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Elf Erkenntnisse zur Mitgliederversammlung des 1. FC Köln: Die Schonfrist ist nun endgültig vorbei

Foto: 1. FC Köln / Thomas Fähnrich

Eine Veranstaltung, an die sich jeder, der dabei war, vermutlich noch lange erinnern wird: Die Mitgliederversammlung des 1. FC Köln stach zwar nicht durch besonders wegweisende Entscheidungen hervor, vielmehr war es das Drumherum, das die achteinhalb Stunden dauernde Sitzung so speziell machte. Erstmals wurde das Zusammentreffen der FC-Familie, das aufgrund der Coronavirus-Pandemie mit knapp neun Monaten Verspätung stattfand, rein virtuell durchgezogen. Bis tief in die Nacht debattierten die Mitglieder unter der Woche die Geschicke des Vereins – lebendig, kontrovers und demokratisch.

Als um 2.38 Uhr das Schlusswort von FC-Präsident Werner Wolf erfolgte, standen einige wichtige Entscheidungen fest: Carsten Wettich, bereits interimistisch als Vizepräsident tätig, wurde von der Mitgliederversammlung mit klarer Mehrheit in den Vorstand gewählt, das aktuelle Präsidium (sowie einige Vertreter der ehemaligen Vereinsführung) wurden mit ebenso deutlichem Votum entlastet und mit Christina Strauß, Christina Trebing sowie Dorothea Zechmann ist ein neues, komplett weibliches Trio für die Besetzung der Wahlkommission gefunden worden. Dagegen wurden, vor allem aufgrund der schon deutlich fortgeschrittenen Zeit, sämtliche Satzungsänderungsanträge auf Beschluss der Mitglieder verschoben.

1. It’s not the format, stupid!

Fast 9.000 Mitglieder hatten sich im Vorfeld der ersten FC-MV 2021 angemeldet, das hätte einen Publikumsrekord für die Vereinssitzung, die das oberste Organ des Clubs darstellt, bedeutet. In der Spitze saßen dann schließlich etwas weniger als 6.000 Angehörige der FC-Familie bei hochsommerlichen Temperaturen vor ihren Rechnern. Die hoffnungsvollen Annahmen, das rein virtuelle Format würde mehr Mitglieder zur Teilnahme verhelfen und der angeblich bisher am Geißbockheim herrschenden „Alibi-Demokratie“ endgültig ein Ende bereiten, erwiesen sich als Illusion. Vielmehr muss – aller Kritik an der Austragung unter der Woche zum Trotz – festgestellt werden: Ein allzu brennendes Interesse an einer demokratischen Mitbestimmung im Verein scheint bei einem Gros der Mitgliedschaft nicht vorhanden zu sein. Das mehr als offensichtlich interessengetriebene Mäkeln an einer vermeintlich fehlenden Legitimation von Entscheidungen der Mitgliederversammlung sollte nach dieser Veranstaltung dann auch endlich zu den Akten gelegt werden.

“Demokratie ist anstrengend, aber sie lohnt sich.”

2. Vereinsdemokratie ist (zu?) anstrengend

Dass eine Mitgliederversammlung allerdings auch keine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit ist, dürfte allen Anwesenden bereits nach kurzer Zeit deutlich geworden sein. „Demokratie ist anstrengend, aber sie lohnt sich“, betonte FC-Präsident Werner Wolf zu Beginn seiner Rede – und da war noch längst nicht Halbzeit auf der Mitgliederversammlung. Dass schon bei der ersten kleineren Aussprache ausschließlich Wortmeldungen kamen, die absolut gar nichts mit diesem Tagesordnungspunkt zu tun hatten, dürfte da noch zu verschmerzen sein. Dass aber abermals Anträge kamen, die den demokratischen Charakter der Veranstaltung, zu dem eben auch zwingend Berichte und Aussprachen gehören, enorm beschädigt hätten, sollte nachdenklich stimmen. Wer die Mitgliederversammlung einzig als Ort versteht, der Vereinsführung einen Denkzettel zu verpassen, hat den Sinn dieser Veranstaltung nicht komplett verinnerlicht und zeigt fehlenden Respekt gegenüber Verein und Mitgliedschaft. Niemand hat gesagt, eine MV sei leicht – Sitzfleisch ist integraler Bestandteil einer Demokratie, die mitunter durchaus (zu) anstrengend ist.

