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Der 1. FC Köln und die Borussia: Einst gemeinsam im Tabellenkeller – heute durch Welten getrennt!

Foto: Jörg Schüler / Collection: Bongarts

Es war Derbyzeit am 10. April 2011. Viele heiß umkämpfte Aufeinandertreffen, Highlights der Bundesligageschichte hatte es zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach gegeben, doch kaum eines sollte folgenreicher sein als die Partie, die am 29. Spieltag der Saison 2010/11 im Mönchengladbacher Nordpark stattfand. Auch Petrus tat das seine dazu, es war ein sonniger, warmer Frühlingstag, der die Menschen dazu einlud, ein paar Stunden an der frischen Luft zu verbringen. Offensichtlich nutzten nicht wenige das gute Wetter zu Ausflügen in die nähere Umgebung, denn die Partie zwischen der Borussia und dem FC war mit knapp 53000 Zuschauern nicht ganz ausverkauft.

Dies war umso erstaunlicher, als das Spiel diesmal noch die zusätzliche Brisanz des Abstiegskampfes besaß, in den beide Vereine verwickelt waren: Die Kölner führten mit 35 Punkten den Pulk der Teams an, die um den Klassenerhalt bangen mussten, die Elf vom Niederrhein hatte mit 23 Punkte die rote Laterne auf Platz 18 inne. Mit einem Sieg hätte die Geißbockelf den Klassenerhalt so gut wie sicher gehabt, die Borussia wäre gleichzeitig kaum mehr in der Lage gewesen, den dritten Abstieg ihrer Vereinsgeschichte zu verhindern.

Doch es kam anders, ganz anders. Die Mannen von Trainer Lucien Favre waren über weite Strecken des Spiels die überlegene Mannschaft und hätten zum Schluss höher als 5:1 gewinnen können. Mike Hanke bereitete drei Treffer vor, Marco Reus traf zweimal, und im Tor der Gladbacher kam ein junger Mann namens Marc-André ter Stegen zu seinem Bundesligadebüt.

Als die Wege sich trennten …

Kölns ehemaliger Trainer Frank Schaefer | Foto: Dennis Grombkowski/Bongarts/Getty Images

FC-Trainer Frank Schaefer verlor danach noch zu Hause gegen den VfB Stuttgart und das Auswärtsspiel in Wolfsburg, bevor er von seinem Amt zurücktrat und der damalige Sportdirektor Volker Finke das sich im freien Fall befindende Team durch drei Siege in ebenso vielen Spielen zum letztlich souveränen Klassenerhalt führte. Die Borussen holten 13 Punkte aus den letzten sechs Spielen, erreichten die Relegation gegen den VfL Bochum und blieben dank eines 1:0 zu Hause und eines 1:1 in Bochum in der Bundesliga.

Dieses Derby im April 2011 stellte eine Wasserscheide dar, einen Punkt, an dem sich die Wege trennten, leitete es doch die unterschiedliche Entwicklung zweier Vereine ein, die diesen 29. Spieltag noch gemeinsam in der unteren Tabellenhälfte der Bundesliga verbracht hatten. Nicht erst seit dem Ende der Hinrunde der Saison 2019/20 trennen die alten rheinischen Rivalen jedoch Welten, die Borussen auf dem zweiten Tabellenrang bestens platziert im Rennen um die deutsche Meisterschaft, der FC in den Niederungen der Tabelle, mitten im Kampf um das sportliche Überleben.

In den Spielzeiten seit 2011 erreichten die Borussen viermal die Europa League (2012, 2014, 2016 und 2019), zweimal die Champions League (2015 und 2016) und zweimal das Halbfinale des DFB-Pokals (2012 und 2017), während der 1. FC Köln 2012 abstieg, einmal an der Europa League teilnahm (2017), dies im Jahr darauf mit dem erneuten Gang in die 2. Bundesliga teuer bezahlte und im DFB-Pokal nie weiter als bis zum Achtelfinale kam.

