Der 1. FC Köln ohne Hennes? Unvorstellbar, aber eigentlich vernünftig?
Text: Thorsten Neunzig
Der Moment, in dem jedem Fan im Müngersdorfer Stadion das Herz aufgeht. Geißbock Hennes nimmt Anlauf, um die Spielstätte des 1. FC Köln zu stürmen. Es gibt keine Zweifel, er macht das gerne, er will das machen, er will sich den verdienten Applaus abholen und sonnt sich darin. Ja, er ist schon eine Rampensau. Im Kölner Zoo merkt er, wie er alle Blicke auf sich zieht. Aber da stehen immer nur ein bis zwei Dutzend Anhänger am Gehege ihres Idols. Im Stadion sind 100.000 Augen auf ihn gerichtet, das spornt ihn an, das treibt ihn zu Höchstleistungen. Eigentlich nicht wegzudenken, eins der letzten lebenden Maskottchen des Sportbusiness.
Um Hennes ranken sich viele Geschichten und Anekdoten, und teilweise werden sagenhaft Dinge hinzugedichtet. Korrekt ist, dass am 13. Februar 1950 im Williamsbau, dem Winterquartier des Zirkus Williams, eine Karnevalssitzung stattfand, auf der Zirkuschefin Carola Williams auf Initiative von Zirkusdirektor Johann Thelen, in Ermangelung eines Maskottchens beim zwar erst zweijährigen, aber bereits als ruhmreich eingestuften 1. FC Köln, den ersten Geißbock Hennes an Clubpräsident Franz Kremer übergab. Dass Hennes I. dem damaligen Trainer Weisweiler die Bekleidung verschmutzt habe, gehört eher ins Land der Fabeln.
Sieg für den 1. #FCKöln!
Damit ist dem Fußballclub nun der Klassenerhalt sicher. Zu diesem Anlass fordern wir den Verein auf, Geißbock Hennes IX. endlich gegen ein zeitgemäßes Maskottchen auszutauschen, denn Tiere haben in einem Fußballstadion nichts zu suchen. ❌ #Relegation— PETA Deutschland (@PETADeutschland) May 29, 2021
Allerdings hat die Geschichte der männlichen Ziege sehr wenig mit Tierschutz und ordnungsgemäßer Tierhaltung zu tun, wie PETA erst kürzlich wieder mit einem Tweet unterstreicht. Für die Verhältnisse der Tierschutzorganisation fallen die Glückwünsche zum Nicht-Abstieg auf Twitter mit einem dezenten Hinweis auf Hennes’ Stadionpräsenz am Ende doch sehr moderat aus. Zudem verweist die Tierschutzorganisation auf bereits frühere Forderungen hin, den Geißbock nicht mehr ins Stadion zu lassen. Aus ihrer Sicht ist ein lebendiges Maskottchen nicht mehr zeitgemäß, die Tierschützer bieten sich sogar an, der Mannschaft ein selbstgestricktes Kostüm zu schneidern.
Mittlerweile artgerecht im Kölner Zoo untergebracht
Auch wenn das den meisten zu viel sein dürfte, ist klar, dass sie mit ihrer Forderung nicht ganz zu unrecht daherkommen. Viele Situationen, die wir als lustig oder amüsant empfinden, dürften es aus der Sicht des Geißbocks nicht sein. So hatte auch Franz Kremer höchstpersönlich keine Bedenken, den von Natur aus flucht- und kletterfreudigen Bock an der Leine am späteren Geißbockheim spazieren zu führen. Dort war er nach einem kurzen Aufenthalt auf einem Müngersdorfer Bauernhof in Einzelhaltung untergebracht. Für ein Herdentier eine untragbare Situation. Diese führte sogar dazu, dass Hennes II. in seinem Stall vor einem ausgerissenen Schäferhund nicht mehr flüchten konnte und erlegt wurde, so die offizielle Version. Viele FC-Fans vermuten hinter dem gewaltsamen Tod ihres Maskottchen einen Giftanschlag von rivalisierenden Fans vom Niederrhein, was tierschutzrechtlich sicherlich nicht weniger von Bedeutung ist.