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3. Das Format hat nicht gehalten, was viele sich versprochen hatten

Anstrengend wurde die Mitgliederversammlung aber auch deshalb, weil das Format einer virtuellen Veranstaltung große Schwächen offenbart hat. Das so genannte „Chatfenster“, das allerdings nur eine Eingabemaske war, lockte viele Wortmeldungen an. So weit, so gut. So weit, so unpraktikabel. Das Regulativ der anderen Mitglieder, die größere Hemmschwelle vor tausenden Menschen zu reden, die zeitliche Eingrenzung der Aussprachen durch die Sitzungsleitung : All das fiel durch die virtuelle Austragung weg – und das merkte man einigen Anmerkungen nicht nur deshalb deutlich an, weil sie sich thematisch ähnelten oder unbrauchbare Einwürfe waren. Es führt aber auch zu einer intransparenten Aussprache: Dass beispielsweise beim Änderungsantrag direkt zu Beginn 209 (!) Wortmeldungen einfach unter den Tisch fielen und unter „Manche dafür, manche dagegen“ subsumiert wurden, ist bei allem Verständnis für den Blick auf die Uhr nicht in Ordnung. Einige Fragen wurden nicht gestellt, einige sinnentstellend zusammengefasst, Nachfragen bei ungenügender Beantwortung war nicht möglich. Ist es bei einer virtuellen Teilnahme anders zu regeln? Kaum vorstellbar.

4. Die Technik hat gehalten, was versprochen wurde

Kaum vorstellbar übrigens auch, dass der 1. FC Köln eine solche Mammutveranstaltung im Marathonformat technisch derart solide und seriös herunterspult. Dynamo Dresden und der FC Schalke 04: Beide hatten zuvor ein ähnliches Format ergebnislos abbrechen müssen, weil entweder die Server oder aber die Abstimmungen nicht mitgespielt hatten. Würde sich auch der glorreiche FC bis auf die Knochen blamieren, weil die lang ersehnte Mitgliederversammlung aufgrund von technischen Problemen nicht über die Bühne gehen kann? Wer sich vorher in den Sozialen Medien umsah, dem dürfte diese Sorge bekannt vorkommen. Wer allerdings mit treibenden Kräften hinter den Kulissen sprach, der spürte große Zuversicht und großes Vertrauen in die Entscheidungsprozesse. Aufwendig hatte besonders der Mitgliederrat Leistungsnachweise eingefordert, bei der Partnerwahl wurde großen Wert auf die entsprechenden Kompetenzen gelegt. Das zahlte sich letztlich aus, lief die Versammlung doch technisch nahezu reibungslos ab. Nur über die Musikauswahl muss nochmals geredet werden!

Foto: 1. FC Köln / Thomas Fähnrich

5. Mehr Vertrauen als erwartet oder befürchtet

Im Vorfeld war die Frage, ob Carsten Wettich in den Vorstand gewählt wird, auch an dieser Stelle gewissermaßen zur Schicksalswahl für die Vereinsführung stilisiert worden. Der Gegenwind pfiff dem Präsidium und seinem Wunschkandidaten in den vergangenen Wochen stramm um die Ohren, Kritik kam von einstigen Unterstützern wie der Mitgliederinitiative 100%FC und Branchenfiguren wie Volker Struth gleichermaßen. Vorzeichen, die ein überzeugendes Mandat für Wettich, Wolf und Co. nicht allzu wahrscheinlich machten. Auch in der Aussprache wurde deutlich: Sonderlich zufrieden ist die Mitgliedschaft mit dem Vorstand derzeit nicht. Und dennoch sammelte die Vereinsführung mehr Vertrauen ein als erwartet beziehungsweise befürchtet: Wettich wurde mit überaus solider Mehrheit von fast 70 Prozent zum Vizepräsidenten gewählt, die Entlastung für das Geschäftsjahr 2019/20 erfolgte für das alte und das neue Präsidium trotz diverser diskussionswürdiger Themen ebenfalls klar. Das hatte sich angesichts des Stimmungsbildes im Vorfeld der Mitgliederversammlung so nicht angedeutet.

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6. Der Vorstand kann auch Vorwärtsverteidigung

Vielleicht lag es auch daran, dass sich insbesondere Werner Wolf und Eckhard Sauren endlich einmal zu Wehr setzten. Hatte es dem Vorstand in den vergangenen Monaten in der Öffentlichkeit ziemlich an Präsenz gemangelt, getoppt von einer verkorksten Pressekonferenz zum Wechsel in der sportlichen Führung, schaltete die FC-Führung auf der Mitgliederversammlung in den Angriffsmodus. Bei der Trennung von Horst Heldt stellte Sauren diverse Anwürfe richtig, Wolf nahm sich vor allem Spielerberater Struth zur Brust. „Lieber Herr Struth, wir wissen Ihre Sorge zu schätzen. Aber wir hätten es noch mehr geschätzt, wenn Sie unser Gesprächsangebot angenommen hätten. Wir hätten es noch mehr geschätzt, wenn Sie in einer Mitgliederversammlung Stellung bezogen hätten. Ich kann Sie beruhigen: Wir tanzen nicht im Märchenland, sondern sind in einer realen Welt zu Hause“, betonte der FC-Präsident und ließ ein Märchen folgen, das Struths Wirken beim HSV skizzierte. Der Vorstand kann also auch Vorwärtsverteidigung – sehr spät, vielleicht sogar viel zu spät, wenn man an die Diskussionen in der jüngeren Vergangenheit denkt.

