Nach zehn Spielen wolle man Bilanz ziehen, so war es beim 1. FC Köln in den vorherigen Wochen und Monaten stets zu hören. Zehn Spiele – eine willkürliche gewählte Marke, die nun allerdings zum Problem für den Club wird. Denn die „Geißböcke“ stehen allerspätestens seit dem extrem enttäuschenden 0:2 im Derby bei Fortuna Düsseldorf einmal mehr im Kreuzfeuer der Kritik und mit lediglich sieben Punkten auf einem direkten Abstiegsplatz in der Bundesliga. Die Englische Woche mit Duellen gegen die rheinische Konkurrenz im Abstiegskampf aus Mainz und Düsseldorf sowie dem Pokalspiel beim krassen Außenseiter Saarbrücken wollte der effzeh nutzen, eine Serie zu starten. Gratulation, das ist gelungen – wenn auch gänzlich anders als gedacht.
Diese drei in den Sand gesetzten Partien bringen vor allem Trainer Achim Beierlorzer in arge Bedrängnis. Er kenne die Mechanismen des Geschäfts, betonte der gebürtige Franke nach dem Derby-Desaster. Die Mechanismen des Geschäfts: Das bedeutet, dass der Trainer in einer solch verheerenden sportlichen Lage das schwächste Glied in der Kette ist. Das bedeutet, dass nicht die Mannschaft, die auf dem Platz wenig bis gar nichts gezeigt hat, was Bundesliga-Format bedeuten würde, die Konsequenzen zu tragen hat, sondern der Verantwortliche an der Seitenlinie dafür gerade stehen muss. Die Mechanismen des Geschäfts – das heißt: Trennung vom Trainer. Interimslösung. Neuanfang in der Länderspielpause mit einem neuen Namen, der Hoffnung verbreiten soll. Wie so oft in der Geschichte des 1. FC Köln. Doch diesmal verzichteten die „Geißböcke“ auf diesen Schritt. Vorerst.
Suboptimale Schadensbegrenzung für tieferliegende Probleme
Es wäre beileibe nicht abwegig gewesen, die Reißleine zu ziehen und Achim Beierlorzer nach nicht einmal einem halben Jahr den Stuhl vor die Tür zu setzen. Der sympathische Franke, der mit viel Optimismus und ungemein positiver Ausstrahlung in den Job startete, wirkte zuletzt ziemlich ratlos ob der Leistungen seiner Schützlinge. Seine Spielidee von einer aggressiven und offensiven Ausrichtung? Kaum zu sehen. Geradezu leidenschaftslos ließen sich die „Geißböcke“ bei den wichtigen Spielen in Mainz, Völklingen und Düsseldorf vom Gegner den Schneid abkaufen. Eine Hierarchie im Team? Nicht zu erkennen. Vermeintliche Führungsspieler kämpfen mit Formproblemen oder sind sportlich bereits seit längerem nicht mehr tragbar. Der schwer erträgliche Gesamtzustand des effzeh-Teams trägt nicht ausschließlich Beierlorzers Handschrift, vieles davon trat bereits beim „Durch et Füer“-Aufstieg offen zu tage.
Nach intensiven Gesprächen haben Vorstand, Geschäftsführung, Sportkompetenzteam und Gemeinsamer Ausschuss des #effzeh entschieden, dass Achim Beierlorzer als Trainer im Amt bleibt. Er soll mit der Mannschaft gegen Hoffenheim die sportliche Wende schaffen.https://t.co/fDcNq6YZDF
— 1. FC Köln (@fckoeln) November 5, 2019
Doch liegt es im Verantwortungsbereich des Fußballlehrers, Lösungen für diese Schwachstellen zu finden. Stattdessen hat es der große 1. FC Köln wieder einmal geschafft, suboptimale Schadensbegrenzung für tieferliegende Ursachen zu betreiben. Abermals wurde ein Trainer geholt, dessen auf dem Papier verlockend wirkende Spielidee offensichtlich in der Realität inkompatibel mit dem vorhandenen Kader zu sein scheint. Die fehlende Grundlage für aggressiven, laufintensiven Kraftmeier-Fußball – geerbt aus der Vorsaison, als statt fundamentalem Neuaufbau lieber die Brechstange Richtung Rückkehr in die Bundesliga ausgepackt wurde – bricht einem Projekt, das von Anfang an aus diversen Gründen argwöhnisch betrachtet wurde, eigentlich das Genick. Es ist das Scheitern eines sympathischen, aber letztlich wohl mit den Kölner Gegebenheiten überforderten Achim Beierlorzer.