Sportdirektor Max Eberl | Foto: Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images

Diese unterschiedliche sportliche Entwicklung spiegelt sich auch in der Besetzung des Führungspersonals beider Vereine wider. Während die „Fohlen“ in achteinhalb Jahren von insgesamt vier Übungsleitern trainiert wurden, erreichte der FC diese Zahl an bediensteten Fußballlehrern alleine schon im Kalenderjahr 2019. Nicht weniger als elf Trainer – von Schaefer bis Gisdol – beschäftigte der FC seit 2011, tauschte fünfmal den Sportdirektor aus und wechselte auch den Vorstand mehrmals durch.

Die Borussen halten dagegen seit über zehn Jahren sowohl am Sportdirektor als auch am Vorstand fest. Kontinuität at its best. Und das im Einklang mit den Fans – eine Palastrevolution unter Anführung von Ex-Spieler Stefan Effenberg wurde 2011 mit großer Mehrheit auf der Mitgliederversammlung abgeschmettert. So konnten dann auch die Gladbacher in dieser Zeit einen Großteil ihrer Einnahmen in „Steine und Beine“ investieren, während der FC Millionen dafür aufwenden musste, entlassene Trainer und demissionierte Sportdirektoren abzufinden.

Der Erfolgsweg der Borussia – ein Role Model für den FC?

Die Gründe für die unterschiedliche Entwicklung beider Clubs sind vielschichtig und eignen sich als Lehrbeispiel dafür, wie man einerseits im Zeitalter explodierender Transfersummen und inflationärer Spielergehälter aus eigener Kraft einen Schritt nach dem anderen auf dem Weg zum Erfolg zurücklegen kann, und was man andererseits im Bemühen um Etablierung in der 1. Liga tunlichst unterlassen sollte.

„Von den Besten lernen“ – so heißt ein Buch des Managementberaters und Bestsellerautors Frank Arnold. Der Titel könnte Programm sein dafür, wie der 1. FC Köln sich für die Zukunft besser aufstellen und wieder zurück in die Erfolgsspur finden kann. Die Stufenleiter der Borussia zum Erfolg – trotz der riesigen Rivalität zwischen den Clubs eine Art „Role Model“ für den FC?

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Zwei angebliche Erklärungen für den Erfolg der Elf vom Niederrhein, die von nicht wenigen FC-Anhänger gerne immer wieder genannt werden, spielen in Wirklichkeit keine wesentliche Rolle. Zum einen wird die komfortable finanzielle Situation der Borussia auf den enorm günstigen Erwerb eines 209 000 Quadratmeter großen, bis 1996 von der britischen Rheinarmee genutzten Areals zurückgeführt, das heute als Borussia-Park Heimstätte des Vereins ist.

In Wirklichkeit halten sich hier Investitionen in die Infrastruktur, der Bau des Stadions und die Umsetzung weiterer Vorhaben (u.a. zehn Trainingsplätze für die Jugendmannschaften, ein kleines Stadion für die älteren Nachwuchsteams, ein Hotel, das Borussen-Museum, ein Rehazentrum) und Erträge bis dato in etwa die Waage, mittelfristig steht jedoch zu erwarten, dass der Verein von diesen Maßnahmen in verstärktem Maße profitieren wird.

Geschäftsführung und Vorstand im Vergleich

Einen entscheidenden Anteil an der finanziellen Gesundung des Vereins hat dagegen Stephan Schippers, der das Amt des Geschäftsführers 1999 in einer Phase übernahm, als die wirtschaftliche Situation des Vereins mehr als bedrohlich war. Seitdem hat Schippers beharrlich daran gearbeitet, die Infrastruktur des Vereins stetig zu verbessern, ihn dabei aber gleichzeitig finanziell auf immer gesündere Füße gestellt. Dazu bedurfte es weder Fan-Anleihen, wie sie der FC 2005, 2012 und 2016 auflegen musste, noch mussten dafür Catering-Rechte – wie bei den Kölnern 2009 – veräußert werden.