“Wir haben uns teilweise zu sehr in die Sacharbeit gestürzt und Euch zum Teil aus den Augen verloren!”

7. Halbgares „Mea Culpa“ reicht nicht

Das dürfte allerdings auch für die Entschuldigung gelten, um die Werner Wolf und Carsten Wettich die Mitglieder bat. „Es tut uns leid, dass unsere Kommunikation nicht vernünftig funktioniert und präsidialen Ansprüchen nicht genügt hat. Dafür stehe ich als Präsident in besonderer Verantwortung“, erklärte der FC-Präsident Wolf. „Wir haben uns teilweise zu sehr in die Sacharbeit gestürzt und Euch zum Teil aus den Augen verloren“, unterstrich Wettich den mangelnden Austausch mit den FC-Fans, der „nicht gut genug“ gewesen sei. Das ist einerseits richtig – andererseits auch nur die halbe Wahrheit. Ja, die Kommunikation des Vorstands war und ist mehr als nur ausbaufähig. Nein, es war gerade bei den einstigen Unterstützern weniger die Worte, die für Verdruss sorgten, denn die Taten. Das „Wolf-Rudel“ war mit gewissen Erwartungen ins Rennen geschickt worden – diese wurden auf breiter Linie enttäuscht. Weder personell noch strukturell ist in den 18 Monaten der gewünschte Neuanfang am Geißbockheim gelungen. Sogar im Gegenteil: Wer sich beispielsweise die angedachten Veränderungen im Medienbereich anschaut, kann die anhaltende Ernüchterung im „Reformlager“ durchaus nachvollziehen. Es braucht hier mehr als nur ein halbgares „Mea Culpa“, das sich nicht einmal auf das Wirken, sondern vielmehr auf die Kommunikation bezieht.

8. FC-Matchplan: Ein Konzept ist nur ein Konzept

Einen ersten Schritt hat der Vorstand mit der Vorstellung ihrer Strategie gemacht, auch wenn dies in der Mitgliederversammlung noch sehr vage und auf einzelne vermeintlich gut klingende, aber recht inhaltsleere Schlagworte reduziert geschah. Auf den ersten Blick liest sich der so genannte FC-Matchplan nach einer soliden, allerdings nicht sonderlich tiefgehenden Konzeption, die noch mit Leben gefüllt werden muss. Dass dies erst nach anderthalb Jahren an der Spitze des Vereins passierte, ist durchaus kritisch zu betrachten – auch inhaltlich ist die zunächst auf sieben Jahre angelegte Vision nicht der große Befreiungsschlag, den sich so manche erhofft hatten.Da hilft auch nicht der nur semi-ironisch gemeinte Kommentar weiter, man wolle nicht zu viel verraten, weil die Konkurrenz keinen Vorteil haben solle. Und da der Plan noch mit den Mitgliedern diskutiert werden soll: Mehr als ein leidlich originelles Leitbild lässt sich aus dem FC-Matchplan noch nicht ableiten. Und selbst diese Vision muss gelebt werden, mit den passenden Entscheidern, die diesen Weg auch mitgehen wollen. An hehren Worten hat es rund um den 1. FC Köln in der jüngeren, ziemlich erfolglosen Vergangenheit nun wahrlich nicht gemangelt.

Foto: 1. FC Köln / Thomas Fähnrich

9. Alexander Wehrle ist und bleibt der starke Mann

Ob es einem gefällt oder auch nicht: Der Abend in der Kölnarena für die Vereinsverantwortlichen und vor den Rechnern für die Mitglieder hat deutlich unterstrichen, wie groß Alexander Wehrles Standing in der Mitgliedschaft und innerhalb des Clubs ist. Allen Anwürfen von außen zum Trotz: Der FC-Finanzgeschäftsführer ist und bleibt der starke Mann am Geißbockheim, der viele Fans sowie die Verwaltung am Geißbockheim hinter sich weiß. Das liegt auch daran, dass sich Wehrle rhetorisch vom weiterhin unterwältigend präsentierenden Vorstand deutlich abhebt. Die einen mögen ihn als „Teflonmann“ schmähen, die anderen es höchstprofessionell nennen: Wer den kämpferischen Auftritt des FC-Finanzchefs bei der Mitgliederversammlung gesehen hat, der bekommt eine Ahnung davon, warum Wehrles Machtbasis stabiler als jemals zuvor sein dürfte. Mit deutlichen Worten erteilte er darüber hinaus einem Abgang zum VfB Stuttgart oder zur DFL eine Absage – und verstand es einmal mehr, das kölsche Jeföhl zu bedienen: „Der FC ist weit mehr als ein normaler Verein, der FC ist Emotion, Leidenschaft und Lebensgefühl pur“ – Game, Set and Match.

