Als der 1. FC Köln am Mittwoch um 19:45 Uhr die Aufstellung für das Pokalspiel beim VfB Stuttgart twitterte, war die Verwunderung der Fangemeinde in der Kommentarspalte groß. Die einen fragten erbost, ob die “Geißböcke” den DFB-Pokal denn überhaupt ernst nehmen würden oder erbaten noch direkter nach Auskunft, ob man sie mit der Aufstellung verarschen wollen würde. Andere waren etwas vorsichtiger, sprachen von einer gewagten Aufstellung oder zeigten sich mindestens überrascht von dem, was Trainer Steffen Baumgart auf den Platz schickte. Einen taktischen Plan oder mehr als ein Rotieren um des Rotieren Willens vermochten allerdings die wenigsten vor Anpfiff zu erkennen.
Und tatsächlich, Steffen Baumgart wechselte im Vergleich zum 2:2-Unentschieden gegen Bayer Leverkusen gleich auf acht Positionen. Zwei dieser Wechsel waren mit dem vor der Saison verabredeten Torhüterwechsel sowie dem krankheitsbedingten Ausfall von Rafael Czichos schon im Vorfeld des Spiels bekannt. Auch hatte Baumgart angekündigt, eine frische Elf auf den Rasen zu schicken und zu rotieren. Doch das Ausmaß überraschte dann doch. Insbesondere für Schindler, Schaub und Ostrak hatte es bislang nur zu Ligakurzeinsätzen gereicht und beim in Stuttgart richtig starken Innenverteidiger Hübers stand lediglich ein Einsatz über 90 Minuten am ersten Spieltag sowie in der ersten Pokalrunde in Jena in den Büchern.
Der 1. FC Köln ist ein gut gecoachtes Fußballteam
Baumgart, der vor der Partie offen vom Pokalfinale in Berlin sprach, ging mit der Aufstellung vermeintlich ins Risiko. Wäre der FC in Stuttgart ausgeschieden, wären ihm seine Worte mit dieser Aufstellung auf die Füße gefallen. Die Betonung liegt in dem Satz, so viel kann nach dem Spiel allerdings sagen, auf dem Wort „wäre“. Denn die ersten zehn Spielminuten schienen den Bedenken der Fans zwar noch Recht zu geben. Fahrig in den Aktionen, wenig Zugriff auf die Gegenspieler und noch mit merklich Abstimmungsproblemen stolperten die „Geißböcke“ in die Partie.
Doch dann steigerte sich die Mannschaft. Die restlichen 80 Minuten zeigten dann ein Kölner Team, dass erstens offensichtlich über Selbstbewusstsein bis in die Tiefen des Kaders verfügt und zweitens im Herbst 2021 auch einfach ein gut gecoachtes Team ist, das überdies mit dem eingewechselten Modeste wieder über einen Torjäger verfügt, der in dieser Form tatsächlich einer ist. Zugegeben, der Gegner aus dem Schwabenland erwischte keinen guten Tag. Das nicht einmal halbgefüllte Neckarstadion war alles, aber wirklich kein Hexenkessel, das Spielniveau war über weite Teile überschaubar und Chancen auf beiden Seiten waren lange Zeit Mangelware. Die Kölner überrollten die Gastgeber auch nicht mit Ballbesitz oder drückten sie in die eigene Hälfte.
„Anthony Modeste ist nicht der entscheidende Mann, sondern entscheidend war die Mannschaft, die es vorher richtig gut gemacht hat.“
Aber die „Geißböcke“ übernahmen mit jeder Minute des Spiels mehr die Kontrolle, fühlten sich spürbar immer sicherer und die individuellen Spieler fanden sich in ihren zugewiesenen Rollen immer besser zurecht und konnten die Taktik als Kollektiv so gut ausfüllen. „Ich denke, wir haben in der ersten Halbzeit eine ausgeglichenes Spiel gesehen […] und in der zweiten Halbzeit haben wir das in unsere Richtung schieben können und verdient gewonnen“, fasste Baumgart das Spiel zusammen. Dies ist bei einer Startelf, die aussieht, als hätte Baumgart einmal den Zufallsgenerator angeworfen, alles andere als selbstverständlich. Die meisten anderen Mannschaften hätten das so nicht hinbekommen und vergangene Truppen der „Geißböcke“ wären auch gegen schwache Schwaben in Sack und Asche gespielt und anschließend im Neckar versenkt worden.
Modeste ist nur der sichtbare Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins am Geißbockheim
Die Einwechselspieler, allen voran natürlich der zurecht gefeierte Doppeltorschütze Modeste, brachten den FC in der zweiten Hälfte dann schließlich auch auf die Anzeigetafel und damit auf die Siegerstraße. Auch Uth konnte mit seiner Einwechselung nach der Halbzeitpause dem Spiel im Vergleich zum eher blassen Ostrak seinen Stempel aufdrücken. Aber es wäre falsch, den Sieg nur auf die beiden zu schieben. Das riesige Selbstvertrauen und die Freude, die Modeste in jeder Aktion auf und neben dem Spielfeld ausstrahlt, zieht sich durch die Mannschaft. Dies sah auch Steffen Baumgart so, der nach dem Spiel auf der Pressekonferenz den Journalisten in den Block diktierte: „Anthony Modeste ist nicht der entscheidende Mann, sondern entscheidend war die Mannschaft, die es vorher richtig gut gemacht hat.“
Anschließend sprach der 49-jährige noch davon, dass es bei ihm keine A-Elf und keine B-Elf gibt. Eine sicher nicht ganz richtige Aussage, sonst würden Spieler wie Ostrak oder Schaub öfter von Beginn an spielen, aber der Sieg in Stuttgart gab ihm insofern Recht, als dass das Team in der Breite besser besetzt zu sein scheint, als Fans und Beobachter das vor Saisonbeginn befürchteten. Das Risiko, welches er mit der Aufstellung eingegangen ist und das auch einige Fans vor dem Spiel recht deutlich hinterfragten, war für ihn deswegen überschaubar. Er vertraut seiner Arbeit und seinen Spielern. Und die zahlten das Vertrauen am Mittwoch mit einer guten Mannschaftsleistung zurück. Baumgart gewinnt damit gleich doppelt: Einerseits das Spiel, andererseits das Vertrauen der vermeintlichen Ersatzspieler.
Viel Zeit zur Freude zum Erreichen des Achtelfinals bleibt allerdings nicht. Bereits am Samstagnachmittag treffen die Kölner im Westfalenstadion auf Borussia Dortmund und damit auf den aktuell Tabellenzweiten. Und am Sonntag werden in der Sportschau die Lose zur dritten Runde gezogen. Es könnte für die FC-Fans also schon am Wochenende wieder die Gelegenheit geben, auf Twitter ihrem Unmut über Leistung und Losfee Luft zu verschaffen. Oder man vertraut Steffen Baumgart und dem Team. Diesen Vertrauensvorschuss haben sie sich spätestens seit dem Mittwochabend in Stuttgart verdient.