Stephan Schippers mit Rolf Königs                                               Foto: Christof Koepsel/Collection: Bongarts

Schippers geht wie einst Manager-Urgestein Helmut Grashoff nach einem einfachen kaufmännischen Prinzip vor: Man kauft nur das, was man sich auch leisten kann – und das ist inzwischen ganz schön viel. Er ist der „Herr der Zahlen“, dies ist sein Bereich, innerhalb dessen er sich bewegt, den er aber – wie allenthalben zu vernehmen ist – nie überschreitet. Aktuell beläuft sich Borussias Eigenkapital auf 91,2 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote liegt bei 42,4 Prozent – stolze Zahlen, die die Verantwortlichen des rheinischen Rivalen doch recht neidisch gen Niederrhein blicken lassen.

Dabei ist Schippers trotz seiner Erfolge ein Mann der leisen Töne, das bisweilen allzu grelle Licht der Öffentlichkeit ist nicht unbedingt seins. Ganz im Gegensatz zu seinem Geschäftsführerkollegen beim FC: Alexander Wehrle eilt der Ruf voraus, nicht gerade mikrofonscheu zu sein. Vor dem für Trainer Achim Beierlorzer schicksalhaften Heimspiel gegen Hoffenheim am 8. November begründete er die Entscheidung, die FC-Kicker im Karnevalstrikot auflaufen zu lassen damit, dass dies eine Tradition des 1.FC Köln sei.

Man stelle sich vor, wie Vereinsgründer Franz Kremer auf eine solche Aussage seines Geschäftsführers reagiert hätte, zumal in der angespannten sportlichen Situation des Klubs. Vielleicht mit einem seiner bekanntesten Zitate? „Tradition macht nur dann Sinn, wenn der Wille zu noch größeren Taten vorhanden ist.“  Seine noch berühmtere Frage hätte Kremer sich angesichts der gegenwärtigen Situation seines Herzensvereins wohl verkniffen: „Wollen Sie mit mir Deutscher Meister werden?“

Andere Gremienstruktur bei der Borussia?

Der zweite oft gehörte Erklärungsversuch für den Erfolg der Borussia und dessen Abwesenheit beim FC betrifft die Komplexität der Gremienstrukturen beider Vereine, deren jeweilige Ausprägung von so manchem FC-Fan als beinahe gegensätzlich stark empfunden wird. Dieser Eindruck lässt sich bei genauerem Hinsehen nicht belegen. Sowohl die Borussia als auch der FC haben den Profibereich in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert, die Borussia in eine GmbH, der FC in eine KGaA. Dies führt zwangsläufig zu weiteren Organen in der dadurch entstandenen Tochtergesellschaft, zu einer Geschäftsführung und einem weiteren Aufsichtsrat.

Die Borussia hat ein vierköpfiges Präsidium, das durch einen von den Mitgliedern gewählten Aufsichtsrat beraten und kontrolliert wird. Beim FC übt der Mitgliederrat eben diese Beratungs- und Kontrollfunktion aus. In der GmbH der Borussia werden gravierende wirtschaftliche, die GmbH betreffende Entscheidungen durch ein Gremium von acht Personen getroffen, beim FC tut dies der Gemeinsame Ausschuss, der sieben Mitglieder umfasst.

„Man hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Borussia beim Betreten der Geschäftsstelle ihre persönlichen Befindlichkeiten und Eitelkeiten ablegen wie Mäntel an einer Garderobe. Es zählt nur das Wohl der Borussia, diesem Ziel wird alles andere untergeordnet.“

Strukturen, sinnvolle zumal, sind eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für sportlichen Erfolg. Ganz wesentlich kommt es auf die Menschen an, die diese Strukturen mit Leben füllen, ihren Umgang mit Fans, mit Mitarbeitern und mit den Geschäftsführern, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Blick darauf, welche zukunftsweisenden Akzente für den Vereins gesetzt werden müssen. Und da ist die Borussia seit Jahren gut aufgestellt.

