaj, Höger und den wahrscheinlichen Abgängen von Max Meyer und Ellyes Skhiri viel Platz im Zentrum frei wird, könnte Özcan bei einer Verlängerung wohl mit mehr Trainer-Vertrauen und Spielpraxis an seiner Konstanz arbeiten. Gelingt es ihm, sein unbestrittenes Talent auszuschöpfen, das ihm 2017 sogar die Fritz-Walter-Medaille als bester U19-Spieler einbrachte, kann er als erfahrener U-Nationalspieler dann auch seinen Marktwert in die Höhe schnellen lassen. Und für einen solchen Akteur muss der FC neben dem Gehalt nicht mal eine Ablöse, sondern lediglich ein „Signing Fee“ für die Vertragsunterschrift bezahlen.
Zu guter Letzt scheint Özcan sich in seiner Geburtsstadt sehr wohlzufühlen. Als „Kölscher Jung“, der sich immer wieder sehr verbunden mit seinem Veedel Ehrenfeld zeigt, liegt ihm offenkundig viel am FC. Zurückblickend auf die Entwicklung seiner EM-Helden sprach U21-Coach Kuntz nach dem Titelgewinn bei Özcan von einem „emotionalen und schmerzhaften Abschied aus Köln“. Kein Wunder nach inzwischen 14 Jahren mit dem Geißbock auf der Brust, bei denen er in den Jugendteams sogar häufig als Kapitän voranging. Mit der Vertragsverlängerung hat der FC nun einen immer noch entwicklungsfähigen U21-Nationalspieler im Kader behalten, der gerade im neuen System unter Steffen Baumgart eine wichtige Rolle einnehmen könnte. Mit seiner Physis und Passstärke könnte der heimatverbundene Özcan endlich den nächsten Schritt in der Entwicklung machen, wenn er unter dem neuen Trainer konstanter das Vertrauen bekommt.
Kein Durchbruch in der vergangenen Saison
Vertrauen, das er sich allerdings hart verdienen muss. Denn es dürfte zwar an Özcans Talent kaum Zweifel geben, doch muss er dies auf dem Platz auch zeigen. Vielmehr wird bestritten, ob der Mittelfeldmann je sein ganzes Können in der Domstadt unter Beweis stellen wird. Seine besten Spiele absolvierte der Kölner beim DFB-Nachwuchs und bei seiner Leihe in Kiel. Als er vor der abgelaufenen Saison als Stammspieler von der Förde zurückkehrte, erhofften sich viele endlich den Durchbruch. Doch auch in der abgelaufenen Spielzeit schaffte Özcan den konstanten Sprung in die erste Elf nicht, obwohl Kapitän Hector lange ausfiel. Von seinen 15 Startelf-Einsätzen liegen zehn in der Hinserie, nachhaltig konnte er seinen Platz als Hector-Ersatz also nicht sichern.
Und selbst als er damals seinen Startplatz vom 6. bis zum 15. Spieltag sicher hatte, trat er nur mit einer einzigen Vorlage im Heimspiel gegen Wolfsburg in Erscheinung – zu wenig für einen technisch so veranlagten Spieler. Die Starter-Rolle verspielte Özcan dann endgültig beim 0:5 in Freiburg: In der 39. Minute ließ er sich aus dem Mittelfeld tief in den Aufbau fallen, verlor aber kurz vor dem eigenen Strafraum den Ball an Nicolas Höfler, der nur noch einschieben musste. Spätestens seitdem ist klar: Ein tiefer Sechser wird aus Özcan wohl auf Bundesliga-Niveau nicht mehr. Zu seinem Dilemma gehört daher auch, dass die offensivere Rolle der Doppelsechs für Jonas Hector reserviert ist, der als Kapitän dort nicht mehr wegzudenken ist. In einem Zweier-Mittelfeld würde sich Özcan also auch kommende Saison hinter Hector einreihen müssen.
“Ich bin froh, dass Salihs Weg beim FC noch nicht zu Ende ist und seine Entwicklung bei uns weitergeht.”
Für den offensiveren Part fehlen Özcan zudem nicht nur in der abgelaufenen Saison die Scorerpunkte: Für die Profis des FC lief der U21-Europameister insgesamt bereits 94-mal auf, dabei konnte er aber erst zwei Treffer erzielen. Auch vier Vorlagen sind viel zu wenig für einen Spielertypen wie Özcan, der eben nicht das Argument einer defensiven Balleroberungs-Rolle für sich geltend machen kann. So gibt es in der FC-Anhängerschaft auch wegen der erfolgreichen Zeit in Kiel nicht wenige Stimmen, die einen Weggang als Gewinn für alle Seiten eingeschätzt hatten. Köln hätte sich das Gehalt des U21-Nationalspielers sparen können, der seinerseits wiederum einen neuen Anlauf mit Luftveränderung hätte wagen können. Bei einem neuen Club stünde er nicht mehr so genau im Blickpunkt, wie es als eigener Nachwuchsspieler und ehemaliger Hoffnungsträger in Köln der Fall wäre.
Es gab auch gute Gründe für einen Abschied aus Köln
Dazu hätte ein vermeintlicher Rückschritt für den Spieler vielleicht auch ein Schritt nach vorne sein können. Özcan konnte in knapp 100 Spielen für den FC sein unbestrittenes Talent mit sechs Torbeteiligungen zu selten zeigen. Auch für den U21-Europameister könnte ein Schritt ins Ungewisse darüber hinaus Chancen bieten, mit etwas mehr Ruhe endlich durchzustarten. Regelmäßige Spielpraxis, wie bei seiner Leihe nach Kiel, wäre für Özcan ein wichtiger Faktor gewesen, um endlich Konstanz in seine Leistungen bekommen. Oft genug hatte der mittlerweile schon 23-Jährige seine Chance in Köln nicht nutzen können, dabei besonders in Sachen Handlungschnelligkeit viel Luft nach oben bewiesen. Doch auch für den FC hätte ein Abschied eine Chance sein können: Die “Geißböcke” wären in der Lage gewesen, Özcans Kaderplatz mit einem jüngeren Talent wie Joshua Schwirten zu besetzen. Oder mit jemand anderem, der unbelastet in die neue Saison unter einem neuen Trainer gehen könnte.
Es gab also gute Gründe sowohl für als auch gegen eine Verlängerung mit Salih Özcan – beide Parteien haben sich letztlich für einen Verbleib entschieden. “Ich bin froh, dass Salihs Weg beim FC noch nicht zu Ende ist und seine Entwicklung bei uns weitergeht. Ich rechne fest damit, dass er in den kommenden Spielzeiten ein wertvoller Bestandteil des Teams wird”, sagte Interimssportchef Jörg Jakobs. Und zur Beantwortung der Frage, ob eine Verlängerung daher Sinn ergibt oder nicht, sei daher einfach mal zu einem Gedankenexperiment aufgerufen: Man stelle sich vor, ein junger, deutscher U-21-Europameister mit der Erfahrung von 64 Erst- und 48 Zweitligaspielen, der sich zudem der Stadt Köln verbunden fühlt und den Europapokaleinzug als sein Lebenshighlight bezeichnet, käme im Sommer ablösefrei auf den Markt. Würden Sie zugreifen?