Die nächste Kerbe im morschen kölschen Holz
Es ist aber auch das Scheitern eines selbstbewussten Sportgeschäftsführers, der seit dem Abstieg alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und noch mehr ausgeschöpft hat, einen für die Bundesliga tauglichen Kader auf die Beine zu stellen. Das Machtvakuum im Verein unter dem alten Vorstand voller Sportkompetenz hat Armin Veh genutzt, seine Entscheidungs- und Gestaltungskompetenzen mit raumgreifenden Schritten auszubauen. Die Bilanz fällt trotz oberflächlich guter Transferpolitik in diesem Sommer verheerend aus. Denn: Der Kader ist bei weitem nicht stark genug, um den Klassenerhalt als selbstverständlich zu betrachten. Es scheint eher so, als müsste der effzeh darauf hoffen, in dieser Bundesliga-Saison auf mindestens zwei noch schlechtere Teams zu treffen, wenn der Verbleib in der höchsten deutschen Spielklasse gelingen soll. Ein frommer Wunsch nach den Auftritten der vergangenen Woche.
Dass Armin Veh trotz dieser bekannt schwierigen Situation den Verein noch vor der Länderspielpause in eine sportliche Führungskrise manövrieren durfte und entgegen der Absprachen mit dem neuen Vorstand in einer unwichtigen Talkshow auf einem Bezahlsender ohne Not die eigene Ego-Show fortsetzen konnte, ist dann auch nur eine weitere Kerbe im morschen Kölner Holz. Die Auflösungserscheinungen auf dem Platz ließ der vermeintlich starke Mann dann letztlich auch zweimal unkommentiert – bei scharfen Herbststürmen das Gesicht in den Wind zu halten, dürfte für die angeblichen „Führungsfiguren“ der Fußballbranche wohl wahrlich zu viel verlangt sein. Dass Veh nicht öffentlich, aber intern zu dem Trainer steht, den er für eine Ablöse aus Regensburg geholt und bis zuletzt in höchsten Tönen gelobt hatte, macht die Geschichte endgültig rund.
Kein Impuls für das Hoffenheim-Heimspiel
Denn spätestens das Derby-Desaster in Düsseldorf und die darauffolgende Posse um eine Entscheidung in der Trainerfrage hat gezeigt: Es ist höchste Zeit, im sportlichen Bereich die Reißleine zu ziehen. Und zwar auf den entscheidenden Positionen. Das öffentliche Theater über den Montag hinweg ohne klare Entscheidung, aber mit zahlreiche medialen Spekulationen hat sowohl Beierlorzer als auch Veh irreparabel beschädigt. Die Mechanismen des Geschäfts eben. Doch der effzeh zögerte mit einer richtungsweisenden Entscheidung – und traf damit die falsche. Es wäre besser gewesen, für das Heimspiel gegen Hoffenheim einen Impuls zu setzen, um die zurecht maßlos enttäuschten Anhänger für diese Partie zu mobilisieren. Nun soll es ein Trainer, der kaum Vertrauen mehr in Verein und Teilen der Mannschaft genießt, am Freitag richten. Und dann ein Neuanfang in der Länderspielpause? Nichts ist unmöglich. Auch das sind die Mechanismen des Geschäfts. Vor allem beim 1. FC Köln.