Die Einstellung stimmt in Gladbach

Toni Schumacher | Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

Präsident König und seine Präsidiumskollegen Söllner, Bonhof und Hans Meyer lenken die Geschicke des Vereins mit ruhiger Hand und treffen zumeist gleichermaßen wohlüberlegte wie nachvollziehbare Entscheidungen. Dies kommt nicht von ungefähr, sondern ist Ausdruck einer ganz besonderen Einstellung zu dem, was sie tun, weiß Heinz-Georg Breuer, intimer Borussen-Kenner und Autor des Werks über „Das einzig wahre Rheinische Derby“ zu berichten: „Man hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Borussia beim Betreten der Geschäftsstelle ihre persönlichen Befindlichkeiten und Eitelkeiten ablegen wie Mäntel an einer Garderobe. Es zählt nur das Wohl der Borussia, diesem Ziel wird alles andere untergeordnet.“

Man ist versucht, dies mit dem Verhalten der beiden Vizepräsidenten Markus Ritterbach und Toni Schumacher zu vergleichen, die sich nicht allzu lange nach dem Rücktritt Werner Spinners außer Stande sahen, regelmäßige Vorstandssitzungen mit dem ins Präsidium aufgerückten Mitgliederratsvorsitzenden Stefan Müller-Römer durchzuführen.

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Zudem liegt es nahe, an das seltene Geschick der FC-Verantwortlichen zu denken, sogar in solchen Momenten einen ordentlichen Schwung Wasser in den Wein zu schütten, in denen sportlich eigentlich Grund zu ungetrübter Freude gegeben wäre. So zuletzt geschehen in der Halbzeitpause des mit 2:0 gewonnenen Derbys gegen Leverkusen, als aus dem Geißbockheim die Meldung durchsickerte, dass Dr. Jürgen Sieger sein Vorstandsamt beim FC niederlegt, oder am Tag des grandiosen 4:2-Sieges bei Eintracht Frankfurt, als Präsident Werner Wolf auf der Homepage des Vereins mit bemerkenswerter Schärfe den Mitgliedsratsvorsitzenden Stefan Müller-Römer wegen dessen chinakritischen Aussagen in die Schranken wies. So etwas von den Verantwortlichen der Borussia? Undenkbar.

Unterschiedliche Erfolge auf dem Transfermarkt

Max Eberl | Foto: Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images

Verantwortlich für den sportlichen Erfolg der Borussia ist derweil Sportdirektor Max Eberl. Ausgesprochen geschickt auf dem Transfermarkt agierend, schafft er es immer wieder, die Lücken, die hochpreisige Abgänge wie die von Marco Reus, Granit Xhaka oder Thorgan Hazard hinterlassen, durch sinnvolle Spielereinkäufe zu schließen und dabei auch noch fette Gewinne zu erzielen. Wie sein Geschäftsführerkollege Stephan Schippers folgt der 46-Jährige dabei einem einfachen kaufmännischen Prinzip: Gutes preiswert kaufen, oder auf das Fußballgeschäft übertragen: Junge Fußballer mit deutlich erkennbaren Potenzial zu vernünftigen Preisen zu erwerben, um sie nach einigen Jahren mit hohem Gewinn zu veräußern. Und das wichtigste für einen Profiverein: den Transferüberschuss so in die Mannschaft zu investieren, dass sich deren Qualität erhöht.

Die Liste der Spieler, für die Max Eberl deutlich mehr Geld eingenommen als ausgegeben hat, ist lang, sie reicht von den genannten Reus, Xhaka oder Hazard bis hin zu Max Kruse oder Jannik Vestergaard, um nur einige zu nennen, und lässt sich problemlos mit den ehemaligen Nachwuchsspielern der Borussia um Marko Marin, Marc-André ter Stegen und Mahmoud Dahoud fortsetzen, deren Transfers die Kasse der Gladbacher laut klingen ließen. Und selbst ein Nachwuchstalent wie Michaël Cuisance, für 250 000 Euro aus Nancy gekommen und nicht recht in die Borussenfamilie integrierbar, vermochte Eberl für zwölf Millionen Euro zu den Bayern zu transferieren.

