Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Deniz Aytekin blieb Horst Heldt lange auf der Bank sitzen. Mit angespanntem Gesicht bearbeitete er sein Smartphone auf der Suche nach den Endergebnissen in Augsburg und Bielefeld. Seine Miene hellte sich schließlich ein wenig auf, die Niederlage von Werder und das Unentschieden der Ostwestfalen schienen ihm wieder etwas Hoffnung zu geben, dass noch alles gut werden würde mit ihm, dem 1. FC Köln und dem Klassenerhalt. Indes, das 0:0 der “Geißböcke” bei der stark ersatzgeschwächten und durch fünf Spiele in 14 Tagen arg strapazierten Hertha und vor allem die magere Offensivleistung der Kölner konnten seiner Zuversicht nur wenig zusätzliche Nahrung verliehen haben.
Endlich legte der Geschäftsführer Sport das Smartphone zur Seite und blickte lange auf das satte Grün des Berliner Olympiastadions. Er sah jubelnde Herthaner, die den sicheren Klassenerhalt feierten, und ausgepumpte Spieler mit dem Geißbock auf der Brust, die über das Ergebnis sinnierten, sich niederhockten oder die Hände in die Hüfte stemmten. Ihm, dem sportlich Verantwortlichen, wird bei diesem Anblick einiges durch den Kopf gegangen sein. Gut möglich, dass Heldt dabei auch an die Akteure dachte, mit denen er vor und während der Saison versucht hatte, das Team zu verstärken. An Sebastian Andersson, den Mittelstürmer, der keinen einzigen Schuss auf das von Schwolow gehütete Tor abgegeben hatte, an Ondrej Duda, der eine sehr diskrete Leistung bot, oder an Max Meyer, der 90 Minuten lang die Ersatzbank gehütet hatte. Vielleicht auch an Tolo Arokodare und Dimitrios Limnios, die es wieder einmal nicht in den Spieltagskader schafften, und an Emmanuel Dennis, der von Friedhelm Funkel aussortiert wurde und kein Spiel mehr für die Kölner bestreiten wird. Der Gedanke an diese Spieler wird ihm kaum Freude bereitet haben.
Ein Spiel der wenigen Torchancen
Dabei hatte sein Team ganz ordentlich angefangen, hatte nach vorne gespielt und recht sicher in der Abwehr gestanden. Torgelegenheiten blieben jedoch rar, und so blieb Elvis Rexhbecajs Volleyschuss die einzige wirklich gefährliche Szene der Kölner im ersten Durchgang (17.). Auf der anderen Seite musste Timo Horn sich zweimal strecken, um gegen Radonjic (30.) und Ngankam (39.) den möglichen Rückstand zu verhindern.
Nach der Pause änderte sich das Bild kaum. Die Herthaner standen sicher in der Defensive und begnügten sich damit, das Unentschieden zu verwalten. Und so endeten die Kölner Angriffsbemühungen zumeist spätestens am Strafraum der Berliner, einzig Ellyes Skhiri bot sich nach Eckball von Ondrej Duda die Chance zur Führung, schien jedoch von dem abgefälschten Ball überrascht und vergab (54.). Kurz vor Schluss gab es noch einen kleinen Aufreger, als Skhiri im Berliner Strafraum zu Fall kam, Schiedsrichter Aytekan nach Kontakt mit dem VAR und einem kurzen Blick auf den Bildschirm jedoch nicht auf Elfmeter entschied (89.).
Die Erkenntnisse aus dem Spiel
Abstiegskampf ist Nervensache und das war den Kölnern auch deutlich anzumerken. Wenn es gegen ein Berliner Team, das buchstäblich auf dem Zahnfleisch ging und mit Marton Dardai, Jonas Michelbrink und Marten Winkler drei Nachwuchsakteure aufbieten musste, gelingt, in 90 Minuten nicht mehr als drei, vier Torchancen herausspielen kann, wirft dies ein bezeichnendes Licht auf die Leistung der Offensivabteilung der Geißböcke. Die Abwehr stand weitestgehend sicher, hatte es allerdings mit einem Angriff der Hertha zu tun, in dem mit Cordoba, Cunha und Piątek die treffsichersten Akteure fehlten. Die altbekannten Schnelligkeitsdefizite waren allerdings nicht nur bei Ngankams Solo (39.) kaum zu übersehen.