Der Tod von Hennes II. bescherte seinen Nachfolgern zumindest außerhalb der Spiele eine artgerechte Unterkunft beim Bauern Schäfer in Widdersdorf. Außerdem hatte Hennes IV. die fragwürdige Ehre die Double-Sieger-Mannschaft von 1978 in ihrem Autokorso durch die Stadt zu begleiten. Unter heutigen Tierschutzaspekten undenkbar oder zumindest von einem Shitstorm in den sozialen Medien begleitet. Als es 2014 auch bei der Witwe von Bauer Schäfer zu einsam wurde, zog Hennes VIII. im August in den Kölner Zoo um. Hier, hatte es den Anschein, wurde stark Rücksicht genommen auf den Tierschutz und Hennes in einer einem Bergbauernhof nachempfundenen Anlage in Herdenhaltung untergebracht. Der Transport zum Stadion erfolgt im klimaneutralen Elektro-Hennes-Mobil. So soll ein weitere Stadionbesuch zumindest dem Tierschutz unverbundenen Menschen gegenüber leichter verdaulich gemacht werden.
Wir erinnern uns gerne an die Situation, als Hennes in der Halbzeit des Heimspiels gegen Aalen im März 2014 ausbüchste und erst nach minutenlangen Bemühungen der Betreuer wieder eingefangen werden konnte. Natürlich nur unter Zwangsmaßnahmen und mit besonders hohem Stress für das Tier. Oder als Torjäger Anthony Ujah nach einem Erfolg kurzerhand den Geißbock bei den Hörnern nahm. Für die meisten belustigend, für mich aber bereits im Stadion eine einem Frevel gleichkommenden Handlung, zudem ein weiterer immenser Stressfaktor für das arme Tier.
Die Maßnahmen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen bei Hennes muten in etwa so an, wie das Tierschutzlabel unserer Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, in dem einem Schwein 20 Quadratzentimeter mehr Platz zugestanden wird. Dass das Vorführen eines Tieres in einem Stadion nicht mit dem Tierschutz vereinbar ist, sollte jedem einleuchten. Genau so wie Pferde im Rosenmontagszug, Tiere im Zirkus oder auch die meisten Tierarten im Zoo. Als nicht mehr zeitgemäß lehnen Tierschützer all diese Haltungsformen seit Jahren ab. In meinen Augen zurecht.
Kostümbock statt “richtigem” Hennes
Auch mir geht das Herz auf, wenn Hennes die Bühne betritt, auch ich rechtfertige meine dem sich widerstrebenden Gedanken mit “schau mal, wie er reinläuft, der hat doch Spaß an der Sache, kriegt lecker Futter während dem Spiel” – ich rede mir sogar manchmal ein, dass das einzig Belastende am Stadionbesuch für Hennes der Versuch der Mannschaft ist, Fußball zu spielen. Als Tierarzt hätte ich manchmal gerne ein Gerät, solche Stimmungen wie Stress oder auch Schmerzen zu messen. Wir tun den Tieren unrecht, wenn wir für sie entscheiden, was gut für sie ist und was nicht. Wirklich glücklich können Tiere nur sein, wenn sie sich gemäß ihren arteigenen Bedingungen bewegen, ernähren und fortpflanzen können. Hennes IX. ist nicht kastriert, er will sich fortpflanzen. Hennes der VIII. war kastriert und hat sich von seiner Partnerin Anneliese zwei mal Zwillinge unterschieben lassen. Aber das fällt nicht unter das Thema Tierschutz.
Neben Hennes gibt es mit Adler Attila von der Frankfurter Eintracht ein weiteres lebendes Maskottchen in der Bundesliga. Ich würde es begrüßen, wenn beide Vereine im Sinne des Tierschutzes und des Tierwohls auf ihre lebenden Maskottchen verzichten würden, auch wenn dadurch ein Stück Tradition verloren geht. Auch mir widerstrebt der Gedanke an ein zweibeiniges Kostüm mit Hörnern, aber in diesem Fall ist Tierwohl wichtiger als das Gewohnheitsrecht. Der Wille eines jeden FC-Fans muss es doch sein, dass Hennes nicht leidet. Also lasst uns dafür sorgen, dass er sich diesem Stress nicht mehr aussetzen muss. Ein Fernseher in seiner Hütte im Zoo ist aus Tierschutzgründen während FC-Spielen selbstverständlich auszuschalten.
Auf der nächsten Seite: Der 1. FC Köln ohne Geißbock – einfach undenkbar