Der 1.FC Köln konnte unterdessen seit 2011 nur drei solcher gewinnbringenden Transfergeschäfte realisieren: Lukas Podolskis Wechsel 2012 zu Arsenal, der verhinderte, dass beim FC die Lichter ausgingen, Yannick Gerhardts Transfer zum VfL Wolfsburg und Anthony Modestes Wechsel zum chinesischen Erstligisten Tianjin Tianhai.

Konstant gute Transferbilanz in Gladbach

Foto: Levan Verdzeuli/Getty Images

Auch im Erwerb junger Spieler mit vermutetem Potenzial haben sich die “Geißböcke” versucht. Beispielhaft sei auf die Transferperiode vor der Saison 2017/18 verwiesen. Jörg Schmadtke investierte jeweils sieben Millionen Euro in die damals 20-jährigen Spieler Jannes Horn und Jorge Meré und immerhin drei Millionen Euro in João Queirós, 19-jähriges Abwehrtalent aus Portugal. Die Hoffnung, dass sich diese Akteure als wertvolle Verstärkungen erweisen und möglicherweise gewinnbringend weitertransferiert werden könnten, erfüllte sich nicht.

Warum? Sicher, eine gewisse Portion Pech mag eine Rolle gespielt haben, vielleicht hätte man aber auch noch sorgfältiger scouten und sich intensiver mit diesen Spielern befassen müssen, ihre Stärken und Schwächen klarer herausarbeiten und noch gewissenhafter abwägen müssen, ob diese Spieler das Potenzial haben, das zu halten, was man sich von ihnen verspricht.

Frappierend ist dabei der Fall von João Queirós, der in den zweieinhalb Jahren seit seiner Verpflichtung lediglich auf insgesamt 18 Einsätze in der Regionalliga West und in der niederländischen Reserveliga kam, wo er für die zweite Mannschaft von Willem II Tilburg auflief und dabei nie auch nur annähernd Leistungen zeigte, die die Millionensumme zu rechtfertigen vermochten, die der FC für ihn berappt hatte. Nach dem Leihende im Sommer 2020 wird er, so Tilburg ihn nicht fest verpflichtet, zum 1. FC Köln zurückkehren, wo er dann noch zwei weitere Jahre unter Vertrag steht.

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Wie sich sogar mit Spielern, die längst bei einem anderen Verein unter Vertrag stehen, noch gutes Geld verdienen lässt, bewies Max Eberl nicht zuletzt im Sommer 2019. Mit Hilfe weitsichtiger Transferbeteiligungen stellte er sicher, dass bei den Vereinswechseln der Spieler Nico Schulz (von Hoffenheim zum BVB), Luuk de Jong (von Eindhoven zum FC Sevilla) und Djibril Sow (von Young Boys Bern zu Eintracht Frankfurt) nicht weniger als sieben Millionen Euro auf dem Konto der Borussia landeten – ohne dafür auch nur einen Finger rühren zu müssen.

Kaderplanung bei der Borussia – und beim FC

Es ist aber beileibe nicht nur das kaufmännische Geschick, das die Transferaktivitäten des gebürtigen Niederbayern auszeichnet. Ihm gelingt es Jahr für Jahr, Abgänge mindestens gleichwertig zu ersetzen, ja häufig sogar die Qualität der Mannschaft zu erhöhen, andererseits aber auch Optimierungsnotwendigkeiten im Team zu erkennen. Gerade bei letzterem müssen die einzelnen Mannschaftsteile und Spielpositionen einer punktgenauen Analyse unterzogen werden, deren Ergebnisse in entsprechende Transfers umgesetzt werden. Bei der Borussia funktioniert dies – meistens jedenfalls.

