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Kolumnen

Götzes Erkrankung: Sind wir schuldig?

Nachdem Borussia Dortmund bekannt gab, dass Mario Götze an einer Stoffwechselerkrankung leidet, überschlägt sich die deutsche Sportpresse mit Geheule, Gefasel und Gejammer. Sie scheut dabei nichts so sehr, wie keine Texte zu produzieren. Das deutsche Sozialarbeitertum mitsamt der üblichen pathetischen Gefühlsduselei darf dabei natürlich nicht fehlen – dieses Mal durch die “11Freunde”.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Besondere Wendehalsfähigkeiten stellte wieder mal Lothar Matthäus unter Beweis, der Götze vor Wochen noch empfahl, nach China zu wechseln, weil er ja offensichtlich zu schwach für die Bundesliga sei. Nun, so Matthäus, müsse man seine Leistungen natürlich anders bewerten. Hinterher ist man nämlich schlauer als vorher und wenn man Lothar Matthäus heißt, sogar überhaupt nicht. Wenn die einen den nächstbesten Sportmediziner befragen, zitieren die anderen eben Lothar Matthäus.

Götze: Die gelöste Schuldfrage

Die deutsche Sportpresse wäre aber nicht die solche, wenn sie nicht auch sofort irgendeinen Schuldigen ausmachen müsste. Nun blieb Götze ja nicht mehr übrig, denn man kann zwar versuchen, ihn nach Asien zu schreiben, aber ihn nicht für die Krankheit verantwortlich machen. Also muss jemand anders her. Der ehemalige Handballbundestrainer Dagur Sigurdsson schrieb wissend auf Twitter, Götze habe “unglaublichem Druck von außen Stand halten müssen. Wir müssen alle davon lernen.” Aha, es ist der Druck von außen! Das hat auch Benjamin Kuhlhoff von der 11Freunde erkannt (wohlgemerkt, bevor das Detail Myopathie kolportiert wurde).

Schon im Untertitel seines rührseligen Lehrstücks in journalistischer Moral stellt er die halbrhetorische Frage: “Sind wir mitverantwortlich?” Wer “wir” ist und woran dieses “wir” “mitverantwortlich” sein soll, lässt der Autor nicht lang offen, die “Fußballnation” sei es, die sich “über Mario Götze das Maul zerriss”, weswegen er jetzt krank sei. Übersetzt bedeutet das: Götze ist krank, weil wir uns das Maul über ihn zerrissen haben. Im “wir” ist Kuhlhoff selbst aber nicht enthalten, denn er tut das schließlich nicht. Er nimmt nur die 11Freunde-typische Rolle des über den modernen Fußballzirkus kopfschüttelnden Betrachters ein, der einfach nicht anders kann, als die schrecklichen Zustände betroffen zu kommentieren.

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Zum Würgen ist der Kommentar allerdings, weil er suggeriert, Götzes Stoffwechselerkrankung sei auf die (bisweilen tatsächlich aberwitzige) Kritik der Öffentlichkeit zurückzuführen. Implizit singt Kuhlhoff damit das Lied des psychisch kranken und labilen Götze – nur noch wesentlich lauter als seine Berufskollegen, weil er sie als vorausgesetzt darstellt und den Berufsstand darum bittet, bei Götze aus diesem Grund Milde walten zu lassen. Diese sozialarbeiterische Bevormundung wird dadurch ergänzt, dass Götze vorher als jemand beschrieben wird, der “schlau genug” ist, “um wenig später bereits zu wissen, dass das Stigma ‘WM-Held’ ein Leben lang an ihm kleben wird wie altes Kaugummi.” Götze, das Sensibelchen, vom Helden zum Kranken. Und das in nur zweieinhalb Jahren. Also ehrlich: Wer würde da nicht depressiv werden?

Um nicht missverstanden zu werden: Kuhlhoff hat selbstverständlich damit recht, wenn er moniert, dass die Medien und “Experten” gerade in Bezug auf Mario Götze in den vergangenen Monaten oft Anstand vermissen ließen und ihn als Schwächling darstellten. Wer es beim FC Bayern nicht schafft, muss schließlich ein labiler Naivling sein. Das Mantra des schwachen, anfälligen Götze jedoch nicht als solches zu kritisieren, sondern auf diese Weise wiederzugeben, ist mindestens genauso unangebracht wie das Einholen und Veröffentlichen der Meinung von Lothar Matthäus. Das hat Mario Götze wirklich alles nicht verdient.

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