10. Der Ärger um Lukas Podolski ist nur eine Randnotiz

Dass Wehrle einmal mehr als Gewinner aus der Mitgliederversammlung herausgeht, lag aber nicht ausschließlich an Äußerlichkeiten, die den schwachen Inhalt, nämlich den Kampf des 1. FC Köln um das wirtschaftliche Überleben, übertünchen konnten. Es lag auch am einzigen größeren Aufreger, der wieder bewies, dass am FC-Finanzgeschäftsführer offenbar kein Weg vorbeizuführen scheint. Lukas Podolski hatte noch während der Mitgliederversammlung dementiert, dass der Vereinsvorstand in Kontakt stünde, wie Präsident Werner Wolf zuvor vermeintlich verkündet hatte. Doch Wolf sprach von „wir“, dem Verein namens 1. FC Köln. Und das entspricht der Wahrheit, wie Alexander Wehrle wenig später klarstellte: Der FC-Finanzgeschäftsführer führt den Austausch mit der immens beliebten kölschen Fußballikone – Wehrle hält also auch in diesem emotionalen Thema die Strippen in der Hand, während die Vereinsführung nur am Rande präsent ist. Nicht nur kommunikativ kein Glanzstück, wie sich Werner Wolf und Co. in dieser Causa (nicht) inszenierten. Alles Weitere zu dieser Randnotiz hat Kollege Alexander Haubrichs für den „Express“ in einen lesenswerten Kommentar gegossen – mehr gibt es dazu nun wirklich nicht zu sagen.

11. Nach der MV ist vor der MV

Für den 1. FC Köln heißt es: Nach der Mitgliederversammlung ist vor der Mitgliederversammlung. Denn im Herbst wird die reguläre Veranstaltung für die vergangene Saison durchgeführt werden. Es droht abermals eine Marathonsitzung, steht doch unter anderem die Wahl des zukünftigen Mitgliederrats auf dem Programm. Dazu dürften einige der vertagten Satzungsänderungsanträge wieder an die Tagesordnung kommen, der vom Vorstand schon vor der Veranstaltung verschobene Antrag, dass die Mitgliederversammlung über jeden Anteilsverkauf abzustimmen hat, dürfte auch zur Sprache kommen. Das heißt: Es muss sich schon jetzt intensiv Gedanken darüber gemacht werden, wie mit den Schwächen, die auch eine hybride Veranstaltung mit sich bringt, und der Terminierung umgegangen werden soll. Ein Format und ein Termin, der alle Mitglieder glücklich macht, ist illusorisch, doch sollte verhindert werden, dass einmal mehr erst weit nach Mitternacht über wichtige Belange des Vereins entschieden werden muss. Wie dies rechtlich umzusetzen ist, dass eine Aussprache noch im erträglichen Maße möglich ist, darüber muss sich der 1. FC Köln schleunigst Gedanken machen.

Doch nicht nur in der Vorbereitung zur nächsten Mitgliederversammlung gilt das Motto: Jetzt muss geliefert werden! Auch der Vorstand muss nach anderthalb Jahren, die eher enttäuschend verliefen, nun nachweisen, dass er dem Vertrauensvorschuss der Mitglieder gerecht werden kann. „Was wir gesagt haben, müssen wir nun umsetzen – vorangehen und die Leute mitnehmen. Vor allem müssen wir schauen, dass wir wieder eine Einheit werden und zu Geschlossenheit kommen. Die Mitgliederversammlung hat die Zerrissenheit, die im Klub herrscht, gezeigt“, betonte FC-Vizepräsident Carsten Wettich nach der Mitgliederversammlung. „Die Versammlung war ein Signal an den Vorstand, die Gremien und die Geschäftsführung, dass wir zusammenstehen und die Zusammenarbeit verbessern müssen. Wir müssen Zusammenhalt vorleben. Die Mitglieder wünschen sich, wieder zu einer Geschlossenheit zu kommen. Da müssen wir hin“, unterstrich der Wirtschaftsjurist. Neben dem Dialog und der allgemeinen Kommunikation muss die Vereinsführung allerdings auch inhaltlich überzeugen. Es bleibt anstrengende Angelegenheit, diese Vereinsdemokratie.

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