Auch dem FC gelingt bisweilen ein richtig guter Transfer, auf Sebastiaan Bornauw trifft das sicherlich zu, der aus Anderlecht an den Rhein kam. Und doch ist die Erfolgsquote ein ganzes Stück niedriger als am Niederrhein. So fragt sich etwa mancher FC-Fan angesichts der Kölner Transferbemühungen in der jetzigen Winterpause, ob es bei der Analyse hakt oder eher bei der Umsetzung, vielleicht aber auch bei beidem. Die Analyse der abgelaufenen Hinrunde müsste ergeben haben, dass das zentrale Mittelfeld mit Jonas Hector, Ellyes Skhiri und Birger Verstraete recht ordentlich besetzt und auch die Sturmzentrale mit Spielern wie Simon Terodde, Anthony Modeste und Jhon Cordoba nicht schlecht bestückt ist.

Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Dagegen ist der Bedarf auf der rechten offensiven Außenbahn so offensichtlich, dass er den Verantwortlichen sofort ins Auge gesprungen sein müsste, mit Einschränkungen gilt dies auch für die rechte defensive Außenbahn. Was macht der FC? Er holt mit Mark Uth einen zentralen Stürmer und mit Elvis Rexhbecaj einen zentralen Mittelfeldspieler. Verstehen muss man das nicht unbedingt – auch wenn Uth durchaus auch auf Außen eingesetzt werden könnte.

Um bedarfsdeckend interessante Spieler mit hohem Potenzial verpflichten zu können, braucht es kompetente Analysten, eine gute Scouting-Abteilung, eine gehörige Portion Geduld, große Sorgfalt und einen langen Atem.

Langer Atem bei der Kaderplanung

So berichtete Marcus Thuram, 22 Jahre alter Senkrechtstarter im Sturm der Gladbacher, der zu Saisonbeginn von EA Guingamp an den Niederrhein wechselte, dass die Borussia bereits 2015 während der U18-Europameisterschaft den ersten Kontakt zu ihm aufgenommen habe und dieser bis zum Transfer vier Jahre später nie abgerissen sei. Die langjährige geduldige Kontaktpflege hat sich für die Borussia gelohnt, der bullige Angreifer, der bislang jeden Cent der Transfersumme von neun Millionen Euro wert ist, hat in nur sechs Monaten seinen Marktwert verdreifacht und ist mehr als nur ein Ersatz für den zum BVB transferierten Thorgan Hazard.

Gute Spieler mindestens gleichwertig, aber vorzugsweise durch bessere ersetzen: Yann Sommer, Denis Zakaria, der schon genannte Marcus Thuram und Breel Embolo sind nur einige Beispiele, die deutlich machen, wie gut die Borussia diese schwierige Disziplin seit Jahren beherrscht. Eine diffizile Aufgabe, ein durchaus auch mit Risiko behaftetes Unterfangen. Der FC kann spätestens seit dem Transfer Anthony Modestes nach China ein Lied davon singen, als zwar viel Geld eingenommen wurde, der wuchtige Torjäger aber nie ersetzt werden konnte und in der Saison nach seinem Wechsel abstieg.

Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images

Neuzugänge können aber durchaus auch aus dem eigenen Lager kommen und das Ergebnis sinnvoller Ausleihen sein, die man aber auch entsprechend begleitet. So geschehen bei Lászlo Bénes, der nach seiner sechsmonatigen Leihe bei Holstein Kiel gestärkt an den Niederrhein zurückkehrte, und auch bei Florian Neuhaus, der 2017/18 an den damaligen Zweitligisten Fortuna Düsseldorf verliehen wurde und danach so stark bei der Borussia auftrumpfte, dass er sogar in das Blickfeld von Jogi Löw geriet.

Auch der 1. FC Köln ist immer wieder auf diesem Terrain unterwegs, kann aber nicht auf Erfolgsgeschichten wie die von Bénes und Neuhaus verweisen. Allzu überraschend ist dies nicht, kann man sich doch des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der Verein vor allem dann einen Spieler verleiht, wenn er nicht mehr so recht weiß, was er mit dem Betreffenden anfangen soll. Man denke nur an das Beispiel João Queirós.