“Unterm Strich stehen wir da zurecht, wenn man es resümiert. Wenn man fast eine ganze Saison spielt und am vorletzten Spieltag auf dem vorletzten Tabellenplatz steht, dann ist nicht alles richtig gelaufen.”
Friedhelm Funkel versuchte das Spiel einzuordnen und richtete den Blick auf die Partie gegen Schalke 04: “Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt für uns war. Wir haben es versucht, wollten aber Hertha auch nicht in die Falle laufen. Unterm Strich geht das 0:0 in Ordnung. Wir werden uns jetzt auf unser Endspiel gegen Schalke 04 gut vorbereiten. Wir müssen das Heimspiel gegen Schalke gewinnen, um in der Liga bleiben. Schalke ist in den letzten Wochen stabiler geworden, das ist Warnung genug für meine Spieler. Wir müssen Schalke sehr ernst nehmen und das werden wir auch, aber wir werden mehr Risiko eingehen. Morgen und am Montag werden wir regenerieren. Ab Dienstag beginnt dann die Vorbereitung auf das Schalke-Spiel. Wir haben einiges zu tun, um am kommenden Samstag hundert Prozent vorbereitet zu sein und mit hundert Prozent Frische und Willen in das Spiel zu gehen.”
Timo Horn räumte Fehler ein und versprach den Fans, dass die Mannschaft im Spiel gegen Schalke alles geben wird: “Jetzt haben wir ein Endspiel. Wir stehen in der Verantwortung, für diesen Verein bis zuletzt alles zu geben und die drei Punkte gegen Schalke zu holen. Dann gucken wir, was die anderen machen. Ich glaube bis zum letzten Moment daran, dass wir die Klasse halten. Wir haben viele Spiele knapp verloren, waren oft auf Augenhöhe und haben viele Punkte liegen lassen. Das ist uns alles klar. Unterm Strich stehen wir da zurecht, wenn man es resümiert. Wenn man fast eine ganze Saison spielt und am vorletzten Spieltag auf dem vorletzten Tabellenplatz steht, dann ist nicht alles richtig gelaufen. Nichtsdestotrotz werden wir alles aus uns rausholen und hoffentlich die drei Punkte holen. Und ein bisschen Schützenhilfe wäre natürlich auch super.”
Der Blick auf das nächste Spiel
Die Ausgangslage ist klar: Holen Bremen und Bielefeld in ihren Spielen gegen Borussia Mönchengladbach und den VfB Stuttgart jeweils nur einen Punkt, so erreicht der 1. FC Köln bei einem gleichzeitigen Sieg gegen Schalke 04 den 15. Tabellenplatz und damit den Klassenerhalt. Gut möglich, dass die Werderaner und die Ostwestfalen gegen ihre Gegner, die beide noch um den Einzug in die UEFA Europa Conference League kämpfen, Federn lassen werden.
Ob den Kölnern jedoch ein Heimsieg gegen die schon lange abgestiegenen Schalker gelingen wird, ist keineswegs sicher, zumal die Königsblauen mit ihrem 4:3-Heimsieg gegen die Champions-League-Aspiranten aus Frankfurt unter Beweis gestellt haben, dass sie nicht willens sind, ihre vorläufig letzten Bundesligapartien einfach abzuschenken. Hinzu kommen personelle Sorgen für Trainer Friedhelm Funkel. Skhiri und Jakobs sind nach ihren 5. Gelben Karten gesperrt, Jonas Hectors Einsatz ungewiss, und hinter Sebastian Anderssons Mitwirken muss wie in den letzten Monaten eigentlich immer ein dickes Fragezeichen gesetzt werden.
Sicher ist dagegen, dass eine ganz andere Leistung der Offensivabteilung nötig sein wird, um das Team von Trainer Dimitrios Grammozis zu besiegen und die Chance auf den sportlich wie finanziell so eminent wichtigen Klassenerhalt zu wahren. Klar ist aber auch, dass der 1. FC Köln selbst bei einem Sieg der Mithilfe aus Mönchengladbach und Stuttgart bedarf. Und so wird während der 90 Minuten am nächsten Samstag erneut das Smartphone Horst Heldts ständiger Begleiter sein. Der Einsatz ist hoch, die Spannung garantiert, der Ausgang völlig ungewiss.