Auch hinsichtlich der Begleitung des verliehenen Spielers scheint es Optimierungsbedarf zu geben. So wunderte sich Tim Handwerker darüber, dass sich der FC während seiner Leihe zum FC Groningen kein einziges Mal bei ihm meldete und er im Sommer 2019 dadurch davon erfuhr, dass die Kölner nicht mehr mit ihm planten, dass für ihn kein Trainingsplan bereitlag.

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Und doch, Transfercoup hin, Transferflop her, will man die immer weiter auseinandergehende Schere der Entwicklung beider Vereine wirklich ergründen, heißt es, tiefer zu graben. In einem Interview, dass ich im vergangenen Juli mit Gregor Kapitza, einst hoffnungsvolles Talent in den Reihen des FC und zigfacher Jugendnationalspieler, führte, kamen wir auch auf das Ausbleiben nachhaltigen Erfolgs beim Geißbockclub zu sprechen.

„Dem FC fehlt eine solche nachhaltige Spielphilosophie schon seit vielen Jahren.”

„Alle wirklich erfolgreichen Vereine haben eine überdauernde Spielphilosophie, eine Idee, die sich nicht nur in der Spielweise der jeweils aktuellen Mannschaft wiedererkennen lässt,“ sagte er. „Nehmen Sie den BVB, Mönchengladbach oder auch die Leipziger. Bei denen ist es egal, ob Rangnick, Hasenhüttl oder zukünftig Nagelsmann an der Seitenlinie steht, das schnelle, zielgerichtete Spiel in die Spitze und das extrem hohe Gegenpressing sind Kennzeichen ihres Fußballs, sind Maßstab für die Gestaltung des Kaders.“

Keine nachhaltige Spielidee erkennbar

Gregor Kapitza hielt einen Augenblick inne. „Dem FC fehlt eine solche nachhaltige Spielphilosophie schon seit vielen Jahren. Ein Trainer geht, ein anderer kommt, die Spieler sind aber noch da, einige werden aussortiert, weil sie nicht zur Spielidee des neuen Übungsleiters passen, der holt wiederum andere Spieler zur Umsetzung seiner Vorstellungen, die dann möglicherweise beim nächsten Trainer wieder durch das Sieb fallen. Was entsteht, ist ein Teufelskreis, in dem ungeheuer viel Geld verpulvert wird, ist nichts anderes als Flickschusterei und verhindert eines: nachhaltigen Erfolg.“

“Favre nahm diesen Faden wieder auf”

Hennes Weisweiler | Foto: Edition Steffan

Der FC und eine Spielphilosophie, die die DNA des Vereins widerspiegelt, von der man sagt, dass so der „FC-Fußball“ aussehe, wie könnte so etwas aussehen? Ist es der bedingungslose Offensivfußball, der in der Radrennbahn-Ära die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hinriss? Ist es das attraktive und schwungvolle Angriffsspiel aus einer stabilen Abwehr heraus, das so typisch für das des Double-Team unter Hennes Weisweiler war? Ist es die kontrolliertere Offensive des Teams unter Christoph Daum Ende der achtziger Jahre?

Die Borussia besitzt eine solche Spielidee, die eng mit dem schnellen Umschaltspiel verbunden ist, mit dem die Niederrheiner unter Hennes Weisweiler Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre an die Spitze der Bundesligatabelle stürmte, und doch ging sie lange Zeit verschütt. „Erst Lucien Favre nahm diesen Faden wieder auf“, berichtet Heinz-Georg Breuer. „Unter ihm sah man zunächst einen Konterfußball, wie die Borussia ihn zuletzt unter Weisweiler gespielt hatte. Er entwickelte dies weiter, kombinierte längere Ballbesitzphasen mit blitzartigen Vorstößen und erreichte so wieder die lange vermissten europäischen Wettbewerbe.“

Hecking passte nicht zur Philosophie

Dieser Spielphilosophie kann sogar ein bis dato recht erfolgreich arbeitender Trainer zum Opfer fallen. Dieter Hecking hatte die Gladbacher nach der Trennung von André Schubert wieder stabilisiert, passte jedoch mit dem vielen „hinten-rum“-Spielen nicht recht zur Spielphilosophie der Borussia. Und so entschloss sich Max Eberl trotz des über den Sommer 2019 hinaus laufenden Vertrags, dem Trainer mitzuteilen, dass man die Zusammenarbeit zum Ende der Saison 2018/19 beenden werde.

Der Sportdirektor hatte einen Kandidaten an der Angel, der perfekt zur Spielidee der Mannen vom Niederrhein passte: den Erfolgstrainer von RB Salzburg, Marco Rose. Dazu holte Eberl Spieler, mit denen die Philosophie des aggressiven, hohen Anlaufen des Gegners und der Kombination von Ballbesitzphasen und überfallartigen Angriffen weiter perfektioniert werden konnte: Thuram, Embolo, Lainer und Bensebaini. Der Erfolg scheint Eberl Recht zu geben, Spielweise und Leistungen stimmen.

Dazu trägt allerdings auch bei, dass Leistungsorientierung bei der Borussia großgeschrieben wird, und da spielt das Geld keine unwesentliche Rolle. So gab Eberl in der Doppelpass-Runde am 24. November 2019 die Verteilung von garantierten und leistungsabhängigen Anteilen der Spielergehälter bei den Gladbachern mit 40 zu 60 an. Der 1. FC Köln ist in die laufende Bundesligasaison mit einem Personaletat von deutlich über 50 Millionen Euro gegangen. Damit belegt er einen guten Mittelfeldplatz in der Etat-Tabelle der 1. Bundesliga, sportlich steht er auf Platz 15, Investition und Rendite stehen in keinem guten Verhältnis zueinander.

Leistungsorientierung und finanzielle Anreize

Foto: Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images

Es kann natürlich sein, dass der Kader besser ist als der Tabellenplatz – und dies auch unter Trainer Gisdol unter Beweis stellen kann. Andererseits scheint man jedoch beim FC auch dann recht gutes Geld verdienen zu können, wenn Siege nicht gerade in Serie eingefahren werden. Gewiss, eine kleine Erfolgsserie gab es in den letzten drei Spielen vor der Winterpause, und das ließ das Herz jedes FC-Fans höher hüpfen.

Trotzdem sollte man an die mahnenden Worte von Markus Gisdol denken, der daran erinnerte, dass man sich nach wie vor im Kampf um den Klassenerhalt befinde und sich dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch bis zum Saisonende nicht ändern werde. Man schaue sich nur die ersten fünf Spieltage nach der Winterpause an, in denen es für den FC gegen Teams geht, die in der Tabelle die Plätze zwei, drei, vier, acht und neun belegen!

Abstiegskampf ist angesagt

Abstiegskampf ist angesagt, Bangen und Zittern – keine rosigen Aussichten für die Fans. Was bleibt ihnen? Ein altes irisches Sprichwort mag als Antwort dienen: “Je dunkler die Wirklichkeit, desto heller der Traum”. Träumen also, von einer besseren Zukunft, von einem erfolgreichen FC, vielleicht mit einem Blick gen Niederrhein, zu Verantwortlichen, die an einem Strang ziehen, in eine Richtung und nicht in zwei oder drei. Zu einem Sportdirektor, der weiß, was er tut, und dem man gerne zuhört, weil das meiste, was er sagt, Hand und Fuß hat, und zu einem Geschäftsführer Finanzen, der sich dem ihm zugedachten Aufgabenbereich widmet, und zwar mit voller und ungeteilter Aufmerksamkeit und dabei exzellente Arbeit leistet.

Träumen dürfen die Fans. Die Verantwortlichen dürfen das nicht. Sie sollten vielmehr alles daran setzen, die Wirklichkeit den Träumen anzugleichen. Sich bei dieser Arbeit an guten, an sehr guten Beispielen zu orientieren, wäre gewiss kein schlechter Schachzug. Von den Besten lernen – vieles, was die Borussia tut, ist nachahmenswert. Der FC sollte lieber heute als morgen damit beginnen, für eine nachhaltige Idee vom Fußball, für ein Ende der Flickschusterei, für eine bessere Zukunft.

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